Die Geschichte der Liebe ist eine Geschichte von Befreiungskämpfen Programmatisch ist in Robert Menasses Roman schon der erste Satz, und die Ouvertüre^hat so manchen Kritiker in Ehrfurcht und Schrecken versetzt. Teuflisch brennt die Erkenntnis, daß einem das Zölibat zweierlei erspart: die Langeweile und den Schmerz. Dem 53jährigen Nathan wird nichts erspart. „Warum kann ich nicht genießen? Mein Vater hat es sich immer gut gehen lassen.“ Auf der Suche nach der verlorenen Lust der Nach-68er-Generation kreuzen viele Frauen seinen Weg. Freundinnen, eine Ehe, noch eine Ehe, viele Geliebte – nichts erfüllt ihn. Nathan befindet sich auf dem Weg der Unlust, und die erfüllt sich. In einem der „unterhaltendsten Unterhaltungsromane der letzten Jahre“ (Die Zeit) zeichnet Robert Menasse das Porträt einer Generation, der Nach-68er-Gesellschaft. Es ist kein Liebesroman im klassischen Sinne, in dem Mann und Frau zueinanderfinden, sondern ein Roman über die Liebe in den Zeiten sexueller Befreiung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2007Zwischen den Brüsten so finster
Lieben lernt man nicht aus Illustrierten: Robert Menasse, einer der klügsten Erzähler seiner Generation, verkleidet sich in seinem neuen Roman als Don Juan aus wilden Wiener Tagen - eine Mischung aus Lebensdrama und Slapstick.
Von Jochen Hieber
Über dieses Buch lässt sich nicht wenig Gutes sagen. Obgleich naturgemäß kein Unterhaltungsroman, ist es unterhaltsam. Obgleich das Protokoll einer Seelentherapie, langweilt es nicht. Obgleich eine literarische Studie zur Studentenbewegung der Nach-Achtundsechziger, hat es Witz und Humor. Und obgleich das Bekenntnis zu einer Obsession, ist es nur ganz selten peinlich.
Die Obsession des Helden und Ich-Erzählers mit Namen Nathan sind die Frauen. In der Reihenfolge ihres Erscheinens erleben wir ihn im Bett mit Christa, Barbara, Helga, Anne, Martina, Traude, Alice, Beate, Margit, Steffi und Dominika. Der Roman lässt an mehreren Stellen durchblicken, dass es sich dabei nicht um die vollständige Eroberungsliste des gut fünfzigjährigen Erzählers handelt, auf das Prahlen mit der Statistik aber kommt es ihm nicht an. Zudem gibt er sich redlich und - bis auf die erste und die 257. Seite - auch erfolgreich Mühe, für den Sex eine Sprache zu finden, die zugleich schamlos und diskret ist, bisweilen direkt zur Sache kommt, dabei aber weder mit Selbstironie noch mit Situationskomik geizt.
Weltliteratur mit Schönheitsfehler.
Zugute kommt Nathan dabei in hohem Maße auch die Literaturkritik. Mal wieder in eine Existenz-, also Identitätskrise geraten, liest er aus Gründen der Lebenshilfe "Weltliteratur". Er wählt dazu Jüngstklassiker wie Martin Walsers "Der Augenblick der Liebe" von 2004, John Updikes "Landleben" und "Jedermann" von Philip Roth, beide auf Deutsch erst im vergangenen Jahr erschienen. "Sie konnten wunderbar schreiben, beschreiben, erzählen", resümiert er und nimmt diese "so großen Autoren" damit zugleich vor dem Vorwurf in Schutz, bloß "Altmännerliteratur" produziert zu haben. Gleichwohl aber findet es Nathan höchst "seltsam", dass sich alle drei "bei der Beschreibung von Sex an billigen Illustrierten" orientierten, dass ihre Sprache darüber zur "Massenware" verkomme und also zur "Lüge" werde.
Wie man es besser macht, demonstriert er etwa an seinen jeweils ersten Nächten mit Helga und Barbara. Wir sind in Wien zu Beginn der siebziger Jahre. Nathan hat gerade sein Sohnesnest bei der Mutter verlassen, eine erste Studentenbude bezogen und leidet noch daran, dass ihn eine Disco-Schönheit, "das Mädchen mit der blitzenden Gürtelschnalle", jüngst gnadenlos hat abblitzen lassen. Dergestalt gedemütigt, trifft er Helga, eine Kommilitonin. "Helga war Jungfrau. Sie sagte, sie brauche noch etwas Zeit." Diese Schonfrist, meint er, gelte es zu nutzen für einen "Schnellkurs" in Sachen Sex. Gelegenheit dazu bietet Barbara, die etwa dreißig Jahre alte Sekretärin am Institut für Publizistik. Mit ihr - "es war finster zwischen ihren Brüsten" - macht er auch eine lebensprägende Erfahrung: "Ich dachte, der Begriff ,Liebesnacht' bedeutete, dass man die ganze Nacht liebte. Ich war fassungslos, wie schnell das Grundsätzliche vorbei war." Ganz plötzlich indes will Helga nun auch: "Allerdings ist es immer plötzlich, wenn eine Frau ja sagt."
