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Auf Du und Du mit den Flüssen und Meeren: Erik Orsenna reist um die Welt, um sich von der möglichen Zukunft der Ressource Wasser ein Bild zu machen.
Von Andreas Platthaus
Während ich das Buch von Erik Orsenna lese, tobt das Orkantief "Xynthia" über der französischen Heimat des Autors. An der Atlantikküste stehen Städte unter Wasser, mehr als vierzig Menschen ertrinken. Da klingt es nicht nur der zu wörtlichen deutschen Übersetzung wegen seltsam, wenn Orsenna schreibt: "Es gibt wohltemperierte Gebiete, von sanfter geographischer Beschaffenheit. Die Völker brauchen sich nur wiegen zu lassen. Wie Frankreich." Ist sein Buch "Die Zukunft des Wassers", das vor anderthalb Jahren im französischen Original erschien, heute schon überholt?
Nein. Und noch immer würde wohl Herr Gao, der Generaldirektor für Wasser im chinesischen Ministerium für hydrologische Ressourcen, seinen französischen Gast so verabschieden, wie er es 2008 getan hat: "Grüßen Sie Ihr gemäßigtes Land von mir! Sie sehen, ich muss Sie verlassen. Wenn man nicht in einem gemäßigten Land wohnt, ist man gezwungen, mehr zu arbeiten." In China sind im zwanzigsten Jahrhundert durch Überschwemmungen Hunderttausende umgekommen, und ausbleibender Regen hat im selben Zeitraum gar Millionen das Leben gekostet. Was zählen da vierzig ertrunkene Franzosen? Doch die für das ehedem so milde Europa verheerenden Wetterkapriolen, in deren Reihe "Xynthia" nur die bislang letzte war, hatten Orsenna überhaupt erst hellhörig gemacht. Das und jene Reisen, die er vor fünf Jahren unternommen hatte, als das Mitglied der Académie française weltweit für sein Buch "Weiße Plantagen" recherchierte.
Orsenna, als Erik Arnoult 1947 in Paris geboren und 1988 für seinen Roman "L'Exposition coloniale" mit dem Prix Goncourt geehrt, ist unter seinem eigentlichen Namen ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler und gehört der Geschäftsführung der französischen Stiftung Farm (Fondation pour l'agriculture et la ruralité dans le monde) an. Dieses Interesse für die Landwirtschaft hatte in den vielgelobten "Weißen Plantagen" seinen Ausdruck gefunden: Orsenna widmete sich in Form einer essayistischen Reisereportage der weltweiten Produktion von Baumwolle. Da deren Anbau zu den wasserintensivsten landwirtschaftlichen Aktivitäten zählt, entwickelte sich daraus das nächste Recherchevorhaben - eine zweite Weltreise, diesmal in die Regionen großer Wassernot. Wobei "Wassernot" nicht zwingend Trockenheit bedeutet, sondern eben auch Überschwemmungen.
In Australien geht es los, dann nach Singapur, Kalkutta, Bangladesch, China, Israel, in den Maghreb, an den Südrand der Sahara und schließlich an den Colorado in den Vereinigten Staaten. Und das ist nicht einmal alles: Auf Erik Orsennas Homepage finden sich weitere Kapitel, die keinen Platz im Buch gefunden haben - leider bislang nur auf Französisch. Das ist eine kluge publizistische Ergänzung, die man sich häufiger wünschen würde.
Kurze Abstecher ins heimische Frankreich sind ebenso im Buch zu finden wie eine kleine Betrachtung zu Berlin, wo Orsenna im Wasser ein verbindendes Element während der deutschen Teilung ausmacht: Über die Spree retteten sich manche Flüchtlinge ebenso nach West-Berlin wie durch die Kanalisation, und die DDR übernahm gegen hohe Gebühren die Entsorgung des Abwassers aus den Westsektoren der Stadt. Aber das sind lediglich nette Aperçus in einem Buch, das meist einen viel dramatischeren Gegenstand hat. Sie gehören zum Hohelied, das Orsenna zur Auflockerung immer wieder auf das Wasser als Quelle allen Lebens und sowohl scheidendes (chemikalisch betrachtet) wie verbindendes (kulturhistorisch gesehen) Element anstimmt.
