Drift erzählt von der Unmöglichkeit des Schreibens, vom Mysterium der Kreativität, von der Besessenheit, das Jetzt auf dem Papier einfangen zu wollen. Die Erzählerin arbeitet an einem längst überfälligen Roman, verbringt lange Tage zu Hause, streift mit ihrem ruhelosen Terrier Genet durch die Straßen der Nachbarschaft und korrespondiert mit Schriftstellerkolleginnen, die ihre Schreibkrise teilen, ihr aber dennoch nicht helfen können. Sie ist besessen von der Herausforderung, die Gegenwart zu schreiben, die Zeit selbst literarisch zu erfassen. Fasziniert von den Werken von Rainer Maria Rilke, Robert Walser oder Chantal Akerman spaziert sie, fotografiert die Bewohnenden und Streuner ihres Viertels und hält ihre Gedanken in einem gelben Notizbuch fest. Sie will schreiben, aber immer wird sie abgelenkt.Dann wird sie schwanger mit ihrem ersten Kind und dieser Zustand verleiht ihrem Denken und Schreiben plötzlich eine neue Dringlichkeit. Sie findet eine literarische Form für ihre intellektuellen Spaziergänge, eine Sprache, die beschreiben will, »was es heißt, in einem Körper herumzulaufen« und wie es gelingen könnte, die Textur eines Gefühls festzuhalten. Als ihre Tochter zur Welt kommt, beendet sie das Buch und gibt ihm den Titel Drift.»Was ist eine Drift? Vielleicht eine Art Form.«
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»Drift fängt die unruhigen Stillstände, die Anfänge, die Scham, die Freude und Langeweile ein, die zur Schaffung eines Kunstwerks gehören.«
The Paris Review
»Der Roman ist so lebendig wie kaum ein anderer, er vibriert förmlich, denn die Erzählerin reißt ihre Ideen aus der Luft und verwandelt sie in, nun ja, Drifts.«
The Los Angeles Times
The Paris Review
»Der Roman ist so lebendig wie kaum ein anderer, er vibriert förmlich, denn die Erzählerin reißt ihre Ideen aus der Luft und verwandelt sie in, nun ja, Drifts.«
The Los Angeles Times
»Drift fängt die unruhigen Stillstände, die Anfänge, die Scham, die Freude und Langeweile ein, die zur Schaffung eines Kunstwerks gehören.«
The Paris Review
»Der Roman ist so lebendig wie kaum ein anderer, er vibriert förmlich, denn die Erzählerin reißt ihre Ideen aus der Luft und verwandelt sie in, nun ja, Drifts.«
The Los Angeles Times
The Paris Review
»Der Roman ist so lebendig wie kaum ein anderer, er vibriert förmlich, denn die Erzählerin reißt ihre Ideen aus der Luft und verwandelt sie in, nun ja, Drifts.«
The Los Angeles Times
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Gisa Funck liest mit "Drift" ein "unmögliches Buch", das Zeugnis eines Scheiterns, doch dieses Scheitern ist hochspannend! Einen autobiografischen Roman soll die Erzählerin Kate Zambreno schreiben, lesen wir. Doch die Autobiografie, die immer Autofiktion, immer Selbstkonstruktion ist, interessiert Zambreno gerade nicht. Statt zu konstruieren, die Illusion eines Ichs und seiner Geschichte zu schaffen, will sie lieber dekonstruieren, indem sie die Brüche und Lücken ihrer Erzählung, die ihr Ich ist, ausleuchtet, so Funck. "Driften" - so lautet das Programm, sich treiben lassen, Zufälle, Begegnungen, Gedankengänge - Reflexionen über die Bedeutung von Kunst im Allgemeinen und im Speziellen, für die Gesellschaft und für sich selbst, aber auch die banalsten Sorgen und Beobachtungen - literarisch festhalten, in all ihrer Gleichzeitigkeit und Ambivalenz: Unmöglich, wie sie bald feststellen muss. Doch es ist der Versuch, der zählt, meint die Rezensentin, der Versuch, der Literatur ist, der Dekonstruktion ist. Nur selten ist die Direktheit und Schamlosigkeit, mit der Zambreno auch von privaten Konflikten, von Geldsorgen, Neid, Versagensängsten usw. berichtet, der Rezensentin etwas "allzu intim". Im fragmentarischen Großen und Ganzen jedoch bietet dieses Buch eine faszinierend offene, anregende Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2024Sommer in Brooklyn
Der Tagebuch-Roman „Drift“ der New Yorker Schriftstellerin Kate Zambreno
gibt sich intim, privat, alltäglich – und ist gerade deshalb hochpolitisch.
