An Silvester ist in Hollywood die Hölle los: Beim traditionellen Bleiregen schießen um Mitternacht Hunderte Feiernde in den Himmel. Dabei spielt es keine Rolle, dass alles, was hoch geht, auch wieder runtermuss. Wenige Minuten später werden Renée Ballard, Detective der Nachtschicht beim LAPD, und eine ihrer wenig engagierten Kolleginnen, die sonst tagüber arbeitet, zu einem Tatort gerufen: Der Besitzer einer Autowerkstatt wurde inmitten einer überfüllten Straßenparty angeschossen und stirbt noch im Krankenwagen. Schnell steht fest: Diese tödliche Kugel ist nicht vomHimmel gefallen. Noch ein Fall beschäftigt Ballard: Die Midnight Men, eine Bande von Sexualstraftätern, haben in den vergangenen fünf Wochen zwei Frauen vergewaltigt – und nicht eine Spur hinterlassen. Hinzu kommt,dass die Pandemie und die jüngsten ProtesteBallards Arbeit von Grund auf verändert haben.Niemand glaubt mehr daran, dass die PolizeiGutes bewirkt – nicht mal sie selbst, befürchtetBallard, wenn sie sich die Moral im Kollegiumso ansieht. Fest entschlossen, beide Fälle aufzuklären, wendet sie sich an den einzigen Detective, auf den sie zählen kann: Harry Bosch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2024Fahr schon mal, Harry!
Michael Connellys Ermittlerduo liefert
Zwei Fälle bietet der Jahreswechsel Detective Renée Ballard, die beim LAPD Nachtschicht an Silvester schiebt. Inmitten der in Los Angeles üblichen wüsten Silvesterknallerei, mehrheitlich mit Schusswaffen denn mit Feuerwerkskörpern veranstaltet, wird der Inhaber einer Autowerkstatt mittels Kopfschuss ums Leben gebracht. Außerdem erwartet Ballard, das intern "Midnight Men" getaufte Vergewaltiger-Duo werde erneut zuschlagen.
Man könnte jetzt angesichts des Autors, der uns "Dunkle Stunden" serviert, reflexhaft abwinken und sagen: Michael Connelly? Nach Verlagsangaben hat der 1956 in Philadelphia geborene, in Florida lebende Autor mehr als achtzig Millionen Bücher weltweit verkauft. Betreibt er also eine Schreibfabrik, die das immergleiche Buch immer wieder vorlegt?
Selbst wenn, ist die Fabrik gut geführt: Hier wird noch richtig gearbeitet und in Details investiert, wird das Genre police procedural ernst genommen. Connellys Einblicke in den Justizapparat sind kenntnisreich, von den Modalitäten des Schichtdienstes bis zum immerwährenden Kompetenzgerangel, von faulen, dem Ruhestand entgegendämmernden Kollegen bis zu Kriminellen in Uniform.
Als man ihr wieder und wieder Prügel zwischen die Beine wirft, kann sich Renée Ballard eines Gedankens nicht erwehren: "Manchmal hatte sie den Eindruck, als befänden sich die größten Barrikaden des sogenannten Justizwesens in seinem Inneren, bevor man überhaupt zur Tür hinauskam."
Detective Ballard ist in diesem Kosmos jedenfalls eine exotische Pflanze - jung, ehrgeizig, furchtlos. Und unbeliebt, seit sie einen Vorgesetzten angezeigt hat, der ihr an die Wäsche wollte. In der Folge wurde die Mordermittlerin strafversetzt, weswegen sie nun im Bereitschaftsdienst nachts das Böse jagt. Was ihr entgegenkommt, da sie die dunklen Stunden liebt. Den ersten Fall hatte sie noch allein bestritten ("Late Show"), dann war sie auf den legendären Ermittler Harry Bosch gestoßen, den sie bei einem Einbruch in seiner früheren Wirkungsstätte ertappte, wo er sich Material für seine kalten Fälle besorgte. Die Figur des Harry Bosch ist seit "The Black Echo" von 1992 Connellys Beitrag zum Genre, mit der er sich Weltruhm erschrieben hat.
