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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zwei logische Nahbeziehungen gäbe es in diesem Roman, doch Bryan Washington überrascht uns
Zwei Männer in Amerika heute, ein Paar, getrennt durch Hautfarbe, Geschichte, Herkunft. Wie geht das? Wenn Bryan Washington es erzählt, ist es zum Lachen und zum Heulen. Ein Liebes- und ein Familienroman, in dem sehr viel gut gekocht wird.
Zwei Männer aus Familien, die auseinanderbrachen, aber nicht ganz. Einer, Mike, kommt aus Japan, möglicherweise hieß er also einmal anders, aber das erfahren wir nicht. Mike ist in Houston aufgewachsen, sein Japanisch ist hölzern, und seine Wohnung liegt in einem Viertel, in dem vor allem Schwarze leben und das kurz vor der Gentrifizierung steht. Der andere, Benson, meistens Ben genannt, ist Afroamerikaner und war noch nie in dem Third Ward genannten Teil der Stadt, wo sein Freund lebt, bei dem er bald einzieht. Benson grüßt die Nachbarn nie, was Mike zunächst erstaunt, später verärgert, weil er weiß, was zählt: "Wir lauschten den bellenden Hunden nebenan und den Corridos, die aus dem nächsten Fenster klangen. Und den Nachbarn draußen, die sich unterhielten und rauchten, den weißen Kids mit ihrer plärrenden Trap-Musik und Harold, der schließlich auf seine Veranda herauskam, um ihnen zu sagen, sie sollten verdammt noch mal still sein. Ganz gleich, wie es sich im Moment anfühlte, wir waren ein Teil des Viertels. Ein Rädchen im Getriebe. Im Einklang mit dem Rest, trotz allem."
Trotz allem geschieht hier das meiste. Ein Schwarzer und ein Japaner kommen in eine Bar - das ist, mit den entsprechenden rassistischen Schimpfnamen erzählt, für beide brüllend komisch. Werden sie zusammenbleiben? Sie streiten täglich und versöhnen sich im Sex, das heißt, sie klären nie, was zwischen ihnen schiefläuft. Und dann ist Mike mit kürzestmöglicher Ankündigung weg, und zwar in Osaka, wo sein Vater, den er seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen hat, im Sterben liegen soll. Das weiß er von seiner Mutter, die längst vom Vater getrennt lebt und gerade auf dem Weg von Japan nach Houston ist, um ihren Sohn zu besuchen. So zieht Mikes Mutter in seine und Bens Wohnung ein, gerade als ihr Sohn verschwindet.
Das ist ein guter Ausgangspunkt für eine Geschichte, deren Plot vor allem dazu da ist, die Figuren in Bewegung und auf räumliche Distanz zu halten. Jedenfalls die, die sich eigentlich nah sein müssten und wollten: Mike und Ben und Mike und seine Mutter. Stattdessen bringt Bryan Washington Mikes Mutter mit Ben und Mike mit seinem ihm fremden Vater zusammen, der die Familie grußlos verlassen hat, und aus dieser für alle unerwarteten Konstellation wird das Paradebeispiel eines zeitgemäßen amerikanischen Familienromans. Wer hätte gedacht, dass der überhaupt noch eine Zukunft hat?
Im Original heißt dieser Roman "Memorial". Das trifft das Buch deutlich besser als der deutsche Titel, von dem sich nicht sagen lässt, was er bedeuten soll. Denn um Dinge geht es nicht in diesem Roman, eher um Zustände (emotionale) wie Liebe oder Angst oder Verzweiflung oder Einsamkeit, vor allem Einsamkeit. Um gegenläufige Wahrnehmung derselben Situation. Um Sex. Und auch um Essen. An nichts davon, außer vielleicht an die Liebe, lässt sich glauben. All dies aber lässt sich beschreiben, und darin ist Bryan Washington ein Könner, der sehr lässig daherkommt und nahezu im Plauderton die erschütterndsten Sätze schreiben kann, meistens angemessen umgangssprachlich ins Deutsche gebracht von Werner Löcher-Lawrence.
