Die digitale Arbeitswelt trat mit einem großen Versprechen an: kreativere und zufriedenere Mitarbeiter, produktivere Unternehmen. Tatsächlich sind flexible Arbeitszeiten und Home Office heute oft Standard. Trotzdem sind viele Menschen durch die digitale Lebensverdichtung stärker belastet als je zuvor. Markus Albers, selbst Unternehmer und ursprünglich Verfechter des Neuen Arbeitens, experimentierte deshalb mit Nichterreichbarkeit und Not-to-do-Listen. Mit Führungskräften aus der Wirtschaft entwarf er Wege aus der digitalen Erschöpfung – und das zur rechten Zeit. Denn im Moment wird in den Unternehmen der Rahmen für digitales Arbeiten festgelegt. Ein smarter Wegweiser in Zeiten von Burn-out und Dauerstress.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017Muss denn gleich ein Dumbphone her?
Der Terminkalender als strenger Freund: Markus Albers rät, wie man der digitalen Überforderung entkommt.
Von Julia Bähr
Die schlechte Nachricht zuerst: Dieses Buch beginnt wie all die anstrengenden Digital-Detox-Ratgeber, die Diätberichten ähneln. Nämlich damit, dass Markus Albers' vierjährige Tochter zu ihm sagt: "Starr nicht immer auf dein Handy, Papa!" Daraufhin kommt der Autor, der als Berater und Unternehmer in Berlin lebt, ins Grübeln. Aber, das ist die gute Nachricht: Er nimmt eine andere Abzweigung als die üblichen Bücher zum Thema. Er will weder meckern noch zurück in die Vergangenheit. Seine Frage lautet stattdessen: Wie gehen wir mit der modernen Arbeitswelt optimal um? Und optimal heißt bei Albers nicht weniger arbeiten, sondern besser arbeiten.
Der Leser bekommt also nicht sein Handy verboten. "Das Problem ist nicht die Technik, sondern es sind die Menschen, die sie falsch nutzen", findet Albers. Er selbst scheint ein Paradebeispiel dafür zu sein: Als Mitinhaber einer kleinen Firma arbeitet er praktisch rund um die Uhr, auch wenn er mit seiner Tochter auf dem Spielplatz ist. Seltsam und zugleich praktisch ist es, dass Albers davon auszugehen scheint, damit Teil einer breiten Mehrheit zu sein. Seltsam, weil so exzessives mobiles Arbeiten rund um die Uhr zum Glück noch nicht die Regel ist. "84 Prozent aller Arbeitnehmer sind erreichbar, nachdem sie das Büro verlassen haben", schreibt Albers. Damit ist aber natürlich genau das gemeint: Sie sind erreichbar, im Notfall, nicht dauernd in Aktion. Praktisch ist es, weil der Leser sieht: Wenn die Lösungsvorschläge diesem Extremfall helfen, helfen sie mir allemal.
Albers liefert zunächst eine erhellende Analyse der Situation, die besagt, nicht nur der Einzelne sei schuld, sondern auch die Arbeitgeber. Denn die versuchten, das Alte zu behalten und das Neue einzuführen, was bedeutet: Präsenzkultur tagsüber plus flexibles mobiles Arbeiten abends. Deshalb ist die Arbeit tagsüber so starr wie eh und je, aber zusätzlich ist der Feierabend in vielen Branchen nahezu abgeschafft. "Vielleicht lohnt es sich, für den Feierabend zu kämpfen", schreibt Albers.
Leider schreibt er hauptsächlich über einen bestimmten Menschen, nämlich sich selbst. Das bringt seltsame Absätze hervor über Leute, die er mag, die er aber nicht oft treffen darf, weil das unvernünftig wäre: "Unsere Kalender sind heilig, haben unser Leben zu stark im Griff, als dass wir so frei mit ihnen umgehen dürften." Natürlich, wo kommen wir denn da auch hin, wenn man einfach so Freundschaften schließt. Außerdem geht er etwas zu sehr ins Detail, was seine Treffen mit den zitierten Experten betrifft: wann, wo, wie. Dafür ist es interessant, dass er alle seine Gesprächspartner als tiefenentspannt und ruhig beschreibt. Irgendwann stellt man sich den Autor nur noch fahrig und nervös vor - weil neben ihm offenbar jeder wie ein Yogi wirkt.