Vielleicht kann man sich die Art, wie die US-Schriftstellerin Kate Zambreno schreibt, am besten wie einen schnüffelnden Hund vorstellen, der einer Spur folgt. Körperlich, gegenwärtig, intuitiv und abstrakt, so geht es durch dieses Buch, das als Roman deklariert ist und etwas Skizzenhaftes hat. Wie der Ouroboros, das Bildsymbol einer sich in den Schwanz beißenden Schlange, ist es aus lauter Notizen konstruiert, die sich der Roman einverleibt. Bis zum Schluss bleibt der Werdegang des Schreibens sichtbar, in seiner ganzen Prekarität, in den Zweifeln, der Panik zu scheitern. Und es ist ein Wunder, dass das am Ende aufgeht. Verblüfft hält man ein kontemplatives Kunstwerk in Händen, obwohl das Ich, das im Zentrum steht, sich unablässig selbst sabotiert.
Üblicherweise werden literarische Tagebücher erst posthum gelesen und gehören auch nur dann zum Korpus des Werks, wenn das Werk selbst längst kanonisiert ist. „Drifts“, im US-Original steht der Titel im Plural, aber ist der in der Ich-Form geschriebene Roman, der die Übergänge zwischen Tagebuch, Notizheft und dem, was man mittlerweile Autofiktion nennt, erkundet. „Drift ist meine Phantasie eines biographischen Texts über nichts“, so Zambreno. Der Roman umfasst ungefähr eineinhalb Jahre, vom Sommer 2015 bis Dezember 2016. Trumps „Make America Great Again“-Kampagne bildet den Hintergrund, mitsamt der dazugehörigen „Politik-Depression“. Bis auf eine Fahrt quer durchs Land, spielt er vor allem in Brooklyn, mehr oder weniger in der Nachbarschaft der Schriftstellerin, die Spaziergänge mit ihrem Hund unternimmt und gelegentlich nach Upstate New York oder zum Unterrichten nach Manhattan fährt.
Der Alltag ist von Lesen und Schreiben geprägt. John, ihr Mann, arbeitet im Museum. Oft sitzt sie auf der Veranda im Kreis von Büchern, das Notizheft auf dem Schoß, den Hund neben sich. Die Lektüren und Filme, beispielsweise von Chantal Akerman, haben ungefähr den gleichen Rang wie Erlebnisse im Alltag und auf Spaziergängen. Rilke sind längere Passagen gewidmet, es scheint sich um ein Essay-Projekt zu handeln, das nun Einlass in den Roman findet. Als Gewährsmann für die Ästhetik des Kleinen und die spezielle Wahrnehmungsweise des Spazierengehens läuft Robert Walser durch den Text. Kafka hat nicht zuletzt mit seinem einzig verbürgten ekstatischen Schreibfluss einen Aufritt, als er in einer Nacht „Das Urteil“ schrieb. Und natürlich sind W. G. Sebald und Roland Barthes Referenzen, wie bei ihnen durchziehen Fotos und Abbildungen das Buch.
Alles ist in ein Muster von Ritualen und Wiederholungen eingepasst. Die Jahreszeiten spielen eine wichtige Rolle: Der Sommer mit seiner Hitze und Trägheit und dem Gefühl selbstbestimmter Zeit, die das Ich vielleicht genießen könnte, wenn es sich nicht ständig getrieben fühlen würde vom Wunsch und der Verpflichtung, endlich das Buch fertig zu bekommen, für das es vor Jahren einen Vertrag unterschrieben hat. Der Lektor verlässt den Verlag, eine neue Lektorin kommt. Glücklicherweise glaubt auch sie an „Drifts“. Im Herbst beginnen die Seminare, die Fahrten mit der Bahn in die Universität, das Gefühl, für die Studierenden eher eine „erschöpfte Sozialarbeiterin“ zu sein als eine Dozentin, die Creative Writing unterrichtet. Der schlecht dotierte Job verschärft die prekäre Situation eher noch. Als Schriftstellerin, die schon einige Bücher geschrieben hat, aber nicht bekannt genug ist, um davon leben zu können, darf sie die Büros der fest angestellten Professorinnen in deren Abwesenheit nutzen. Aber man zeigt ihr, dass sie nicht dazugehört.
