Jeder schweigt von etwas anderem. Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten - genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf - und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten. In ihrem neuen Roman entwirft Eva Menasse ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt, die immer wieder zum Schauplatz der Weltpolitik wird, und erzählt vom Umgang der Bewohner mit einer historischen Schuld. »Dunkelblum« ist ein schaurig-komisches Epos über die Wunden in der Landschaft und den Seelen der Menschen, die, anders als die Erinnerung, nicht vergehen. »Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis.«
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Das Massaker von Rechnitz im Jahr 1945 war "singulär" - und deshalb kann man auch keine "paradigmatische Menschheitsgeschichte" darüber schreiben, wie Eva Menasse es versucht, wendet Rezensent Paul Jandl nach der Lektüre ein. Die Sprache Menasses, die viele Kritikerkollegen besonders lobten, stellt denn für Jandl auch die eigentliche Problematik des Romans dar: Natürlich erkennt er den "surrealen Witz", die Menge meisterlicher Anekdoten und das Pointenfeuerwerk, das die Autorin zündet. Was dem Roman allerdings fehlt, ist der Wille zur Aufklärung, überhaupt der kritische Blick, den es braucht, damit der Leser hier nicht mit einem "entlastungshumorigen Kuriositätenkabinett" allein gelassen wird, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2021Dunkle Geschichte
Eva Menasse liest im Literaturhaus
FRANKFURT Der erste Abend im Frankfurter Literaturhaus nach der Sommerpause: Etwa 70 Gäste dürfen im großen Lesesaal Platz nehmen; ohne Corona wären es 200. Nur die beiden Gäste auf dem Podium und diejenigen, die den Livestream ansehen, brauchen nicht unter der Maske zu hecheln: Eva Menasse stellte ihren Roman "Dunkelblum" (Kiwi) vor, und Literaturwissenschaftler Torsten Hoffmann kitzelte elegant die Brillanz aus der Autorin. Bevor er zum Thema des Abends kam, wollte er aber etwas anderes von ihr wissen: Wie hält sie es mit der Identitätspolitik? Schließlich hat sie ja gerade erst "Gedankenspiele über den Kompromiss" vorgelegt, eine Auftragsarbeit für den Grazer Droschl Verlag. "Das ist schmerzhaft", war zu vernehmen. Extremismen existierten halt rechts und links. "AfD - gähn, aber das identitätspolitische Denken ist bedrückend", sagte die Autorin. Es bewege sich "in Richtung Fundamentalismus". Dabei handele es sich nur um kleine, dafür aber laute digitale Gruppen. Menasse bedauerte auch die "Superhysterie" beim Gendern.
Dann gingen sie zum Roman über. "Dunkelblum" alias Rechnitz ist eine Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn. Ihr Roman sei also ein "Europa-Roman", so Menasse. Umso mehr als sich sein einwöchiger Plot im August 1989 zuträgt, als DDR-Bürger über die Grenze flohen. Diese Erzählzeit wird durchbrochen von Rückblenden ins Jahr 1944, als die Nazis diese Grenze zum "Südostwall" ausriefen und jüdische Zwangsarbeiter nebst Alten und Frauen diesen befestigen sollten. Bei einem Fest der SS-Lokalprominenz kam es zu einem Massaker an 200 Juden. Die ortsansässige Gräfin hat die Täter gedeckt und einem SS-Bonzen mit ihrem Geld die Flucht ermöglicht. Bis heute wurde das Massengrab nicht gefunden. Rechnitz muss mit dem Ruf einer Nazi-Stadt leben, aber, so Menasse: "Es gab mehr als 120 solcher Vorfälle an dieser Grenze."
Die "Wende" von 1989 ist im Roman der Auslöser der Erinnerung. Ein Museum soll her, eine Stadtchronik. So hat Menasse "Geschichte geschichtet", wie sie wiederholt formulierte. Sie demonstrierte das mit einer Lesepassage über die Fluchthilfe derer, die 1944 Hitlerjungen und Schlägertrupps waren. Wollen sie 45 Jahre später etwas gutmachen, bevor Genschers Busse anrücken? Wohl eher schnelles Geld wollen die "Haberer" verdienen. "Haberer"? "Kumpel", übersetzte die Wiener Schriftstellerin für ihre deutschen Leser, die allenfalls Erdäpfel und Paradeiser von der Speisekarte her kennen. Ja, ihr Buch sei sehr österreichisch, so Menasse, die ihm sicherheitshalber ein Glossar angehängt hat. Erzählungen will sie übrigens nicht mehr schreiben. Die würden ja doch nicht gelesen, deshalb nur noch Romane. Der anregende und kurzweilige Abend war der Autorenstiftung zu verdanken.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eva Menasse liest im Literaturhaus
FRANKFURT Der erste Abend im Frankfurter Literaturhaus nach der Sommerpause: Etwa 70 Gäste dürfen im großen Lesesaal Platz nehmen; ohne Corona wären es 200. Nur die beiden Gäste auf dem Podium und diejenigen, die den Livestream ansehen, brauchen nicht unter der Maske zu hecheln: Eva Menasse stellte ihren Roman "Dunkelblum" (Kiwi) vor, und Literaturwissenschaftler Torsten Hoffmann kitzelte elegant die Brillanz aus der Autorin. Bevor er zum Thema des Abends kam, wollte er aber etwas anderes von ihr wissen: Wie hält sie es mit der Identitätspolitik? Schließlich hat sie ja gerade erst "Gedankenspiele über den Kompromiss" vorgelegt, eine Auftragsarbeit für den Grazer Droschl Verlag. "Das ist schmerzhaft", war zu vernehmen. Extremismen existierten halt rechts und links. "AfD - gähn, aber das identitätspolitische Denken ist bedrückend", sagte die Autorin. Es bewege sich "in Richtung Fundamentalismus". Dabei handele es sich nur um kleine, dafür aber laute digitale Gruppen. Menasse bedauerte auch die "Superhysterie" beim Gendern.
