Christa Wolf, Brigitte Reimann und Maxie Wander – Carolin Würfel porträtiert diese drei Ikonen der DDR-Literatur und wirft einen modernen Blick auf das große Versprechen des Sozialismus.
Christa Wolf, Brigitte Reimann, Maxie Wander – waren sie Träumerinnen oder Macherinnen, diese drei Frauen, die zu Ikonen der DDR-Literatur wurden? In ihrem atmosphärischen Porträt zeigt Carolin Würfel drei Schriftstellerinnen, die im Temperament unterschiedlicher kaum sein könnten und die doch eines eint: die Begeisterung für das Versprechen des Sozialismus, die Bereitschaft, den Traum vom neuen Menschen in ihrem Alltag, ihrer Arbeit und ihren Beziehungen umzusetzen. Mit welchem Selbstbewusstsein diese Frauen in den 1950er- und 1960er-Jahren ihre Ziele verfolgen, sich dabei als Freundinnen stützen – wie ihre Träume aber auch platzen, davon erzählt Carolin Würfel inspiriert und mitreißend und lässt ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden.
Christa Wolf, Brigitte Reimann, Maxie Wander – waren sie Träumerinnen oder Macherinnen, diese drei Frauen, die zu Ikonen der DDR-Literatur wurden? In ihrem atmosphärischen Porträt zeigt Carolin Würfel drei Schriftstellerinnen, die im Temperament unterschiedlicher kaum sein könnten und die doch eines eint: die Begeisterung für das Versprechen des Sozialismus, die Bereitschaft, den Traum vom neuen Menschen in ihrem Alltag, ihrer Arbeit und ihren Beziehungen umzusetzen. Mit welchem Selbstbewusstsein diese Frauen in den 1950er- und 1960er-Jahren ihre Ziele verfolgen, sich dabei als Freundinnen stützen – wie ihre Träume aber auch platzen, davon erzählt Carolin Würfel inspiriert und mitreißend und lässt ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Das Bekenntnis von Carolin Würfel, Maxie Wanders bekannteste Buch "Guten Morgen, du Schöne" begleite sie seit Jahrzehnten, markiert für Rezensentin Hanna Engelmeier eines der Probleme dieses Buches. Denn daraus wird ein Schwerpunkt, der nicht guttut. Statt dem selbst gesetzten Thema durch gleich gewichtete Analyse von Werk und Leben der drei DDR-Schriftstellerinnen auf den Grund zu gehen, träume sich Würfel die politischen Träume der Frauen selbst zusammen, schreibt die verärgerte Rezensentin. In ihrer Herangehensweise orientiere Würfel sich an Biografien und Werk der Literatinnen, die aber im Fall von Wolf und Reimann sehr gut erforscht seien, weshalb Würfel kaum Neues zu vermeldet hat. "Warum also nun ein einziges Buch über das Leben dieser drei Frauen", fragt sich Engelmeier, zumal der Autorin die Distanz fehlt, sie von einer Freundschaft der Schriftstellerinnen spricht, die nachweislich eher eine "Bekanntschaft" war und Würfel sich in Mutmaßungen ergeht, um das Unbewusste er Frauen zu imaginieren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2022Irgendwo
anfangen
Carolin Würfel spürt den Leben von Christa
Wolf, Maxie Wander und Brigitte Reimann
nach – und kommt ihnen dabei extrem nah
VON HANNA ENGELMEIER
Welche Voraussetzungen muss man haben, um vom Sozialismus zu träumen? Je nachdem, wen man um eine Antwort bittet, könnte diese lauten, dass man sich dazu nur den aktuellen Zustand des Kapitalismus anschauen müsse, oder dass ideologische Verblendung günstig wäre. Als Ulknudel könnte man auch zurückfragen, ob mit „träumen“ auch Albträume gemeint sind.
