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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Lächelnde Arbeiter, fröhliche Kinder - und eine Staatspartei, die alle fünf Jahre angeblich ganz normale Parteitage mit Wahlen zu den Führungsgremien abhält. Der Versuch einer "anderen" Geschichte der DDR scheitert an der frappierenden Unkenntnis der Autorin über die realen Verhältnisse im real existierenden Sozialismus.
Die DDR ist das am besten erforschte kommunistische Land der Welt, von der Sowjetunion vielleicht abgesehen. Laut Katja Hoyer, einer in Großbritannien lebenden deutschen Historikerin, brauchen wir aber eine neue Geschichte der DDR. Denn in der bisherigen Geschichtsschreibung, die von Westdeutschen beherrscht sei, erscheine das Land nur als ein "grauer, eintöniger, verschwommener Fleck", eine "Welt ohne Individualität, Selbstbestimmung oder Sinn". Ihr Ziel ist es, die DDR als eine bunte Welt zu zeigen, in der es "Unterdrückung und Brutalität, aber auch Chancen und Zugehörigkeit" gab. "Ostdeutschland war kein passiver Satellit Russlands", sondern ein Ort, an dem "die Ostdeutschen lebten und ein eindeutig deutsches Experiment gestalteten".
Hoyer ist eine begnadete Erzählerin, die den Leser in Dutzende faszinierende Porträts von Menschen hineinzieht, die in der DDR lebten und von denen sie viele interviewt hat. Aber als Geschichtswerk scheitert ihr Buch an ihrer Ausgangsthese. Ostdeutsche haben die DDR nicht gestaltet. Vielmehr errichteten kleine Gruppen kommunistischer Eiferer ab 1945 einen zentralisierten Partei- und Staatsapparat auf ostdeutschem Gebiet, um nach Plänen aus Stalins Sowjetunion eine nicht kapitalistische Utopie zu errichten. Der von ihnen konzipierte Sozialismus zeichnete sich aus durch Schwerindustrie, kollektivierte Landwirtschaft, billigen Massenwohnungsbau und qualifizierte Arbeitskräfte, alles war bis ins kleinste Detail geplant. Diese winzige Vorhut der Arbeiterklasse - es waren 14 Männer im Politbüro der 1950er-Jahre - wusste angeblich besser als die Arbeiter, was gut für diese war, verfügte sie doch über die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus. Der Aufbau des Sozialismus erforderte ständige Wachsamkeit seitens dieser allwissenden Partei gegenüber Klassenfeinden, also gegenüber jedem, der ihren Plan, die Menschheit in die neue Zeit zu führen, auch nur leise infrage stellte.
Diese Bemerkung ist notwendig, weil Hoyer auf 550 Seiten immer wieder das Wort Sozialismus verwendet, aber nie die Ideen und die Organisation nennt, die hinter dessen eigenartiger ostdeutscher Variante standen. Man könnte bei der Lektüre meinen, Sozialismus sei nichts weiter als ein politisches Regime, dem es auf die Förderung der sozialen Gleichheit ankommt. Weil sie aber die DDR nicht als ein Land begreift, das aus der Geschichte des Sowjetkommunismus hervorging, mutet Hoyer dem Leser Märchen über die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) zu. So behauptet sie etwa, dass die alle fünf Jahre abgehaltenen Parteitage aus Delegierten bestanden, die von Betriebs- und anderen Parteizellen dorthin entsandt wurden, um dann das Zentralkomitee und das Politbüro der Partei zu wählen.
In Wirklichkeit verlief die Wahl in umgekehrter Richtung, von oben nach unten: Das Zentralkomitee verfügte über eine Kaderabteilung, die absolut zuverlässige Delegierte für den Parteitag auswählte; diese wählten dann ein Komitee, das das Politbüro selbst zusammengestellt hatte.
Das Beispiel offenbart die grundlegende Unkenntnis der Autorin über das Leben unter der Diktatur. Weil sie die dominierende Rolle der Partei in der DDR-Gesellschaft außer Acht lässt, verbreitet Hoyer Illusionen über die Entscheidungsfreiheit der Ostdeutschen. So schreibt sie zum Beispiel, dass Fabrikarbeiter den Kampfgruppen der Arbeiterklasse "freiwillig" beitraten. Tatsächlich schränkte die Partei die Wahlfreiheit der Menschen durch ein System aus Belohnungen und Bestrafungen ein. Ein Arbeiter, der diesen paramilitärischen Kampfgruppen fernblieb, stellte den Führungsanspruch der Partei ebenso infrage wie ein Jugendlicher, der nicht der FDJ beitrat. Sie begaben sich damit in eine Außenseiterrolle beim Aufbau des Sozialismus, mit negativen Konsequenzen für ihren weiteren Lebensweg. Das Gleiche galt für die SED. Formal wurde niemand gezwungen, der Partei beizutreten, aber alle wussten, dass sie ohne Parteimitgliedschaft beruflich nicht weiterkamen.