Auf dem Weg zu mehr Gelassenheit wagt Albers sich unter anderem an Achtsamkeitsübungen: Wie genau schmeckt diese Erdbeere? Viel wertvoller sind aber die Lehren für mehr Effizienz, die er nach und nach definiert. Nicht mehr so oft einzelne Mails beantworten, sondern schwungweise, und dann gleich wegsortieren. Auf die zwanzig wichtigsten Prozent der Arbeit konzentrieren. Meetings verkürzen. Was dabei für den einen funktioniert, muss jedoch nicht zu jedem passen. Das zeigt am deutlichsten Albers' Experiment mit dem Dumbphone, das nichts kann außer Telefonieren, und seinen Besitzer damit von sämtlichen anderen Kanälen abschneidet. Vor allem am Wochenende soll das bei der Entspannung helfen. Mag sein, aber: Was für Sozialkontakte haben Menschen, denen dadurch nichts Wesentliches verloren geht? Wie melden sich Freunde bei ihnen? Wie treffen sie Verabredungen mit mehr als einer Person?
Wer am engsten mit seinem strengen Terminkalender befreundet ist, dem stellen sich solche Fragen freilich nicht. Das zeigt auch Albers' nicht sonderlich originelle Beobachtung von der Straßenbahnhaltestelle: "Heute schaut jeder auf ein Handy oder telefoniert." Ach, wirklich? Aber das ist nicht unbedingt Arbeit, was sie da beschäftigt. Manche rufen ihre Mütter an, manche spielen Candy Crush, manche chatten mit Freunden. Wer dafür Zeit hat, der hat auf jeden Fall schon etwas richtig gemacht bei der Organisation seines Arbeitspensums.
Markus Albers: "Digitale Erschöpfung". Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen.
Carl Hanser Verlag, München 2017. 228 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Terminkalender als strenger Freund: Markus Albers rät, wie man der digitalen Überforderung entkommt.
Von Julia Bähr
Die schlechte Nachricht zuerst: Dieses Buch beginnt wie all die anstrengenden Digital-Detox-Ratgeber, die Diätberichten ähneln. Nämlich damit, dass Markus Albers' vierjährige Tochter zu ihm sagt: "Starr nicht immer auf dein Handy, Papa!" Daraufhin kommt der Autor, der als Berater und Unternehmer in Berlin lebt, ins Grübeln. Aber, das ist die gute Nachricht: Er nimmt eine andere Abzweigung als die üblichen Bücher zum Thema. Er will weder meckern noch zurück in die Vergangenheit. Seine Frage lautet stattdessen: Wie gehen wir mit der modernen Arbeitswelt optimal um? Und optimal heißt bei Albers nicht weniger arbeiten, sondern besser arbeiten.
Der Leser bekommt also nicht sein Handy verboten. "Das Problem ist nicht die Technik, sondern es sind die Menschen, die sie falsch nutzen", findet Albers. Er selbst scheint ein Paradebeispiel dafür zu sein: Als Mitinhaber einer kleinen Firma arbeitet er praktisch rund um die Uhr, auch wenn er mit seiner Tochter auf dem Spielplatz ist. Seltsam und zugleich praktisch ist es, dass Albers davon auszugehen scheint, damit Teil einer breiten Mehrheit zu sein. Seltsam, weil so exzessives mobiles Arbeiten rund um die Uhr zum Glück noch nicht die Regel ist. "84 Prozent aller Arbeitnehmer sind erreichbar, nachdem sie das Büro verlassen haben", schreibt Albers. Damit ist aber natürlich genau das gemeint: Sie sind erreichbar, im Notfall, nicht dauernd in Aktion. Praktisch ist es, weil der Leser sieht: Wenn die Lösungsvorschläge diesem Extremfall helfen, helfen sie mir allemal.