Nach Ballards erstem Auftritt folgten "Night Team" und "Glutnacht". Nun, im dritten gemeinsamen Fall, hat Ballard eindeutig die Oberhand gewonnen: Sie bestimmt die Vorgehensweise, Bosch assistiert als verlässlicher väterlicher Freund, der noch immer Jagdfieber verspürt, aber lieber seine Tochter häufiger sehen würde. Der Roman spielt während der Corona-Pandemie, Ballard hat eigentlich die Nase voll von Los Angeles, die routinierte Surferin überlegt, in ihre Heimat Hawaii zurückzugehen: "Die Polizei war von proaktiv zu reaktiv übergangen", das ist eine Haltung, die nicht zu Ballard passt. Ganz anders ihre Kollegin Lisa Moore von der Einheit Sexualdelikte, die sich abseilt, wann immer es geht.
Obendrein aiwangert Bosch herum, will sich nicht impfen lassen. Ballard macht kurzen Prozess, und schleppt ihn ins nächste Impfzentrum. Nebenbei jongliert sie taktvoll mit den Gefühlen der Vergewaltigungsopfer, leuchtet die Gang-Vergangenheit des ermordeten Automechanikers aus und überschreitet dabei ständig und mit Entschiedenheit ihre Befugnisse - im Bewusstsein, immer das Richtige zu tun. Dank ihrer Hartnäckigkeit kommt sie in beiden Fällen der Lösung so nahe, dass sie im Fadenkreuz von Männern auftaucht, die sich ihre einträglichen Nebengeschäfte beziehungsweise ihre Hasskreuzzüge gegen Frauen nicht aus der Hand schlagen lassen wollen.
Der Autor spendiert seinen Protagonisten zwar ein seelisches Eigenleben, im Falle Ballards sogar eine Affäre mit einem Rettungssanitäter sowie einen neuen Hund, aber das steht nie im Vordergrund, sondern läuft unter Begleitmusik zur Ermittlungsarbeit. Michael Connelly erzählt ohne Schnickschnack, hält das Tempo durchgehend hoch. Es gibt mit "Desert Star" (2022) schon einen Nachfolgeband mit dem Ermittler-Duo - aber ob Renée Ballard darin noch in Polizeidiensten steht, muss einstweilen offen bleiben. HANNES HINTERMEIER
Michael Connelly: "Dunkle Stunden".
Aus dem amerikanischen Englisch von Sepp Leeb. Kampa Verlag, Zürich 2023. 432 S., geb.,
22,90 - Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Connellys Ermittlerduo liefert
Zwei Fälle bietet der Jahreswechsel Detective Renée Ballard, die beim LAPD Nachtschicht an Silvester schiebt. Inmitten der in Los Angeles üblichen wüsten Silvesterknallerei, mehrheitlich mit Schusswaffen denn mit Feuerwerkskörpern veranstaltet, wird der Inhaber einer Autowerkstatt mittels Kopfschuss ums Leben gebracht. Außerdem erwartet Ballard, das intern "Midnight Men" getaufte Vergewaltiger-Duo werde erneut zuschlagen.
Man könnte jetzt angesichts des Autors, der uns "Dunkle Stunden" serviert, reflexhaft abwinken und sagen: Michael Connelly? Nach Verlagsangaben hat der 1956 in Philadelphia geborene, in Florida lebende Autor mehr als achtzig Millionen Bücher weltweit verkauft. Betreibt er also eine Schreibfabrik, die das immergleiche Buch immer wieder vorlegt?
Selbst wenn, ist die Fabrik gut geführt: Hier wird noch richtig gearbeitet und in Details investiert, wird das Genre police procedural ernst genommen. Connellys Einblicke in den Justizapparat sind kenntnisreich, von den Modalitäten des Schichtdienstes bis zum immerwährenden Kompetenzgerangel, von faulen, dem Ruhestand entgegendämmernden Kollegen bis zu Kriminellen in Uniform.
Als man ihr wieder und wieder Prügel zwischen die Beine wirft, kann sich Renée Ballard eines Gedankens nicht erwehren: "Manchmal hatte sie den Eindruck, als befänden sich die größten Barrikaden des sogenannten Justizwesens in seinem Inneren, bevor man überhaupt zur Tür hinauskam."