Der so praktizierte Sozialismus war bei bestimmten DDR-Bürgern durchaus beliebt. In den Anfangsjahren enteignete und degradierte die SED die Mittel- und Oberschichten, überführte massenhaft Betriebe in Volkseigentum und verwandelte das Hochschulwesen in eine Bastion der Arbeiter- und Bauernmacht. Obwohl Hoyer ein breites Spektrum an Themen behandelt - Staatsoberhäupter, internationale Politik, Energiekrisen, Freizeitgestaltung, Auslandshilfe -, sind es die aufstrebenden Männer und Frauen der neuen Gesellschaft, die im Mittelpunkt ihrer Darstellung stehen. Hoyers Helden sind Menschen aus bescheidenen Verhältnissen, die dank dem Regime zu Status, Sicherheit und Komfort gelangten, von denen ihre Vorfahren nur träumten. Mitten im Buch findet man eine Fotoserie mit lächelnden Arbeitern am Tag der Arbeit, einem bedächtig-stolzen und schwer bewaffneten Grenzsoldaten, Kindern, die freudig Kosmonauten begrüßen: Menschen, die das Leben in der DDR offensichtlich liebten.
Als ich in den 1980er-Jahren die DDR mehrfach besuchte, traf ich auf eine ähnliche Sicht unter vielen SED-Mitgliedern. Sie nahmen die Existenz von Dissidenten ("Spinner") kaum zur Kenntnis. Und sie hatten keine Ahnung, dass außer ihnen und anderen "Siegern der Geschichte" eine verborgene, aber sehr reale DDR existierte: Menschen, die die Diktatur und deren Anspruch, zu wissen, was gut für sie sei, verachteten; die darunter litten, dass ignorante Parteibürokraten Urteile darüber fällten, was ihnen in Literatur, Kunst oder Philosophie zu gefallen hatte. Hoyer beschreibt zwar fesselnd den Bau der Mauer.
Aber wir erfahren wenig darüber, warum Menschen aus der DDR fliehen wollten, warum sie zu gemaßregelten Kritikern wurden, und auch nicht darüber, warum sie das Regime 1989 zu Fall brachten. Die Antworten liegen eben nicht im bescheidenen materiellen Wohlstand, auf den sich das Buch konzentriert, sondern in der täglichen Erfahrung der Diktatur. Der Ausdruck, der 1989 allgegenwärtig war, lautete, man wolle "mündig werden". Die Revolutionäre, die in diesem Buch mit keinem Porträt bedacht werden, entmachteten ein Regime, das die Ostdeutschen entmündigt hatte.
Die Revolutionäre kamen aus den Kirchen und wurden von Pfarrern angeführt, doch in den von Hoyer liebevoll erzählten Geschichten kommen keine Christen vor. Damit fehlen die Menschen, die die höchsten intellektuellen und geistigen Kosten des Lebens im DDR-Sozialismus zu zahlen hatten. Der Sozialismus ging davon aus, dass das Christentum verschwinden würde, und die Partei tat, was sie konnte, diesen Prozess zu beschleunigen. Christen waren ihr Leben lang mit Diskriminierung konfrontiert. Im Alter von 14 Jahren durchlief jedes Kind "freiwillig" die Jugendweihe, eine atheistische Zeremonie, bei der sie dem Sozialismus die Treue schwören mussten, falls sie eine Chance zum Studium haben wollten.
Mit ihrer Begabung für lebendige Prosa hätte Hoyer den Leser leicht in die Welt der sozialistischen Erziehung einführen können. Sie hätte klarmachen können, was es bedeutet, Kinder nur auf eine staatliche Schule in der DDR schicken zu können. Dort lernten sie schnell, dass gewisse Gedanken gefährlich waren, mussten alles verbergen, was sie zu Hause gelernt hatten, was aber dem sozialistischen Weltbild nicht entsprach. Der Druck, sich zu verstellen, zu lügen, war allgegenwärtig.