Robert Menasses neuer Roman, es ist der fünfte seit dem Debüt von 1988, löst auch ansonsten ein, was der Titel verspricht. "Don Juan de la Mancha" ist in der Tat eine Mischung aus Liebesemphase und Lächerlichkeit, aus Lebensdrama und Slapstick, aus den Tragödien der Lust und den Komödien des Leidens an ihr. Zugleich bietet er ein erzählökonomisches Konzentrat: Knapp dreihundert Seiten genügen ihm, um neben der Frauensuche des Helden auch noch Platz zu finden für ein österreichisches Familien- und ein Gesellschaftspanorama, das in Nathans Vater, einem Klatschjournalisten und Lebemann, eine fabelhaft porträtierte Schlüsselfigur besitzt. So unweise der Sohn Nathan bis zum Ende bleibt, so philosophisch, also unernst, heiter und gelassen zieht dessen galanter Erzeuger seine Lebensbahn.
Damit aber ist es des Guten auch genug, denn wirklich geglückt ist Robert Menasses Neuwiener Liebesreigen nicht. Hauptgrund dafür ist ein atmosphärischer Bruch in der zweiten Hälfte des Romans. Zunächst vom Vater protegiert, ist auch Nathan Journalist geworden und leitet bei einer Hauptstadtzeitung inzwischen das Ressort "Leben". Was man von seinem beruflichen Alltag und damit vom Innenleben einer Redaktion erfährt, kommt selten über jene Klischees hinaus, die Außenstehende gerne mit Journalismus verbinden. Figuren wie der Altredakteur Paul Prohaska oder wie Nathans Kollege und Freund Franz sind also immer ein bisschen schmierig, ein bisschen intrigant, ein bisschen wahrheitsverdrehend - und natürlich trinken sie zu viel. Ein richtiger Lesekummer wird daraus jedoch erst, als Nathan zu einer Dienstreise nach Paris aufbricht, bei der er nach Jahrzehnten auch Alice wiedersehen will, die den angehenden Intellektuellen einst wegen eines bildhauernden Muskelpakets verließ.
Dass er Alice schließlich verpasst, ist zunächst kein Unglück, hält uns der Erzähler doch mit seinen Erinnerungen an sie bei Laune. Dass er indes aus dem sehr realistisch geschilderten Wien der Jahrtausendwende jetzt umstandslos in ein so infernalisches wie surreales Paris überwechselt und dafür die jüngsten Unruhen in den Vorstädten zur Zivilisations-Apokalypse schlechthin hochstilisiert, bekommt der Plausibilität des Romans überhaupt nicht. Und von dieser Erzählzäsur erholt sich das Buch dann auch nicht mehr.
Die Lust an der Regression.
Im Gegenteil, Nathan, der aus wenig ersichtlichen Gründen auch noch seinem Job verliert, wird nun nicht nur zur traurigen, sondern zu einer sentimentalen, ja weinerlichen Gestalt. In der Badewanne seines Landhauses, es ist die schwächste Szene, simuliert er Fruchtwasser-Seligkeit und regrediert zunächst lustvoll, dann zunehmend melancholisch zum Säugling im Geburtskanal. Dass er ganz zum Schluss mit Christa, der Dozentin für alte Sprachen, den Geschlechtertausch probt, rundet den Reigen nicht. Dass sie seine libidinösen Fähigkeiten und seine Potenz dann auch noch ironiefrei in den Himmel heben darf, hätte er sich und dem Leser besser erspart.
Robert Menasse, Jahrgang 1954, hat in zweien seiner bisherigen Romane, in "Selige Zeiten, brüchige Welt" (1991) und in "Die Vertreibung aus der Hölle" (2001), nachdrücklich bewiesen, dass er einer der großen Erzähler unserer Gegenwart ist - ja, dass er das Zeug hätte, zum repräsentativen Autor seiner Generation zu werden. Der just erschienene, von der Germanistin Eva Schörkhuber herausgegebene Band "Was einmal wirklich war" versammelt auf nahezu vierhundert Seiten denn auch eine Fülle literaturkritischer und wissenschaftlicher Zeugnisse für die bereits jetzt mehr als respektable Wirkung von Menasses erzählerischem und essayistischem Werk.
Dieses noch werdende und wachsende Werk wird angesichts der unbestreitbaren Lustbarkeiten, die die Lektüre von "Don Juan de la Mancha" auch bietet, keinen sonderlichen Schaden nehmen. So recht mehren aber kann der neue Roman weder den Rang noch den Ruhm dieses Autors. Er ist eine Zwischenstation, keine Glanztat.
- Robert Menasse: "Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 275 S., geb., 18,80 [Euro].