Dann gingen sie zum Roman über. "Dunkelblum" alias Rechnitz ist eine Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn. Ihr Roman sei also ein "Europa-Roman", so Menasse. Umso mehr als sich sein einwöchiger Plot im August 1989 zuträgt, als DDR-Bürger über die Grenze flohen. Diese Erzählzeit wird durchbrochen von Rückblenden ins Jahr 1944, als die Nazis diese Grenze zum "Südostwall" ausriefen und jüdische Zwangsarbeiter nebst Alten und Frauen diesen befestigen sollten. Bei einem Fest der SS-Lokalprominenz kam es zu einem Massaker an 200 Juden. Die ortsansässige Gräfin hat die Täter gedeckt und einem SS-Bonzen mit ihrem Geld die Flucht ermöglicht. Bis heute wurde das Massengrab nicht gefunden. Rechnitz muss mit dem Ruf einer Nazi-Stadt leben, aber, so Menasse: "Es gab mehr als 120 solcher Vorfälle an dieser Grenze."
Die "Wende" von 1989 ist im Roman der Auslöser der Erinnerung. Ein Museum soll her, eine Stadtchronik. So hat Menasse "Geschichte geschichtet", wie sie wiederholt formulierte. Sie demonstrierte das mit einer Lesepassage über die Fluchthilfe derer, die 1944 Hitlerjungen und Schlägertrupps waren. Wollen sie 45 Jahre später etwas gutmachen, bevor Genschers Busse anrücken? Wohl eher schnelles Geld wollen die "Haberer" verdienen. "Haberer"? "Kumpel", übersetzte die Wiener Schriftstellerin für ihre deutschen Leser, die allenfalls Erdäpfel und Paradeiser von der Speisekarte her kennen. Ja, ihr Buch sei sehr österreichisch, so Menasse, die ihm sicherheitshalber ein Glossar angehängt hat. Erzählungen will sie übrigens nicht mehr schreiben. Die würden ja doch nicht gelesen, deshalb nur noch Romane. Der anregende und kurzweilige Abend war der Autorenstiftung zu verdanken.
CLAUDIA SCHÜLKE
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»Eva Menasse hat mit ihrem Buch 'Dunkelblum' ein Meisterwerk geschaffen.« Ijoma Mangold Die Zeit 20210819
Dunkle Geschichte
Eva Menasse liest im Literaturhaus
FRANKFURT Der erste Abend im Frankfurter Literaturhaus nach der Sommerpause: Etwa 70 Gäste dürfen im großen Lesesaal Platz nehmen; ohne Corona wären es 200. Nur die beiden Gäste auf dem Podium und diejenigen, die den Livestream ansehen, brauchen nicht unter der Maske zu hecheln: Eva Menasse stellte ihren Roman "Dunkelblum" (Kiwi) vor, und Literaturwissenschaftler Torsten Hoffmann kitzelte elegant die Brillanz aus der Autorin. Bevor er zum Thema des Abends kam, wollte er aber etwas anderes von ihr wissen: Wie hält sie es mit der Identitätspolitik? Schließlich hat sie ja gerade erst "Gedankenspiele über den Kompromiss" vorgelegt, eine Auftragsarbeit für den Grazer Droschl Verlag. "Das ist schmerzhaft", war zu vernehmen. Extremismen existierten halt rechts und links. "AfD - gähn, aber das identitätspolitische Denken ist bedrückend", sagte die Autorin. Es bewege sich "in Richtung Fundamentalismus". Dabei handele es sich nur um kleine, dafür aber laute digitale Gruppen. Menasse bedauerte auch die "Superhysterie" beim Gendern.
