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Zala, eine junge slowenische Erzieherin, bringt ein Kind auf die Welt, beiden geht es gut. Wäre da nicht dieser kleine bürokratische Fallstrick: Im Computerverzeichnis ist Zala nicht zu finden. Ein Softwareproblem? Innerhalb kürzester Zeit nimmt die Realität kafkaeske Dimensionen an: Auf einmal ist Zala eine Fremde, und der Kampf um ihr Kind beginnt ... Eine Geschichte mit sehr realem Hintergrund: 1991 wurden 25.000 Einwohner Sloweniens, in der "falschen" Region geboren, einfach aus den Registern gelöscht. Sie waren damit rechtlos, fielen mit der Auslöschung aus allen Absicherungen heraus. Die…mehr

Produktbeschreibung
Zala, eine junge slowenische Erzieherin, bringt ein Kind auf die Welt, beiden geht es gut. Wäre da nicht dieser kleine bürokratische Fallstrick: Im Computerverzeichnis ist Zala nicht zu finden. Ein Softwareproblem? Innerhalb kürzester Zeit nimmt die Realität kafkaeske Dimensionen an: Auf einmal ist Zala eine Fremde, und der Kampf um ihr Kind beginnt ... Eine Geschichte mit sehr realem Hintergrund: 1991 wurden 25.000 Einwohner Sloweniens, in der "falschen" Region geboren, einfach aus den Registern gelöscht. Sie waren damit rechtlos, fielen mit der Auslöschung aus allen Absicherungen heraus. Die Bürokratie übernahm die Rolle von Maschinengewehren. Bei der preisgekrönten Verfilmung "Erased" (2018) führte Miha Mazzini selbst Regie.
Autorenporträt
Miha Mazzini, geboren 1961, ist ein slowenischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Mazzinis Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bisher erhielt er knapp dreißig Auszeichnungen für sein literarisches und filmisches Werk. 2018 entstand die Doku-Fiction "Erased".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.10.2021

Die
Auslöschung
1992 verschwanden 25 000 Slowenen aus allen
Registern. Ein Gespräch mit Miha Mazzini über
seinen beeindruckenden Roman „Du existierst nicht“
INTERVIEW: ALEX RÜHLE
Mai 1992. Eine hochschwangere Slowenin geht in Ljubljana in die Klinik und erfährt dort, dass sie nicht im Melderegister steht; nach der Entbindung wird ihr das Kind weggenommen, es soll zur Adoption freigegeben werden. Miha Mazzinis Roman „Du existiert nicht“ ist eine ziemlich verstörende Leseerfahrung. Weil man einfach nicht glauben kann, was darin erzählt wird, zwar in fiktionalisierter Form, aber vor dem Hintergrund einer historischen Tatsache: 1992 verschwanden tausende Sloweninnen und Slowenen aus allen Einwohnermeldeämtern, Krankenversicherungen, Grundbucheinträgen. Es gab sie nicht mehr. Das Ganze klingt so verrückt, dass da schon während des Lesens der Wunsch entstand, den Autor anzurufen.
SZ: Herr Mazzini, Ihr Buch heißt im Original „Izbrisana“, die Ausgelöschten. Ist das der Ausdruck, mit dem in Slowenien all diese Menschen bezeichnet wurden?
Miha Mazzini: Offiziell wurde überhaupt nicht über diese Menschen gesprochen, weil es sie ja gar nicht mehr gab, aber wenn die Rede darauf kam, munkelten alle immer von den „Ausgelöschten“.
Wer sind die Ausgelöschten?
25 671 Sloweninnen und Slowenen, die am 26. Februar 1992 stillschweigend aus allen Registern gelöscht wurden. Slowenien hatte sich gerade erst gegründet, der Rest Jugoslawiens versank im Bürgerkrieg. Die Regierung beschloss, das Einwanderungsgesetz zu ändern. All jene Menschen, die in anderen Teilen Jugoslawiens geboren waren, aber hier lebten, mussten einen Einwanderungsantrag stellen. An besagtem Tag im Februar wurden alle, die dieses Formular nicht ausgefüllt hatten, einfach gelöscht.
In Ihrem Buch kommt Zala, die Hauptfigur, hochschwanger ins Krankenhaus und erfährt dort, dass es sie nicht gibt. Beruht das auf einer wahren Geschichte?
Zala ist eine fiktionale Figur, aber das ist tatsächlich einigen Schwangeren passiert. Diese Frauen mussten die Geburt und ihre Nachversorgung dann in bar bezahlen. Sie hatten natürlich lebenslang Krankenversicherung gezahlt, aber jemand, der nicht existiert, hat auch keine Versicherung mehr. Weshalb sie sich regelrecht freikaufen mussten. Andere erfuhren bei einer Verkehrskontrolle, dass sie inexistent sind, auf dem Einwohnermeldeamt oder auf dem Grundbuchamt…
Warum haben diese 25 000 Menschen vorher nicht den Einwanderungsantrag gestellt? Es gab doch eine Frist.
