So unschuldig der Buchumschlag von außen auch wirkt, es geht recht derb zu in Do van Ranst “Dünn”. Es wird gefressen, gewürgt, gerülpst, gekotzt und beinahe vergewaltigt. Die noch minderjährige Fee ist von zu Hause abgehauen. Man begegnet ihr gleich in der ersten Szene in einem Fast-Food Restaurant,
in dem Sie in weniger als 25 Sekunden einen Cheeseburger, eine mittlere Portion Pommes und eine…mehrSo unschuldig der Buchumschlag von außen auch wirkt, es geht recht derb zu in Do van Ranst “Dünn”. Es wird gefressen, gewürgt, gerülpst, gekotzt und beinahe vergewaltigt. Die noch minderjährige Fee ist von zu Hause abgehauen. Man begegnet ihr gleich in der ersten Szene in einem Fast-Food Restaurant, in dem Sie in weniger als 25 Sekunden einen Cheeseburger, eine mittlere Portion Pommes und eine Cola verputzt. Direkt im Anschluss wechselt Sie in ein Nobelrestaurant, in dem Sie 18 Langusten samt fetttriefender Sauce vertilgt. Ihre Frage an den Ober am Ende der Orgie “Bin ich noch dünn?” quittiert dieser mit einem ungläubigen Lächeln. Als Leser runzelt man zum ersten Mal die Stirn und fragt sich, wohin diese Geschichte wohl führt?
Fee ist die Tochter eines berühmten Schauspielers. Während sie durch die fremde Stadt irrt, erfährt man, dass der Vater ein Gesundheitsfanatiker ist, der die Mutter durch seinen Schlankheitswahn in den Tod getrieben hat. Und das deshalb die Tochter nun sofort und so schnell wie möglich dick werden will. Man glaubt dieser unschuldigen Ich-Erzählerin aufs Wort, möchte ihr am liebsten durch die Buchseiten ein dick beschmiertes Butterbrot reichen. Freut sich, dass das Mädchen sich emanzipiert, von einem Vater der nur Magermodels in seiner Umgebung akzeptiert.
Die Essensaufnahme wird allerdings immer unkontrollierter und vor allem so maßlos, dass man sich fragt, wie ein Magen diese Unmengen an Süßem, Fettigem, Salzigen und Alkohol überhaupt bewältigen kann. Do van Ranst spielt lange mit Ungewissheiten und surreal anmutenden Szenen. Fee wandelt wie durch eine Traumwelt. Realität und Phantasie vermischen sich. Mehr als einmal ist unklar, ob die Dinge wirklich so sind wie sie erzählt oder ob sie dem Mädchen nur so scheinen. Die schonungslose Landung im Hier und Jetzt, die der Autor abrupt ans Ende setzt, trifft die Hauptfigur daher genauso hart wie den Leser.
Auch “Dünn” ist, wie alle Do van Ranst Bücher gut geschrieben. Auch hier überzeugt, wie schon in “Wir retten Leben sagt mein Vater” oder “Mütter mit Messern sind gefährlich”, die authentische Sprache und der einfühlsame Blick in die verletzliche Seele eines oder einer Heranwachsenden. Anders als in “Wir retten Leben“ ist die Heldin in “Dünn” jedoch nicht stark, sondern krank.
Daher finde ich den Roman zwiespältig. Das Thema Bulimie aufzugreifen finde ich ungeheuer wichtig, in einer Zeit in der Kinder und Jugendliche (vor allem weibliche) latenter von einer Essstörung bedroht sind als von Drogen oder Alkohol. Umso bedeutsamer hätte ich daher gefunden, zu erfahren wie es zu der Krankheit kommen kann und welche Möglichkeiten es gibt zu helfen bzw. es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Das findet im Buch nicht statt. Hier liegt der Focus auf den Symptomen (siehe oben) nicht bei den Ursachen oder gar der Heilung. Bei Do van Ranst ist das “Kind schon in den Brunnen gefallen” und die Versuche ihm herauszuhelfen wirken halbherzig, hilf- und nutzlos.