Stilistisch darf man dieses Buch als gewöhnungsbedürftig für ein deutsches Publikum ansehen. Das Pathos, die gelegentlichen Frivolitäten, die dauernde Personalisierung von Wasser, Regen, Meeren, die Orsenna auch gerne einmal direkt anspricht, quasi von Mann zu Fluss - das alles ist in einem Land wie Frankreich gängig, wirkt jedoch auf Deutsch, zumal so einfallslos übersetzt wird wie hier von Caroline Vollmann, schlicht schwülstig.
Dazu kommen peinliche Sachfehler. Von 1819 bis 1942 sind es nicht 143, sondern 123 Jahre; der Stadtstaat Singapur wäre, würde man den Maßstab auf der beigegebenen Karte ernst nehmen, ungefähr so groß wie Bayern; ein Amerikaner verbraucht, wenn man Kapitel zwei glauben will, pro Tag dreihundert Liter Wasser, laut Kapitel dreizehn sind es "weniger als siebenhundert" (was sich zwar nicht widerspricht, aber trotzdem ganz anders gemeint ist); man kann binnen vierzehn Seiten zuerst lesen, die Erzeugung eines Kilogramms Reis erfordere 1600 bis 5000 Liter Wasser, dann wieder, man benötige dazu durchschnittlich 1400 Liter; und schließlich wird behauptet, eine Bevölkerung, die nicht nur Reis, sondern auch Fleisch esse, "verzehnfacht ihren Wasserbedarf (Minimum)" - leider aber steht das unmittelbar nach einer Tabelle, aus der man lernt, dass zwar ein Kilo Rindfleisch tatsächlich fast zehnmal so viel Wasser erfordert wie dieselbe Menge Reis, Schweinefleisch aber nur dreimal so viel, und es ist ja keine Rede davon, dass jene Bevölkerung fortan nur noch Fleisch essen soll.
Auch erwähnt werden muss ein unausgewiesener Hintergrund der Recherche, der aus der Lektüre leicht zu rekonstruieren ist. Orsenna profitierte davon, dass ihm französische Wasserkonzerne, allen voran Veolia und Suez, im Ausland die Türen geöffnet haben. Und so ist auch einsichtig, warum sich Orsenna am Schluss gegen die Forderung von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen nach freiem Wasserzugang für alle und stattdessen für eine Mischung aus öffentlichem und privatwirtschaftlichem Engagement bei der Wasserversorgung ausspricht. Wobei man zu Orsennas Ehrenrettung sagen muss, dass er einerseits auf die Umständlichkeit staatlicher Verwaltungen verweist und andererseits dafür plädiert, jedem Menschen die täglich lebensnotwendige Ration von etwa fünfzig Litern fürs Trinken und - fast noch wichtiger - für die Hygiene gratis zur Verfügung zu stellen. "Dieses Minimum nicht zuzugestehen bedeutet über kurz oder lang zu töten."
Das ist eine erfreuliche Entschiedenheit, die Orsenna gegen die Bemühungen von globalen Akteuren wie Nestlé setzt, aus dem Wasser eine x-beliebige Handelsware zu machen. "Dieser Traum", urteilt der Autor über die Konzerne, "ist töricht und kann niemals Wirklichkeit werden." Sein Wort in Gottes Ohr! Aber genau dort mag es ankommen, wird doch gleich zu Beginn des Buchs auch die Bedeutung herausgearbeitet, die Wasser für alle Weltreligionen besitzt. Wobei Orsenna am Schluss feststellt: "Die allgemeine Wasserkrise wird nicht stattfinden. Die Klimaerwärmung wird eher eine Zunahme der globalen Wassermenge mit sich bringen", allerdings "bei gleichzeitiger dramatischer Verschärfung der regionalen Unterschiede". Was aber wirklich immer weniger werde, das sei die weltweite Anbaufläche, und das bei steigenden Bevölkerungszahlen. Mutmaßlich ist Orsenna schon unterwegs, um für ein neues Buch zu recherchieren - über die Zukunft des Bodens.
Erik Orsenna: "Die Zukunft des Wassers". Eine Reise um unsere Welt. Aus dem Französischen von Caroline Vollmann. Verlag C. H. Beck, München 2010. 319 S., 9 Karten, geb., 21,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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