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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Er ist der Inbegriff des glanzvollen Herrschers: Drei Kenner der Antike erklären, warum die Wirkung der ersten römischen Kaiserzeit so lange anhält. Und was das alles mit uns zu tun hat.
Im Jahr 1937 wurde in Rom der zweitausendste Jahrestag der Geburt des Augustus begangen. Eine monumentale Ausstellung nahm das Jubiläum zum Anlass, die antike römische Geschichte in ihrer Gesamtheit darzustellen. Die Perspektive war klar: In Rom und seinem Reich manifestierten sich nicht allein die "größten Errungenschaften der antiken Welt", sondern auch die Schöpfung aller Grundwerte der Moderne. Der Duce hatte das Projekt eines umtriebigen Archäologen und Politikers großzügig unterstützt, parallel zu den Ausgrabungen im Stadtzentrum, durch die das antike Rom wiedererstehen sollte. Eine Briefmarkenserie rückte die Botschaft des alten und des erneuerten Imperiums vor aller Augen. Die Schau selbst gab sich als organisatorische Glanzleistung des faschistischen Regimes.
Unter der fälligen Ideologiekritik begraben liegt die kluge Prämisse der Ausstellung: Was "Römersein" - Romanità - eigentlich ausmacht, ein spezifisches Ensemble von Strukturen, Wissen, Einstellungen und Ausdrucksformen, gewann in der Tat erst mit der beinahe fünfundvierzig Jahre währenden Regierung des Augustus Gestalt. Dessen Herrschaft löste einen umfassenden Formations- und Definitionsprozess aus, durch den auch die Römer selbst zu einem ausgeprägteren Bewusstsein ihrer eigenen Identität jenseits einer lokalen und schichtenspezifischen Zuordnung gelangten. Das "Römersein" wurde erst jetzt zum Eigentum aller Bürger; es eröffneten sich Felder der Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten für einen viel größeren Kreis von Menschen, als das in der oligarchischen Republik möglich (und nötig) gewesen war.
Und erst als "Rom" in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur klare Umrisse gewonnen hatte, konnte es prägend auf die Peripherie ausstrahlen. Erst mit der Errichtung der Monarchie durch Augustus erhielt Rom auf Dauer, was zuvor, unter dem kollektiven Regime der Aristokratie, eigentlich gar nicht oder allenfalls für sehr kurze Phasen existiert hatte: eine Regierung mit einer Politik.
Und heute, da sich der zweitausendste Todestag - er fällt auf den 19. August - nähert? Hierzulande herrscht Schweigen; lediglich das Römisch-Germanische Museum zu Köln präsentiert eine Sonderschau über die römische Herrschaft am Rhein unter der Überschrift "14 AD". Zu Augustus fällt uns offenbar nichts mehr ein, weit weniger jedenfalls als zu Karl dem Großen oder dem Ersten Weltkrieg.
Dabei sind wir mit vorzüglichen Biographien gut versorgt. Und nun haben sich der Althistoriker Martin Zimmermann, der Klassische Archäologe Ralf von den Hoff und der Latinist Wilfried Stroh an einem etwas anderen Augustus-Buch versucht. Leider hat man nicht den Mut aufgebracht, die sphinxhafte Vielgestaltigkeit des Protagonisten in einer Serie von Essays zu spiegeln oder die augusteischen Plätze, Objekte und Texte im Format von "Erinnerungsorten" zu beleuchten. Festgehalten wird statt dessen am chronologisch organisierten Bericht in sechs Kapiteln, wobei in jeweils drei Unterabschnitten jeder der Autoren in fester Reihenfolge zu Wort kommt. Das führt zu Wiederholungen und vielen Querverweisen. Vor allem aber unterscheiden sich Duktus und Ausführlichkeit der einzelnen Elemente erheblich voneinander, was das Buch unruhig macht, ohne die verschiedenen Perspektiven und Temperamente für die Erkenntnis fruchtbar machen zu können.
Der althistorische Anteil gefällt sich in routinierter Distanziertheit. Ansätze und Möglichkeiten von Augustus' Selbstdarstellung bestimmt kaum zureichend, wer diese als von Anfang an vor allem durch "Geschichtsklitterung und politisch motivierte Lügen" geprägt sieht, und es streift den Zynismus, wenn den Zeitgenossen bescheinigt wird, angesichts des Erfolgs der neuen Ordnung in Sachen Wohlstand, innerer Sicherheit und Expansion bereitwillig die Geschichtsfälschungen und das verordnete Vergessen akzeptiert zu haben, wenn nur der Profit stimmte.