Carolin Würfel geht in ihrem Buch „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ diesem Traum im Modus des Biografischen nach. Das Dreierporträt der Schriftstellerinnen Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf beginnt gleich mit der Szene einer Bekehrung. Christa Wolf, Jahrgang 1929, die als Kind noch dem Bund Deutscher Mädel angehörte, stellt sich laut Würfel als Teenager die folgenden Fragen zu ihrer nationalsozialistischen Indoktrinierung: „Wem hatte sie da nur angehangen? An was hatte sie da bloß festgehalten? Und welchen Wert hatte ihr Pflichtbewusstsein? Wo war die Gemeinschaft, die ihr so ein warmes Gefühl im Bauch beschert hatte, auf einmal hin? Wieso fing sie niemand auf? Gestrandet in einem Niemandsland ohne Ziele und ohne Versprechen – brutaler hätte das Aufwachen aus der Ideologie für Christa nicht sein können.“
Eine zentrale Rolle spielte dabei die Lektüre von Anna Seghers’ Roman „Das siebte Kreuz“, der seinen Ausgang bei der Flucht von sieben Häftlingen des Konzentrationslagers Westhofen nimmt. Auch für die beiden anderen Protagonistinnen in Würfels Buch stellt die Literatur das zentrale Erkenntnismedium für politische Zusammenhänge dar – Maxie Wander wächst in den Dreißigern in einem kommunistisch geprägten Elternhaus in Wien auf und wird auch von ihrem Mann Fred Wander, selbst Schriftsteller und KZ-Überlebender, dazu ermutigt, sich als Autorin zu betätigen. Ihr Buch „Guten Morgen, du Schöne“, das 19 Gespräche mit DDR-Bürgerinnen versammelt, ist seit dem ersten Erscheinen 1977 immer wieder neu aufgelegt worden und gilt als feministischer Klassiker. Brigitte Reimann wiederum kam wie Wolf durch Seghers-Lektüre dazu, sich als politische Schriftstellerin zu begreifen. Berühmt wird sie vor allem für ihren Roman „Franziska Linkerhand“, den sie nicht vollenden konnte, da sie 1973 im Alter von nur 39 Jahren an Brustkrebs starb. Auch Wander überlebte die gleiche Erkrankung nicht, ihr Werk musste schmal bleiben.
Würfel widmet sich in ihrem Buch vor allem den Sechzigern, in denen die drei Frauen eine ähnliche Entwicklung durchlaufen: Sie beginnen als „sozialistische Hardlinerinnen“, die wie Wolf danach streben, die DDR an der literarischen Front durch eine breite Etablierung marxistischer Literaturtheorie aufzubauen oder wie Reimann im Hoyerswerdaer Kombinat Schwarze Pumpe arbeiten, um den Bitterfelder Weg („greif zur Feder, Kumpel“) besonders gewissenhaft zu beschreiten. Wander immigrierte mit ihrem Mann aus Österreich in die DDR und lebte wie Wolf in einer Version der bürgerlichen Kleinfamilie mit zwei Kindern, die sie gerade noch mit ihren Vorstellungen einer besseren, postfaschistischen Gesellschaft vereinbaren konnte. Irgendwo muss man damit ja anfangen: warum also nicht in Kleinmachnow, in der Nachbarschaft von Christa Wolf.
Überhaupt spielt Würfels Buch an Orten, die aus BRD-Perspektive als Sehnsuchtsorte überraschen: Reimann wohnte in Hoyerswerda und Neubrandenburg und fand das auch genau richtig so. Wer etwas zu sagen habe, teilte sie in einem ihrer berühmt gewordenen Tagebücher mit, müsse das ja wohl überall tun können. Begegnungen zwischen den drei Autorinnen haben in dem DDR-Schriftstellerzentrum im brandenburgischen Petzow stattgefunden, von Reimann liebevoll „VEB Elfenbeinturm“ genannt – in der Schilderung, wie sich hier ihre Wege kreuzten, verfällt Würfel allerdings in Mutmaßungen.
Reimann gerät bei Würfel zu einer Art Holly Golightly von Hoyerswerda, die nicht zuletzt für ihre Libertinage bekannt war und in der DDR-Literatur schnell zum Star aufstieg. Der Weg Christa Wolfs war eher der einer Funktionärin, die früh hohe Ämter in der Literaturbürokratie übernahm, während Wander, gequält von Selbstzweifeln, in Kleinmachnow saß und ein offenes Haus für all jene Intellektuellen führte, die damit weniger zu kämpfen hatten.
