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Formen, Hintergründe und Motive für Denunziation in der DDR
Staatssicherheit, Verrat, Spitzel: Wer hat aus welchen Gründen, Freunde, Kollegen, Angehörige an die Stasi verraten? Geschah dies freiwillig, oder wurde die Spitzeltätigkeit erpresst? Welche Ausmaße hatte die Zusammenarbeit mit der Stasi in der DDR? Haben nur Stasispitzel Informationen weitergegeben? Wie viele Westdeutsche dienten sich der Stasi an? Kann man den in den MfS-Unterlagen gesammelten Informationen trauen? All diese Fragen beschäftigen Medien, Politik und Öffentlichkeit seit dem Ende der Diktatur in der DDR.
Nun hat Anita Krätzner-Ebert, Mitarbeiterin im Stasiunterlagenarchiv, eine umfassende Untersuchung zum Thema vorgelegt. Sie beleuchtet die Formen, Hintergründe sowie Motive für Denunziationen in der DDR. Dabei bezieht sie neben dem Stasikontext auch andere Möglichkeiten ein, mit denen in der DDR belastende Informationen weitergegeben wurden. Denn nicht immer war die Stasi der erste Adressat. Meldungen wurden an Polizeistellen ebenso wie an die verschiedenen SED-Gliederungen, die Hausbuchführer, die Gewerkschaft FDGB oder die Jugendorganisation FDJ gerichtet. Auch wenn sie nicht direkt an die Stasi gingen, dürften viele Informanten als eigentlichen Adressaten für ihre Informationen die Stasi im Blick gehabt haben.
Krätzner-Ebert beginnt ihre Arbeit mit dem Versuch, politische Denunziation von anderen Formen der Informationsweitergabe, beispielsweise über strafrechtlich relevante Vorgänge, zu unterscheiden. Sie grenzt diese als Meldungen über "politische oder politisch instrumentalisierbare Abweichungen" ab. In einem Staat wie der DDR, der für seine Herrschaftssicherung auf Verrat und Denunziation angewiesen war und Überwachung und Bespitzelung förderte, bleibt diese Abgrenzung notgedrungen verschwommen. Da sich die SED-Führung - wie auch die kommunistischen Parteien in den anderen Ländern des Ostblocks - ständig von inneren und äußeren Feinden bedroht fühlte, richtete sich die Aufforderung zur Weitergabe relevanter Informationen an die gesamte Bevölkerung: Alle Institutionen, Organisationen und Personen - Freunde, Angehörige, Kollegen, Nachbarn - waren zur permanenten Wachsamkeit gegenüber auffälligem oder abweichendem Verhalten aufgerufen. Jede Form von "politischer Unzuverlässigkeit" sollte gemeldet werden. Damit einher ging die Entgrenzung von Denunziation: Die Weitergabe von Informationen und Gerüchten war nicht nur erwünscht, sondern wurde geradezu erwartet und unterstützt. Die Einschätzung, ob etwas als gefährlich anzusehen war, oblag den "Organen".
Schwammige Rechtsbegriffe wie "Boykotthetze", "ungesetzliche Verbindungsaufnahme", "Staatsverrat", "staatsgefährdende Hetze und Propaganda", "Staatsverleumdung", "Begünstigung und Nichtanzeige" unter anderem von Fluchtplänen ermöglichten es, aus allem politische Delikte zu konstruieren. Damit konnte jedes Verhalten als "abweichend" oder "auffällig" eingestuft und politisch instrumentalisiert werden. Damit waren der politischen Instrumentalisierung Tür und Tor geöffnet. Waren vor dem Mauerbau vor allem Hinweise auf "Hetze" und "Staatsverleumdung" relevant, verlagerte sich dies nach dem Mauerbau auf tatsächliche oder angebliche Fluchtpläne.
Krätzner-Ebert geht sowohl der Frage nach, durch welche Anreize die Weitergabe von Informationen, vulgo Denunziationen, befördert und unterstützt wurde, als auch, welche Motivationen es jeweils gab. Diese reichten von Überzeugung in der Sache, Rache, Neid und Missgunst bis hin zu Angst: Da die Nichtweitergabe von "relevanten Informationen" wie im Falle von Vorbereitungen für eine Republikflucht strafbewehrt war, konnte durchaus auch die Furcht, selbst bestraft zu werden, Anlass für eine Denunziation sein. Da die jeweiligen Informanten, aber auch die Adressaten von - neutral gesprochen - an sie herangetragenen Informationen nicht wissen konnten, was jeweils als auffällig oder gefährlich angesehen wurde, taten sie gut daran, möglichst viel zu melden. Die Bewertung sollte der Stasi überlassen bleiben. Damit konnten sich die Informationsgeber selbst entlasten: "Ich konnte doch nicht wissen, was die daraus machen." "Wenn ich es nicht gemeldet hätte, dann . . ." "Ich wollte doch niemandem schaden." Den meisten Denunzianten dürfte jedoch klar gewesen sein, dass ihr Handeln für die Angeschwärzten gravierende Folgen haben konnte.
Die Bewertung der an sie herangetragenen Informationen erfolgte durch die Stasi: Stammten die Informationen von "zertifizierten" Zuträgern wie IM? Wurden sie aus Loyalität zum Regime gegeben, oder waren Neid, Rache und Eifersucht die Beweggründe? Handelte es sich um anonyme Hinweise, oder stammten sie aus dem Familien-, Freundes- oder Kollegenkreis?
Die Autorin betont, dass die DDR kein Volk von Denunzianten und Spitzeln gewesen sei. Angesichts fehlender statistischer Angaben, wie viele "Hinweise" zu welchen angeblichen Vergehen bei den verschiedenen Behörden eingingen, können aus der vorliegenden Untersuchung nur begrenzt Rückschlüsse über das Ausmaß von Denunziationen sowie die von anderen Institutionen an das MfS übermittelten Anzeigen gezogen werden. Aufschlussreich sind die im Buch beispielhaft angeführten Meldungen allemal.
Krätzner-Ebert macht deutlich, dass es aufgrund der Quellenlage nicht immer möglich war, den Weg einer "Information", die als politisch brisant eingeschätzt und entsprechend an das MfS weitergegeben wurde, bis hin zu den möglichen Folgen für die Betroffenen zu verfolgen. Auch diese unklare Quellenlage machte es nach 1989 schwierig, Fälle von politischen Denunziationen vor Gericht zu bringen: Politische Verdächtigungen verjähren bereits nach fünf Jahren.
Wenn man wissen möchte, wie Denunziation funktioniert, wie aus scheinbar belanglosen Informationen relevante Vorgänge werden und wie die Stasi die Bewertung von Meldungen vornahm, aber auch, wie sich eine "Kultur" des Meldungswesens etablieren kann, bietet das Buch von Krätzner-Ebert eine aufschlussreiche und interessante Lektüre. ANNA KAMINSKY
Anita Krätzner-Ebert: Dimensionen des Verrats. Politische Denunziation in der DDR.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023. 287 S., 25,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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