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Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2018
Moskau 1985: Die internationale Programmierer-Spartakiade hält die akademischen Eliten des Landes in Atem. Hier messen sich aufstrebende Mathematiker in den Techniken der Zukunft, die nur noch einen Tastendruck entfernt scheint. Doch die kubanische Nationalmannschaft ist kurz vor der Eröffnung des Wettbewerbs spurlos verschwunden - und ihre resolute Übersetzerin Mireya begibt sich auf eine atemlose Suche durch die fremde Hauptstadt, die wie elektrostatisch aufgeladen surrt und flimmert. Architekten und Agenten, dichtende Maschinen und sogar…mehr

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Produktbeschreibung
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2018
Moskau 1985: Die internationale Programmierer-Spartakiade hält die akademischen Eliten des Landes in Atem. Hier messen sich aufstrebende Mathematiker in den Techniken der Zukunft, die nur noch einen Tastendruck entfernt scheint. Doch die kubanische Nationalmannschaft ist kurz vor der Eröffnung des Wettbewerbs spurlos verschwunden - und ihre resolute Übersetzerin Mireya begibt sich auf eine atemlose Suche durch die fremde Hauptstadt, die wie elektrostatisch aufgeladen surrt und flimmert. Architekten und Agenten, dichtende Maschinen und sogar Stalins leibhaftiger Schatten treffen in dieser wilden und manchmal fantastischen Erzählung aufeinander: ein schillerndes Mosaik der Sowjetunion kurz vor der folgenreichen Vernetzung der Welt. Ein Roman so unberechenbar wie die Geschichte selbst.

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Autorenporträt
Matthias Senkel, 1977 in Greiz geboren, lebt mittlerweile in Leipzig. 2012 erschien sein Debütroman Frühe Vögel (Aufbau Verlag), der mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis und dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Mit Dunkle Zahlen ist er nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2018.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2018

Rechnen mit dem Ungefähren
Farce der russischen Computernerd-Szene: Matthias Senkels Roman "Dunkle Zahlen"

Dieser Roman ist ein Unding. Ein Experiment an der Grenze des Erzählbaren. Sein Quellcode ist eine bestechende Frage: Wie könnte eine Poesie aussehen, die eine intelligente Maschine produziert?

Von William Gibsons "Neuromancer" bis zu "Westworld" und "Ready Player One" gilt die Künstliche Intelligenz in der Science-Fiction zuverlässig als das andere des menschlichen Geistes, als Endzeit-Gegenspieler. Was aber, wenn eine Maschine, einmal auf die poetische Spur gesetzt, tatsächlich zu dichten begönne, und zwar, wenn man die Idee ernst nimmt, letztlich für ihresgleichen? Dann könnten selbst formalistische Romantiker wohl einpacken, Menschen wie Ljudmila Petrowna, die in diesem Roman nur auftritt, um sagen zu können: "Manchmal, wenn ich ein gut geschriebenes Programm lese, denke ich, dass das unsere neue Lyrik ist! Die Kraft, mit der sich die Welt in ein paar wenigen Zeilen wie diesen hier verdichtet, ist doch reine Poesie."

Die dichtende Maschine müsste sich um Verdichtung nämlich gar nicht scheren, weil sie vom Joch der Effizienz ja gerade befreit wäre. Vielleicht hätte sie Lust, Codes so lange zu multiplizieren, bis sämtliche Daten der Welt neukonfiguriert wären. Für Hermeneuten im Ohrensessel wäre der Output natürlich völlig unprozessierbar, Maschinen aber - E-Reader gewissermaßen - könnten ihn entziffern und über kryptomathematische Scherze lachen. Wenn Maschinen für Maschinen dichten, könnte also so etwas entstehen wie das unvollendete, kombinatorische Poem "Dunkle Zahlen" der "digitalen Literaturmaschine GLM-3", das uns hier - wir schreiben das Jahr 2043 plus x - freilich nur in einer Übersetzung präsentiert wird: keineswegs aus dem Russischen, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern aus dem Maschinenpoetischen in schlichte Menschensprache. Es handelt sich also um eine Nachdichtung, die in ihrer gargantuesken Opulenz aber gerade noch erahnen lässt, wie assoziativ und umfassend die GLM-3 sich ihre eigene Provenienz zurechtphantasiert. Und wie lustig es dabei zugeht. Die meisten osteuropäischen Funktionäre und Programmierer, die der Erzählautomat als Arbeiter am Fortschritt präsentiert, taumeln nämlich ohne jeden Weitblick dahin, improvisieren, plagiieren und scheitern kläglich, fallen einander unentwegt in den Rücken und geben sich irgendwann, der Größe der eigenen Idee nicht gewachsen, mit dem Ungefähren zufrieden.

