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Dietrich Bonhoeffers ungewöhnlicher Lebensweg gilt aus heutiger Sicht gerade deshalb als vorbildlich, weil Bonhoeffer in seinen Entscheidungen für die Theologie, für die Bekennende Kirche und für den politischen Widerstand immer wieder den scheinbar geraden Weg verlassen hat. Nach Eberhard Bethges monumentaler Biographie liegt jetzt wieder ein Standardwerk zum Leben Dietrich Bonhoeffers vor. Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers laufen auch noch sechzig Jahre nach seiner Hinrichtung vielen gängigen Erwartungen entgegen: Bonhoeffer entschied sich als Theologe für den Widerstand gegen Hitler; aber…mehr

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Produktbeschreibung
Dietrich Bonhoeffers ungewöhnlicher Lebensweg gilt aus heutiger Sicht gerade deshalb als vorbildlich, weil Bonhoeffer in seinen Entscheidungen für die Theologie, für die Bekennende Kirche und für den politischen Widerstand immer wieder den scheinbar geraden Weg verlassen hat. Nach Eberhard Bethges monumentaler Biographie liegt jetzt wieder ein Standardwerk zum Leben Dietrich Bonhoeffers vor. Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers laufen auch noch sechzig Jahre nach seiner Hinrichtung vielen gängigen Erwartungen entgegen: Bonhoeffer entschied sich als Theologe für den Widerstand gegen Hitler; aber sein Widerstand war kein religiöser oder pazifistischer, sondern ein politischer und schloß die Gewaltanwendung nicht aus. Er gilt weltweit als einer der herausragenden Theologen des 20. Jahrhunderts, aber ein systematisches Hauptwerk sucht man vergeblich. Fasziniert haben vor allem seine in der Tegeler Haft geschriebenen Briefe und Aufzeichnungen, seine Gedichte, Gebete und Lieder und nicht zuletzt die Brautbriefe an seine viel jüngere Verlobte. Ferdinand Schlingensiepen versteht es meisterhaft, den Menschen, Schriftsteller, Theologen und Widerstandskämpfer Bonhoeffer in zeithistorischen Bezügen darzustellen und gerade dadurch lebendig werden zu lassen. Seine Biographie basiert auf zahlreichen neuen Quellen und Forschungsergebnissen, lebt aber auch von der Nähe des Autors zum Thema: Schlingensiepen verbrachte die entscheidenden Jahre seiner Kindheit in einem illegalen Seminar der Bekennenden Kirche, das sein Vater bis zu seiner Verhaftung leitete, und war nach dem Krieg eng mit Eberhard Bethge befreundet.

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Autorenporträt
Ferdinand Schlingensiepen, geb. 1929, richtete 1972 den ersten internationalen Bonhoeffer-Kongreß aus und regte die Gründung der Bonhoeffer-Gesellschaft an. Zahlreiche Publikationen zu Dietrich Bonhoeffer, Heinrich Heine und Theodor Fontane.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.01.2006

„Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen”
Dietrich Bonhoeffer, der seine Kirche aufrütteln und Deutschland von Hitler befreien wollte, wurde vor 100 Jahren geboren
Konnte man sich den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer - dessen Geburtstag sich am 4. Februar zum hundertsten Male jährt - als jemanden mit dem Dienstpass der Abwehrstelle von Admiral Canaris im Oberkommando der Wehrmacht und dem Kurierausweis des Auswärtigen Amtes in der schlimmsten Nazi-Zeit vorstellen? Kaum. Einige seiner Gesprächspartner, so der große Schweizer Theologe Karl Barth, wurden Sekundenbruchteile misstrauisch: War der Gottesmann ein Spion? Ein V-Mann der Abwehr der Nazis? Sabine Dramm hat sich dieser Frage zugewandt: „Am 30. Mai 1942 flog ein Kurier des Auswärtigen Amtes namens Bonhoeffer mit Kurierausweis des Auswärtigen Amtes, Nr. 474, von Berlin-Tempelhof nach Stockholm.”
Bonhoeffer bekam als ein Mann des Vertrauens der Widerständler um Canaris den Dienstpass. In Schweden traf Bonhoeffer den Bischof von Chichester, George Bell, um die für den deutschen Widerstand schmerzliche Frage auszuloten: Wie weit würden die Alliierten einer neuen Regierung nach einem Attentat auf Hitler entgegenkommen? Bell wurde für Bonhoeffer der eindrucksvollste Vertreter einer Haltung, die auch in dunkelsten Zeiten darauf bestand, dass nicht alle Deutschen Nazis sind. Er protestierte in Predigten und Leserbriefen an die Times gegen die Bombardierung deutscher Städte.
Dramm will Bonhoeffer nicht in den musealen Olymp der Widerstandsheroen setzen. Er war fehlbar und hinterfragbar, wollte leben und lieben. So stellte sie den großen Menschen mit ihrem Buch vom „Kopf wieder auf die Füße”. „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen”, der Satz Bonhoeffers wurde zum geflügelten Wort. Das Schlüsseljahr für die Entscheidung zum Widerstand war 1939. Er ist in die USA eingeladen. Seine Gastgeber, Professoren und Theologen, wollen ihn ähnlich wie Thomas Mann dabehalten. Aber Bonhoeffer hält es nicht aus: „Ich kann mir nicht denken, dass es Gottes Wille ist, dass ich hier ohne besondere Aufgabe im Kriegsfall bleiben soll. Ich muss am erstmöglichen Termin reisen.”
Bonhoeffer nahm die USA-Einladung gerne an, weil er meinte, so um den von ihm als Pazifisten strikt abgelehnten Wehrdienst herumkommen zu können. Aber jetzt fühlte er sich wie ein Hirte, der seine Schafe verlassen hat. Glücklich fährt er zurück. Schon seit 1933 rüttelt er seine Kirche auf, gegen den Arier-Paragrafen vorzugehen, sonst begehe man Blasphemie. Er will sogar den Tyrannen ermorden, er hätte es getan, wenn er Hitler gegenübergestanden hätte.
Das zentrale Kapitel beschreibt die gemeinsame Reise von Bonhoeffer und James Graf Moltke nach Norwegen. Am 1. März 1942 treten in Norwegen sieben Bischöfe der lutherischen Staatskirche zurück. Der Bischof von Oslo, Eivind Berggrav, wird von der nazihörigen Quisling-Regierung verhaftet. Am 9. April erhält Bonhoeffer von Canaris’ Amt die Instruktionen für die Reise. Bonhoeffer ist radikaler als Moltke: Um das Volk zu retten, muss man die Bombe werfen oder den Revolver ziehen. Moltke hat zu dieser Frage immer Disputationsbedarf. Die theologisch-moralische Frage des Tyrannenmordes beschäftigt die Kreisauer jahrelang, zu lang für Bonhoeffer.
Die Biografie von Friedrich Schlingensiepen verfolgt Bonhoeffers Studien- und Theologen-Weg. In zwölf Kapiteln wird dieser Weg nachgezeichnet. Er weiß, dass die nazi-ergebenen „Deutschen Christen” die größte Gefahr sind für eine Kirche, die sich auf Jesus Christus beruft. Christentum bedeutet Entscheidung, so hatte es der junge Bonhoeffer bei seinem verehrten Lehrer Barth gelernt. Und so entscheidet er sich, gegen eine Kirche zu arbeiten, die es sich genug sein lässt in der bloßen Konservierung ihrer Bürokratie.
Er organisiert in zwei Lehr- und Wanderjahren ein alternatives Priesterausbildungsseminar in Pommern. Sein Schwager und Mitkämpfer Hans von Dohnanyi hatte die Beweise für das Unrechtssystem im Justizministerium gesammelt und war dann die rechte Hand des Abwehrchefs Canaris geworden. Unter ihm bewegten sich die aktiven Widerständler wie unter einem behütenden Schirm. Sie konnten reisen und Kurierdienste erledigen. Eine Schlüsselszene: Dohnanyi trifft den Adjutanten Hitlers, Fritz Wiedemann. Der berichtet, Hitler habe am 5. November 1937 erklärt: „Jede Generation braucht ihren Krieg. Und ich werde dafür sorgen, dass auch diese Generation ihren Krieg bekommt.” Dann hatte Wiedemann gesagt: „Ich gebe Ihnen zu, hier hilft nur der Revolver, aber wer soll es tun?”
Bonhoeffer hatte die Kontakte zu den Partnern für einen Umsturz in Deutschland in London schon 1933 bis 1935 gefunden, als er dort zwei deutsche Pfarreien betreute. Er wollte eine Bestätigung, dass die Alliierten sich gegenüber einer deutschen Regierung nach einem Putsch gegen Hitler anders verhalten würden. Aber Pannen und Zufälle verhindern die Attentate, oder Hitler kommt ungeschoren davon, wie am 20. Juli 1944.
Beide Bücher helfen uns auch noch heute: Nur wer für die Juden (Tschetschenen, Guantanamo-Häftlinge etc.) schreit, darf heute gregorianisch singen.
RUPERT NEUDECK
FRIEDRICH SCHLINGENSIEPEN: Dietrich Bonhoeffer 1906-1945. C.H. Beck, München 2005. 431 Seiten, 24,90 Euro.
SABINE DRAMM: V-Mann Gottes und der Abwehr? Dietrich Bonhoeffer und der Widerstand. Gütersloher Verlagshaus 2005. 303 Seiten, 22,95 Euro.
Neben anderen christlichen Märtyrern steht die Figur von Dietrich Bonhoeffer an der Fassade der Londoner Westminster Abbey.
Foto: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2005