- Eva Schörkhuber (Hrsg.): "Was einmal wirklich war". Zum Werk von Robert Menasse. Sonderzahl Verlag, Wien 2007. 385 S., br., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lieben lernt man nicht aus Illustrierten: Robert Menasse, einer der klügsten Erzähler seiner Generation, verkleidet sich in seinem neuen Roman als Don Juan aus wilden Wiener Tagen - eine Mischung aus Lebensdrama und Slapstick.
Von Jochen Hieber
Über dieses Buch lässt sich nicht wenig Gutes sagen. Obgleich naturgemäß kein Unterhaltungsroman, ist es unterhaltsam. Obgleich das Protokoll einer Seelentherapie, langweilt es nicht. Obgleich eine literarische Studie zur Studentenbewegung der Nach-Achtundsechziger, hat es Witz und Humor. Und obgleich das Bekenntnis zu einer Obsession, ist es nur ganz selten peinlich.
Die Obsession des Helden und Ich-Erzählers mit Namen Nathan sind die Frauen. In der Reihenfolge ihres Erscheinens erleben wir ihn im Bett mit Christa, Barbara, Helga, Anne, Martina, Traude, Alice, Beate, Margit, Steffi und Dominika. Der Roman lässt an mehreren Stellen durchblicken, dass es sich dabei nicht um die vollständige Eroberungsliste des gut fünfzigjährigen Erzählers handelt, auf das Prahlen mit der Statistik aber kommt es ihm nicht an. Zudem gibt er sich redlich und - bis auf die erste und die 257. Seite - auch erfolgreich Mühe, für den Sex eine Sprache zu finden, die zugleich schamlos und diskret ist, bisweilen direkt zur Sache kommt, dabei aber weder mit Selbstironie noch mit Situationskomik geizt.
Weltliteratur mit Schönheitsfehler.
Zugute kommt Nathan dabei in hohem Maße auch die Literaturkritik. Mal wieder in eine Existenz-, also Identitätskrise geraten, liest er aus Gründen der Lebenshilfe "Weltliteratur". Er wählt dazu Jüngstklassiker wie Martin Walsers "Der Augenblick der Liebe" von 2004, John Updikes "Landleben" und "Jedermann" von Philip Roth, beide auf Deutsch erst im vergangenen Jahr erschienen. "Sie konnten wunderbar schreiben, beschreiben, erzählen", resümiert er und nimmt diese "so großen Autoren" damit zugleich vor dem Vorwurf in Schutz, bloß "Altmännerliteratur" produziert zu haben. Gleichwohl aber findet es Nathan höchst "seltsam", dass sich alle drei "bei der Beschreibung von Sex an billigen Illustrierten" orientierten, dass ihre Sprache darüber zur "Massenware" verkomme und also zur "Lüge" werde.
Wie man es besser macht, demonstriert er etwa an seinen jeweils ersten Nächten mit Helga und Barbara. Wir sind in Wien zu Beginn der siebziger Jahre. Nathan hat gerade sein Sohnesnest bei der Mutter verlassen, eine erste Studentenbude bezogen und leidet noch daran, dass ihn eine Disco-Schönheit, "das Mädchen mit der blitzenden Gürtelschnalle", jüngst gnadenlos hat abblitzen lassen. Dergestalt gedemütigt, trifft er Helga, eine Kommilitonin. "Helga war Jungfrau. Sie sagte, sie brauche noch etwas Zeit." Diese Schonfrist, meint er, gelte es zu nutzen für einen "Schnellkurs" in Sachen Sex. Gelegenheit dazu bietet Barbara, die etwa dreißig Jahre alte Sekretärin am Institut für Publizistik. Mit ihr - "es war finster zwischen ihren Brüsten" - macht er auch eine lebensprägende Erfahrung: "Ich dachte, der Begriff ,Liebesnacht' bedeutete, dass man die ganze Nacht liebte. Ich war fassungslos, wie schnell das Grundsätzliche vorbei war." Ganz plötzlich indes will Helga nun auch: "Allerdings ist es immer plötzlich, wenn eine Frau ja sagt."
Robert Menasses neuer Roman, es ist der fünfte seit dem Debüt von 1988, löst auch ansonsten ein, was der Titel verspricht. "Don Juan de la Mancha" ist in der Tat eine Mischung aus Liebesemphase und Lächerlichkeit, aus Lebensdrama und Slapstick, aus den Tragödien der Lust und den Komödien des Leidens an ihr. Zugleich bietet er ein erzählökonomisches Konzentrat: Knapp dreihundert Seiten genügen ihm, um neben der Frauensuche des Helden auch noch Platz zu finden für ein österreichisches Familien- und ein Gesellschaftspanorama, das in Nathans Vater, einem Klatschjournalisten und Lebemann, eine fabelhaft porträtierte Schlüsselfigur besitzt. So unweise der Sohn Nathan bis zum Ende bleibt, so philosophisch, also unernst, heiter und gelassen zieht dessen galanter Erzeuger seine Lebensbahn.