Der Körper spielt eine große Rolle. Starke Menstruationsblutungen, die sie in den unpassendsten Momenten heimsuchen, werden ebenso notiert wie Masturbationsszenen, bevorzugt bäuchlings auf dem Bett, während Genet, der schwarze Terrier, zusieht und ihr Bein rammelt, was er überhaupt gern zu tun scheint. Wie kann man die Gegenwart einfangen, den Alltag, das Banale, das Verfließen der Zeit? Und wie geht man mit den Verlockungen des Internets um, mit Mails, der ständigen Präsenz von Smartphones und sozialen Medien?
Zambreno zeigt den ewigen Kampf in seiner speziellen Komik. Das bewusste Ausschalten der Mail-Funktion während des Schreibens, das Aufweichen asketischer Regeln zur Körperertüchtigung und Online-Disziplinierung. Der zum Scheitern verurteilte Versuch, mit befreundeten Schriftstellerinnen online zu kommunizieren und sich dabei nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Mal ist die andere zu deprimiert, mal zu euphorisch, oder man verabredet sich eigens zum Chatten und die Freundin sagt in letzter Minute ab.
Spazierengehen und Notizen machen sind Formen, sich der eigenen Existenz zu versichern. Selbst die Absagen, die sie für das Buch über ihre Mutter erhält, werden verzeichnet. „Book of Mutter“ erscheint dann 2017 und kam letztes Jahr auf Deutsch heraus, ebenfalls in der Übersetzung der Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger. Kisten über Kisten, Notizbücher über Notizbücher muss Zambreno gesammelt haben, bis sie sich traute, daraus das Werk über ihre früh verstorbene Mutter zu destillieren. Den Umschlag von „Mutter (Ein Gemurmel)“ schmückt eine Zeichnung von Louise Bourgeois, deren ästhetisches Verfahren sich die Schriftstellerin anverwandelt: „I Do, I Undo, I Redo“. Auch die Mutter hat ein Notizbuch geführ. Nach ihrer Krebsdiagnose notiert sie dort den ungeheuerlichen Satz: „Das ganze vertraute Leben verloren.“
„Revisionsproblem“ nennt Hektor Haarkötter, der ein Buch über „Notizzettel“ geschrieben hat, die Schwierigkeit, das Notierte wiederzufinden und in einem anderen Kontext weiterzuverarbeiten. Die meisten Schreibenden, so der Kommunikationswissenschaftler, umgehen das Problem, indem sie Heft für Heft füllen. Zambreno schildert in „Drift“, wie sie die schwarzen Notizhefte, die sich „wie Grabsteine reihenweise ansammeln“, mit kanariengelben ergänzt, um sich stimmungsmäßig mit dem neuen Projekt zu verbinden. Die Struktur der Einverleibung, die sie für den Roman gefunden hat, ist eine geniale Lösung. „Wir leben in sehr fragmentierten Zeiten“, hat Zambreno einmal gesagt. „Ich glaube an das Fragment und das Notizbuch.“ Die 1977 in Illinois geborene Schriftstellerin leitet ihren Wunsch zu schreiben auch von ihrer Herkunft ab, in der Kunst und Literatur keine Rolle gespielt hätten. Ihrer Mutter hat sie ein atmendes Denkmal gesetzt. Am Ende von „Drift“ wird sie selbst Mutter. Wie Maggie Nelson und Leslie Jamison, wie Leanne Shapton, Sheila Heti und Miranda July, wie Siri Hustvedt und Sigrid Nunez wird auch Zambreno mit ihrem zehn Bücher umfassenden Werk dazu beitragen, den literarischen Kanon zu verändern. „Ich denke – und sehe – mit meinem Notizheft“, schreibt sie in „Drift“. Der Satz könnte von Paul Valéry stammen, der mit seinen „Cahiers“ auf der Suche nach einer neuen Form des Denkens war.
MEIKE FESSMANN
Kate Zambreno: Drift. Aus dem Englischen von Dorothee Elmiger. AKI-Verlag, Zürich 2024.
320 Seiten, 26 Euro.
„Ich denke – und sehe – mit meinem Notizheft“: die amerikanische Schriftstellerin Kate Zambreno.