Zum Einen war das nie richtig kommuniziert worden. Und die meisten kapierten gar nicht, dass sie das überhaupt betrifft.
Die Heldin Ihres Romans ist in einer serbischen Kleinstadt geboren, kam aber schon als kleines Kind nach Slowenien. Ist das ein Extremfall?
Ach was, es gab viel absurdere Fälle. Als ich den Roman verfilmt hatte, kam nach der Premiere eine Frau zu mir, die zu jugoslawischen Zeiten in einem slowenischen Küstendorf nahe der kroatischen Teilrepublik lebt. Sie hatte gehört, dass das Krankenhaus in Kroatien besser sei und deshalb dort ihren Sohn geboren. Zwei Tage später fuhr sie wieder heim, es gab ja keine Grenze, das Ganze passierte in den siebziger Jahren. Als ihr Sohn dann mit 14 ans Gymnasium wollte, teilte die Schulbehörde den Eltern mit, dass der Junge nicht existiert. Stellen Sie sich das mal vor, der angeblich illegal eingewanderte biologische Sohn zweier slowenischer Eltern war aus allen Registern verschwunden.
Insgesamt zwei Prozent der Bevölkerung fanden sich plötzlich im rechtlichen Niemandsland wieder. Wie haben die in Slowenien weitergelebt?
Na, die in Slowenien bleiben konnten, hatten ja schonmal Glück. Da war dieser Mann. Verabschiedet sich morgens von seiner Familie, um zur Arbeit zu fahren, steigt in sein Auto und fährt in eine Radarfalle. Die Polizei kontrolliert seine Papiere. Aha, der ist nicht in unserer Datenbank, ein illegaler Einwanderer aus Restjugoslawien, und schiebt ihn über die kroatische Grenze ab. Das Ganze passierte mitten im serbisch-kroatischen Krieg. Da der Mann in Serbien geboren war, steckten ihn die kroatischen Grenzer sofort in eines der serbischen Kriegsgefangenenlager. All das passierte innerhalb eines Tages, Kafka hätte sich das nicht besser ausdenken können. Viele „Kroaten“ wurden direkt an die Front geschickt. Einige haben diesen Irrsinn nicht überlebt.
Weil sie im Krieg starben?
Auch. Aber auch hier in Slowenien sind Menschen gestorben, sie konnten ja nicht mehr zum Arzt. Jedenfalls nicht offiziell. Ein befreundeter Arzt erzählte, dass immer wieder andere Patienten mit ein und derselben Versichertenkarte bei ihm auftauchten. Da lieh eben ein hilfsbereiter Slowene verschiedenen Ausgelöschten seine Karte. Es gab solche Solidarität. Andere aber nutzten die Situation brutal aus, wechselten die Schlösser ihrer slowenischen Nachbarn aus und sagten ihnen abends, hier lebe ich jetzt, geh doch zur Polizei. Genau das konnten sie nicht mehr, die Ausgelöschten waren vogelfrei.
Warum gab es damals keinerlei Proteste?
Das Ganze passierte völlig lautlos. Jeder, dem das widerfuhr, dachte für sich, mit ihm stimmt was nicht.
Aber das Ganze ist doch eine albtraumhaft massive Menschenrechtsverletzung, nicht gegen Einzelne, sondern gegen tausende eigene Bürger. Wurde das nie innenpolitisches Thema?
Die erste rechtskonservative Regierung war 1992 nur drei Monate am Ruder. Die linke Nachfolgeregierung machte mit dem Programm einfach weiter. So haben sich gleich zu Beginn alle damit beschmutzt. Später kam dann bei all diesen Politikern die Angst: Wenn wir denen ihre Rechte zurückgeben, verklagen sie uns, schließlich haben sie alles verloren, Wohnung, Job, Konto. Wer aber keine Rechte hat, kann auch nicht klagen. Also lassen wir es, wie es ist. Die 25 671 sind übrigens die offizielle Zahl der Regierung, wahrscheinlich wurden damals viel mehr Menschen gelöscht.
Wie hat sich die Regierung denn verteidigt?
Ein Satz hat mich besonders empört. Unser aktueller Ministerpräsident Janez Janša tat das Ganze ab mit dem Argument: „Wir haben ja nur ein paar Putzfrauen gelöscht.“ Zum Einen stimmt es nicht. Vor allem aber ist es genau die Aufgabe des Staates, ärmere Menschen wie Putzfrauen zu schützen, die Reichen können selbst für ihr Rechte kämpfen.
Was war eigentlich der ursprüngliche Grund für die Auslöschung?
Rassismus. Janez Drnovšek, einer unserer Ministerpräsidenten sagte gern: „Wir sind Europa, wir sind nicht der Balkan.“ Eine populäre Theorie besagte, dass wir eigentlich von den Venetern abstammen und nichts mit all diesen Slawen zu tun haben. Also wollte man möglichst viele Menschen aus Bosnien, Kroatien etc. nach der Unabhängigkeit loswerden.