Hätte Hoyer das Bildungssystem der DDR unter die Lupe genommen, wäre sichtbar geworden, dass Unterdrückung mehr als nur ein Element des Systems war, das unabhängig neben "Chancen und Zugehörigkeit" stand. Chancen gab es nur im Gegenzug für politische Konformität. Und so durchzog Unterdrückung nicht etwa das System: Sie war das System, in dem die Stasi-Offiziere, die in Hoyers Schilderung episodisch auftauchen, nur einen Teil des Ganzen ausmachten. Im Kern ging es im Staatssozialismus darum, die Fähigkeit einzuschränken, frei zu denken und zu handeln. Und im Laufe der Jahrzehnte wurde der DDR-Staat immer geschickter darin, seine Bürger an eine Art Selbstunterdrückung zu gewöhnen.
Nehmen wir Roland Jahn, der zu einem Freundeskreis von Kommilitonen der Wirtschaftswissenschaften in Jena in den 1970er-Jahren gehörte. Jahn konnte trotz der jahrelangen Indoktrination sein Befremden über die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR nicht unterdrücken. "Warum fällt es uns denn so schwer, Kritik zuzulassen?", fragte er in einem Seminar über wissenschaftlichen Kommunismus 1976. Die SED entschied, dass ein Mensch, der eine solche Frage stellte, an einer sozialistischen Universität untragbar sei. Am Abend vor der Abstimmung über seinen Rauswurf versicherten ihm seine Freunde in der FDJ-Gruppe, dass sie ihn nicht ausschließen würden. Am nächsten Tag stimmten alle bis auf eine von 14 "freiwillig" seiner Exmatrikulation zu. Viele Jahre später vertraute einer von ihnen Jahn an, was dahintersteckte: Der Seminargruppe wurde durch einen Funktionär eröffnet, Jahn arbeite für einen westlichen Geheimdienst. Weil die Studenten diese Mitteilung von einem "Vertreter der Arbeiter- und Bauernmacht" erhielten, hätte ein Zweifelnder unter ihnen nur deutlich gemacht, "dass Du Dich dem Staat nicht würdig erweist. Das heißt auch für dich, dass Du Dein Studium nicht beenden kannst."
Die SED kontrollierte nicht alles im Leben der Menschen - aber sie hatte die meisten Lebensentscheidungen der Menschen fest im Griff. Sie prägte einen totalitären Staat, der brillant darin war, das auszunutzen, was die Menschen begehrten: vor allem Bildung, aber auch ein bescheiden angenehmes, bequemes Leben. So konnte die DDR sich Gefügigkeit sichern und kritisches Denken ersticken. So war das Leben jenseits der Mauer.
Heißt das, dass ein Leben in der DDR sinnlos war oder "nicht zählte" - wie Angela Merkel mal eine gängige Überzeugung unter Westdeutschen benannte? Mitnichten. Die bröckelnden Häuser mögen grau gewesen sein, aber die Menschen waren es nicht: Sie waren erfinderisch, oft frech, einfallsreich und genial darin, dem Staat aus dem Wege zu gehen und eigene Wege zu suchen. Man machte das Beste aus einer verzweifelten Lage. Selbst Dissidenten und Pfarrer berichten, dass sie ihre schönsten Augenblicke in der DDR erlebt haben. Ich habe 1986 in Weimar einen Pfarrer getroffen, der sagte, er würde nie seine Stelle mit der eines westdeutschen Pfarrers tauschen, denn in seiner Gemeinde wisse man wegen des staatlichen Druckes genau, warum man Christ sei.
Die Menschen in der DDR trugen die Last des Eingesperrtseins, sie nahmen die Strafe für das Dritte Reich auf sich, indem sie unter einem Regime lebten, das ihnen von einem ausländischen Besatzer auferlegt und von dessen Dienern aufrechterhalten wurde. Die DDR war kein beliebiger Staat, der zufällig auf deutschem Boden existierte. Sie war eine Tragödie in der deutschen Geschichte. Denn anders als die SED behauptete, stellte sie einen Rückschritt gegenüber den Hoffnungen dar, die Demokraten für die Zukunft Deutschlands hegten - sei es im Jahre 1848, 1919 oder eben 1945.
Unter Bedingungen, die ein Außenstehender in Gänze kaum begreifen kann, hatten die Ostdeutschen trotz allem Handlungsspielräume. Sie mussten genau abwägen, wie sie zu grundlegenden Fragen des menschlichen Lebens von Freundschaft und Loyalität standen, wo und inwieweit sie sich anpassten oder eben nicht. Gerade diese hohe Anspannung bei wichtigen Lebensentscheidungen macht Geschichten über das Leben in der DDR fesselnd - aber wahrheitsgetreu sind sie eben nur, wenn sie auch die geistige und moralische Seite des Lebens berücksichtigen. Das ist in diesem Buch leider viel zu wenig der Fall. JOHN CONNELLY
Katja Hoyer: Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR 1949 -1990.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2023. 592 S., 28,- Euro.
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