Ein ganzes Kapitel widmet Würfel dem Vorgang um „IM Margarete“, den Wolf nach Ende der DDR selbst öffentlich machte. Die Staatssicherheit hatte versucht, Wolf und ihren Mann als Informanten anzuheuern, Gleiches galt für Wander und ihren Partner. Beide Autorinnen kooperierten, belasteten jedoch ihr Umfeld nicht. Die Akte von Wolf wurde geschlossen, nachdem die Zusammenarbeit schleppend verlaufen war; in der Folge wurde sie selbst bis 1989 bespitzelt. Das Scheitern von Wolfs Hoffnungen auf ein sozialistisches Gesellschaftssystem, in dem sich freie Meinungsäußerung als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen verwirklichen ließe, führte bei Wolf seit den späten Sechzigern zu schweren psychischen Krisen, die Würfel ebenfalls nicht ausspart.
Dabei handelt es sich allerdings auch nicht um eine Information, die Neuigkeitswert hätte. Unter den drei Autorinnen ist Christa Wolf diejenige, deren Leben und Werk am besten aufgearbeitet sind, einerseits durch zahlreiche Selbstzeugnisse, die sie publizierte, andererseits durch eine ganze Reihe von Biografien. Zudem gibt es zu ihrem Schaffen eine umfangreiche Forschungsliteratur. Das unterscheidet sie von Maxie Wander, deren Leben zwar ebenfalls Gegenstand einer (umstrittenen) Biografie geworden ist, deren Werk sich aber nicht nur aufgrund seines Umfangs nicht mit dem von Wolf messen lassen kann. Gleiches gilt für Reimann. Auch zu ihr wurde in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehr viel veröffentlicht. Warum also nun ein einziges Buch über das Leben dieser drei Frauen streifen?
Die Freundschaft zwischen ihnen war nicht besonders eng. Christa Wolf wird von Würfel als der ruhende Pol dargestellt, sie versorgte Wander nach dem tragischen Tod von deren Tochter und kümmerte sich um die sterbende Reimann. Diese wiederum kommentiert – eher unterwältigt – erste Entwürfe zu Wolfs „Nachdenken über Christa T.“. Ganz überwältigend ist aber die Zuneigung, die Würfel selbst zu allen drei Autorinnen pflegt. Aus ihrer Begeisterung für die Eigenwilligkeit der drei Frauen erwächst ein eigenes schriftstellerisches Verfahren, das vor allem darin besteht, in den Leben der drei Elemente wiederzufinden, die auch Teile des feministischen Diskurses 2022 noch bestimmen.
Das schlägt sich auch sprachlich nieder. Die familiären Konflikte von Wander und ihrem Mann handeln bei Würfel von „Care Arbeit“, was stimmen mag, aber die Verwendung eines heute, sicher aber nicht 1969 geläufigen Begriffs wirkt doch schräg. Ein Kapitel zu Reimann besteht in einem Brief, den Würfel ihr während eines Aufenthalts in Istanbul schreibt. In diesem Brief erzählt sie Reimann einerseits von sich selbst, andererseits rekonstruiert sie Reimanns Leben in einer Dialogform, die einseitig bleiben muss. Diese Heldinnenanrufung beruht zwar auf einer sehr guten Kenntnis der Literatur von Wander, Reimann und Wolf. Mit größtem Aplomb geht Würfel aber immer dann vor, wenn es um das Gefühls- und Liebesleben von „Maxie“, „Brigitte“ und „Christa“ geht. Allein die Tatsache, dass Würfel die drei meist nur mit ihren Vornamen auftauchen lässt (die Kapitelüberschriften bestehen meist nur aus den Namen und einer Ortsangabe), weist auf ein Nahverhältnis hin, von dem man sich auch als Leserin unangenehm berührt fühlen kann.
Bei Würfel ist schon im Titel angelegt, dass die drei Frauen bis in ihr Unbewusstes begleitet oder gar verfolgt werden, immer mit dem Ziel, sie möglichst gegenwärtig erscheinen zu lassen. Letztlich leben sie dadurch aber viel weniger, als wenn sie in all dem gesehen würden, was sie uns fremd erscheinen lassen muss.
In einem sehr persönlichen Nachwort schreibt Würfel, dass es Maxie Wanders „Guten Morgen, du Schöne“ war, das sie selbst zu ihrer Arbeit inspirierte, jedoch auch Vademecum zur gelungenen Lebensführung für sie war: „Kein Buch zieht sich so leuchtend durch unsere Familiengeschichte und wird seit Jahrzehnten wie ein wertvolles Schmuckstück weitergegeben.“ Das ist sehr anrührend, führt aber auch zu einer einseitigen Übersteuerung des Buches, in dem sich vor allem Würfel drei Autorinnen zurechtträumt. Das liest sich gut genug – aber ob man Wolf, Wander und Reimann damit auch als Literatinnen gerecht wird, ist eine andere Frage.