Wie haben diese Menschen überlebt?
Sie mussten sich verstecken. Oder auswandern. Ich habe von einem Mann gelesen, der drei Jahre lang nicht seine Wohnung verließ.
In Ihrem Buch gibt es immerhin insofern ein Happy End, als Zala ihr Kind zurückbekommt. Wie ging das Ganze für all die echten Ausgelöschten aus?
Gar nicht. Sie warten bis heute auf eine wirkliche Entschädigung.
Aber das slowenische Verfassungsgericht urteilte doch schon 1999, dass das Gesetz zur Auslöschung verfassungswidrig war. War der Albtraum da nicht vorbei?
Nein. Es ist trotzdem nichts passiert.
Sie vergleichen die Schuld im Roman mit einem Schimmelpilz, der sich bis in die hintersten Winkel eines Hauses ausgebreitet hat. Aber die normalen Slowenen konnten ja nichts dafür, oder?
2004 wurde ein Referendum angesetzt zur Regelung der Rechte der Ausgelöschten. Es gab dann im Vorfeld viel Propaganda über diese vermeintlichen Feinde des Staates und eine sehr niedrige Wahlbeteiligung, Von denen, die hingingen, stimmten 94 Prozent gegen eine Entschädigung der Ausgelöschten. Erst hatten die Politiker die falsche Entscheidung immer weitergetragen, am Ende bekam die Schuld dann durch das Referendum einen Kollektivcharakter.
Wie wurde auf Ihren Roman reagiert?
Er hat sich sehr gut verkauft und wurde in den Bibliotheken häufig ausgeliehen. Aber keine Rezension, nichts. Die wichtigste Überlebenstaktik in einem derart kleinen Land ist das Wegschauen. Mein deutscher Co-Produzent Christoph Thoke sagte während der Dreharbeiten oft: ,Miha, das wird so ein Skandal, ein Empörungstsunami wird über Slowenien hereinbrechen, die Regierung wird sich entschuldigen.’ Ich habe mit ihm um ein Bier gewettet, dass gar nichts passieren wird. Bis heute fragt er: ,Und? Was ist passiert?’ Er schuldet mir immer noch das Bier.
2012 haben mehrere Ausgelöschte einen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt. Sie mussten sich dafür italienische Anwälte besorgen, weil sie keine slowenischen fanden. Das Gericht urteilte, dass die Auslöschung Unrecht war. Hatte das dann endlich Konsequenzen?
Naja, die Regierung erklärte sich daraufhin bereit, 50 Euro für jeden Monat, den diese Menschen gelöscht waren, zu zahlen. Eine Bekannte von mir bekam 4200 Euro, die sie aber mit 50 Prozent versteuern mussten, die Hälfte ging also direkt zurück an den Staat.
Wird denn heute offen über das Thema gesprochen?
Nein. Während der Dreharbeiten zur Verfilmung des Romans kamen mehrere Leute aus dem Team mit der Tatsache um die Ecke, dass sie selbst zu den Ausgelöschten gehörten. Aber immer erst nach einiger Zeit. Und verstohlen, fast schuldbewusst. Das Ganze ist bis heute mit großer Scham behaftet. Wie es in dem alten Punk-Song heißt: „All the world can not be wrong, must be me, who don’t belong.“
Die EU scheint Ihren Worten zufolge sehr weit weg zu sein von Slowenien.
Wenn ein Land seine Unabhängigkeit mit der Auslöschung von zwei Prozent der Bevölkerung beginnt, dann wissen die übrigen 98 Prozent, dass alles passieren kann. Jedem von uns. Die unnormalsten Dinge werden normal. Als wir letztes Jahr einen neuen Umweltminister bekamen, bestand seine erste Amtshandlung darin, sich riesige Aktienpakete einer Erdölfirma unter den Nagel zu reißen. Wenn Du Nachrichten schaust, sagst du dir jeden Abend, ,Moment, das ist verrückt’. Und dieses bedrohlich surreale Gefühl fing mit der Auslöschung an.
„Das Ganze passierte völlig
lautlos. Jeder, dem das
widerfuhr, dachte, mit ihm
stimmt was nicht.“
„Wenn Du Nachrichten
schaust, sagst du dir
jeden Abend: ,Moment,
das ist verrückt‘“
Mit dem Produzenten Christoph Thoke hat er um ein Bier gewettet, dass seine Recherche nichts ändern wird. Bis heute hat er das Bier nicht bekommen: der Autor und Filmemacher Miha Mazzini.
Foto: Matic Kremžar
Miha Mazzini:
Du existierst nicht.
Roman. Aus dem
Slowenischen von
Ann Catrin Bolton.
Edition Converso,
Bad Herrenalb 2021.
320 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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