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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Felicitas Korns Roman "Drei Leben lang"
Alles wird kurz und klein gemacht in diesem Roman, der insgesamt vierzig Kapitel auf dreihundert Seiten bietet. Kaum ist man also jeweils eingestiegen in die jeweiligen Lebensumstände von Michi, King oder Loosi, ist man auch schon wieder beim Nächsten dieser Trias; atemlos spult Felicitas Korn ihre Erzählfäden ab, vom vierzehnjährigen Michi, dessen Eltern einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen sind und der sich selbst und seine jüngere Schwester vor dem Schicksal bewahren will, ins Heim zu kommen, über den Kleinganoven King, der den Ehrgeiz hat, zum Großganoven aufzusteigen, bis zum alkoholgeschädigten Loosi, der gleich zu Beginn eine dramatisch kurze Lebenserwartung attestiert bekommt, aber mit der siebzehnjährigen Sanni aus der Therapiegruppe noch einmal amourös und auch generell mächtig durchstarten will.
Jeder von ihnen hat seine eigene Sprache - das zweitgrößte Kunststück in "Drei Leben lang", einem Romandebüt, mit dem die 1974 geborene Felicitas Korn anschaulich macht, was eine langjährige Drehbuchautorin fürs Prosaschreiben prädestiniert: durch Erfahrung gewonnene Lebendigkeit der Dialogführung. Für die Erzählerstimmen gilt das allerdings weniger. Hier tut Korn des Guten zu viel, um die jeweils konsequent mit den Akteuren wechselnden Erzählhaltungen zu individualisieren: "Wenn der Alkohol nicht mehr aufs Bremspedal drückt", heißt es da etwa in einem der charakteristisch nervösen Loosi-Kapitel, "gibt der Körper Vollgas. Schweiß aus jeder Pore bis in die Arschritze ist das kleinste Übel. Zitteranfälle bis hin zu Panikattacken sind schon unschöner. Diesmal gipfeln sie in einer plötzlich aufkeimenden Angst, von einer Ente verfolgt zu werden. Echt, das Scheißvieh läuft ihm drei Mal bis in die Klinik hinterher." Oder in einem der adrenalinstrotzenden King-Kapitel: "Und bevor sein scheiß Spiegel ihn wieder vollquatschen kann, haut er ihm mit Karacho seine Faust in die Fresse. Mit lautem Klirren gehen die Scheiben zu Boden. Zwischen seinen Fingern rinnt Blut. Er setzt sich auf sein Bett und denkt nochmals von vorn. Er muss es jetzt durchziehen. Frankfurt ist und bleibt seine Heimat. Hier ist er Mensch, hier will er sein." Schön, dass ein Frankfurter Schlippscher seinen Goethe auch im emotionalen Ausnahmezustand parat hat, aber so richtig glaubt man das dem King - und damit auch seiner Autorin - dann doch nicht.
Ganz anders wie gesagt bei den Dialogen, die die Handlung im Buch mindestens so sehr vorantreiben wie die in die drei Schicksalsfäden eingewobenen spektakulären Ereignisse, die man als Leser sofort szenisch vor Augen hat. Auch weil Korn bisweilen geradezu Regieanweisungen dazwischenschiebt: "Sein Schrei klingt etwas zu mädchenhaft und echot peinlich von den hohen Steinmauern." Bis aufs Peinliche ist hier alles rein technisch, und in der Tat ist "Drei Leben lang" ursprünglich ein Drehbuch gewesen und soll als solches auch noch zu einem Spielfilm werden, aber der ursprünglich für diesen Sommer angesetzte Abschluss der Dreharbeiten dürfte wohl kaum planmäßig vollzogen werden können. Also haben wir es nun länger, als Felicitas Korn sich gedacht haben wird, nur mit dem Roman zu tun.
Was ist jedoch das größte Kunststück, das in ihm vollbracht wird? Es zu verraten, hieße den Clou zu zerstören. Und auch wenn man ihn gar nicht braucht während der Lektüre, macht die späte Erkenntnis seiner Beschaffenheit mehr Freude als alles sonst in "Drei Leben lang", und diese Freude strahlt noch einmal ab auf die Seiten zuvor und setzt deren Schwächen in milderes Licht, weil es plötzlich textimmanente Erklärungen dafür gibt.
Und vor allem: Am Schluss beginnt man zu rätseln, wie dieser Clou denn ins Drehbuch und damit auch in den Film gerettet werden könnte. Was Literatur durch die Ungegenständlichkeit des erzählenden Wortes alles kaschieren kann, muss eine Kamera zeigen, und das beginnt bei so simplen Fragen wie der nach dem Handlungszeitraum der Geschichte, betreffs dessen sich der Roman von Felicitas Korn nie festlegt, während ihr Film allein schon durch den zeitbedingten Wandel seiner Accessoires mehr verraten müsste, als man angesichts der Pointe der Konstruktion wissen dürfte. Wenn denn der Clou der Verfilmung der gleiche wäre wie im Roman! Allein schon der Beantwortung dieser Frage wegen hoffe ich auf Fertigstellung der Filmversion von "Drei Leben lang".
ANDREAS PLATTHAUS
Felicitas Korn: "Drei Leben lang". Roman.
Kampa Verlag, Zürich 2020. 302 S., geb., 22,- [Euro].
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»Felicitas Korn arbeitet mit spannungssteigernden Cliffhangern und wartet am Ende mit einer faust- dicken Überraschung auf. Ein erzählerischer Knalleffekt, über den man nicht das mindeste verraten darf.« Shirin Sojitrawalla / Deutschlandfunk Kultur
»Clever verknüpft sie die Schicksale der drei, Streut Hinweise über das ganze Buch, wie diese Geschichten zusammengehören könnten.« Bianca Schwarz / HR2 Kultur
»Mit feinem Gefühl spürt Felicitas Korn in ihrem Debütroman dem Verlust und den Verletzungen der Kinderseele nach.« Hannoversche Allgemeine
»Ein griffig und vorantreibend erzähltes Sozialdrama mit einer überraschenden Wendung gegen Ende.« Martin Schwarz / Tip Berlin
»Was ist jedoch das größte Kunststück, das in ihm vollbracht wird? Es zu verraten, hieße den Clou zu zerstören.« Andreas Platthaus / Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Heftig, heftig, heftig.« Nico Gutjahr / Webtalkshow
»Virtuos verknüpft Felicitas Korn die Geschichten dreier Leben, die unterschiedlicher kaum sein könnten.« Westfälisches Blatt
»Ein aufregend gut geschriebener Roman.« Alf Mayer / Crimemag