Es gibt Menschen, die sich in ihrem Leben nie mit Lyrik beschäftigt haben und dieser Kunstgattung teilnahmslos gegenüberstehen. Sie können trotzdem zufrieden und glücklich sein. Sie vermissen nichts. Umso mehr vermissen die anderen, sie mögen in der Minderzahl sein, wenn sie daran gehindert werden, sich mit Lyrik oder im weitesten Sinne mit Literatur beschäftigen zu können. Unzählige Dichter haben noch viel unzählbarere Gedichte verfasst. Viele sind vergessen worden, andere haben über Jahrhunderte an Aktualität nichts eingebüßt. Kein Wunder, denn das Wort Liebe dürfte entstanden sein, als es das erhebende zwischenmenschliche Gefühl schon Ewigkeiten gab. Rainer Maria Rilke ist einer dieser Vielen und doch in seiner Art einzigartig. Wollte man ihn mit einem Musiker vergleichen, müsste er die Fähigkeit haben, aus jedem Instrument eines gewaltigen Orchesters, unterstützt von einem ebenso gewaltigen Chor, jeder dieser Stimmen eine unüberhörbar eigene zu geben. Viele Kenner unterstellen der Lyrik Rilkes, sie kann nicht zum Lied vertont werden, da die Worte bereits wie Musik klingen. Gleiches wird man auf die grafische Illustration der Gedichte erweitern können. Versucht die Grafik, den Inhalt der Gedichtzeilen umzusetzen, wird das Ergebnis plakativ ausfallen. Gelingt es der Grafik, sich in einer zweiten Gestaltungsebene darzustellen, hat der Rezipient zum einen das Wort und zum anderen das Bild in sich aufzunehmen. Das Bild verschafft ihm Zeit, verleitet ihn, zurück zum Wort und wieder zurück zum Bild zu wandern und es kann der glückliche Umstand eintreten, dass Assoziationen entstehen, die tatsächlich einen Gleichklang, eine Synchronisierung der Wahrnehmungen entstehen lassen.
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