Es geht darum, Elemente zu
finden, die den feministischen
Diskurs heute noch bestimmen
Carolin Würfel:
Drei Frauen träumten
vom Sozialismus.
Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf. Hanser Berlin,
München 2022.
269 Seiten, 23 Euro.
Christa Wolf übernahm früh hohe Ämter in der DDR-Literaturbürokratie.
Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Carolin Würfel spürt den Leben von Christa
Wolf, Maxie Wander und Brigitte Reimann
nach – und kommt ihnen dabei extrem nah
VON HANNA ENGELMEIER
Welche Voraussetzungen muss man haben, um vom Sozialismus zu träumen? Je nachdem, wen man um eine Antwort bittet, könnte diese lauten, dass man sich dazu nur den aktuellen Zustand des Kapitalismus anschauen müsse, oder dass ideologische Verblendung günstig wäre. Als Ulknudel könnte man auch zurückfragen, ob mit „träumen“ auch Albträume gemeint sind.
Carolin Würfel geht in ihrem Buch „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ diesem Traum im Modus des Biografischen nach. Das Dreierporträt der Schriftstellerinnen Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf beginnt gleich mit der Szene einer Bekehrung. Christa Wolf, Jahrgang 1929, die als Kind noch dem Bund Deutscher Mädel angehörte, stellt sich laut Würfel als Teenager die folgenden Fragen zu ihrer nationalsozialistischen Indoktrinierung: „Wem hatte sie da nur angehangen? An was hatte sie da bloß festgehalten? Und welchen Wert hatte ihr Pflichtbewusstsein? Wo war die Gemeinschaft, die ihr so ein warmes Gefühl im Bauch beschert hatte, auf einmal hin? Wieso fing sie niemand auf? Gestrandet in einem Niemandsland ohne Ziele und ohne Versprechen – brutaler hätte das Aufwachen aus der Ideologie für Christa nicht sein können.“
Eine zentrale Rolle spielte dabei die Lektüre von Anna Seghers’ Roman „Das siebte Kreuz“, der seinen Ausgang bei der Flucht von sieben Häftlingen des Konzentrationslagers Westhofen nimmt. Auch für die beiden anderen Protagonistinnen in Würfels Buch stellt die Literatur das zentrale Erkenntnismedium für politische Zusammenhänge dar – Maxie Wander wächst in den Dreißigern in einem kommunistisch geprägten Elternhaus in Wien auf und wird auch von ihrem Mann Fred Wander, selbst Schriftsteller und KZ-Überlebender, dazu ermutigt, sich als Autorin zu betätigen. Ihr Buch „Guten Morgen, du Schöne“, das 19 Gespräche mit DDR-Bürgerinnen versammelt, ist seit dem ersten Erscheinen 1977 immer wieder neu aufgelegt worden und gilt als feministischer Klassiker. Brigitte Reimann wiederum kam wie Wolf durch Seghers-Lektüre dazu, sich als politische Schriftstellerin zu begreifen. Berühmt wird sie vor allem für ihren Roman „Franziska Linkerhand“, den sie nicht vollenden konnte, da sie 1973 im Alter von nur 39 Jahren an Brustkrebs starb. Auch Wander überlebte die gleiche Erkrankung nicht, ihr Werk musste schmal bleiben.
Würfel widmet sich in ihrem Buch vor allem den Sechzigern, in denen die drei Frauen eine ähnliche Entwicklung durchlaufen: Sie beginnen als „sozialistische Hardlinerinnen“, die wie Wolf danach streben, die DDR an der literarischen Front durch eine breite Etablierung marxistischer Literaturtheorie aufzubauen oder wie Reimann im Hoyerswerdaer Kombinat Schwarze Pumpe arbeiten, um den Bitterfelder Weg („greif zur Feder, Kumpel“) besonders gewissenhaft zu beschreiten. Wander immigrierte mit ihrem Mann aus Österreich in die DDR und lebte wie Wolf in einer Version der bürgerlichen Kleinfamilie mit zwei Kindern, die sie gerade noch mit ihren Vorstellungen einer besseren, postfaschistischen Gesellschaft vereinbaren konnte. Irgendwo muss man damit ja anfangen: warum also nicht in Kleinmachnow, in der Nachbarschaft von Christa Wolf.
