Alles über unser Lieblingsinsekt Wer Bienen beobachtet, schaut auf einzigartige Weise dem Leben beim Leben zu. Doch auch wenn es so aussieht, als herrsche bei den Bienen vor allem anarchische Krabbelei: Sie haben einen Plan, den sie mit erstaunlichem Geschick, faszinierenden Fähigkeiten und in bemerkenswerter Teamarbeit umsetzen. Wie dieses Leben in einem Bienenvolk funktioniert, davon erzählt dieses Buch. Es lädt ein zu einem Gang durch die Honigfabrik - eine Wunderwelt voll eigenwilliger Typen, cleverer Praktiken und verblüffender Regelwerke. Und es macht uns bewusst, dass der Mensch ohne die Bienen nicht überleben kann. Das Hardcover ist 2017 unter dem Titel »Die Honigfabrik« beim Gütersloher Verlagshaus erschienen.
Mit farbigem Bildteil.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2017Botschaften aus einer kleinen Welt
Die Lage der Honigbiene ist nicht gerade aussichtsreich: Jürgen Tautz und Diedrich Steen erklären, warum die fleißigen Insekten trotzdem Hoffnung geben - und glücklich machen.
Honigbienen haben es gerne warm. Bei ihnen wird auch schon im Sommer geheizt, nicht erst ab Oktober. Denn nur bei einer Temperatur von etwa 35 Grad Celsius an kann sich die Bienenbrut optimal entwickeln. Als Heizung dient die Flugmuskulatur. Wenn Muskeln arbeiten, entsteht nebenbei ohnehin auch Wärme. Weshalb man sich zitternd vor Kälte warmhalten kann. Die dicken Muskelpakete in der Bienenbrust liefern bei Bedarf anstelle von Bewegung sogar ausschließlich Wärmeenergie. Im Winter setzen nicht nur einzelne Arbeiterinnen ihre Flugmuskeln als Heizung ein. Dicht zusammengedrängt, sind Honigbienen dann hauptsächlich damit beschäftigt, einander zu wärmen.
Um mit dem hiesigen Klima klarzukommen, frieren sie eigentlich viel zu schnell. Schon bei zehn Grad Celsius erstarren sie vor Kälte, vier Grad Celsius sind tödlich. So eine fatale Abkühlung können die Bienen nur dadurch verhindern, dass sie den im Honig enthaltenen Zucker als Brennstoff einsetzen. Es muss nicht unbedingt der Honig sein, den sie aus dem Nektar von Blüten fabrizieren. Wenn der Imker einen Großteil davon für sich abzweigt, entschädigt er die Bienen mit Zuckersirup. Daraus hergestellter Honig taugt ebenso gut zum Heizen. Ausreichend Vorräte müssen aber auf jeden Fall in den Waben verstaut werden, denn draußen gibt es erst wieder Nachschub, wenn Frühlingsblumen oder Weidenkätzchen Nektar liefern.
Seit dem Jahr 2006 leitet Jürgen Tautz, Professor am Biozentrum der Universität Würzburg, das Projekt "HOney Bee Online Studies". Das bietet unter anderem im Internet einen Live-Blick in einen Bienenstock (www.hobos.de). Derzeit stehen drei Bienenvölker unter ständiger Beobachtung. Jetzt hat Tautz zusammen mit dem Lektor Diedrich Steen, der seit zwanzig Jahren auch Imker ist, einen fachkundigen und dabei unterhaltsam geschriebenen Gang durch die Welt der Bienen vorgelegt - "Die Honigfabrik".
Erstens ist es imponierend, was die Bienen mit ihren Mini-Gehirnen alles zuwege bringen. Und zweitens macht eine übersichtliche Gliederung und ein schön gestaltetes Layout die Lektüre zum Vergnügen. Es geht hier explizit um die Honigbiene. Ursprünglich eine Waldbewohnerin, gehört sie zu den wenigen Insekten, die zu Nutztieren wurden. Weshalb es viel zu erzählen gibt, über ihr Kommunikations- und Organisationstalent, ihr Schwärmen und ihr Liebesleben.