Damit aber ist es des Guten auch genug, denn wirklich geglückt ist Robert Menasses Neuwiener Liebesreigen nicht. Hauptgrund dafür ist ein atmosphärischer Bruch in der zweiten Hälfte des Romans. Zunächst vom Vater protegiert, ist auch Nathan Journalist geworden und leitet bei einer Hauptstadtzeitung inzwischen das Ressort "Leben". Was man von seinem beruflichen Alltag und damit vom Innenleben einer Redaktion erfährt, kommt selten über jene Klischees hinaus, die Außenstehende gerne mit Journalismus verbinden. Figuren wie der Altredakteur Paul Prohaska oder wie Nathans Kollege und Freund Franz sind also immer ein bisschen schmierig, ein bisschen intrigant, ein bisschen wahrheitsverdrehend - und natürlich trinken sie zu viel. Ein richtiger Lesekummer wird daraus jedoch erst, als Nathan zu einer Dienstreise nach Paris aufbricht, bei der er nach Jahrzehnten auch Alice wiedersehen will, die den angehenden Intellektuellen einst wegen eines bildhauernden Muskelpakets verließ.
Dass er Alice schließlich verpasst, ist zunächst kein Unglück, hält uns der Erzähler doch mit seinen Erinnerungen an sie bei Laune. Dass er indes aus dem sehr realistisch geschilderten Wien der Jahrtausendwende jetzt umstandslos in ein so infernalisches wie surreales Paris überwechselt und dafür die jüngsten Unruhen in den Vorstädten zur Zivilisations-Apokalypse schlechthin hochstilisiert, bekommt der Plausibilität des Romans überhaupt nicht. Und von dieser Erzählzäsur erholt sich das Buch dann auch nicht mehr.
Die Lust an der Regression.
Im Gegenteil, Nathan, der aus wenig ersichtlichen Gründen auch noch seinem Job verliert, wird nun nicht nur zur traurigen, sondern zu einer sentimentalen, ja weinerlichen Gestalt. In der Badewanne seines Landhauses, es ist die schwächste Szene, simuliert er Fruchtwasser-Seligkeit und regrediert zunächst lustvoll, dann zunehmend melancholisch zum Säugling im Geburtskanal. Dass er ganz zum Schluss mit Christa, der Dozentin für alte Sprachen, den Geschlechtertausch probt, rundet den Reigen nicht. Dass sie seine libidinösen Fähigkeiten und seine Potenz dann auch noch ironiefrei in den Himmel heben darf, hätte er sich und dem Leser besser erspart.
Robert Menasse, Jahrgang 1954, hat in zweien seiner bisherigen Romane, in "Selige Zeiten, brüchige Welt" (1991) und in "Die Vertreibung aus der Hölle" (2001), nachdrücklich bewiesen, dass er einer der großen Erzähler unserer Gegenwart ist - ja, dass er das Zeug hätte, zum repräsentativen Autor seiner Generation zu werden. Der just erschienene, von der Germanistin Eva Schörkhuber herausgegebene Band "Was einmal wirklich war" versammelt auf nahezu vierhundert Seiten denn auch eine Fülle literaturkritischer und wissenschaftlicher Zeugnisse für die bereits jetzt mehr als respektable Wirkung von Menasses erzählerischem und essayistischem Werk.
Dieses noch werdende und wachsende Werk wird angesichts der unbestreitbaren Lustbarkeiten, die die Lektüre von "Don Juan de la Mancha" auch bietet, keinen sonderlichen Schaden nehmen. So recht mehren aber kann der neue Roman weder den Rang noch den Ruhm dieses Autors. Er ist eine Zwischenstation, keine Glanztat.
- Robert Menasse: "Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 275 S., geb., 18,80 [Euro].
- Eva Schörkhuber (Hrsg.): "Was einmal wirklich war". Zum Werk von Robert Menasse. Sonderzahl Verlag, Wien 2007. 385 S., br., 25,- [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2007Gegen Frauen kämpft man wie gegen Windmühlen
Robert Menasses Roman „Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust” geht aufs Ganze
Robert Menasse hat immer philosophisch durchwirkte Romane geschrieben, er hat sich an Hegel abgearbeitet und auch naturwissenschaftliche Verfahrensweisen in seinen Texten synthetisiert. Aber jetzt geht er in die Vollen. Er hat es gleich auf den ersten Satz abgesehen, mit dem will er Flagge zeigen, und bitte, es funktioniert: „Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie – um es mit ihren Worten zu sagen – in den Arsch ficke.” Man darf annehmen, dass Menasse an diesem Satz mindestens genauso lange gefeilt hat wie an seinen früheren Weltgeist-Exegesen. Aber natürlich hängt mit diesem Anfang, um es mal so zu sagen, die Latte sehr hoch, so etwas kann auf die Dauer kein Autor durchhalten.