Präzise Begriffe wären gerade vonnöten, wenn es darum gehen soll, das schrittweise vorangetriebene und stets prekäre Experiment des Herrn über die Heere zu fassen, der es unternahm, die Aristokratie zu disziplinieren und zugleich zum aktiven Mitherrschen über das Reich zu motivieren. Doch Zimmermann wärmt lediglich die alte Fassadentheorie auf, wenn er von der "Camouflage senatorischer Teilhabe an der Politik" spricht. Und Augustus schlicht als Kaiser zu bezeichnen leuchtet weder im Lichte antiker Vorstellungen, die kein Kaisertum kannten, noch herrschaftstypologisch ein.
Auch die Frage, ob der berühmte Staatsakt im Januar 27 vor Christus nun eine Zäsur bedeutete, wird nur indirekt aufgeworfen. Ein paar Seiten weiter sind der Staatsstreich und "die verlogene Formel der res publica restituta" jedenfalls zum Kompromiss mutiert und wird Aloys Winterlings Modell der paradoxen Kommunikation aufgegriffen, die dem Herrscher wie der Aristokratie so viel abverlangte. Interessanterweise wurde bereits in der antiken Geschichtsschreibung die Frage nach möglichen Alternativen aufgeworfen. Nichts davon hier. Dafür kluge Bemerkungen, wie Augustus durch institutionelle Maßnahmen zur erhöhten sozialen Durchlässigkeit der römischen Gesellschaft beitrug und seine Politik bei allem Experimentieren doch in den großen Zügen einem großen Ziel verpflichtet gewesen zu sein scheint. Derlei Inkonsistenzen kann man anregend finden, muss es aber nicht.
Von den Hoff gibt einen reichhaltigen Einblick in die Resultate der archäologischen Forschung der letzten Jahrzehnte, mag diese von der Entwicklung des Augustus-Porträts handeln oder allgemeiner von der "Macht der Bilder" (Paul Zanker), aber auch der Inschriften, mit denen der Princeps sich und seine neue Ordnung in das Stadtbild einschrieb. Doch auch das Diffundieren der Botschaft in andere Medien wird anschaulich beschrieben.
Die Überhöhung des Augustus war, so die bündige Bilanz, "wesentlich auch ein Werk seiner Untertanen"; man arbeitete dem Herrscher entgegen. Dass die Ausrichtung auf das Zentrum politisch das Subsidiaritätsprinzip auszuhöhlen begann, indem sich die Städte bei Rechtsproblemen, Misswirtschaft und Engpässen selbst in die Rolle eines Verwaltungsobjekts und eine "freiwillig gewählte Unmündigkeit" begaben, wie Zimmermann treffend vermerkt, steht auf einem anderen Blatt.
Eine ungebrochen teleologische Großerzählung schimmert auf, wenn Stroh von dem großen, in der augusteischen Zeit kulminierenden Unternehmen spricht, "eine nationalrömische, lateinische Literatur zu schaffen". Aber muss es wirklich "jeden Freund der lateinischen Literatur schmerzen, dass die Philippiken, dieser Höhepunkt der Prosakunst, einem Verräter zugutekamen" und danach kein einziger Schriftsteller es wagte, die Zustimmung zu Ciceros Ermordung zu erwähnen, diese "Schandtat des späteren Augustus"?
Doch insgesamt bietet der Münchener Philologe eine recht ausführliche Literaturgeschichte der hundert Jahre, mit feinen Beobachtungen zu einzelnen Texten. Sogar für das namenlose Kind in der vierten Ekloge Vergils wird eine Lösung angeboten. Anderes erscheint fragwürdig: Konnten etwa Vergils "Georgica" wirklich als Quelle echter sachlicher Belehrung gelesen werden? Doch das Grundsätzliche ist auf den Punkt gebracht, wie sehr nämlich die augusteischen Dichter, aber auch der Geschichtsschreiber Livius ihre eigene Stimme behielten.