Wenn der Winter schon fast frühlingshaft daherkommt, verbrauchen die Bienen keineswegs weniger Honig, im Gegenteil. Ende 2015 mussten sich die Imker deshalb Sorgen machen, wie die Autoren schreiben: "Um Weihnachten herum noch zweistellige Temperaturen, kein Nachtfrost. Die Königinnen hörten nicht auf, Eier zu legen. Die daraus schlüpfenden Larven mussten gefüttert werden. Die Zahl der Bienen in den Völkern blieb zwar hoch, aber der Futtervorrat für den Winter schmolz schnell. Wird er bis zur Weidenblüte im März reichen? ... Es gibt für Imkerinnen und Imker keinen beschämenderen Anblick als ein verhungertes Volk."
Es geht aber nicht bloß darum, Honig zu produzieren. Ebenso wichtig ist den meisten Imkern die Beschäftigung mit den Bienenvölkern, Einblick zu bekommen in die faszinierend komplexe Sozialstruktur von Insekten, die immer wieder für Überraschungen gut sind. Komplementär zu diesem Erfahrungsschatz berichtet Jürgen Tautz aus Sicht des Wissenschaftlers.
So erklärt er, wie Bienen ganz ohne mathematischen Sachverstand zu verblüffend akkurat geformten Waben kommen: Zunächst bauen Arbeiterinnen aus winzigen Wachsschüppchen eine Zelle an die andere, alle mit einem runden Querschnitt. Den eigenen Körper können sie dabei als Schablone benutzen. Dann schlüpfen Bienen mit erhöhter Körpertemperatur in diese neuen Zellen und erwärmen sie auf mehr als 40 Grad. Was das Wachs so weich macht, dass die Wände benachbarter Zellen zunehmend fusionieren. Dabei ziehen sie sich ganz von selbst derart zurecht, dass aus kreisrunden Querschnitten regelmäßige Sechsecke werden. Zugleich bewirken die mechanischen Spannungen in der Wabe auch, dass die Wände schön glattgezogen werden.
Wirklich dicht dran zu sein, die Bienen summen zu hören, den Honigduft zu riechen ist ein besonderes Erlebnis. Aus gutem Grund ist Imkern auch in Städten populär geworden. Bienen können ein Kontrastprogramm zum Stress des Alltags bieten. "Auch wenn imkerliches Pathos hier vielleicht etwas überzieht: Eine kleine Welt zu kennen, in der Gegenseitigkeit funktioniert, hilft, an einer Welt, die in immer egoistischerem Streben immer mehr auseinander zu fliegen scheint, nicht zu verzweifeln. Bienen geben Hoffnung und - sie machen glücklich."
Sie leben aber keineswegs in einer heilen Welt. Die im vorigen Jahrhundert aus Ostasien eingeschleppte Varroamilbe zum Beispiel hat viele Bienenvölker vernichtet. Wo Imker nicht rechtzeitig eingreifen, lauert für hiesige Honigbienen nach wie vor eine tödliche Gefahr. Eine andere Bedrohung sind Neonicotinoide. Zwar nehmen die Bienen nur selten eine tödliche Dosis auf. Doch auch in geringer Konzentration können diese Insektizide Schaden anrichten, etwa die Lernfähigkeit mindern oder das Orientierungsvermögen.
Vor allem aber macht die Landwirtschaft den Bienen dadurch das Leben schwer, wie sie die Landschaft umgestaltet: Blühende Wiesen, Wegraine und Hecken mussten Ackerland weichen, und auf den Äckern blüht kaum noch etwas, wo Nektar und Pollen zu holen wären. Nicht nur Kornblume, Acker-Rittersporn und Adonisröschen machen sich rar. Auch Klatschmohn und ganz gewöhnliche Kamille sind meist nur noch eine Randerscheinung.
Noch mehr als Honigbienen leiden Wildbienen unter dem Mangel an blumigen Biotopen. Dabei sind Obstbauern auch auf solche Bienen angewiesen. Jedenfalls bei kühlem Wetter, wenn Honigbienen lieber daheim bleiben. Hummeln und andere Wildbienen bestäuben dann immer noch fleißig Kirschen, Äpfel und Erdbeeren.