Menasse weiß das, aber gerade deshalb fängt er so an. Es geht in diesem Roman um ein Grunddilemma der menschlichen Existenz: die Beziehung zwischen Mann und Frau. Und er hieße nicht Menasse, wenn er nicht unter dem Eigentlichen doch noch doppelte Böden einziehen würde. Der Titel seines leicht und in einem Zug zu lesenden Romans jongliert mit gleich zwei unvergänglichen Mythen der abendländischen Literatur: „Don Juan de la Mancha”. Der große Liebhaber der Frauen wird also mit Don Quijote gekreuzt, mit dem edlen, späten Ritter, der gegen Windmühlen kämpft. Und der Untertitel „Die Erziehung der Lust” will auch noch Flaubert übertrumpfen: Da tun sich sofort unendliche Assoziationsflächen und Hallräume auf, gegen die ein einzelner Autor normalerweise machtlos ist. Menasse unternimmt alles, um diese Gefahren zu unterlaufen. Er tippt sämtliche Motive einfach an, augenzwinkernd nimmt er sie mit herein in seinen Text, ohne sie ausdrücklich zu entfalten. Vordergründig geht es nur um die sexuelle Entwicklungsgeschichte Nathans, des in immer neue Verwerfungen hineingeratenden Helden. Nathan ist dabei keineswegs der Weise.
Die Versuchsanordnung des Romans entspricht dem Bilderbuch des westlichen jüdischen Bürgertums. Nathan macht eine Therapie bei der Psychoanalytikerin Dr. Hannah Singer, die in ihrer Leibesfülle an eine klassische jüdische Mamme erinnert. Sein Vater ist ein Gesellschaftsreporter, der auf reinen Genuss aus ist und überall mitschwimmt – Partys, Champagner, Frauen. Er hat sich scheiden lassen, als Nathan elf Jahre alt war, hat kaum Zeit für ihn und gibt eine Erfolgsspur von Lebenstauglichkeit vor, die kein Sohn der Welt je wird aufnehmen können. Die Mutter hingegen hat eine eher groteske Galerie von Liebhabern aufzuweisen, und die jeweiligen „Muttermänner” werden in ihrer Erbärmlichkeit mit den Frauenstationen Nathans kontrastiert. Das ist alles so salopp und pointiert erzählt, dass man weiterliest und sich plötzlich in einem aufschlussreichen Zeit- und Generationenpanorama befindet.
Nathan, der genauso alt ist wie sein 1954 geborener Autor, wächst unmittelbar in die Zeit der sexuellen Befreiung und politischen Scharmützel hinein. Seine erste Freundin ist noch Jungfrau, er spricht sie an der Universität an, und Nathan gelingt es, vorher die Mühsal des ersten Geschlechtsverkehrs mit der Sekretärin seines Dozenten zu erproben. Es ist in den siebziger Jahren alles nicht so einfach. Im Kopf glaubt man schon viel weiter zu sein als mit dem Körper, doch die Grenzen sind eng. Als Nathan mit Helga Fellinis „Casanova” ansieht, ist er sofort in der Lage, aus dem Stand einen materialistisch sattelfesten Vortrag über Casanovas Sexualpraxis zu halten, es gehe um die Überlegenheit bürgerlicher Verkehrsformen im Schoß des Feudalismus, in Casanova kündige sich bereits die Fabrikdisziplin an, der ökonomische Sieg des Bürgertums über die alten Produktionsweisen. Als er dann aber mit Helga schlafen muss und will, wird alles ein bisschen kleinlauter.
Es ergibt sich ein wirres Kaleidoskop von Liebeshändeln und Lebensverwirrungen. Das Glück und die Lust sind Fiktionen, denen Nathan immer atemloser hinterherhechelt. Zufällig heiratet er Martina: Er sieht sie unter einem Che-Guevara-Plakat bei einem Kuba-Solidaritätsfest, wie sie einen Joint raucht, und es fällt zwischen ihnen kaum ein Wort, als sie danach zwei Tage im Bett liegen. Mit der Hochzeit ändert sich das Bild aber schlagartig. Martina stammt aus einer erzkatholischen Familie, und in der Ehe hören für sie alle früheren Kindereien auf. Die Scheidung folgt rasch. In diesem Roman geht es um nichts weniger als um eine ganze Epoche, doch Menasse löst das auf in eine Kette von Anekdoten, von Schlüsselmomenten, die immer wie satirisch überspitzt wirken und doch die Realität ungemein suggestiv vor Augen führen. Die erzählten Momente sind zwar äußerst intensiv, doch sie rauschen auch ungeheuer schnell wieder vorbei – Rausch, das ist überhaupt eine zentrale Kategorie in diesem Roman: der Rausch des Erzählens, die Lust, die einen umtreibt und die man nie erreicht, von Erlösung gar nicht zu reden.