Detective Ballard ist in diesem Kosmos jedenfalls eine exotische Pflanze - jung, ehrgeizig, furchtlos. Und unbeliebt, seit sie einen Vorgesetzten angezeigt hat, der ihr an die Wäsche wollte. In der Folge wurde die Mordermittlerin strafversetzt, weswegen sie nun im Bereitschaftsdienst nachts das Böse jagt. Was ihr entgegenkommt, da sie die dunklen Stunden liebt. Den ersten Fall hatte sie noch allein bestritten ("Late Show"), dann war sie auf den legendären Ermittler Harry Bosch gestoßen, den sie bei einem Einbruch in seiner früheren Wirkungsstätte ertappte, wo er sich Material für seine kalten Fälle besorgte. Die Figur des Harry Bosch ist seit "The Black Echo" von 1992 Connellys Beitrag zum Genre, mit der er sich Weltruhm erschrieben hat.
Nach Ballards erstem Auftritt folgten "Night Team" und "Glutnacht". Nun, im dritten gemeinsamen Fall, hat Ballard eindeutig die Oberhand gewonnen: Sie bestimmt die Vorgehensweise, Bosch assistiert als verlässlicher väterlicher Freund, der noch immer Jagdfieber verspürt, aber lieber seine Tochter häufiger sehen würde. Der Roman spielt während der Corona-Pandemie, Ballard hat eigentlich die Nase voll von Los Angeles, die routinierte Surferin überlegt, in ihre Heimat Hawaii zurückzugehen: "Die Polizei war von proaktiv zu reaktiv übergangen", das ist eine Haltung, die nicht zu Ballard passt. Ganz anders ihre Kollegin Lisa Moore von der Einheit Sexualdelikte, die sich abseilt, wann immer es geht.
Obendrein aiwangert Bosch herum, will sich nicht impfen lassen. Ballard macht kurzen Prozess, und schleppt ihn ins nächste Impfzentrum. Nebenbei jongliert sie taktvoll mit den Gefühlen der Vergewaltigungsopfer, leuchtet die Gang-Vergangenheit des ermordeten Automechanikers aus und überschreitet dabei ständig und mit Entschiedenheit ihre Befugnisse - im Bewusstsein, immer das Richtige zu tun. Dank ihrer Hartnäckigkeit kommt sie in beiden Fällen der Lösung so nahe, dass sie im Fadenkreuz von Männern auftaucht, die sich ihre einträglichen Nebengeschäfte beziehungsweise ihre Hasskreuzzüge gegen Frauen nicht aus der Hand schlagen lassen wollen.
Der Autor spendiert seinen Protagonisten zwar ein seelisches Eigenleben, im Falle Ballards sogar eine Affäre mit einem Rettungssanitäter sowie einen neuen Hund, aber das steht nie im Vordergrund, sondern läuft unter Begleitmusik zur Ermittlungsarbeit. Michael Connelly erzählt ohne Schnickschnack, hält das Tempo durchgehend hoch. Es gibt mit "Desert Star" (2022) schon einen Nachfolgeband mit dem Ermittler-Duo - aber ob Renée Ballard darin noch in Polizeidiensten steht, muss einstweilen offen bleiben. HANNES HINTERMEIER
Michael Connelly: "Dunkle Stunden".
Aus dem amerikanischen Englisch von Sepp Leeb. Kampa Verlag, Zürich 2023. 432 S., geb.,
22,90 - Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Hannes Hintermeier hat Respekt für die ausdauernd hohen Standards von Michael Connellys Detective-Stories. Connellys neues Werk, der dritte Fall des Ermittlerduos Renee Ballard und Harry Bosch, setzt laut Rezensent weiterhin auf detailgenaue, schnörkellose Ermittlungsarbeit, hohes Tempo und L.A.-Lokalkolorit. Connellys Kenntnisse der Polizeiarbeit und des Justizapparats sind für Hintermeier weitere Garanten für spannende Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Michael Connelly erzählt ohne Schnickschnack, hält das Tempo durchgehend hoch.« Hannes Hintermeier / Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Dunkle Stunden fesselt mit zwei unterschiedlichen Fällen. [...] Ein durchweg überzeugender Krimi, der keine Langeweile aufkommen lässt.« Dirk Hoffmann / Blog »Mamoulians Geschichten«
»Dunkle Stunden fesselt mit zwei unterschiedlichen Fällen. [...] Ein durchweg überzeugender Krimi, der keine Langeweile aufkommen lässt.« Dirk Hoffmann / Blog »Mamoulians Geschichten«