Eine meisterhafte Betrachtung Albrecht Dürers und der deutschen Renaissancekunst Die preisgekrönte Kulturhistorikerin Ulinka Rublack erzählt vom entscheidenden Wendepunkt in der Karriere Albrecht Dürers. Und bietet einen faszinierendern Einblick in die Welt von Kunst und Handwerk in einer Epoche, die uns bis heute prägt. 1511 fasst Albrecht Dürer einen radikalen Entschluss: Nachdem er sich mit dem Frankfurter Kaufmann Jacob Heller wegen eines Auftrages zerstritten hat, hört er auf, Altarbilder zu malen, und wendet sich anderen Werken zu. Dieser Konflikt ist dabei wie eine Linse, durch die man die neue Beziehung zwischen Kunst, Sammeln und Handel in Europa bis zum Dreißigjährigen Krieg beobachten kann. Denn mit dem beginnenden 16. Jahrhundert wurde Kunst Teil eines wachsenden Sektors von Luxusgütern und vollzog eine umfassende Kommerzialisierung. Kaufleute und ihre Mentalität waren entscheidend für ihre Verbreitung und Entstehung. »Dürer im Zeitalter der Wunder« entführt uns in die Gedanken- und Gefühlswelten Albrecht Dürers und den Kaufleuten seiner Zeit. Anhand von originalen Schriftstücken, Briefverläufen und Bildern zeichnet Ulinka Rublack eindrucksvoll die Geschichte Dürers, seines Werks und des aufkommenden europäischen Kunst- und Handwerksmarkt nach. Ein völlig neuer Blick auf einen prägenden Künstler und seine Epoche.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Christoph Lüthy hat Ulinka Rublacks Studie mit Interesse gelesen. Die Historikerin untersucht darin, so Lüthy, das neue Verhältnis von Kunstproduktion, Sammelpraxis und Handel, das sich zwischen dem frühen 16. Jahrhundert und dem Dreißigjährigen Krieg (1618-48) entwickelte. Ausgangspunkt des Buches ist Albrecht Dürer, dessen Werke in dieser Zeit zu wertvollen Sammelstücken avancierten. Dürers "Heller-Altar", der bis zu dessen Abbrennen 1724 im Frankfurter Dominikaner-Kloster ausgestellt war, dient ihr als Beispiel dafür, wie der Künstler mit seinen Auftraggebern feilschte und eine völlig neue Selbstvermarktungsstrategie entwickelte, lernt der Rezensent. Auch Kaufmänner und fürstlich engagierte Kunstagenten, die für ihre Herren die größten Raritäten und Luxusgüter erwerben sollten, spielen in Rublacks Darstellung der frühmodernen Kunstwelt eine wichtige Rolle. Eine, so der Kritiker, detaillierte Studie zur Kommerzialisierung der Kunst, die er trotz ihrer Länge empfiehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2024Exquisite Dinge sonder Zahl
Ulinka Rublack stellt Albrecht Dürers Karriere in den Kontext der materiellen Kultur seiner Zeit
Das Buch der in Cambridge lehrenden Historikerin Ulinka Rublack über "Dürer und das Zeitalter der Wunder" stellt die Leser erst einmal vor keine intellektuellen Schwierigkeiten. Die Geschichte fließt dahin. Das Einzige, was dringend gebraucht wird, ist Geduld. Am Ende der langen Erzählung angelangt, die von Dürer ihren Ausgang nimmt und in deren Verlauf er verloren zu gehen scheint und nur manchmal kurz beim Namen gerufen wird, ist es schwer, der Frage auszuweichen, was es mit diesem Buch eigentlich auf sich hat. Hinter der Fülle von Informationen und Materialien, die es ausbreitet, muss etwas nicht Ausgesprochenes liegen, um das es untergründig ging.