Seelsorger des Widerstands
Dietrich Bonhoeffer bleibt ein Stachel im Fleisch seiner Kirche

Sabine Dramm: V-Mann Gottes und der Abwehr. Dietrich Bonhoeffer und der Widerstand. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh. 2005, 303 Seiten, 22,95 [Euro].

Ferdinand Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer 1906-1945. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2005. 432 Seiten, 24,90 [Euro].

"Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden - sind wir noch brauchbar?" Diese selbstkritische Frage richtete Dietrich Bonhoeffer zum Jahresende 1943 an seine engsten Freude. "Sind wir noch brauchbar", das fragte eine der wenigen Lichtgestalten des Bekenntniskampfes gegen die "Deutschen Christen", die sich als eine Art protestantischer SA verstanden haben und in Jesus sowenig einen Juden sehen wollten wie in den getauften "nichtarischen" Christen Glaubensbrüder.

Vor 1945 war Bonhoeffer in seiner Kirche isoliert. Er wurde seit der Mitte der dreißiger Jahre diffamiert und preisgegeben. Das änderte sich nach 1945. Denn rasch wurde er zu einem Märtyrer umgedeutet und benutzt, um von der Anpassung größer Teile des Protestantismus an das nationalsozialistische Herrschaftssystem abzulenken. Viele Gemeinden nannten sich nach Bonhoeffer, sangen den Choral "Von guten Mächten" und verloren allmählich das Gefühl für das Sperrige, Herausfordernde, so gar nicht Besänftigende einer Persönlichkeit, die in dem Zwielicht agiert hatte, das ein diktatorisches System charakterisiert. Denn Diktaturen machen Menschen schuldig. Deshalb schrieb Helmuth James Graf von Moltke einmal von der "Schuld an der Schuld der Verbrecher".

Über Bonhoeffer zu schreiben, bedeutet heute, fast vierzig Jahre nach der Veröffentlichung der monumentalen Biographie aus der Feder seines engsten Freundes Eberhard Bethge, eine Herausforderung annehmen. Bethges Arbeit bleibt die Wichtigste, weil sie Innen- und Außensicht verbindet. Zwei höchst unterschiedliche Arbeiten versuchen sich an neuen biographischen Zugängen auf eine unverwechselbare, sich dabei nicht überschneidende Weise. Sabine Dramm fragt nach Bonhoeffers Wirken im Widerstand, im Umkreis der Abwehr, als Teil des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Sie prüft die Überlieferung, geradezu kriminalistisch stellt sie Widersprüche heraus, wehrt sich gegen jede Überhöhung, gegen Heroisierung, gegen Vermutungen. Sie will bewerten, was wir sicher wissen. So schreibt sie ein ehrliches Buch ohne Schnörkel, oder Verzeichnungen. Sie macht gerade deutlich, was Bonhoeffer antrieb. Er war zutiefst durchdrungen von seiner Willen zur Verantwortung auch dann, wenn er wußte, daß er Schuld auf sich lud. Damit meinte er keineswegs nur eine vage metaphysische Schuld, wie Karl Jaspers sie später beschrieb, denn er stand für seine Handlungen ganz konkret ein.

