Als Amanda in das Dorf in den Abruzzen zurückkehrt, genügt ein Blick ihrer Mutter, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmt. In den ersten Tagen in Mailand hatte ihre Tochter die Lichter der Stadt in den Augen, doch jetzt scheint sie nur noch verschwinden zu wollen. Mit Schrecken blickt Lucia auf das Schweigen ihrer Tochter und erinnert sich an jene Nacht vor dreißig Jahren, in der nur ein Zufall sie vor dem Schlimmsten bewahrt hat. Unter dem Wolfszahn, auf dem Land, das ihrer Familie gehört und für das sich jetzt ein Immobilienspekulant interessiert, stehen noch die Überreste des Campingplatzes, an dem sich vor vielen Jahren das Schreckliche ereignet hat. Alle waren an diesem Abend hier versammelt. Die Hirten, die Besitzer des Campingplatzes, die Jäger, die Carabinieri, die Alten und die Jungen, das ganze Dorf. Alle außer den Mädchen, die schon nicht mehr existierten. Mit ihrer rauen, lebendigen und poetischen Sprache, die uns das Gewicht eines abweisenden Blicks und den Klang einer unbeantworteten Frage spüren lässt, erkundet Donatella Di Pietrantonio in diesem Roman eine existenzielle Spannung zwischen den Generationen und Geschlechtern und stellt uns vor die Frage, ob grade unsere Wunden, unsere Verletzungen, unsere Narben nicht unser bedeutsamstes Erbe sind. Ausgezeichnet mit dem Premio Strega 2024 und dem Premio Strega Giovani 2024
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Maike Albath lässt sich zwar zunächst vereinnahmen von Donatella Di Pietrantonios "einschmeichelndem Rhythmus", wird dann jedoch zunehmend skeptisch. Ja, die Autorin verstehe sich auf effektvolles Erzählen und auf das kunstvolle Verweben der Erzählstränge: Ausgehend von der Rückkehr einer Tochter zu ihrer Mutter nach einem Gewalterlebnis geht es um ein ebenfalls traumatisierendes Erlebnis der Mutter während ihrer Jugend - sie wurde auf einer Wanderung indirekt Zeugin eines Doppelmords und seiner Folgen. Gelungen findet Albath außerdem den gemäßigten Ton in der Erzählperspektive der Mutter, der die Unaufgeregtheit ihres Lebens widerspiegelt - perfekt übersetzt zudem von Maja Pflug, lobt sie. Aber dann driftet ihr der Roman, beginnend mit dem "schwarzen Herz", als das Di Pietrantonio das Verbrechen anlegt, zu sehr ins Melodramatische ab; alle Spannungen müssen sich hier in Harmonie auflösen, moniert sie, und außerdem wiederhole sich so einiges aus Vorgängerromanen: die Gefühlskälte der Mutter etwa, oder, dass die Autorin immer weibliche Duos auftreten lasse. Dass es ausgerechnet hierfür den Premio Strega gab, kann Albath bei aller handwerklicher Anerkennung nicht ganz nachvollziehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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