Das Buch hat vier Teile, und seine Geschichte erstreckt sich über mehr als ein Jahrhundert. Der erste Teil handelt davon, vor welchen Herausforderungen Albrecht Dürer stand, als er im Auftrag des Frankfurter Kaufmanns Jakob Heller zwischen 1507 und 1509 ein Altarbild über die Himmelfahrt und Krönung Marias für die Dominikanerkirche in Frankfurt malte und wieso er über dieser Arbeit nicht glücklich wurde. Die Briefe, die zwischen dem Künstler und dem Kaufmann gewechselt wurden, zeigen, so Rublack, dass Dürer mit Heller einen historischen Kampf ausfocht. Er wollte als ein Künstler anerkannt werden, der guten Willens war, Zeit, Mühe, Material, Wissen und Freude in ein Kunstwerk zu investieren in der Hoffnung, dass die Anerkennung als Künstler durch den Auftraggeber sich in angemessener Bezahlung ausdrücken werde. Er wurde enttäuscht, auch wenn Heller ihm schließlich mehr Geld für das Altarbild gab als ursprünglich ausgehandelt.
In Dürers Augen war auch dieser Betrag längst nicht hoch genug. Er entschloss sich, seine außergewöhnliche Kunstfertigkeit nicht mehr in den Dienst von unverständigen Kaufleuten zu stellen und lukrativeren Aufgaben nachzugehen, Holzschnitte und Kupferstiche anzufertigen, die sich weiterverbreiten ließen und seinen Ruhm besser befördern würden. An Heller, so schreibt Rublack, habe er Rache geübt, indem er sich, gegen jede Absprache, als Figur auf dem Altarbild unterbrachte und auf diese Weise als Künstler in Szene setzte.
Genützt hat ihm dieser Auftritt nicht. Er wollte zu viel. Aus dem Blickwinkel Rublacks betrachtet, sah es so aus, als hätte Dürer in jenem Kampf um die Anerkennung eines neuen künstlerischen Selbstbewusstseins versucht, mit dem einen Bein aus dem Kreis einer materiellen Kultur zu treten, in der er selbst mit dem anderen Bein, wie seine Zeitgenossen, fest verankert war. Auch er gehörte ja zu denen, die sich intensiv mit den Kräften von Materialien beschäftigten und die Wirkung von Steinen, Stoffen, Pflanzen und Farben erforschten. Die Dinge waren in hohem Grade geheimnisvoll, und es kamen, aus den Schatzkammern der Natur, immer wundersamere hinzu, als die Kaufleute von ihren Reisen in ferne Länder fremde Tiere, Naturalien und Kuriositäten mitbrachten, an denen sich Sammelleidenschaft entzündete. Der sich entfaltende Reichtum der Dinge hielt auch die Künstler fest im Rahmen der materiellen Kultur. Forderten nicht zum Beispiel der Glanz und die Farben neuer Seidenstoffe ihre künstlerischen Fähigkeiten heraus beim Versuch, sie bei Figuren auf Bildern festzuhalten?
Die Kaufleute des aufziehenden globalen Handels avancierten zu einem entscheidenden Entwicklungsmotor der deutschen Kunst und Kultur der Renaissance, deren Höhepunkt die Kuriositätenkabinette waren mit ihren Sammlungen von exquisiten Dingen. Der zweite Teil des Buches handelt deshalb exemplarisch von Hans Fugger, der sich als umtriebiger Kunstliebhaber einen Namen machte, der dritte von Philipp Hainhofer, der als Kunstagent tätig war und enge persönliche Kontakte zu Höfen unterhielt, die er mit erstaunlichen Dingen belieferte. Zu den Herrschern mit Sammelleidenschaft gehörte Maximilian I. von Bayern, in dessen Gemächern, nachdem er sich für die Kunst Albrecht Dürers zu interessieren begonnen hatte, das Heller-Altarbild aus Frankfurt landete. Von der wachsenden Nachfrage nach den Werken Dürers im Dreißigjährigen Krieg berichtet der vierte Teil.
Hunderte von Einzelheiten über den Handel mit Kuriositäten, mit Fellen, Muscheln, Vogelfedern, Stoffen, Blumen, Salben, Säften, Steinen, sind da schon wieder vergessen, denn wer wollte sich das alles merken. Im Gedächtnis haften aber bleibt eine grundlegende Erfahrung, die man unter der Hand machen konnte. Der Leser hat dank Rublack ein Gefühl bekommen für die Macht der Dinge, die sich nicht darin erschöpft, dass Kleider, Stoffe, Farben eine soziale Bedeutung haben, einen symbolischen Wert, wie die Geschichte der Mode zeigt.