Was hat uns Augustus heute noch zu sagen? In Spielbergs "Lincoln" war unlängst zu lernen, wie ein großes humanes Ziel mit höchst unlauteren Mitteln erreicht wurde. Ambivalenzen dieser Art ohne Aufrechnen auszuhalten und auseinanderzulegen stellt eine nach wie vor auch von Augustus gestellte Aufgabe dar, wenn nur richtig gefragt wird.
Und was Bildende Kunst und Literatur anlangt, so geht von der augusteischen Zeit immer noch eine produktive Verunsicherung aus: Wie konnte ein kulturpolitisches System, das Kreativität eigentlich hätte behindern müssen, indem es formierte und forderte, gleichwohl die Schöpfung von Werken anregen, die klassisch blieben. Da mag man vom "Haltbarkeitsdatum" der Bildsymbolik sprechen - unbestreitbar und weiterhin ein Anstoß bleibt "die Intensität, mit welcher sich der historische Augustus nicht nur als erster Princeps, sondern als Inbegriff des Herrschers schlechthin in die historische Erinnerung eingeschrieben" hat. Wie ambivalent und komplex das Resultat ausgefallen ist, bietet auch weiterhin reichlich Anlass zum Nachdenken.
UWE WALTER
Ralf von den Hoff, Wilfried Stroh, Martin Zimmermann: "Divus Augustus". Der erste römische Kaiser und seine Welt. Verlag C. H. Beck, München 2014. 341 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
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Vor 2000 Jahren starb Augustus. Ein neues Buch zeigt, wie der erste römische Kaiser seine Politik verpackt und verkauft hat
Auf dem Totenbett, so berichtet Sueton, umringt von seiner Familie und seinen Freunden, schon schwach an Stimme und Geist, soll sich der greise Augustus noch einmal an seine Vertrauten gewandt haben: „Glaubt ihr, dass ich meine Rolle gut gespielt habe auf der Bühne des Lebens? Wenn ja, dann applaudiert dem Schauspieler“. Das war zwar nicht, wie oft behauptet, der letzte Satz des sterbenden Kaisers (der galt, so Sueton, seiner Ehefrau Livia), aber er lässt sich eben gut als Schlusspointe, als Lebensresümee eines Herrschers lesen, der es wie kein Zweiter verstand, die Wirklichkeit mit seinen Worten, Gesten und Andeutungen zu überspielen.
Augustus ist sicher der bekannteste römische Kaiser. Er ist der erste, vielleicht der erfolgreichste, eine Gründerfigur, und gleichzeitig markiert seine Herrschaft den Anfang vom Ende. „Totengräber der Republik“ hat ihm Petrarca nachgerufen, „Terrorist“, „Blutsäufer“, „Vernichter Roms“ haben ihn seine neuzeitlichen Biografen genannt. Es gibt kein Shakespeare-Stück, keinen Hollywood-Film über Augustus. Kein Peter Ustinov hätte Augustus „spielen“ können, er wäre weit hinter dem Spiel seines Vorbildes zurückgeblieben.
Zum 2000. Todesjahr dieses römischen Ur-Princeps ist eine neue Augustus-Biografie erschienen, geschrieben von einem hoch besetzten Forscher-Triumvirat: Ein Althistoriker, ein Literaturwissenschaftler und ein Archäologe nähern sich aus jeweils ganz eigener Perspektive der Person und dem Zeitalter des Augustus. Es ist ein spektakuläres, vielschichtiges Panoramabild, das einem hier präsentiert wird, freilich ohne die eine revolutionär-neue These, stattdessen mit einer Vielzahl von Deutungsangeboten und spannenden Exkursen.
Traditionell wird das Leben des Augustus in zwei Teile geteilt: Der bösen, grausamen Machtergreifung des Kriegstreibers seit Caesars Ermordung folgt die gute, umsichtige Regierung des „Friedensfürsten“ ab 30 v. Chr. Dass diese Einteilung nicht zuletzt von Augustus selber stammt, ändert nichts an ihrer Zweckdienlichkeit: So kann man den Mann fassen. Im September 63 v. Chr. als Gaius Octavius (Octavian hat er sich selbst nie genannt) in eine wohlhabende, wenn auch nicht adlige römische Familie geboren, wächst er in einer brodelnden Krisenzeit auf. Sein Großonkel Caesar adoptiert den jungen Octavius und macht ihn zu seinem Erben. Seine Feinde und Neider zerreißen sich darüber das Maul. Er, dessen Großvater Geldwechsler war, in dessen Adern kaltes „Bankiersblut“ fließe, sei Caesar wohl besonders zu Diensten gewesen. Das Gerücht, so perfide wie hartnäckig, verfolgt Augustus zeit seines Lebens. Später kann er noch so viele Sittengesetze erlassen und Frauen schwängern, nie wird er den Ruf verlieren, ein „Penetrierter“ gewesen zu sein.