Frau Dramm macht deutlich, wie Bonhoeffer durch seine Überzeugung, daß man als Christ schuldig und dennoch gerechtfertigt werden könnte, Regimegegner in ihren Überlegungen vor einem Anschlag auf das Leben anderer beeinflußte. Er wird von ihr geradezu als Seelsorger des Widerstands gedeutet. Der Einsatz gegen Hitler aber rechtfertigte nicht, sondern er konnte schuldig machen. Deshalb setzte Bonhoeffer zugleich auf einen gnädigen Gott. Die Autorin korrigiert viele Mythen, verschweigt keine Differenzen und Entfremdung, etwa zwischen Bonhoeffer und Moltke, und bewertet so die tatsächliche Bedeutung Bonhoeffers für den politischen Widerstand so zurückhaltend. Wichtig war seine Verbindung zu dem englischen Bischof Bell; tragisch war, daß er manches Mißtrauen anderer Gesprächspartner, selbst des großen Karl Barth, nicht tiefgreifend abbauen konnte. Vielleicht verstand er den Basler Theologen sogar, denn es war doch merkwürdig, daß ein oppositioneller protestantischer Geistlicher in den Diensten des nationalsozialistischen Staates durch Europa reiste.

Ferdinand Schlingensiepen hat da einen ganz anderen Zugriff. Er stützt sich auf Bethges Überlieferung und nutzt diese wie eine historische Quelle. Dennoch fällt er weit hinter Bethge zurück, denn dieser hatte sich das Gespür für die Einsamkeit seines Freundes bewahrt, dem man eine Anstellung als Geistlicher verweigert, dem man seine Lehrbefugnis an der Berliner Universität genommen und selbst innerhalb der Bekennenden Kirche nicht nur isoliert, sondern geradezu lächerlich gemacht hatte. Schlingensiepen setzt ganz traditionell ein, erwähnt Vorfahren, verbindet Ereignisse im Leben des Jugendlichen mit späteren Erlebnissen und zeichnet so eine Lebensgeschichte, die sich durch wachsende Konsequenz und Kontinuität auszeichnen sollte. Manchmal korrigiert er seinen Helden - etwa wegen seines rückständigen Frauenbildes, etwa, als er aus heutiger Sicht politisch so unkorrekt von "Negern" spricht. Das habe einfach der Zeit entsprochen, wird der Leser belehrt.

Dafür vermißt man anderes. Bonhoeffer hatte sehr darunter gelitten, daß er den Wunsch seiner Zwillingsschwester abgelehnt hatte (dabei der Empfehlung seiner Kirchenführung folgend), den im April 1933 verstorbenen jüdischen Schwiegervater Leibholz - Vater des später so berühmten Verfassungsrichters - zu bestatten. War dieses Versagen vor den Zeitströmungen, die auf den Straßen so mächtig spürbar waren, nicht ein entscheidender Ausgangspunkt für die sich 1933 und 1934 im Kirchenkampf dann so sehr steigernde Radikalität seines bekenntnistreuen Glaubens? Legte er sich deshalb so sehr mit den "Deutschen Christen" an? Und erklärte sich seine doppelte Rückkehr aus dem Ausland - aus London und dann noch einmal unmittelbar vor Kriegsbeginn - nicht aus seinem Willen zur Verantwortung für die deutschen Dinge? Klingt Bonhoeffer nicht manchmal wie ein Nationalist? Schlingensiepen gelingt es nicht wie Sabine Dramm, die Widersprüche eines Menschen zu zeichnen, der sich in einem diktatorischen System tagtäglich entscheiden mußte, der zunächst keine Kompromisse einging, der sich dann auf eine Mitarbeit im Zentrum der Macht einließ. Das tat er, um das Regime zu überwinden. Und zugleich rückte er dennoch in das System hinein, lebte im Zwielicht. Schließlich wollte er die Niederlage, weil er Deutschland liebte.