Überhaupt spielt Würfels Buch an Orten, die aus BRD-Perspektive als Sehnsuchtsorte überraschen: Reimann wohnte in Hoyerswerda und Neubrandenburg und fand das auch genau richtig so. Wer etwas zu sagen habe, teilte sie in einem ihrer berühmt gewordenen Tagebücher mit, müsse das ja wohl überall tun können. Begegnungen zwischen den drei Autorinnen haben in dem DDR-Schriftstellerzentrum im brandenburgischen Petzow stattgefunden, von Reimann liebevoll „VEB Elfenbeinturm“ genannt – in der Schilderung, wie sich hier ihre Wege kreuzten, verfällt Würfel allerdings in Mutmaßungen.
Reimann gerät bei Würfel zu einer Art Holly Golightly von Hoyerswerda, die nicht zuletzt für ihre Libertinage bekannt war und in der DDR-Literatur schnell zum Star aufstieg. Der Weg Christa Wolfs war eher der einer Funktionärin, die früh hohe Ämter in der Literaturbürokratie übernahm, während Wander, gequält von Selbstzweifeln, in Kleinmachnow saß und ein offenes Haus für all jene Intellektuellen führte, die damit weniger zu kämpfen hatten.
Ein ganzes Kapitel widmet Würfel dem Vorgang um „IM Margarete“, den Wolf nach Ende der DDR selbst öffentlich machte. Die Staatssicherheit hatte versucht, Wolf und ihren Mann als Informanten anzuheuern, Gleiches galt für Wander und ihren Partner. Beide Autorinnen kooperierten, belasteten jedoch ihr Umfeld nicht. Die Akte von Wolf wurde geschlossen, nachdem die Zusammenarbeit schleppend verlaufen war; in der Folge wurde sie selbst bis 1989 bespitzelt. Das Scheitern von Wolfs Hoffnungen auf ein sozialistisches Gesellschaftssystem, in dem sich freie Meinungsäußerung als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen verwirklichen ließe, führte bei Wolf seit den späten Sechzigern zu schweren psychischen Krisen, die Würfel ebenfalls nicht ausspart.
Dabei handelt es sich allerdings auch nicht um eine Information, die Neuigkeitswert hätte. Unter den drei Autorinnen ist Christa Wolf diejenige, deren Leben und Werk am besten aufgearbeitet sind, einerseits durch zahlreiche Selbstzeugnisse, die sie publizierte, andererseits durch eine ganze Reihe von Biografien. Zudem gibt es zu ihrem Schaffen eine umfangreiche Forschungsliteratur. Das unterscheidet sie von Maxie Wander, deren Leben zwar ebenfalls Gegenstand einer (umstrittenen) Biografie geworden ist, deren Werk sich aber nicht nur aufgrund seines Umfangs nicht mit dem von Wolf messen lassen kann. Gleiches gilt für Reimann. Auch zu ihr wurde in den vergangenen beiden Jahrzehnten sehr viel veröffentlicht. Warum also nun ein einziges Buch über das Leben dieser drei Frauen streifen?
Die Freundschaft zwischen ihnen war nicht besonders eng. Christa Wolf wird von Würfel als der ruhende Pol dargestellt, sie versorgte Wander nach dem tragischen Tod von deren Tochter und kümmerte sich um die sterbende Reimann. Diese wiederum kommentiert – eher unterwältigt – erste Entwürfe zu Wolfs „Nachdenken über Christa T.“. Ganz überwältigend ist aber die Zuneigung, die Würfel selbst zu allen drei Autorinnen pflegt. Aus ihrer Begeisterung für die Eigenwilligkeit der drei Frauen erwächst ein eigenes schriftstellerisches Verfahren, das vor allem darin besteht, in den Leben der drei Elemente wiederzufinden, die auch Teile des feministischen Diskurses 2022 noch bestimmen.