Albers liefert zunächst eine erhellende Analyse der Situation, die besagt, nicht nur der Einzelne sei schuld, sondern auch die Arbeitgeber. Denn die versuchten, das Alte zu behalten und das Neue einzuführen, was bedeutet: Präsenzkultur tagsüber plus flexibles mobiles Arbeiten abends. Deshalb ist die Arbeit tagsüber so starr wie eh und je, aber zusätzlich ist der Feierabend in vielen Branchen nahezu abgeschafft. "Vielleicht lohnt es sich, für den Feierabend zu kämpfen", schreibt Albers.
Leider schreibt er hauptsächlich über einen bestimmten Menschen, nämlich sich selbst. Das bringt seltsame Absätze hervor über Leute, die er mag, die er aber nicht oft treffen darf, weil das unvernünftig wäre: "Unsere Kalender sind heilig, haben unser Leben zu stark im Griff, als dass wir so frei mit ihnen umgehen dürften." Natürlich, wo kommen wir denn da auch hin, wenn man einfach so Freundschaften schließt. Außerdem geht er etwas zu sehr ins Detail, was seine Treffen mit den zitierten Experten betrifft: wann, wo, wie. Dafür ist es interessant, dass er alle seine Gesprächspartner als tiefenentspannt und ruhig beschreibt. Irgendwann stellt man sich den Autor nur noch fahrig und nervös vor - weil neben ihm offenbar jeder wie ein Yogi wirkt.
Auf dem Weg zu mehr Gelassenheit wagt Albers sich unter anderem an Achtsamkeitsübungen: Wie genau schmeckt diese Erdbeere? Viel wertvoller sind aber die Lehren für mehr Effizienz, die er nach und nach definiert. Nicht mehr so oft einzelne Mails beantworten, sondern schwungweise, und dann gleich wegsortieren. Auf die zwanzig wichtigsten Prozent der Arbeit konzentrieren. Meetings verkürzen. Was dabei für den einen funktioniert, muss jedoch nicht zu jedem passen. Das zeigt am deutlichsten Albers' Experiment mit dem Dumbphone, das nichts kann außer Telefonieren, und seinen Besitzer damit von sämtlichen anderen Kanälen abschneidet. Vor allem am Wochenende soll das bei der Entspannung helfen. Mag sein, aber: Was für Sozialkontakte haben Menschen, denen dadurch nichts Wesentliches verloren geht? Wie melden sich Freunde bei ihnen? Wie treffen sie Verabredungen mit mehr als einer Person?
Wer am engsten mit seinem strengen Terminkalender befreundet ist, dem stellen sich solche Fragen freilich nicht. Das zeigt auch Albers' nicht sonderlich originelle Beobachtung von der Straßenbahnhaltestelle: "Heute schaut jeder auf ein Handy oder telefoniert." Ach, wirklich? Aber das ist nicht unbedingt Arbeit, was sie da beschäftigt. Manche rufen ihre Mütter an, manche spielen Candy Crush, manche chatten mit Freunden. Wer dafür Zeit hat, der hat auf jeden Fall schon etwas richtig gemacht bei der Organisation seines Arbeitspensums.
Markus Albers: "Digitale Erschöpfung". Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen.
Carl Hanser Verlag, München 2017. 228 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Pflichtlektüre vor allem für Personaler." Thorsten Giersch, Handelsblatt online, 11.10.17
"... uneingeschränkt lesenswert." Hendrik Epe, socialnet, 10/17
"Ein Ratgeber, der zeigt, dass wir produktiver werden, wenn wir lernen abzuschalten." Medical Tribune, 13.09.17
"... uneingeschränkt lesenswert." Hendrik Epe, socialnet, 10/17
"Ein Ratgeber, der zeigt, dass wir produktiver werden, wenn wir lernen abzuschalten." Medical Tribune, 13.09.17