Erotisches Mineralwasser
Nathan erscheint dabei von Anfang an keineswegs als tumber Tor. Er gerät nur hinein in einen Strudel, für den er nichts kann und in dem er sich immer routinierter bewegt. Der Ton hat zunächst etwas Cooles und Kennerisches; sein Kernproblem benennt Nathan dabei so: „Ich hatte nie ein so exzessives Sexualleben wie jetzt, wo Sex mich langweilt.” Doch die Coolness entpuppt sich schnell als Pose. Alles wird immer schwieriger in einer Gesellschaft, „die nicht einmal einen Liter Mineralwasser verkaufen kann, ohne diese Ware erotisch zu besetzen”. Es ist eine grell ausgeleuchtete Dialektik der sexuellen Befreiung, die hier vorgeführt wird. So ist Christa, die Chili-Frau vom Anfang, die Frau, die am besten zu Nathan passt: sie ist „glücklich” verheiratet und würde ihren Mann nie verlassen. Man trifft sich im „Hotel zur Spinne”. Würde man zusammenwohnen, wäre alles zu spät. Nathan hat auch eine „Frau”, ziemlich verblüfft realisiert der Leser das in der zweiten Hälfte des Buches, obwohl es vorher schon kurz aufblitzt. Diese Ehefrau ist intelligent, verständnisvoll und patent, aber man sieht sich kaum. Menasse spielt hier keineswegs auf der altbekannten Klaviatur von „die Mama und die Hure” oder „die Schöne und das Biest” – er kennt seinen Freud, blickt aber mit ihm auf die narzisstische erste Pop-Generation, wo sämtliche Konturen verschwimmen.
Natürlich ist das alles nicht chronologisch erzählt, die Zeiten fließen ständig ineinander. Die Gegenwart ist Christa, während Studium und Beruf ziehen Helga, Anne und etliche andere an uns vorbei, und Hannah, die Psychoanalytikerin, ist immer da. Menasse nähert sich in seiner Sprache der Spezies seines Helden an, hier geht es nicht mehr um Philosophie, sondern um Publizistik. Das hat Nathan studiert – ein Fach, von dem damals noch alle Praktiker wussten, dass es völlig sinnlos ist. Heute hat sich das geändert. Menasse liefert mit Nathan, dem Leiter des Ressorts „Leben” in einem angesehenen Printmedium, wie nebenbei auch ein hübsches Genrebild aus dem heutigen Mediengewerbe. Nathan neigt zum Kalauer, und während Menasse seinen Helden dadurch schwach zeigt und kenntlich macht, ist er selber entlastet – denn auch sein Roman, das sei immerhin vermerkt, zeigt Züge des allzu Konstruierten, allzu Nuancierten. Er setzt manchmal selbst da noch etwas drauf, wo gar nichts mehr draufpasst. Aber vielleicht ist das dem Milieu der Hauptfigur geschuldet. Man ist überreizt. Man ist über alles informiert, ohne dass man etwas weiß. Don Juan, Don Quijote, Flauberts Frédéric Moreau: es steht ein ungeheurer Zitatenschatz zur Verfügung.
Der Groschenhefthändler in Nathans Jugend hat sein Angebot in zwei große Abteilungen aufgeteilt, er klassifiziert dabei Verlage und Reihen: „Markenliebe” und „Gemischte Liebe”. Das sind rein pragmatische Größen. Menasse ist es in seinem Roman gelungen, derlei Widersprüche aufzuheben. Zum Schluss kommt Christa noch einmal mit Meerrettich. Dann nimmt sie den Ruf auf einen Lehrstuhl für alte Sprachen in Berlin an und lässt Nathan zurück, so wie er ist.HELMUT BÖTTIGER
ROBERT MENASSE: Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 273 Seiten, 18,80 Euro.
Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse Foto: Jürgen Bauer
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Robert Menasses Roman „Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust” geht aufs Ganze
Robert Menasse hat immer philosophisch durchwirkte Romane geschrieben, er hat sich an Hegel abgearbeitet und auch naturwissenschaftliche Verfahrensweisen in seinen Texten synthetisiert. Aber jetzt geht er in die Vollen. Er hat es gleich auf den ersten Satz abgesehen, mit dem will er Flagge zeigen, und bitte, es funktioniert: „Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie – um es mit ihren Worten zu sagen – in den Arsch ficke.” Man darf annehmen, dass Menasse an diesem Satz mindestens genauso lange gefeilt hat wie an seinen früheren Weltgeist-Exegesen. Aber natürlich hängt mit diesem Anfang, um es mal so zu sagen, die Latte sehr hoch, so etwas kann auf die Dauer kein Autor durchhalten.