DIEMUT KLÄRNER
Jürgen Tautz, Diedrich Steen: "Die Honigfabrik". Die Wunderwelt
der Bienen - eine
Betriebsbesichtigung.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017.
285 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Lage der Honigbiene ist nicht gerade aussichtsreich: Jürgen Tautz und Diedrich Steen erklären, warum die fleißigen Insekten trotzdem Hoffnung geben - und glücklich machen.
Honigbienen haben es gerne warm. Bei ihnen wird auch schon im Sommer geheizt, nicht erst ab Oktober. Denn nur bei einer Temperatur von etwa 35 Grad Celsius an kann sich die Bienenbrut optimal entwickeln. Als Heizung dient die Flugmuskulatur. Wenn Muskeln arbeiten, entsteht nebenbei ohnehin auch Wärme. Weshalb man sich zitternd vor Kälte warmhalten kann. Die dicken Muskelpakete in der Bienenbrust liefern bei Bedarf anstelle von Bewegung sogar ausschließlich Wärmeenergie. Im Winter setzen nicht nur einzelne Arbeiterinnen ihre Flugmuskeln als Heizung ein. Dicht zusammengedrängt, sind Honigbienen dann hauptsächlich damit beschäftigt, einander zu wärmen.
Um mit dem hiesigen Klima klarzukommen, frieren sie eigentlich viel zu schnell. Schon bei zehn Grad Celsius erstarren sie vor Kälte, vier Grad Celsius sind tödlich. So eine fatale Abkühlung können die Bienen nur dadurch verhindern, dass sie den im Honig enthaltenen Zucker als Brennstoff einsetzen. Es muss nicht unbedingt der Honig sein, den sie aus dem Nektar von Blüten fabrizieren. Wenn der Imker einen Großteil davon für sich abzweigt, entschädigt er die Bienen mit Zuckersirup. Daraus hergestellter Honig taugt ebenso gut zum Heizen. Ausreichend Vorräte müssen aber auf jeden Fall in den Waben verstaut werden, denn draußen gibt es erst wieder Nachschub, wenn Frühlingsblumen oder Weidenkätzchen Nektar liefern.
Seit dem Jahr 2006 leitet Jürgen Tautz, Professor am Biozentrum der Universität Würzburg, das Projekt "HOney Bee Online Studies". Das bietet unter anderem im Internet einen Live-Blick in einen Bienenstock (www.hobos.de). Derzeit stehen drei Bienenvölker unter ständiger Beobachtung. Jetzt hat Tautz zusammen mit dem Lektor Diedrich Steen, der seit zwanzig Jahren auch Imker ist, einen fachkundigen und dabei unterhaltsam geschriebenen Gang durch die Welt der Bienen vorgelegt - "Die Honigfabrik".
Erstens ist es imponierend, was die Bienen mit ihren Mini-Gehirnen alles zuwege bringen. Und zweitens macht eine übersichtliche Gliederung und ein schön gestaltetes Layout die Lektüre zum Vergnügen. Es geht hier explizit um die Honigbiene. Ursprünglich eine Waldbewohnerin, gehört sie zu den wenigen Insekten, die zu Nutztieren wurden. Weshalb es viel zu erzählen gibt, über ihr Kommunikations- und Organisationstalent, ihr Schwärmen und ihr Liebesleben.
Wenn der Winter schon fast frühlingshaft daherkommt, verbrauchen die Bienen keineswegs weniger Honig, im Gegenteil. Ende 2015 mussten sich die Imker deshalb Sorgen machen, wie die Autoren schreiben: "Um Weihnachten herum noch zweistellige Temperaturen, kein Nachtfrost. Die Königinnen hörten nicht auf, Eier zu legen. Die daraus schlüpfenden Larven mussten gefüttert werden. Die Zahl der Bienen in den Völkern blieb zwar hoch, aber der Futtervorrat für den Winter schmolz schnell. Wird er bis zur Weidenblüte im März reichen? ... Es gibt für Imkerinnen und Imker keinen beschämenderen Anblick als ein verhungertes Volk."