Später hat die Widerstandsgeschichte oftmals, vor allem bei militärischem und diplomatischem Widerstand, Verstrickungen zu leugnen versucht. Man tat so, als hätten Regimegegner nur für den Widerstand gearbeitet, als seien sie niemals in das System und dessen Politik, Krieg und Verbrechen verstrickt gewesen. Dabei war es eine besondere Leistung mancher Regimegegner, das Spannungsverhältnis von Kooperation und Konfrontation zu bewältigen. Ein Position zu überwinden, die man, und sei es nur partiell, mit dem System geteilt hatte, das ist die entscheidende Voraussetzung für die Entscheidung, in Widerspruch und Widerstand zu leben, zu handeln und dabei zu wissen: Die Entscheidung für die Gegnerschaft ist nicht umkehrbar. Deshalb war der einmal eingeschlagene Weg konsequent bis an das Ende zu gehen. Dabei konnte der Regimegegner durchaus neue Schuld auf sich laden. Bonhoeffer wollte sich nicht rechtfertigen durch seine Tat, sondern er wollte im Widerstand seine Verantwortungsfähigkeit unter Beweis stellen.

Schlingensiepen bahnt den Zugang zum Theologen Bonhoeffer und schließt eine Dimension, die seine ethische Fundierung deutlich macht, Frau Dramm bahnt den Zugang zum handelnden Menschen. Beide Verfasser, so unterschiedlich ihr Zugang ist, betonen dabei die Bedeutung von Bonhoeffers "Ethik"-Fragment als Subtext nicht nur des Widerstandes, sondern einer bewußt verarbeiteten Wirklichkeit des "Dritten Reiches". In seiner Ethik denkt Bonhoeffer über Schuld und Verantwortung, über letzte und vorletzte Dinge, über Gemeinschaft und Gnade, über Nation und die Grenzen des Staates nach. In der Ethik bleibt Bonhoeffers Distanz sich selbst gegenüber deutlich. Er rechtfertigt sich nicht und verwehrt damit allen, die sich auf Bonhoeffer berufen, sich durch die Beschäftigung mit ihm zu rechtfertigen. Er bleibt ein Stachel im Fleisch seiner Kirche, mag sie ihn noch so oft zu einem der Ihrigen erklären. Denn er wurde diffamiert, er starb einsam, er blieb sich in dieser Einsamkeit selbst treu. Kirche war für ihn wichtig, trug aber niemals eine Rechtfertigung in sich. Sie war schuldig geworden durch ihr Schweigen. "Wer nicht jüdisch schreit", der möge auch nicht gregorianisch singen. Bonhoeffer ist kein Kirchenbesitz, sondern bleibt eine Aufgabe für jeden, der sucht und seine eigne Gefährdung ahnt.

PETER STEINBACH

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Einen Vorwurf will Klaus Harpprecht dem Biografen des liberalen und radikalen evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer nicht machen. Das Verdienst des Autors und Gründers der Bonhoeffer-Gesellschaft liege im gleichmäßigen Erzählfluss und den genau ausgewählten Zitaten, dazu geeignet, einem breiten Lesepublikum die widersprüchliche Persönlichkeit und die oftmals schwierigen Lebensstationen und Glaubensprüfungen des 1945, kurz vor der Kapitulation von den Nazis ermordeten Bonhoeffer nahe zu bringen. So hat auch Rezensent Harpprecht erst im "Kreis französischer Konfessionsgenossen" die immense Bedeutung Bonhoeffers als christlichen Widerstandskämpfer begriffen, der die Möglichkeit zur Emigration ausschlug und vor allem mit dem Flugblatt "Der Arierparagraf in der Kirche" deutlich Stellung gegen den Rassismus der Nazis bezogen habe, indem er weitergegangen sei als die Positionen der Bekennenden Kirche. Zwar habe man es mit der vorliegenden Biografie nicht mit einem genialisch-literarischen Entwurf zu tun, der auch die "Menschlich-Allzumenschlichen Elemente" und privaten Hintergründe "als ureigenste Welt des Theologen" ins Licht rücke. Diesen Schatten jedoch, hofft der Rezensent, möge vielleicht ein anderer zu gegebener Zeit erleuchten.

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