Menasse weiß das, aber gerade deshalb fängt er so an. Es geht in diesem Roman um ein Grunddilemma der menschlichen Existenz: die Beziehung zwischen Mann und Frau. Und er hieße nicht Menasse, wenn er nicht unter dem Eigentlichen doch noch doppelte Böden einziehen würde. Der Titel seines leicht und in einem Zug zu lesenden Romans jongliert mit gleich zwei unvergänglichen Mythen der abendländischen Literatur: „Don Juan de la Mancha”. Der große Liebhaber der Frauen wird also mit Don Quijote gekreuzt, mit dem edlen, späten Ritter, der gegen Windmühlen kämpft. Und der Untertitel „Die Erziehung der Lust” will auch noch Flaubert übertrumpfen: Da tun sich sofort unendliche Assoziationsflächen und Hallräume auf, gegen die ein einzelner Autor normalerweise machtlos ist. Menasse unternimmt alles, um diese Gefahren zu unterlaufen. Er tippt sämtliche Motive einfach an, augenzwinkernd nimmt er sie mit herein in seinen Text, ohne sie ausdrücklich zu entfalten. Vordergründig geht es nur um die sexuelle Entwicklungsgeschichte Nathans, des in immer neue Verwerfungen hineingeratenden Helden. Nathan ist dabei keineswegs der Weise.
Die Versuchsanordnung des Romans entspricht dem Bilderbuch des westlichen jüdischen Bürgertums. Nathan macht eine Therapie bei der Psychoanalytikerin Dr. Hannah Singer, die in ihrer Leibesfülle an eine klassische jüdische Mamme erinnert. Sein Vater ist ein Gesellschaftsreporter, der auf reinen Genuss aus ist und überall mitschwimmt – Partys, Champagner, Frauen. Er hat sich scheiden lassen, als Nathan elf Jahre alt war, hat kaum Zeit für ihn und gibt eine Erfolgsspur von Lebenstauglichkeit vor, die kein Sohn der Welt je wird aufnehmen können. Die Mutter hingegen hat eine eher groteske Galerie von Liebhabern aufzuweisen, und die jeweiligen „Muttermänner” werden in ihrer Erbärmlichkeit mit den Frauenstationen Nathans kontrastiert. Das ist alles so salopp und pointiert erzählt, dass man weiterliest und sich plötzlich in einem aufschlussreichen Zeit- und Generationenpanorama befindet.
Nathan, der genauso alt ist wie sein 1954 geborener Autor, wächst unmittelbar in die Zeit der sexuellen Befreiung und politischen Scharmützel hinein. Seine erste Freundin ist noch Jungfrau, er spricht sie an der Universität an, und Nathan gelingt es, vorher die Mühsal des ersten Geschlechtsverkehrs mit der Sekretärin seines Dozenten zu erproben. Es ist in den siebziger Jahren alles nicht so einfach. Im Kopf glaubt man schon viel weiter zu sein als mit dem Körper, doch die Grenzen sind eng. Als Nathan mit Helga Fellinis „Casanova” ansieht, ist er sofort in der Lage, aus dem Stand einen materialistisch sattelfesten Vortrag über Casanovas Sexualpraxis zu halten, es gehe um die Überlegenheit bürgerlicher Verkehrsformen im Schoß des Feudalismus, in Casanova kündige sich bereits die Fabrikdisziplin an, der ökonomische Sieg des Bürgertums über die alten Produktionsweisen. Als er dann aber mit Helga schlafen muss und will, wird alles ein bisschen kleinlauter.
Es ergibt sich ein wirres Kaleidoskop von Liebeshändeln und Lebensverwirrungen. Das Glück und die Lust sind Fiktionen, denen Nathan immer atemloser hinterherhechelt. Zufällig heiratet er Martina: Er sieht sie unter einem Che-Guevara-Plakat bei einem Kuba-Solidaritätsfest, wie sie einen Joint raucht, und es fällt zwischen ihnen kaum ein Wort, als sie danach zwei Tage im Bett liegen. Mit der Hochzeit ändert sich das Bild aber schlagartig. Martina stammt aus einer erzkatholischen Familie, und in der Ehe hören für sie alle früheren Kindereien auf. Die Scheidung folgt rasch. In diesem Roman geht es um nichts weniger als um eine ganze Epoche, doch Menasse löst das auf in eine Kette von Anekdoten, von Schlüsselmomenten, die immer wie satirisch überspitzt wirken und doch die Realität ungemein suggestiv vor Augen führen. Die erzählten Momente sind zwar äußerst intensiv, doch sie rauschen auch ungeheuer schnell wieder vorbei – Rausch, das ist überhaupt eine zentrale Kategorie in diesem Roman: der Rausch des Erzählens, die Lust, die einen umtreibt und die man nie erreicht, von Erlösung gar nicht zu reden.