Als Caesar 44 v. Chr. im Senat niedergestochen wird, ist sein achtzehnjähriger Großneffe gerade auf einem Bildungsurlaub. Danach beginnt sein steiler Aufstieg zur Macht. Erst mit, dann gegen Mark Anton, kämpft der junge Feldherr gnadenlos gegen seine politischen Gegner. Kaltblütig lässt er die alte Führungsschicht abschlachten, ihre blutüberströmten Köpfe auf dem Forum aufstapeln, um dann, 27 v. Chr., den furchtbaren Bürgerkrieg für beendet zu erklären und sich vom Senat den Ehrennamen „Augustus“, der „von den Göttern geliebt Erhabene“, verleihen zu lassen.
Offiziell gibt der kluge Machthaber jetzt die Res publica wieder in die Hände von Senat und Volk zurück, verzichtet ostentativ auf jegliche Ehrenrechte. Inoffiziell aber gelingt es ihm durch einen waghalsigen verfassungspolitischen Trick alle Macht in seiner Hand zu konzentrieren: Er lässt sich nicht die Ämter selbst – das widerspräche dem altehrwürdigen Annuitätsgesetz –, sondern nur die Amtsgewalten verleihen und überragt damit alle anderen nur an Autorität (auctoritas), nicht an offizieller Stellung. Der Senat fühlt sich in seinen alten Stand zurückversetzt, Augustus mimt den lupenreinen Republikaner. Augustus’ Wille, so vornehm und verklausuliert er ihn äußert, ist allen Befehl, denn hinter ihm stehen die Truppen.
Augustus’ geniale Erfindung einer Staatsform, die zwei kategoriell unvereinbare Herrschaftstypen, Republik und Monarchie, verbindet, ist das Ergebnis einer raffinierten Kommunikationsstrategie, von dem die gerissenen Autokraten der Weltgeschichte, die Erdogans und Putins unserer Tage, gelernt haben: Gesagt wird das eine, gemeint das andere. Die widersprüchliche Einbindung des militärischen Alleinherrschers in die alte republikanische Senatsgesellschaft ist allerdings schwer auf einen Nenner zu bringen. Montesquieu hat sie als eine Regierungsform beschrieben, „die im bürgerlichen Bereich aristokratisch, im militärischen hingegen monarchisch war“. Theodor Mommsen prägte dafür eigens den Begriff der „Dyarchie“, der paradoxen Doppelherrschaft von Senat und Kaiser.
Augustus hat seine Stellung bewusst undeutlich gelassen, denn gerade das hielt seine Herrschaft stabil. Genau diesem Aspekt folgt die „Divus Augustus“-Biographie. Es geht ihr vor allem um die Frage, wie Augustus seine Herrschaft verpackt, verkauft und verbreitet hat. Jedes Kapitel beginnt mit einem historischen Rundumschlag vom Münchner Althistoriker Martin Zimmermann, der sozusagen die Rahmenbedingungen klar macht. Dann folgt ein Abschnitt des Freiburger Archäologen Ralf von den Hoff, in dem die jeweilige visuelle Lebenswelt, die Bauten und Bildprogramme plastisch gemacht werden. Bevor am Ende dann Wilfried Stroh, Philologe aus München, den Blick auf die intellektuelle Atmosphäre der Zeit, die Dichter und Literaten im Umfeld des Kaisers wirft.