Wenn man über die Macht der Dinge anhand dieses Buchs nachdenkt, stößt man auf Probleme, die sich vielleicht noch nicht in Thesen bündeln lassen, sondern besser in einem historischen Modell gezeigt werden mussten. Rublack lässt die formende Kraft der materiellen Kultur unmittelbar bewusst werden. Es geht nicht um die banale Einsicht, dass die materiellen Dinge für die Zeitgenossen eine wichtige Rolle spielen, sondern darum, dass es die Dinge sind, die in einem zentralen Sinne die Menschen machen. Sie prägen ihre Welt- und Selbstdeutung, ihre Kultur und Kunst.
Dürer in den Erfahrungsraum der Dinge und ihrer Kräfte gestellt und den Zusammenhang von Künstler, Kunstliebhaber und Kunstagent aufgezeigt zu haben ist das große Verdienst dieses Buches. Aber, wie schon gesagt, man braucht dafür Geduld. EBERHARD RATHGEB
Ulinka Rublack: "Dürer im Zeitalter der Wunder". Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt.
Aus dem Englischen von N. Dresler. Klett-Cotta
Verlag, Stuttgart 2024.
640 S., Abb., geb., 42,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulinka Rublack stellt Albrecht Dürers Karriere in den Kontext der materiellen Kultur seiner Zeit
Das Buch der in Cambridge lehrenden Historikerin Ulinka Rublack über "Dürer und das Zeitalter der Wunder" stellt die Leser erst einmal vor keine intellektuellen Schwierigkeiten. Die Geschichte fließt dahin. Das Einzige, was dringend gebraucht wird, ist Geduld. Am Ende der langen Erzählung angelangt, die von Dürer ihren Ausgang nimmt und in deren Verlauf er verloren zu gehen scheint und nur manchmal kurz beim Namen gerufen wird, ist es schwer, der Frage auszuweichen, was es mit diesem Buch eigentlich auf sich hat. Hinter der Fülle von Informationen und Materialien, die es ausbreitet, muss etwas nicht Ausgesprochenes liegen, um das es untergründig ging.
Das Buch hat vier Teile, und seine Geschichte erstreckt sich über mehr als ein Jahrhundert. Der erste Teil handelt davon, vor welchen Herausforderungen Albrecht Dürer stand, als er im Auftrag des Frankfurter Kaufmanns Jakob Heller zwischen 1507 und 1509 ein Altarbild über die Himmelfahrt und Krönung Marias für die Dominikanerkirche in Frankfurt malte und wieso er über dieser Arbeit nicht glücklich wurde. Die Briefe, die zwischen dem Künstler und dem Kaufmann gewechselt wurden, zeigen, so Rublack, dass Dürer mit Heller einen historischen Kampf ausfocht. Er wollte als ein Künstler anerkannt werden, der guten Willens war, Zeit, Mühe, Material, Wissen und Freude in ein Kunstwerk zu investieren in der Hoffnung, dass die Anerkennung als Künstler durch den Auftraggeber sich in angemessener Bezahlung ausdrücken werde. Er wurde enttäuscht, auch wenn Heller ihm schließlich mehr Geld für das Altarbild gab als ursprünglich ausgehandelt.
In Dürers Augen war auch dieser Betrag längst nicht hoch genug. Er entschloss sich, seine außergewöhnliche Kunstfertigkeit nicht mehr in den Dienst von unverständigen Kaufleuten zu stellen und lukrativeren Aufgaben nachzugehen, Holzschnitte und Kupferstiche anzufertigen, die sich weiterverbreiten ließen und seinen Ruhm besser befördern würden. An Heller, so schreibt Rublack, habe er Rache geübt, indem er sich, gegen jede Absprache, als Figur auf dem Altarbild unterbrachte und auf diese Weise als Künstler in Szene setzte.