Das schlägt sich auch sprachlich nieder. Die familiären Konflikte von Wander und ihrem Mann handeln bei Würfel von „Care Arbeit“, was stimmen mag, aber die Verwendung eines heute, sicher aber nicht 1969 geläufigen Begriffs wirkt doch schräg. Ein Kapitel zu Reimann besteht in einem Brief, den Würfel ihr während eines Aufenthalts in Istanbul schreibt. In diesem Brief erzählt sie Reimann einerseits von sich selbst, andererseits rekonstruiert sie Reimanns Leben in einer Dialogform, die einseitig bleiben muss. Diese Heldinnenanrufung beruht zwar auf einer sehr guten Kenntnis der Literatur von Wander, Reimann und Wolf. Mit größtem Aplomb geht Würfel aber immer dann vor, wenn es um das Gefühls- und Liebesleben von „Maxie“, „Brigitte“ und „Christa“ geht. Allein die Tatsache, dass Würfel die drei meist nur mit ihren Vornamen auftauchen lässt (die Kapitelüberschriften bestehen meist nur aus den Namen und einer Ortsangabe), weist auf ein Nahverhältnis hin, von dem man sich auch als Leserin unangenehm berührt fühlen kann.
Bei Würfel ist schon im Titel angelegt, dass die drei Frauen bis in ihr Unbewusstes begleitet oder gar verfolgt werden, immer mit dem Ziel, sie möglichst gegenwärtig erscheinen zu lassen. Letztlich leben sie dadurch aber viel weniger, als wenn sie in all dem gesehen würden, was sie uns fremd erscheinen lassen muss.
In einem sehr persönlichen Nachwort schreibt Würfel, dass es Maxie Wanders „Guten Morgen, du Schöne“ war, das sie selbst zu ihrer Arbeit inspirierte, jedoch auch Vademecum zur gelungenen Lebensführung für sie war: „Kein Buch zieht sich so leuchtend durch unsere Familiengeschichte und wird seit Jahrzehnten wie ein wertvolles Schmuckstück weitergegeben.“ Das ist sehr anrührend, führt aber auch zu einer einseitigen Übersteuerung des Buches, in dem sich vor allem Würfel drei Autorinnen zurechtträumt. Das liest sich gut genug – aber ob man Wolf, Wander und Reimann damit auch als Literatinnen gerecht wird, ist eine andere Frage.
Es geht darum, Elemente zu
finden, die den feministischen
Diskurs heute noch bestimmen
Carolin Würfel:
Drei Frauen träumten
vom Sozialismus.
Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf. Hanser Berlin,
München 2022.
269 Seiten, 23 Euro.
Christa Wolf übernahm früh hohe Ämter in der DDR-Literaturbürokratie.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Carolin Würfels Buch ist ein persönlicher Essay - und eine besondere Mentalitätsgeschichte. Dieser Titel ist ein toller Wurf. ... Ihre Idee ist so einfach wie brillant ... Dass Carolin Würfel ein so lebendiges Buch aus diesem trüben Stoff gelungen ist, verdankt sich ihrer sehr persönlichen Herangehensweise. ... Ein so origineller wie kluger Beitrag zur deutschen Geschichte." Elke Schmitter, SWR2, 27.11.22
"Ein großes, intimes, literarisches Porträt der DDR-Schriftstellerinnen Brigitte Reimann, Maxie Wander und Christa Wolf. Ein Buch, das klüger macht und mutiger." Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27.11.22
"Wie glänzende Fäden sich zu einem großen Teppich fügen, ist es Carolin Würfel gelungen, entlang ihrer Biografien die Lebensbilder dreier Schriftstellerinnen zu verknüpfen, die in der DDR zu literarischen Ikonen wurden. ... Wie Würfel die drei Frauen, die da vom Sozialismus träumten, ganz und gar zu verstehen sucht, bewundere ich an ihrem Buch." Irmtraud Gutschke, neues deutschland, 26.02.23
"Carolin Würfel betrachtet das Leben und Schreiben dieser drei Frauen mal nicht über ihre Nähe oder Distanz zum Staat, in dem sie lebten. Die Ideologie hat sie nicht interessiert, sondern die Utopie. Auf vorzügliche Weise befreit das den Blick auf diese Frauen. ... Wolf, Reimann und Wander, drei die vom Sozialismus träumten. Anhand von eigentlich bekannten Quellen, Tagebüchern, Briefen, erzählt dieses Buch den Kosmos dieser drei Frauen noch einmal, überraschend neu." Anett Friedrich, MDR artour, 10.11.22
