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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eva Menasse liest im Literaturhaus
FRANKFURT Der erste Abend im Frankfurter Literaturhaus nach der Sommerpause: Etwa 70 Gäste dürfen im großen Lesesaal Platz nehmen; ohne Corona wären es 200. Nur die beiden Gäste auf dem Podium und diejenigen, die den Livestream ansehen, brauchen nicht unter der Maske zu hecheln: Eva Menasse stellte ihren Roman "Dunkelblum" (Kiwi) vor, und Literaturwissenschaftler Torsten Hoffmann kitzelte elegant die Brillanz aus der Autorin. Bevor er zum Thema des Abends kam, wollte er aber etwas anderes von ihr wissen: Wie hält sie es mit der Identitätspolitik? Schließlich hat sie ja gerade erst "Gedankenspiele über den Kompromiss" vorgelegt, eine Auftragsarbeit für den Grazer Droschl Verlag. "Das ist schmerzhaft", war zu vernehmen. Extremismen existierten halt rechts und links. "AfD - gähn, aber das identitätspolitische Denken ist bedrückend", sagte die Autorin. Es bewege sich "in Richtung Fundamentalismus". Dabei handele es sich nur um kleine, dafür aber laute digitale Gruppen. Menasse bedauerte auch die "Superhysterie" beim Gendern.
Dann gingen sie zum Roman über. "Dunkelblum" alias Rechnitz ist eine Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn. Ihr Roman sei also ein "Europa-Roman", so Menasse. Umso mehr als sich sein einwöchiger Plot im August 1989 zuträgt, als DDR-Bürger über die Grenze flohen. Diese Erzählzeit wird durchbrochen von Rückblenden ins Jahr 1944, als die Nazis diese Grenze zum "Südostwall" ausriefen und jüdische Zwangsarbeiter nebst Alten und Frauen diesen befestigen sollten. Bei einem Fest der SS-Lokalprominenz kam es zu einem Massaker an 200 Juden. Die ortsansässige Gräfin hat die Täter gedeckt und einem SS-Bonzen mit ihrem Geld die Flucht ermöglicht. Bis heute wurde das Massengrab nicht gefunden. Rechnitz muss mit dem Ruf einer Nazi-Stadt leben, aber, so Menasse: "Es gab mehr als 120 solcher Vorfälle an dieser Grenze."
Die "Wende" von 1989 ist im Roman der Auslöser der Erinnerung. Ein Museum soll her, eine Stadtchronik. So hat Menasse "Geschichte geschichtet", wie sie wiederholt formulierte. Sie demonstrierte das mit einer Lesepassage über die Fluchthilfe derer, die 1944 Hitlerjungen und Schlägertrupps waren. Wollen sie 45 Jahre später etwas gutmachen, bevor Genschers Busse anrücken? Wohl eher schnelles Geld wollen die "Haberer" verdienen. "Haberer"? "Kumpel", übersetzte die Wiener Schriftstellerin für ihre deutschen Leser, die allenfalls Erdäpfel und Paradeiser von der Speisekarte her kennen. Ja, ihr Buch sei sehr österreichisch, so Menasse, die ihm sicherheitshalber ein Glossar angehängt hat. Erzählungen will sie übrigens nicht mehr schreiben. Die würden ja doch nicht gelesen, deshalb nur noch Romane. Der anregende und kurzweilige Abend war der Autorenstiftung zu verdanken.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eva Menasse liest im Literaturhaus
FRANKFURT Der erste Abend im Frankfurter Literaturhaus nach der Sommerpause: Etwa 70 Gäste dürfen im großen Lesesaal Platz nehmen; ohne Corona wären es 200. Nur die beiden Gäste auf dem Podium und diejenigen, die den Livestream ansehen, brauchen nicht unter der Maske zu hecheln: Eva Menasse stellte ihren Roman "Dunkelblum" (Kiwi) vor, und Literaturwissenschaftler Torsten Hoffmann kitzelte elegant die Brillanz aus der Autorin. Bevor er zum Thema des Abends kam, wollte er aber etwas anderes von ihr wissen: Wie hält sie es mit der Identitätspolitik? Schließlich hat sie ja gerade erst "Gedankenspiele über den Kompromiss" vorgelegt, eine Auftragsarbeit für den Grazer Droschl Verlag. "Das ist schmerzhaft", war zu vernehmen. Extremismen existierten halt rechts und links. "AfD - gähn, aber das identitätspolitische Denken ist bedrückend", sagte die Autorin. Es bewege sich "in Richtung Fundamentalismus". Dabei handele es sich nur um kleine, dafür aber laute digitale Gruppen. Menasse bedauerte auch die "Superhysterie" beim Gendern.
Dann gingen sie zum Roman über. "Dunkelblum" alias Rechnitz ist eine Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn. Ihr Roman sei also ein "Europa-Roman", so Menasse. Umso mehr als sich sein einwöchiger Plot im August 1989 zuträgt, als DDR-Bürger über die Grenze flohen. Diese Erzählzeit wird durchbrochen von Rückblenden ins Jahr 1944, als die Nazis diese Grenze zum "Südostwall" ausriefen und jüdische Zwangsarbeiter nebst Alten und Frauen diesen befestigen sollten. Bei einem Fest der SS-Lokalprominenz kam es zu einem Massaker an 200 Juden. Die ortsansässige Gräfin hat die Täter gedeckt und einem SS-Bonzen mit ihrem Geld die Flucht ermöglicht. Bis heute wurde das Massengrab nicht gefunden. Rechnitz muss mit dem Ruf einer Nazi-Stadt leben, aber, so Menasse: "Es gab mehr als 120 solcher Vorfälle an dieser Grenze."
Die "Wende" von 1989 ist im Roman der Auslöser der Erinnerung. Ein Museum soll her, eine Stadtchronik. So hat Menasse "Geschichte geschichtet", wie sie wiederholt formulierte. Sie demonstrierte das mit einer Lesepassage über die Fluchthilfe derer, die 1944 Hitlerjungen und Schlägertrupps waren. Wollen sie 45 Jahre später etwas gutmachen, bevor Genschers Busse anrücken? Wohl eher schnelles Geld wollen die "Haberer" verdienen. "Haberer"? "Kumpel", übersetzte die Wiener Schriftstellerin für ihre deutschen Leser, die allenfalls Erdäpfel und Paradeiser von der Speisekarte her kennen. Ja, ihr Buch sei sehr österreichisch, so Menasse, die ihm sicherheitshalber ein Glossar angehängt hat. Erzählungen will sie übrigens nicht mehr schreiben. Die würden ja doch nicht gelesen, deshalb nur noch Romane. Der anregende und kurzweilige Abend war der Autorenstiftung zu verdanken.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main