Matthias Senkel, einer der ambitionierteren jüngeren Literaten des Landes, der sich nicht einmal vom Literaturinstitut Leipzig zur neudeutschen Befindlichkeitsprosa hin verbiegen ließ, wagt sich hier also an die Königsdisziplin aller Romanautoren: das unlesbare Buch. Trotz der mit heller Spielfreude zelebrierten Unlesbarkeit - der Autor parodiert allein ein Dutzend Textsorten vom Wikipedia-Eintrag bis zum Videospiel - muss es sich letztlich natürlich doch lesen lassen. Das tut "Dunkle Zahlen" durchaus, nur prasselt statt einer klassischen Handlung eine wahre Flut an einander bedingenden, spiegelnden und aufhebenden Partialgeschichten auf uns ein, die sich von einer höchst grotesken sowjetrussischen Gegenerzählung zur heroischen Silicon-Valley-Saga potenzieren.

Wer sich dem Roman - unverschreckt durch die einleitende Rahmung - tapfer auf klassische Lesart nähern möchte, wird ihn vom Hotel Kosmos her lesen, denn hier findet im Sommer 1985 die zweite Internationale Spartakiade junger Programmierer statt. Mehrere, aber bei weitem nicht alle der frei durch das bestens recherchierte Buch flottierenden Personen lassen sich hier anbinden. Da sind etwa die mächtige, für die Bespitzelung der aus dem gesamten Ostblock stammenden Gastmannschaften zuständige KGB-Mitarbeiterin Jewhenija Swetljatschenko und ihr Geliebter Dmitri Sowakow, Vorsitzender des Spartakiadekomitees. Beider Vorgeschichte lässt sich aus vielen Einzelszenen zumindest lückenhaft rekonstruieren: Dmitri hatte als Architekt das Interesse hoher Kader geweckt, als er eine Art mechanische Stadt entwarf, dann aber die innere Verwandtschaft von Stadt- und Schaltplänen entdeckt. Oberst Swetljatschenko hatte ihre Karriere ebenfalls auf die neuen Maschinen gebaut, war unter anderem zuständig für ein Datenbanken-Projekt, das die Urheber regimefeindlicher Witze identifizieren sollte, aber so wenig funktionierte wie fast alles hier.

Eine mit beiden verbundene Zentralfigur ist der zum Cheftrainer der sowjetischen Auswahl aufsteigende Programmierer Leonid Ptuschkowa, ein Wunderkind, dessen an Alan Turing heranreichende Fähigkeiten hier märchenhaft über einen zaubernden Hecht erklärt werden. Leonids Freund Foma wiederum ist Puschkin-Verehrer und Privattüftler, um dessen endlich einmal vielversprechende Rechenmaschine mit harten Bandagen gekämpft wird. Schließlich gibt es noch die kubanische Übersetzerin Mireya, die sich, eng überwacht, auf die Suche nach der komplett verschwundenen Mannschaft ihres Landes macht. Schließlich ist es an Mireya, mit dem kubanischen Programmcode beim Wettbewerb anzutreten, aber bevor es dazu kommt, lösen sich ihre Konturen in einen Albtraum auf. Das mag unstrukturiert klingen, aber im Buch geht es noch weit verwirrender zu.

Unzählige Digressionen, sei es zu realen Personen wie den Computerpionier Sergei Lebedew, sei es zu wilden Einfällen wie jenem Straflager in Form eines Humancomputers, unterminieren mit postmoderner Chuzpe jede narrative Geradlinigkeit. Einige Schlenker wachsen sich aus. So wird angedeutet, der sowjetische Geheimdienst kommuniziere über Videospiele, weshalb sich ein belgischer Agent über viele Kapitel auf die Suche nach dem Dekodierschlüssel macht. Dabei verliert er sich zunehmend zwischen Agententhriller-Anspielungen: "Womöglich wäre dies ja der Einsatz, bei dem er endlich die Fiktion einholte." Man hätte freilich schon an den vielen Hinweisen auf "Lebenspunkte" merken können, dass wir uns längst im Inneren eines Videospiels befinden. Je näher wir an die nahe Zukunft kommen, desto ungreifbarer wird die Handlung. Variationen tauchen auf, das Museum schluckt die Tat. Was Jewhenija für ihren Code feststellt, gilt für das Maschinenpoem insgesamt: "Das modifizierte Simulationsprogramm (außerordentlich präzise bis zum ersten Halbjahr 1985) warf für die kommenden Monate und Jahre bizarr anmutende Werte aus."

Diesen verschlungenen Erzählbogen über das verschwundene System der Sowjetunion laufen zu lassen ist ein kluger Schachzug, denn so kann sich das Maschinen-Mensch-Verhältnis ein weiteres Mal verkehren. Anders als bei IBM und Apple taucht nämlich im Inneren der Rechner, als würde man eine Matroschkapuppe öffnen, wieder die Poesie auf. Dazu dient eine ins neunzehnte Jahrhundert zurückgreifende Ursprungslegende, die den bereits aus Senkels Roman "Frühe Vögel" bekannten fiktiven Dichter Teterevkin herbeizitiert. Dieser soll, beeinflusst von Charles Babbage, ein mittels automatischer Poesie alles Sein umfassendes Gedicht geplant haben. Die Software für den poetischen Automaten ging diesem also voraus. Damit wird im Land von Puschkin und Gogol eine konkurrierende, schöngeistige Lesart der Digitalisierung möglich. So ist auch die letzte Volte zu verstehen, eine Erinnerung an den im Kräfteringen untergegangenen Versuch der Sowjetunion, einen im Ternärcode arbeitenden Rechner zu entwickeln. Hegel-Dialektik statt Kalter Krieg in der Prozessorseele, die dunkle dritte Zahl: So konnte man keine Rechenwettbewerbe gewinnen, aber eine (wie alles hier verschwundene) dichtende Maschine bauen, dem Golem eine Seele einhauchen. Poesie braucht das Ungefähre.