Denn in der Tat konsolidiert Augustus seine Herrschaft ab den zwanziger Jahren nicht nur verfassungspolitisch, sondern vor allem durch eine ausgefeilte Medien- und Baupolitik. Neue Zeiten brauchen neue Bilder. Augustus nutzt die Stadtlandschaft Roms als „visuelles Propagandaschlachtfeld“ und gibt eine Unmenge an Tempeln, Statuen und Ehreninschriften in Auftrag. Rom – schreibt Sueton – habe sich in diesen Jahren aus einer Stadt aus Backstein zu einer Stadt aus Marmor gewandelt. Jedem Bürger wird der Anbruch einer neuen Ära so vor Augen geführt. Neben dem monumentalen Friedenstempel und dem Forum Augusti ist der Brustpanzer der Primaportastatue das wohl berühmteste „Propagandamittel“ jener Zeit. Energisch trägt hier Aurora, die Morgenröte, die düstere Nacht von dannen und zieht damit den Vorhang auf für einen neuen Tag, ein neues Säkulum. Deutlicher war das augusteische Programm nicht zu bebildern. Aber auch in den Porträtfiguren lässt sich in dieser Zeit ein aussagekräftiger Wandel erkennen: Nicht mehr der dynamische „Machertyp“ mit abstehenden Ohren ist zu sehen, sondern ein würdig, überzeitlich-erhaben strahlender Landesvater. Alles ist geordnet, die Mimik, die Frisur – und eben auch das Gemeinwesen. Vom blutigen Schlächter ist keine Spur mehr geblieben, die Erinnerung an die Schrecken der Bürgerzeit ist radikal aus dem kollektiven Gedächtnis ausgelöscht, „das Vergessen wird verordnet“.
Daneben erlebt auch die literarische Produktion in den „goldenen zwanziger Jahren“ einen Höhepunkt. Vergil dichtet seine „Aeneis“ – mit festem Blick auf den Heiland Augustus-, im exklusiven Maecenaskreis rezitieren Horaz, Properz, Tibull ihre Werke. Augustus geriert sich als sensibler Dichterfürst, weint gelegentlich bei Lesungen. Schnell ist vergessen, dass er es war, der den Mord am Größten der römischen Geisteswelt, an seinem väterlichen Freund Cicero zuließ. Dass Augustus empfindlich auf Kritik reagiert, muss auch der aufmüpfige Ovid erfahren. In einem Überschwang an Dichtlust hatte er in seine „Amores“ subtile Anspielungen auf die neuen Sittengesetze des Kaisers eingefügt, die Ehe- und Kinderlosigkeit unter Strafe stellten. Augustus war über die Casanova-Geschichten nicht erfreut, auch weil seine eigene Tochter Julia zu seinem Ärger seit einiger Zeit im Ruf stand, ein ausschweifendes Sexleben mit wilden Orgien zu pflegen. Augustus verbannt später beide, Tochter und Dichter.
„Divus Augustus“ vermeidet eintönige Nacherzählung des Lebenslaufs, wartet stattdessen mit einer abwechslungsreichen Mischung verschiedener Facetten des augusteischen Zeitalters auf – wobei zuweilen allzu großzügig mit neuzeitlichen Vokabeln wie „Staat“, „Propaganda“ und „Ideologie“ umgegangen wird. Augustus erscheint durchweg als ein großer Experimentator, der in seiner 45jährigen Regierungszeit mit nie enden wollender Energie Reformen ausprobiert und immer wieder nachjustiert hat. Vor allem bleibt er aber eines: ungreifbar. Ein Mann mit brutaler Durchsetzungskraft und feinsinnigem Gespür für Herrschaftschancen, ein unerbittlicher Heerführer und geschickter „Netzwerker“. Aber auch ein Mann, der wegen seiner schwachen Stimme bis ins hohe Alter zum Logopäden ging, wichtige Gespräche mit seiner Frau Livia schriftlich vorbereitet haben soll. Er bleibt ein Maskenträger, jenseits von Gut und Böse, einer „der den Himmel vielleicht mehr erreicht als verdient hat“, wie der ältere Plinius rückblickend schrieb. Am 14. August 14 n. Chr. ist er gestorben. 2000 Jahre später applaudieren wir ihm, dem großen Staatsschauspieler, noch immer.
SIMON STRAUSS
Ralf von den Hoff, Wilfried Stroh, Martin Zimmermann: Divus Augustus. Der erste römische Kaiser und seine Welt. C. H. Beck Verlag, München 2014. 341 Seiten, 26,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Ein zweigeteiltes Leben – auf den
grausamen Kriegstreiber folgt die
Regierung des „Friedensfürsten“
Unter Augustus, schreibt Sueton,
wurde Rom aus einer Backstein-
zu einer Marmorstadt
Machtmensch und PR-Genie: Augustus-Kopf der Musei Vaticani, Rom.
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