Ein typischer Wortwechsel klingt dann so: "Ma ist in Tokio aufgewachsen. Wurde da geschwängert. Hat mich zur Welt gebracht, ist hergezogen und dann am Ende wieder nach Hause. - Nach Japan? - Klar. - Aber du wolltest nicht mit ihr zurück, sagte ich, und Mike machte dieses Gesicht. - Nein, sagte er. Ich lebe hier. Aber Ma ist anpassungsfähig, sagte er. Das habe ich von ihr. - Und dein Vater, sagte ich. - Was ist mit ihm, sagte Mike. - Über ihn hast du nichts gesagt. - Habe ich nicht, sagte Mike." Manchmal sind die Wortwechsel Textnachrichten auf dem Mobiltelefon. Manchmal ist eine Verletzung ein Foto in einer Dating-App. Ein anderes Foto vielleicht ein Ruf nach Nähe. Und einmal ist die Beschreibung kleiner Beobachtungen bei einem Spaziergang so groß wie eine Liebeserklärung.
"Dinge, an die wir nicht glauben" hat drei Teile und zwei Icherzähler. Ben erzählt am Anfang und am Ende, in der Mitte spricht Mike. Entsprechend verteilt sich beim Lesen die Zuneigung zu beiden, auch wenn sie streiten oder jeweils einen anderen Menschen treffen, der möglicherweise besser zu ihnen passt als der, den sie am Ende vielleicht doch nicht verlassen werden.
Die Zeiten wirbeln durcheinander, Rückblenden in verschiedene Zustände von der Kindheit bis gerade eben verbinden sich spielerisch mit gegenwärtigen Erlebnissen. Neben Ben und Mike und ihren Familien und um sie herum stehen die erwartbaren Ismen Spalier und funken dazwischen, allen voran Homophobie und Rassismus und allgemeine Fremdenfeindlichkeit in Houston wie in Osaka, aber weil das eine - der Rassismus und die Homophobie - so selbstverständlich miterzählt wird wie das andere - eine Party ohne Streit, das Kochen mit der Mutter trotz allem -, geht es im Grunde um etwas anderes. Nämlich darum, wie Nähe möglich und wie sie auszuhalten wäre und ob es versöhnlich sein kann, sich von einem Menschen zu trennen und einem anderen zuzuwenden, und ob mit einem anderen, dem Vater in diesem Fall, eine Versöhnung auf den letzten Metern der gemeinsamen Existenz gelingen könnte, auch wenn er sagt: "Weißt du, Hikaru denkt, sein Sohn ist auch eine Schwuchtel."
Wer ist dieser Mann, der heute immer noch "Schwuchtel" sagt, selbst wenn er von seinem Sohn spricht? Mike nähert sich ihm von ganz anderer Seite. Er schreibt auf, was er für Eju, so heißt der Vater, im Laufe der Wochen in Osaka gekocht hat. Macht Listen mit seinen Lieblingsgerüchen. Dinge, die Eju trotz allem auch an der Schwelle zum Tod niemals tun würde. Die Kneipe, die Eju betreibt und Mike möglicherweise erben wird, heißt "Mitsuko". So heißt auch die Mutter.
Hat irgendwer Schuld daran, dass es mit keiner der Familien geklappt hat? Dass keine von Dauer war, dass immer irgendwer Fliehkräften nachgegeben hat, anderen Menschen, Alkohol, Bequemlichkeit? Vermutlich hat jeder Schuld, der eine mehr, die andere weniger. Aber darauf kommt es in diesem Buch, das übrigens ein Romandebüt ist (Bryan Washington hat zuvor einen Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht), nicht an. Worauf es zwischen diesen Menschen ankommt, ist vielmehr dies: nicht im inneren Trott festzukleben. Nicht jede Möglichkeit von Erkenntnis am anderen vorbeiziehen zu lassen, und sei es, um zu verstehen, warum Mitsuko als Erstes die Küche ihres Sohnes und seines Liebhabers umräumt, bevor sie anfängt zu kochen.
Letztlich werden alle überrascht davon, Teil von etwas zu werden, das ihnen ganz fremd war. Und so sind das Denkmal und die Trauerrede, von denen der Originaltitel spricht, ein ganzes Stück Arbeit gewesen, die nun hinter ihnen liegt. Alle sind sich selbst dabei nähergekommen, als sie es für möglich hielten. Was auch immer daraus wird, es wird besser werden als das, was war. VERENA LUEKEN
Bryan Washington: "Dinge, an die wir nicht glauben". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Löcher-Lawrence. Verlag Kein & Aber, Zürich 2021. 382 S., geb., 24,- Euro.
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