Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Jürgen Wertheimers Geschichte des Romans
Schon Georg Lukács setzte 1920 mit seiner "Theorie des Romans" beim "Don Quijote" an. Fiktionale Langprosa, diese säkulare Gattung par excellence, verstand er allerdings noch als Ausdruck des Sinnverlusts, der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen. Ende des siebzehnten Jahrhunderts zog der Schweizer Pfarrer Gotthard Heidegger in seinem "Discours von den so benanten Romans" noch heftig moralisierend gegen diese zu Felde.
Bei Jürgen Wertheimer, dessen Tübinger Studium-generale-Vorlesungen über europäische Romane zwischen Miguel de Cervantes und Ingeborg Bachmann jetzt als Buch erschienen sind, ist der Gattung dieser Gegner abhandengekommen. Nichts öder als eine Gegenwart, die überall nur sich selbst wiederfindet. Man muss keiner Säkularisierungsthese anhängen. Aber hier ist Religion gleich Kirche gleich Metaphysik schlechthin pfui. Dass alle diese einmal auch aus eigenem Recht wirkende Instanzen im Bewusstsein der Menschen waren und Schreibanlässe, Schreibkontexte, Wirkungsabsichten erst schufen, wird unterschlagen. Damit ist aber auch die epochemachende Kunstleistung der Gattung Roman - eine erfundene Erzählung vom Menschen, emanzipiert von biblischen Formen und Gehalten - nicht mehr erkennbar.
Man mag "Zeitromane" unter den "Vorzeichen" ihrer "Nachgeschichte" lesen - aber ohne ihre historische Andersartigkeit einzuebnen. Dostojewski schrieb keineswegs in einem "Vakuum der Werte", und wenn es über die Autoren des modernen Romans heißt: "Privat mögen sie Humanisten, Kommunisten, Faschisten gewesen sein. Für ihre Arbeit ist das alles irrelevant", dann ist das, mit Verlaub, Nonsens.
Was hier verbreitet wird, ist eine marktkonforme Literaturideologie für Bezieher mittlerer Einkommen, denen das moralische Gesetz zum Infotainment geworden ist und die den gestirnten Himmel gerade noch vom Flachbildschirm kennen. Was die Achtundsechziger der werkimmanenten Germanistik vorwarfen, kehrt hier wieder: die Reproduktion der ideologischen Überzeugungen des Interpreten. Bezeichnend, dass Wertheimer die Autoren der klassischen Moderne durch einen "Supermarkt der Gesinnungen und der Weltanschauungs-Restware" pilgern lässt.
Wer ständig Metaphern aus der virtuellen "Welt" gebraucht, verstellt seinen Lesern den Blick auf historisch sich wandelnde Wirklichkeitskonzepte im Roman, und darum oder um etwas Ähnliches - so genau ist Wertheimer da nicht - soll es ja schließlich mehr als fünfhundert Seiten lang gehen. Kein Wort über die unzähligen Druckfehler, die ungrammatisch-unkorrigiert stehengebliebenen Sätze und seitenweise ungekennzeichneten Zitate, bei denen der Kursivsatz vergessen wurde.
Gewiss, das Buch wendet sich nicht an ein Fachpublikum. Werden aber dem europäischen Roman neue Leser gewinnen, wer suggeriert, dessen Geschichte sei ein einziges Popevent? Es gibt eine Art der Popularisierung, die nicht zu ihrem Thema hinführt, sondern es vernichtet. Wie Wertheimer selbst sagt: "eine jener degoutanten Aktualisierungen".
MARTIN MAURACH
Jürgen Wertheimer: "Don Quijotes Erben". Die Kunst des europäischen Romans.
Konkursbuch Verlag, Tübingen 2013. 519 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main