Dann gingen sie zum Roman über. "Dunkelblum" alias Rechnitz ist eine Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn. Ihr Roman sei also ein "Europa-Roman", so Menasse. Umso mehr als sich sein einwöchiger Plot im August 1989 zuträgt, als DDR-Bürger über die Grenze flohen. Diese Erzählzeit wird durchbrochen von Rückblenden ins Jahr 1944, als die Nazis diese Grenze zum "Südostwall" ausriefen und jüdische Zwangsarbeiter nebst Alten und Frauen diesen befestigen sollten. Bei einem Fest der SS-Lokalprominenz kam es zu einem Massaker an 200 Juden. Die ortsansässige Gräfin hat die Täter gedeckt und einem SS-Bonzen mit ihrem Geld die Flucht ermöglicht. Bis heute wurde das Massengrab nicht gefunden. Rechnitz muss mit dem Ruf einer Nazi-Stadt leben, aber, so Menasse: "Es gab mehr als 120 solcher Vorfälle an dieser Grenze."
Die "Wende" von 1989 ist im Roman der Auslöser der Erinnerung. Ein Museum soll her, eine Stadtchronik. So hat Menasse "Geschichte geschichtet", wie sie wiederholt formulierte. Sie demonstrierte das mit einer Lesepassage über die Fluchthilfe derer, die 1944 Hitlerjungen und Schlägertrupps waren. Wollen sie 45 Jahre später etwas gutmachen, bevor Genschers Busse anrücken? Wohl eher schnelles Geld wollen die "Haberer" verdienen. "Haberer"? "Kumpel", übersetzte die Wiener Schriftstellerin für ihre deutschen Leser, die allenfalls Erdäpfel und Paradeiser von der Speisekarte her kennen. Ja, ihr Buch sei sehr österreichisch, so Menasse, die ihm sicherheitshalber ein Glossar angehängt hat. Erzählungen will sie übrigens nicht mehr schreiben. Die würden ja doch nicht gelesen, deshalb nur noch Romane. Der anregende und kurzweilige Abend war der Autorenstiftung zu verdanken.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Eva Menasse liest im Literaturhaus
FRANKFURT Der erste Abend im Frankfurter Literaturhaus nach der Sommerpause: Etwa 70 Gäste dürfen im großen Lesesaal Platz nehmen; ohne Corona wären es 200. Nur die beiden Gäste auf dem Podium und diejenigen, die den Livestream ansehen, brauchen nicht unter der Maske zu hecheln: Eva Menasse stellte ihren Roman "Dunkelblum" (Kiwi) vor, und Literaturwissenschaftler Torsten Hoffmann kitzelte elegant die Brillanz aus der Autorin. Bevor er zum Thema des Abends kam, wollte er aber etwas anderes von ihr wissen: Wie hält sie es mit der Identitätspolitik? Schließlich hat sie ja gerade erst "Gedankenspiele über den Kompromiss" vorgelegt, eine Auftragsarbeit für den Grazer Droschl Verlag. "Das ist schmerzhaft", war zu vernehmen. Extremismen existierten halt rechts und links. "AfD - gähn, aber das identitätspolitische Denken ist bedrückend", sagte die Autorin. Es bewege sich "in Richtung Fundamentalismus". Dabei handele es sich nur um kleine, dafür aber laute digitale Gruppen. Menasse bedauerte auch die "Superhysterie" beim Gendern.
Dann gingen sie zum Roman über. "Dunkelblum" alias Rechnitz ist eine Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn. Ihr Roman sei also ein "Europa-Roman", so Menasse. Umso mehr als sich sein einwöchiger Plot im August 1989 zuträgt, als DDR-Bürger über die Grenze flohen. Diese Erzählzeit wird durchbrochen von Rückblenden ins Jahr 1944, als die Nazis diese Grenze zum "Südostwall" ausriefen und jüdische Zwangsarbeiter nebst Alten und Frauen diesen befestigen sollten. Bei einem Fest der SS-Lokalprominenz kam es zu einem Massaker an 200 Juden. Die ortsansässige Gräfin hat die Täter gedeckt und einem SS-Bonzen mit ihrem Geld die Flucht ermöglicht. Bis heute wurde das Massengrab nicht gefunden. Rechnitz muss mit dem Ruf einer Nazi-Stadt leben, aber, so Menasse: "Es gab mehr als 120 solcher Vorfälle an dieser Grenze."
Die "Wende" von 1989 ist im Roman der Auslöser der Erinnerung. Ein Museum soll her, eine Stadtchronik. So hat Menasse "Geschichte geschichtet", wie sie wiederholt formulierte. Sie demonstrierte das mit einer Lesepassage über die Fluchthilfe derer, die 1944 Hitlerjungen und Schlägertrupps waren. Wollen sie 45 Jahre später etwas gutmachen, bevor Genschers Busse anrücken? Wohl eher schnelles Geld wollen die "Haberer" verdienen. "Haberer"? "Kumpel", übersetzte die Wiener Schriftstellerin für ihre deutschen Leser, die allenfalls Erdäpfel und Paradeiser von der Speisekarte her kennen. Ja, ihr Buch sei sehr österreichisch, so Menasse, die ihm sicherheitshalber ein Glossar angehängt hat. Erzählungen will sie übrigens nicht mehr schreiben. Die würden ja doch nicht gelesen, deshalb nur noch Romane. Der anregende und kurzweilige Abend war der Autorenstiftung zu verdanken.
CLAUDIA SCHÜLKE
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