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Mareike Fallwickl treibt es in ihrem Debütroman "Dunkelgrün fast schwarz" ziemlich bunt
Moritz sieht dank seiner synästhetischen Begabung den "zementfarbenen Schleier der Erschöpfung" in den Augen seiner Freundin, ihre wespenhaft summende, "blütenstaubfarbene Sorge" und ihre "schimmerblaue Unsicherheit". Aber er sieht auch quasi in Cinemascope, wie die anfangs limonenhellgrüne Aura seines besten Freundes Raffael, kurz: Raf, immer mehr ins Dunkelgrüne, ja Schwarze abfärbt. Er ist machtlos dagegen: "Motz" ist Raf von Kindesbeinen an verfallen. Schon im Sandkasten ergab er sich ohne Gegenwehr dem Charisma des "Arschlochkindes", das ihn sein Leben lang treten und schlagen, demütigen und verraten würde. Jetzt, siebzehn Jahre nach der Matura und der Trennung im Streit, klingelt Raf wieder an der Haustür und schleppt seinen Freundfeind zum Männerabend ab, obwohl dessen hochschwangere Freundin warnt: Er oder ich.
Die österreichische Autorin Mareike Fallwickl beschreibt in ihrem ersten Roman eine Dreiecksbeziehung, deren "scharfe Kanten keinen unverletzt lassen". Weder den arglosen, anhänglichen Moritz noch Raffael, das böse Kind, den zynischen Manipulator und global operierenden Hochstapler. Und schon gar nicht Johanna alias Jo, das Waisenkind, das sich nie zwischen den beiden Freunden entscheiden konnte und darüber fast zerbrach.
Auf einer zweiten Ebene wiederholen die Eltern das Drama ihrer Problemkinder. Moritz' Mutter Marie durchschaute Raf von Anfang an, aber weil sie als Zugezogene fremd und einsam in dem Bergkaff Hallein (aus dem auch Fallwickl stammt) war, wollte sie seine Mutter nicht kränken. Mit seinem Vater ließ sie sich sogar auf eine Affäre ein, obwohl der Banker genauso gefühlskalt wie sein psychopathischer Sohn war.
Die Konfliktlinien sind schlicht und vorhersehbar, die Erzählkonstruktion ist ambitioniert: Fallwickl verschachtelt die doppelte Dreierbeziehung geschickt ineinander und fächert sie wieder auf in ein Mosaik von Rückblenden, Perspektiven, Stimmen. Motz, Jo und auch Marie kommen zu Wort. Raf, die leere Mitte des Dreiecks, bleibt in all seiner grünlich schillernden Bosheit im Dunkeln. Manche Menschen, weiß Marie, "können nur leuchten, indem sie andere ins Dunkle schubsen".
Das ist aber nicht das einzige Problem dieses Romans. Fallwickl plädiert in ihrem Literaturblog Bücherwurmloch vehement gegen Romane mit mehr als dreihundert Seiten. Ihr Debütroman ist fast zweihundert Seiten länger, und das ist dann wirklich zu viel für die überschaubaren Abgründe der Halleiner Dreierbande. Fallwickl will, ähnlich wie ihr Landsmann Michael Haneke in seinen Filmen, zeigen, wie angeborene Arroganz und korrespondierende Hörigkeit Beziehungen zerstören und Freundschaften vergiften. Aber sie schreibt über alles, was sie gerade umtreibt: Schwangerschaft, Kindererziehung, Kindheitserinnerungen, Berliner Hipster. Und vor allem schreibt sie immer ein bisschen zu laut: Die Bilder sind zu bunt, die Gefühle zu groß, die Wörter zu gewählt. In jeder Zeile ist der Wille zum großen Wurf spürbar, an jeder Ecke wird tapfer ein Zaunpfahl von Bedeutung, die Fahne emotionaler Intensität oder wenigstens das Fähnchen unhintergehbarer Poesie aufgepflanzt.
Heraus kommen dabei dann Knallersätze wie "Wumm, macht mein Herz und krampft sich zusammen wie eine Nacktschnecke, auf die jemand getreten ist" oder "Der Kuss hatte sich in ihr Herz gebohrt wie eine Sicherheitsnadel, der Verschluss war eingerastet". Und jede Menge ausgeleierter Metaphern: Die Zukunft glänzt wie ein polierter Apfel, die Eifersucht kreischt wie ein Papagei, die Hormone tanzen Polka im Blut. Das Weinen "hat einen dicken Bauch, gefüllt mit Verzweiflung"; "das Warten umfängt sie wie eine dicke Cousine, die sie eine Weile nicht gesehen hat, mit Oberlippenbart und Achselschweißgeruch". Mareike Fallwickl beherrscht den mädchenhaft kecken Ton und die derbere Sprache der großen Jungs, sie schreckt weder vor Kotzen und Würgen noch vor Fifty-Shades-of-Dunkelgrün-Sex zurück. Aber meistens kriecht sie doch sehr langsam und behutsam in die wunden Seelen von Heranwachsenden und badet in der "widerlichen Säure ihrer eigenen Traurigkeit".
Der Roman, prophezeite eine österreichische Buchhändlerin, werde "einschlagen wie ein Böller auf einem Blechdach", und so ist es dann auch gekommen. Ihre Fans lieben Mareike Fallwickl für ihre kühnen Metaphern, ihre unverblümte Ehrlichkeit und all die schönen Blechböllersätze, die man am liebsten "heranziehen und umarmen" will.
Mareike Fallwickl bezeichnet sich in ihrem Bücherwurmloch selbst als "wandelndes Klischee" der manischen Schreiberin. Mit acht Jahren, nachdem sie Michael Endes "Unendliche Geschichte" entdeckt hatte, begann sie zu schreiben. Ihre mit Manuskripten überschüttete Deutschlehrerin stöhnte, aber das war ihr egal. Mit dreizehn tippte sie ihr erstes Buch, "Lena Katzenauge", in die Schreibmaschine; es folgten Theaterstücke, Krimis, Frauenromane, auch Liebessachen und "viel Scheiße", aber nie "hochgestochene Literatur".
Inzwischen erfasst Mareike Fallwickl, auch in den sozialen Netzwerken atemraubend fleißig twitternd und postend, schier alles, was im Reich der Literatur nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ihr Hobby hat sie zum Beruf gemacht: Sie arbeitet als Werbetexterin, Lektorin, Kolumnistin, Bloggerin und jetzt auch als Schriftstellerin. Die Idee zu ihrem Roman kam ihr 2015, als sie auf einem Spielplatz ein vierjähriges "Arschlochkind" beim heimlichen Treten ertappte. "Dunkelgrün fast schwarz" will die Autorin dank ihrer zwanzigjährigen Übung dann in nicht einmal sechs Monaten geschrieben haben. Beides sieht man ihrem Erstling an. Die Routine im Träumen, Texten und Bloggen vielleicht noch ein wenig mehr als das Naturtalent.
MARTIN HALTER
Mareike Fallwickl: "Dunkelgrün fast schwarz". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2018. 480 S., geb., 24,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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