Erotisches Mineralwasser
Nathan erscheint dabei von Anfang an keineswegs als tumber Tor. Er gerät nur hinein in einen Strudel, für den er nichts kann und in dem er sich immer routinierter bewegt. Der Ton hat zunächst etwas Cooles und Kennerisches; sein Kernproblem benennt Nathan dabei so: „Ich hatte nie ein so exzessives Sexualleben wie jetzt, wo Sex mich langweilt.” Doch die Coolness entpuppt sich schnell als Pose. Alles wird immer schwieriger in einer Gesellschaft, „die nicht einmal einen Liter Mineralwasser verkaufen kann, ohne diese Ware erotisch zu besetzen”. Es ist eine grell ausgeleuchtete Dialektik der sexuellen Befreiung, die hier vorgeführt wird. So ist Christa, die Chili-Frau vom Anfang, die Frau, die am besten zu Nathan passt: sie ist „glücklich” verheiratet und würde ihren Mann nie verlassen. Man trifft sich im „Hotel zur Spinne”. Würde man zusammenwohnen, wäre alles zu spät. Nathan hat auch eine „Frau”, ziemlich verblüfft realisiert der Leser das in der zweiten Hälfte des Buches, obwohl es vorher schon kurz aufblitzt. Diese Ehefrau ist intelligent, verständnisvoll und patent, aber man sieht sich kaum. Menasse spielt hier keineswegs auf der altbekannten Klaviatur von „die Mama und die Hure” oder „die Schöne und das Biest” – er kennt seinen Freud, blickt aber mit ihm auf die narzisstische erste Pop-Generation, wo sämtliche Konturen verschwimmen.
Natürlich ist das alles nicht chronologisch erzählt, die Zeiten fließen ständig ineinander. Die Gegenwart ist Christa, während Studium und Beruf ziehen Helga, Anne und etliche andere an uns vorbei, und Hannah, die Psychoanalytikerin, ist immer da. Menasse nähert sich in seiner Sprache der Spezies seines Helden an, hier geht es nicht mehr um Philosophie, sondern um Publizistik. Das hat Nathan studiert – ein Fach, von dem damals noch alle Praktiker wussten, dass es völlig sinnlos ist. Heute hat sich das geändert. Menasse liefert mit Nathan, dem Leiter des Ressorts „Leben” in einem angesehenen Printmedium, wie nebenbei auch ein hübsches Genrebild aus dem heutigen Mediengewerbe. Nathan neigt zum Kalauer, und während Menasse seinen Helden dadurch schwach zeigt und kenntlich macht, ist er selber entlastet – denn auch sein Roman, das sei immerhin vermerkt, zeigt Züge des allzu Konstruierten, allzu Nuancierten. Er setzt manchmal selbst da noch etwas drauf, wo gar nichts mehr draufpasst. Aber vielleicht ist das dem Milieu der Hauptfigur geschuldet. Man ist überreizt. Man ist über alles informiert, ohne dass man etwas weiß. Don Juan, Don Quijote, Flauberts Frédéric Moreau: es steht ein ungeheurer Zitatenschatz zur Verfügung.
Der Groschenhefthändler in Nathans Jugend hat sein Angebot in zwei große Abteilungen aufgeteilt, er klassifiziert dabei Verlage und Reihen: „Markenliebe” und „Gemischte Liebe”. Das sind rein pragmatische Größen. Menasse ist es in seinem Roman gelungen, derlei Widersprüche aufzuheben. Zum Schluss kommt Christa noch einmal mit Meerrettich. Dann nimmt sie den Ruf auf einen Lehrstuhl für alte Sprachen in Berlin an und lässt Nathan zurück, so wie er ist.HELMUT BÖTTIGER
ROBERT MENASSE: Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 273 Seiten, 18,80 Euro.
Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse Foto: Jürgen Bauer
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Zwar zeugt der erste Satz dieses Buches aus Sicht des Rezensenten Jochen Jung von einem katastrophalen Geschmack des Autors. Allerdings solle man sich als Leser davon nicht beirren lassen und wacker weiter lesen - das Buch sei dann wesentlich besser als dieser erste Satz. Zwar ist dieser Roman typisch für einen In-die-Jahre-Kommenden, so Jung. Aber da das mehr oder weniger allen widerfahre, lese man letztlich doch ganz gerne, was andere übers Alt-Werden schrieben. Protagonist Nathan gehe auf die Sechzig zu und sei vom Sex zunehmend gelangweilt, was ihn erst recht unzufrieden macht. Das löst dann eine Phase der Selbstreflexion aus, wie man liest. Robert Menasse schickt seine Leser auf Höllenfahrt durch die seelischen Abgründe seines unentspannten Protagonisten, die er zur Freude des Rezensenten höchst entspannt beschreibt. So gelingt ihm aus Sicht des Rezensenten das kleine Kunststück, einerseits die Zeitgeschichte der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch einmal mit persönlicher Aura Revue passieren zu lassen. Und gleichzeitig einen der "unterhaltsamsten Unterhaltungsromane" der letzten Jahre zu schreiben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Entspannt und offenkundig selbst amüsiert, verfolgt Menasse den Weg seines Protagonisten.« DIE ZEIT