Eine gesellschaftliche Momentaufnahme aus den Abruzzen, einfühlsam erzählt.
Seit jener Tragödie vor vielen Jahren hat sich ein Schatten um das Land unterhalb des Dente del Lupo, dem Wolfzahn, gelegt. Eine markante Bergformation in den Abruzzen. Das Land ist alt, archaisch, gehört der Familie von
Amanda. Ein Campingplatz sollte damals einen Aufschwung bringen, ein wenig Geld in die leeren…mehrEine gesellschaftliche Momentaufnahme aus den Abruzzen, einfühlsam erzählt.
Seit jener Tragödie vor vielen Jahren hat sich ein Schatten um das Land unterhalb des Dente del Lupo, dem Wolfzahn, gelegt. Eine markante Bergformation in den Abruzzen. Das Land ist alt, archaisch, gehört der Familie von Amanda. Ein Campingplatz sollte damals einen Aufschwung bringen, ein wenig Geld in die leeren Kassen der Besitzer und Pächter spülen. Sogar ein Pool wurde gebaut, ausgehoben und dem Land abgerungen, ein Loch gegen einen Berg von Schulden getauscht.
Das restliche Land wird für die Schafszucht genutzt.
Amanda geht nach Mailand, studieren. Ein Zimmer in einer WG, eingepfercht. Ihre Mutter unterstützt sie so gut es geht, hilft beim Umzug. Doch lange haltet es Amanda nicht aus. Die Pandemie macht das Studium vorerst in der Stadt nicht weiter möglich. Das gehe auch von den eigenen vier Wänden aus. Sie kehrt Hals über Kopf zurück zu ihrer Mutter Lucia, nicht nur wegen des Lock-Downs. Amanda hat sich verändert. Ist wortkarg, lichtscheu. Verkriecht sich in ihrem Zimmer, geht kaum raus, ist nicht wieder zu erkennen.
Der geplante Kauf des Landes durch Immobilienspekulanten lockt Amanda heraus. Sie tritt auf die Barrikaden, organisiert sich mit Demonstranten, damit das Land, das mittlerweile ihrer Mutter gehört, nicht veräußert wird.
All das und vieles mehr erzählt uns Lucia, die Ich-Erzählerin. Besonnen, ruhig berichtet sie von ihrem Leben, blickt dreißig Jahre zurück. Das Verbrechen von damals wird langsam sichtbar, taucht aus den Nebeln der Erinnerungen auf und dringt zu uns vor in all seiner Wucht. Was wäre wenn … was wäre, hätte Lucia damals ihre Freundin gebeten, mit ans Meer zu fahren … was wäre dann passiert, oder nicht passiert. Lebenslang aufkeimende Schuldgefühle plagen sie, obwohl sie ganz genau weiß, dass sich nichts dafür kann. Dass es einfache Entscheidungen waren, wie sie das Leben jeden Tag gebärt und verlangt.
Und das Land bleibt das Land, der Dente del Lupo die Heimat der alteingesessenen Bevölkerung. Und die Geschehnisse sollten am besten vergraben werden …
Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt die Autorin das Leben in jenem Landstrich. In der Ferne sieht man das Meer glitzern, vielleicht auch die große Stadt Pescara, auf der anderen Seite türmen sich die Berge empor. Dazwischen findet das Leben statt in einer dörflich geprägten, von Männern dominerten Gesellschaft.
S.45: „Er hatte einen Sohn gewollt, und dann wurde ich geboren … Viel später erwartete er einen Enkel, einen Buben, den er auf den Traktor setzen konnte ... Zweimal wurde mein Vater schwer enttäuscht.“
Wie auch in ihren anderen Romanen Arminuta und Borgosud (beide sehr empfehlenswerte Bücher) erzählt uns auch hier Donatella di Pietrantonio über das Schicksal von Frauen. Mutter und Tochter, einander fremd und dennoch vereint, beide im Versuch, das jeweilig Beste aus sich zu machen, gegen die Ströme der Zeit anzukämpfen, für ein Leben gegen Unterdrückung, Armut. Und vor allem für eine selbstbestimmte Existenz. Doch der misogyne Alltag streckt auch hier seine Tentakel aus, auch wenn es nicht immer ganz so offensichtlich erscheint.
Vielschichtig kommt der Inhalt daher, zeichnet uns ein klares Bild des Lebens in dieser Gegend der Abruzzen. Figuren und Landschaft werden plastisch, die Sorgen und Nöte projizieren sich auf die Leinwand unserer Imagination. Ganz große Leseempfehlung für diesen wunderbaren Roman. Ein weiteres Meisterwerk aus der Feder der Autorin, ausgezeichnet mit dem Premio Strega 2024 (ein jährlich vergebener Literaturpreis, den seit 1947 nur 11 Frauen gewonnen haben).
Zitat der Autorin am Klappentext: „Ich verspreche, dass ich mich in Wort und Schrift für die Rechte einsetzen werde, für die meine Generation von Frauen so hart gekämpft hat und die heute anscheinend nicht mehr selbstverständlich sind.“