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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Übergriffig ist hier nicht nur die Polizei: Ivy Pochoda kennt das eigentliche Grauen von Los Angeles
Asche regnet in schuppigen Flöckchen über Los Angeles herab, von heißen Winden aufgewirbelt, die mit etwas Pech gleich wieder das nächste Wildfeuer entfachen. In "Diese Frauen" scheint der Himmel über L.A. von der nahenden Apokalypse zu künden, und tatsächlich beschreibt Ivy Pochoda darin ein Ödland. Zwar eines, das von Millionen Menschen bevölkert wird, aber Empathie und Solidarität beanspruchen dort in etwa so viel Platz wie ein an den Rinnstein gequetschtes Urban-Gardening-Beet. Aber das eigentliche Grauen, von dem Pochoda erzählt, heißt Ignoranz.
Genauer: patriarchale Herablassung gegenüber den Ängsten von Frauen, grundsätzliches Misstrauen gegenüber ihren Aussagen, verinnerlichter Rassismus. Dabei gehört "Diese Frauen" ins Subgenre des Serienkillerromans, das traditionell eher von der Faszination für seine Täter geprägt ist. Pochoda lässt früh die Identität des Mörders erahnen, und trotzdem bleibt er nur eine blasse Phantomskizze hinter den sechs Frauen, Zeuginnen, Trauernden, Überlebenden, deren Perspektiven sich zu einer Geschichte zusammenfügen.
2014 werden innerhalb weniger Tage zwei Sexarbeiterinnen am Straßenrand gefunden: die Kehlen durchgeschnitten, Plastiktüten über den Köpfen. Genau wie vor fünfzehn Jahren, als gleich dreizehn Frauen auf die gleiche Weise starben. Aber nur eine einzige Polizistin aus der Sitte will den Zusammenhang wahrhaben. Esmeralda Perry ist ein Cop, doch als kleine Frau, die permanent übersehen oder schlicht nicht für voll genommen wird, hat sie im Grunde mehr mit den Opfern gemein.
In ihren Geschichten gibt Ivy Pochoda den Marginalisierten eine Stimme: Drogenabhängigen, Menschen an der Armutsgrenze, von Gentrifizierung Betroffenen. Nach "Wonder Valley" widmet sie sich in "Diese Frauen" schon zum zweiten Mal ihrer Wahlheimat Los Angeles, nur diesmal speziell in den Grenzen des historischen Stadtteils West Adams, der ähnlich etwa dem Berliner Wedding schon seit Jahren im Kommen sein soll.
In der Realität durchschneidet der Santa Monica Freeway die Nachbarschaft, immer gleiche Handyläden und Donut-Shops umzingeln die ehemals exklusiven Craftsman-Bungalows, und seit den Rodney-King-Unruhen von 1992 installieren die Leute Gitter vor ihren Fenstern. 2014 - das waren die Anfänge der Black-Lives-Matter-Bewegung; und so übergriffig, wie Pochoda die Einsätze des L.A.P.D. beschreibt, liest sich der Roman auch als Plädoyer für die seither nicht nur in den USA präsente Forderung, der Polizei die Finanzmittel zu kürzen.
Ungewöhnlich für Los Angeles, doch Pochodas Figuren sind meist zu Fuß und per Fahrrad unterwegs. Obwohl aus der Not geboren, gibt das den Frauen die Möglichkeit, sich ihre Stadt anzueignen, entscheidende Details wahrzunehmen, die anderen verborgen bleiben.
Julianna ist eine Latina mit orange gefärbten Locken, die im Stripclub "Fast Rabbit" tanzt und jedes Jahr ihr Geld für das neuste Smartphone ausgibt. Wer sie damit sieht, denkt, sie schieße endlose Selfies, doch tatsächlich dokumentiert sie ihr Umfeld: Juliannas Fotospeicher ist eine umfassende Galerie von Frauen, die sich in engen Badezimmern für die Nacht aufrüsten, die auf Sofas ihren Rausch ausschlafen, stolz über Gehwege stöckeln.
Die Leben, die diese Fotos abbilden, unterscheiden sich nicht allzu sehr von denen der Pornostars, die der Fotograf Larry Sultan auf seinen großformatigen Porträts zu Kunst erhebt, die Julianna auf Magazindoppelseiten und an Museumswänden bestaunt.
Wer diese Geschichten wo und in welchem Kontext erzählt, ist letztlich eine Machtfrage. Und ein zentrales Thema des Buchs: Öffentliche Aufmerksamkeit erhält nur Marella, weiße Mittelschichtstochter und Juliannas Nachbarin, die ihre erste Kunstausstellung über misogyne Gewalt plant. Weil sie ihre eigenen Arbeiten für nicht aussagekräftig genug hält, tendiert sie dazu, ihre Interpretationen gleich mitzuliefern, und ein bisschen scheint Pochoda in diesen Passagen ihre eigenen Selbstzweifel auszuformulieren. Mit Übereifer teilt sie die Welt eine Spur zu sauber in Schwarz und Weiß, in Täter und Opfer auf.
Unnötig, weil ihr atmosphärisches Schreiben einen ohnehin auf ihre Seite zieht. Wenn sie die Zeit dehnt, indem sie in knappen Sätzen einsetzende Geräusche schildert, wenn sie die architektonischen Symmetrien benachbarter Wohnhäuser benutzt, um wie in einer filmischen Parallelmontage zwei unterschiedliche Familiengeschichten gegeneinander abzugleichen, dann liest sich "Diese Frauen" wie ein Drehbuch, dessen Verfilmung vor dem geistigen Auge abläuft. Einen Deal gibt es schon. Bruce Miller, Autor des Emmy-prämierten "Report der Magd", adaptiert "Diese Frauen" als Fernsehserie. KATRIN DOERKSEN.
Ivy Pochoda: "Diese Frauen". Kriminalroman. Aus dem Englischen von Sigrun Arenz. Ars Vivendi Verlag, Cadolzburg 2021. 360 S., geb., 23,- Euro.
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