Es geht aber nicht bloß darum, Honig zu produzieren. Ebenso wichtig ist den meisten Imkern die Beschäftigung mit den Bienenvölkern, Einblick zu bekommen in die faszinierend komplexe Sozialstruktur von Insekten, die immer wieder für Überraschungen gut sind. Komplementär zu diesem Erfahrungsschatz berichtet Jürgen Tautz aus Sicht des Wissenschaftlers.
So erklärt er, wie Bienen ganz ohne mathematischen Sachverstand zu verblüffend akkurat geformten Waben kommen: Zunächst bauen Arbeiterinnen aus winzigen Wachsschüppchen eine Zelle an die andere, alle mit einem runden Querschnitt. Den eigenen Körper können sie dabei als Schablone benutzen. Dann schlüpfen Bienen mit erhöhter Körpertemperatur in diese neuen Zellen und erwärmen sie auf mehr als 40 Grad. Was das Wachs so weich macht, dass die Wände benachbarter Zellen zunehmend fusionieren. Dabei ziehen sie sich ganz von selbst derart zurecht, dass aus kreisrunden Querschnitten regelmäßige Sechsecke werden. Zugleich bewirken die mechanischen Spannungen in der Wabe auch, dass die Wände schön glattgezogen werden.
Wirklich dicht dran zu sein, die Bienen summen zu hören, den Honigduft zu riechen ist ein besonderes Erlebnis. Aus gutem Grund ist Imkern auch in Städten populär geworden. Bienen können ein Kontrastprogramm zum Stress des Alltags bieten. "Auch wenn imkerliches Pathos hier vielleicht etwas überzieht: Eine kleine Welt zu kennen, in der Gegenseitigkeit funktioniert, hilft, an einer Welt, die in immer egoistischerem Streben immer mehr auseinander zu fliegen scheint, nicht zu verzweifeln. Bienen geben Hoffnung und - sie machen glücklich."
Sie leben aber keineswegs in einer heilen Welt. Die im vorigen Jahrhundert aus Ostasien eingeschleppte Varroamilbe zum Beispiel hat viele Bienenvölker vernichtet. Wo Imker nicht rechtzeitig eingreifen, lauert für hiesige Honigbienen nach wie vor eine tödliche Gefahr. Eine andere Bedrohung sind Neonicotinoide. Zwar nehmen die Bienen nur selten eine tödliche Dosis auf. Doch auch in geringer Konzentration können diese Insektizide Schaden anrichten, etwa die Lernfähigkeit mindern oder das Orientierungsvermögen.
Vor allem aber macht die Landwirtschaft den Bienen dadurch das Leben schwer, wie sie die Landschaft umgestaltet: Blühende Wiesen, Wegraine und Hecken mussten Ackerland weichen, und auf den Äckern blüht kaum noch etwas, wo Nektar und Pollen zu holen wären. Nicht nur Kornblume, Acker-Rittersporn und Adonisröschen machen sich rar. Auch Klatschmohn und ganz gewöhnliche Kamille sind meist nur noch eine Randerscheinung.
Noch mehr als Honigbienen leiden Wildbienen unter dem Mangel an blumigen Biotopen. Dabei sind Obstbauern auch auf solche Bienen angewiesen. Jedenfalls bei kühlem Wetter, wenn Honigbienen lieber daheim bleiben. Hummeln und andere Wildbienen bestäuben dann immer noch fleißig Kirschen, Äpfel und Erdbeeren.
DIEMUT KLÄRNER
Jürgen Tautz, Diedrich Steen: "Die Honigfabrik". Die Wunderwelt
der Bienen - eine
Betriebsbesichtigung.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017.
285 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Verständlich, süffig, faktensatt, klug gegliedert, liebevoll illustriert - auch für Nicht-Imker absolut empfehlenswert!« börsenblatt Sachbuch Spezial