Foto: Heather Sten / Aki
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Tagebuch-Roman „Drift“ der New Yorker Schriftstellerin Kate Zambreno
gibt sich intim, privat, alltäglich – und ist gerade deshalb hochpolitisch.
Vielleicht kann man sich die Art, wie die US-Schriftstellerin Kate Zambreno schreibt, am besten wie einen schnüffelnden Hund vorstellen, der einer Spur folgt. Körperlich, gegenwärtig, intuitiv und abstrakt, so geht es durch dieses Buch, das als Roman deklariert ist und etwas Skizzenhaftes hat. Wie der Ouroboros, das Bildsymbol einer sich in den Schwanz beißenden Schlange, ist es aus lauter Notizen konstruiert, die sich der Roman einverleibt. Bis zum Schluss bleibt der Werdegang des Schreibens sichtbar, in seiner ganzen Prekarität, in den Zweifeln, der Panik zu scheitern. Und es ist ein Wunder, dass das am Ende aufgeht. Verblüfft hält man ein kontemplatives Kunstwerk in Händen, obwohl das Ich, das im Zentrum steht, sich unablässig selbst sabotiert.
Üblicherweise werden literarische Tagebücher erst posthum gelesen und gehören auch nur dann zum Korpus des Werks, wenn das Werk selbst längst kanonisiert ist. „Drifts“, im US-Original steht der Titel im Plural, aber ist der in der Ich-Form geschriebene Roman, der die Übergänge zwischen Tagebuch, Notizheft und dem, was man mittlerweile Autofiktion nennt, erkundet. „Drift ist meine Phantasie eines biographischen Texts über nichts“, so Zambreno. Der Roman umfasst ungefähr eineinhalb Jahre, vom Sommer 2015 bis Dezember 2016. Trumps „Make America Great Again“-Kampagne bildet den Hintergrund, mitsamt der dazugehörigen „Politik-Depression“. Bis auf eine Fahrt quer durchs Land, spielt er vor allem in Brooklyn, mehr oder weniger in der Nachbarschaft der Schriftstellerin, die Spaziergänge mit ihrem Hund unternimmt und gelegentlich nach Upstate New York oder zum Unterrichten nach Manhattan fährt.
Der Alltag ist von Lesen und Schreiben geprägt. John, ihr Mann, arbeitet im Museum. Oft sitzt sie auf der Veranda im Kreis von Büchern, das Notizheft auf dem Schoß, den Hund neben sich. Die Lektüren und Filme, beispielsweise von Chantal Akerman, haben ungefähr den gleichen Rang wie Erlebnisse im Alltag und auf Spaziergängen. Rilke sind längere Passagen gewidmet, es scheint sich um ein Essay-Projekt zu handeln, das nun Einlass in den Roman findet. Als Gewährsmann für die Ästhetik des Kleinen und die spezielle Wahrnehmungsweise des Spazierengehens läuft Robert Walser durch den Text. Kafka hat nicht zuletzt mit seinem einzig verbürgten ekstatischen Schreibfluss einen Aufritt, als er in einer Nacht „Das Urteil“ schrieb. Und natürlich sind W. G. Sebald und Roland Barthes Referenzen, wie bei ihnen durchziehen Fotos und Abbildungen das Buch.
Alles ist in ein Muster von Ritualen und Wiederholungen eingepasst. Die Jahreszeiten spielen eine wichtige Rolle: Der Sommer mit seiner Hitze und Trägheit und dem Gefühl selbstbestimmter Zeit, die das Ich vielleicht genießen könnte, wenn es sich nicht ständig getrieben fühlen würde vom Wunsch und der Verpflichtung, endlich das Buch fertig zu bekommen, für das es vor Jahren einen Vertrag unterschrieben hat. Der Lektor verlässt den Verlag, eine neue Lektorin kommt. Glücklicherweise glaubt auch sie an „Drifts“. Im Herbst beginnen die Seminare, die Fahrten mit der Bahn in die Universität, das Gefühl, für die Studierenden eher eine „erschöpfte Sozialarbeiterin“ zu sein als eine Dozentin, die Creative Writing unterrichtet. Der schlecht dotierte Job verschärft die prekäre Situation eher noch. Als Schriftstellerin, die schon einige Bücher geschrieben hat, aber nicht bekannt genug ist, um davon leben zu können, darf sie die Büros der fest angestellten Professorinnen in deren Abwesenheit nutzen. Aber man zeigt ihr, dass sie nicht dazugehört.