Genützt hat ihm dieser Auftritt nicht. Er wollte zu viel. Aus dem Blickwinkel Rublacks betrachtet, sah es so aus, als hätte Dürer in jenem Kampf um die Anerkennung eines neuen künstlerischen Selbstbewusstseins versucht, mit dem einen Bein aus dem Kreis einer materiellen Kultur zu treten, in der er selbst mit dem anderen Bein, wie seine Zeitgenossen, fest verankert war. Auch er gehörte ja zu denen, die sich intensiv mit den Kräften von Materialien beschäftigten und die Wirkung von Steinen, Stoffen, Pflanzen und Farben erforschten. Die Dinge waren in hohem Grade geheimnisvoll, und es kamen, aus den Schatzkammern der Natur, immer wundersamere hinzu, als die Kaufleute von ihren Reisen in ferne Länder fremde Tiere, Naturalien und Kuriositäten mitbrachten, an denen sich Sammelleidenschaft entzündete. Der sich entfaltende Reichtum der Dinge hielt auch die Künstler fest im Rahmen der materiellen Kultur. Forderten nicht zum Beispiel der Glanz und die Farben neuer Seidenstoffe ihre künstlerischen Fähigkeiten heraus beim Versuch, sie bei Figuren auf Bildern festzuhalten?
Die Kaufleute des aufziehenden globalen Handels avancierten zu einem entscheidenden Entwicklungsmotor der deutschen Kunst und Kultur der Renaissance, deren Höhepunkt die Kuriositätenkabinette waren mit ihren Sammlungen von exquisiten Dingen. Der zweite Teil des Buches handelt deshalb exemplarisch von Hans Fugger, der sich als umtriebiger Kunstliebhaber einen Namen machte, der dritte von Philipp Hainhofer, der als Kunstagent tätig war und enge persönliche Kontakte zu Höfen unterhielt, die er mit erstaunlichen Dingen belieferte. Zu den Herrschern mit Sammelleidenschaft gehörte Maximilian I. von Bayern, in dessen Gemächern, nachdem er sich für die Kunst Albrecht Dürers zu interessieren begonnen hatte, das Heller-Altarbild aus Frankfurt landete. Von der wachsenden Nachfrage nach den Werken Dürers im Dreißigjährigen Krieg berichtet der vierte Teil.
Hunderte von Einzelheiten über den Handel mit Kuriositäten, mit Fellen, Muscheln, Vogelfedern, Stoffen, Blumen, Salben, Säften, Steinen, sind da schon wieder vergessen, denn wer wollte sich das alles merken. Im Gedächtnis haften aber bleibt eine grundlegende Erfahrung, die man unter der Hand machen konnte. Der Leser hat dank Rublack ein Gefühl bekommen für die Macht der Dinge, die sich nicht darin erschöpft, dass Kleider, Stoffe, Farben eine soziale Bedeutung haben, einen symbolischen Wert, wie die Geschichte der Mode zeigt.
Wenn man über die Macht der Dinge anhand dieses Buchs nachdenkt, stößt man auf Probleme, die sich vielleicht noch nicht in Thesen bündeln lassen, sondern besser in einem historischen Modell gezeigt werden mussten. Rublack lässt die formende Kraft der materiellen Kultur unmittelbar bewusst werden. Es geht nicht um die banale Einsicht, dass die materiellen Dinge für die Zeitgenossen eine wichtige Rolle spielen, sondern darum, dass es die Dinge sind, die in einem zentralen Sinne die Menschen machen. Sie prägen ihre Welt- und Selbstdeutung, ihre Kultur und Kunst.
Dürer in den Erfahrungsraum der Dinge und ihrer Kräfte gestellt und den Zusammenhang von Künstler, Kunstliebhaber und Kunstagent aufgezeigt zu haben ist das große Verdienst dieses Buches. Aber, wie schon gesagt, man braucht dafür Geduld. EBERHARD RATHGEB
Ulinka Rublack: "Dürer im Zeitalter der Wunder". Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt.
Aus dem Englischen von N. Dresler. Klett-Cotta
Verlag, Stuttgart 2024.
640 S., Abb., geb., 42,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Rublacks Buch ist vieles auf einmal. Eine mitreißende Dürer-Biographie. Eine Kulturge-schichte des Kunstmarkts. Und ein überraschender Blick auf die deutsche Renaissance.« Julia Voss, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03. März 2024 Julia Voss Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20240303