"Großartiges Schriftstellerinnen- und DDR-Porträt von Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf" Antonia Baum, Die Zeit, 17.11.22
"Gut nachvollziehbar erklärt [Würfel] ihrer Generation, wie Literatur in der DDR funktioniert hat, mit welchen Hoffnungen sie verbunden war, mit welchen Widerständen sie kämpfen musste." Bettina Baltschev, MDR Kultur, 05.10.22
"Würfel versteht es, Vita und Schaffen der drei Autorinnen auf nur 270 Seiten lebendig zu machen." Sabine Kebir, Freitag, 29.09.22
"Carolin Würfel [entwickelt] ein erstaunliches Gespür für die Tragik und das Leiden überzeugter Kommunistinnen dieser Generation." Karim Saab, Märkische Allgemeine Zeitung, 12.10.22
"'Drei Frauen träumten vom Sozialismus' zeigt, wie fortschrittlich und selbstbestimmt dieses Trio der DDR-Literatur war." Oliver Koerner von Gustorf, Donna, 02.02.23
"Carolin Würfels Buch macht ein Stück Zeitgeschichte lebendig." Christian Ruf, Dresdner Neueste Nachrichten, 14.03.23
"Carolin Würfel erzählt in ihren Autorinnenporträts spannend, mit Empathie und viel literarischem Feingefühl." Monika Melchert, Lesart 3/2022
"Ein großes, intimes, literarisches Porträt der DDR-Schriftstellerinnen Brigitte Reimann, Maxie Wander und Christa Wolf. Ein Buch, das klüger macht und mutiger." Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27.11.22
"Wie glänzende Fäden sich zu einem großen Teppich fügen, ist es Carolin Würfel gelungen, entlang ihrer Biografien die Lebensbilder dreier Schriftstellerinnen zu verknüpfen, die in der DDR zu literarischen Ikonen wurden. ... Wie Würfel die drei Frauen, die da vom Sozialismus träumten, ganz und gar zu verstehen sucht, bewundere ich an ihrem Buch." Irmtraud Gutschke, neues deutschland, 26.02.23
"Carolin Würfel betrachtet das Leben und Schreiben dieser drei Frauen mal nicht über ihre Nähe oder Distanz zum Staat, in dem sie lebten. Die Ideologie hat sie nicht interessiert, sondern die Utopie. Auf vorzügliche Weise befreit das den Blick auf diese Frauen. ... Wolf, Reimann und Wander, drei die vom Sozialismus träumten. Anhand von eigentlich bekannten Quellen, Tagebüchern, Briefen, erzählt dieses Buch den Kosmos dieser drei Frauen noch einmal, überraschend neu." Anett Friedrich, MDR artour, 10.11.22
"Großartiges Schriftstellerinnen- und DDR-Porträt von Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf" Antonia Baum, Die Zeit, 17.11.22
"Gut nachvollziehbar erklärt [Würfel] ihrer Generation, wie Literatur in der DDR funktioniert hat, mit welchen Hoffnungen sie verbunden war, mit welchen Widerständen sie kämpfen musste." Bettina Baltschev, MDR Kultur, 05.10.22
"Würfel versteht es, Vita und Schaffen der drei Autorinnen auf nur 270 Seiten lebendig zu machen." Sabine Kebir, Freitag, 29.09.22
"Carolin Würfel [entwickelt] ein erstaunliches Gespür für die Tragik und das Leiden überzeugter Kommunistinnen dieser Generation." Karim Saab, Märkische Allgemeine Zeitung, 12.10.22
"'Drei Frauen träumten vom Sozialismus' zeigt, wie fortschrittlich und selbstbestimmt dieses Trio der DDR-Literatur war." Oliver Koerner von Gustorf, Donna, 02.02.23
"Carolin Würfels Buch macht ein Stück Zeitgeschichte lebendig." Christian Ruf, Dresdner Neueste Nachrichten, 14.03.23
"Carolin Würfel erzählt in ihren Autorinnenporträts spannend, mit Empathie und viel literarischem Feingefühl." Monika Melchert, Lesart 3/2022
»Ein großes, intimes, literarisches Porträt, das klüger macht und mutiger.« Anna Prizkau Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20231129