Der Körper spielt eine große Rolle. Starke Menstruationsblutungen, die sie in den unpassendsten Momenten heimsuchen, werden ebenso notiert wie Masturbationsszenen, bevorzugt bäuchlings auf dem Bett, während Genet, der schwarze Terrier, zusieht und ihr Bein rammelt, was er überhaupt gern zu tun scheint. Wie kann man die Gegenwart einfangen, den Alltag, das Banale, das Verfließen der Zeit? Und wie geht man mit den Verlockungen des Internets um, mit Mails, der ständigen Präsenz von Smartphones und sozialen Medien?
Zambreno zeigt den ewigen Kampf in seiner speziellen Komik. Das bewusste Ausschalten der Mail-Funktion während des Schreibens, das Aufweichen asketischer Regeln zur Körperertüchtigung und Online-Disziplinierung. Der zum Scheitern verurteilte Versuch, mit befreundeten Schriftstellerinnen online zu kommunizieren und sich dabei nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Mal ist die andere zu deprimiert, mal zu euphorisch, oder man verabredet sich eigens zum Chatten und die Freundin sagt in letzter Minute ab.
Spazierengehen und Notizen machen sind Formen, sich der eigenen Existenz zu versichern. Selbst die Absagen, die sie für das Buch über ihre Mutter erhält, werden verzeichnet. „Book of Mutter“ erscheint dann 2017 und kam letztes Jahr auf Deutsch heraus, ebenfalls in der Übersetzung der Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger. Kisten über Kisten, Notizbücher über Notizbücher muss Zambreno gesammelt haben, bis sie sich traute, daraus das Werk über ihre früh verstorbene Mutter zu destillieren. Den Umschlag von „Mutter (Ein Gemurmel)“ schmückt eine Zeichnung von Louise Bourgeois, deren ästhetisches Verfahren sich die Schriftstellerin anverwandelt: „I Do, I Undo, I Redo“. Auch die Mutter hat ein Notizbuch geführ. Nach ihrer Krebsdiagnose notiert sie dort den ungeheuerlichen Satz: „Das ganze vertraute Leben verloren.“
„Revisionsproblem“ nennt Hektor Haarkötter, der ein Buch über „Notizzettel“ geschrieben hat, die Schwierigkeit, das Notierte wiederzufinden und in einem anderen Kontext weiterzuverarbeiten. Die meisten Schreibenden, so der Kommunikationswissenschaftler, umgehen das Problem, indem sie Heft für Heft füllen. Zambreno schildert in „Drift“, wie sie die schwarzen Notizhefte, die sich „wie Grabsteine reihenweise ansammeln“, mit kanariengelben ergänzt, um sich stimmungsmäßig mit dem neuen Projekt zu verbinden. Die Struktur der Einverleibung, die sie für den Roman gefunden hat, ist eine geniale Lösung. „Wir leben in sehr fragmentierten Zeiten“, hat Zambreno einmal gesagt. „Ich glaube an das Fragment und das Notizbuch.“ Die 1977 in Illinois geborene Schriftstellerin leitet ihren Wunsch zu schreiben auch von ihrer Herkunft ab, in der Kunst und Literatur keine Rolle gespielt hätten. Ihrer Mutter hat sie ein atmendes Denkmal gesetzt. Am Ende von „Drift“ wird sie selbst Mutter. Wie Maggie Nelson und Leslie Jamison, wie Leanne Shapton, Sheila Heti und Miranda July, wie Siri Hustvedt und Sigrid Nunez wird auch Zambreno mit ihrem zehn Bücher umfassenden Werk dazu beitragen, den literarischen Kanon zu verändern. „Ich denke – und sehe – mit meinem Notizheft“, schreibt sie in „Drift“. Der Satz könnte von Paul Valéry stammen, der mit seinen „Cahiers“ auf der Suche nach einer neuen Form des Denkens war.
MEIKE FESSMANN
Kate Zambreno: Drift. Aus dem Englischen von Dorothee Elmiger. AKI-Verlag, Zürich 2024.
320 Seiten, 26 Euro.
„Ich denke – und sehe – mit meinem Notizheft“: die amerikanische Schriftstellerin Kate Zambreno.
Foto: Heather Sten / Aki
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