OLIVER JUNGEN

Matthias Senkel: "Dunkle Zahlen". Roman.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2018. 488 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Cornelia Geissler kann ihre Begeisterung für Mattias Senkels aberwitziges Buch nicht erklären. Eigentlich ist das dauernde Fallenlassen von Handlungssträngen und Figuren anstrengend, gibt sie zu. Doch dann erscheint ihr, was die Literaturmaschine Golem ausspuckt auch wieder witzig. Etwa in der Geschichte von der Spartakiade der jungen Programmierer in Moskau 1985. Oder wenn sich der Screenshot eines Wikipedia-Artikel als Fake erweist. Dass die Anmerkungen und das Personenverzeichnis in diesem Buch schon auf Seite 300 (von 488) stehen, gehört auch dazu. Vergnüglich findet Geissler, die Zeichen im Text zu deuten und der überbordenden Fantasie, der Recherche und der Ironie in der Sprache nachzuspüren.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2018

Im Datenteich
Matthias Senkels durchtriebener Roman „Dunkle Zahlen“
ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert
VON LOTHAR MÜLLER
Aus dem Cover seines Buches ist der Autor verschwunden. Den Verlagsnamen hat er mit auf die hintere Umschlagseite genommen. Die schwarzen Buchstaben des Titels „Dunkle Zahlen“ auf weißem Grund sehen so aus, als wären sie am liebsten ein Rebus. Im Innern des Buches und in der hinteren Umschlagklappe taucht der Autor dann doch auf, er heißt Matthias Senkel, ist 1977 in Greiz in Thüringen geboren und lebt in Leipzig. Aber er will das Buch nicht geschrieben, sondern nur übersetzt haben, offenkundig aus dem Russischen.
Die digitale Literaturmaschine „GLM-3“, die den Text produziert hat, ist ein Überbleibsel aus der Computerwelt der späten Sowjetunion, das mit ihr untergegangen und verschollen ist. Geblieben ist nur ihr unvollendetes Poem „Dunkle Zahlen“, und irgendwann wird Ljudmila Petrowna, Trainerkader im Club junger Programmierer (KMP), dem künftigen Cheftrainer der sowjetischen Nationalmannschaft bei den Computer-Spartakiaden, beim Blick auf Programmfragmente aus den Siebzigerjahren erklären: „Wissen Sie, Leonid Michailowitsch, manchmal, wenn ich ein gut geschriebenes Programm lese, denke ich, dass das unsere neue Lyrik ist! Die Kraft, mit der sich die Welt in ein paar wenigen Zeilen wie diesen hier verdichtet, ist doch reine Poesie.“
Das ist natürlich Unfug mit einem klitzekleinen Wahrheitskern, wie die Fiktion, dieser Roman, der so virtuos aus dem Inneren der späten Sowjetunion herausgeschrieben zu sein scheint, sei aus dem Russischen übersetzt. Er ist eines der witzigsten, einfallsreichsten und übermütigsten Experimente in der deutschen Gegenwartsliteratur, und die verstellte, bisweilen verzerrte Stimme, mit der er spricht, kommt daher, dass er so tief eingetaucht ist nicht nur in die Welt der elektronischen Datenverarbeitung, sondern zugleich und vor allem in die Innenwelten der russischen Literatur von Puschkin und Gogol bis zu Viktor Pelewin und Vladimir Sorokin. Seit dem Erstling Ingo Schulzes, „33 Augenblicke des Glücks“ (1995), hat kein junger deutscher Autor so intensiv Zwiesprache gehalten mit seinen russischen Kollegen aus Vergangenheit und Gegenwart. Matthias Senkel ist dabei der Obsession treu geblieben, die schon sein Romandebüt „Frühe Vögel“ (2012) geprägt hat.
Darin ging es um die Visionen und Projekte der Luft- und Raumfahrttechnik, und an die Stelle eines überschaubaren Plots traten fantastisch durchmischte enzyklopädische Listen und biografische Skizzen, in denen eine Erfinderfamilie und ein Schwarm von Flugpionieren durch die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts geisterte, gelegentlich auch in der Form eines ins Buch hineingezeichneten Comic. Dieses Debüt war ein eigenwilliges Experiment, ein Testlauf im Terrain des unordentlichen Erzählens, mit einer großen Neigung zu Abbreviaturen und knappen Anekdoten. Für seinen zweiten Roman, „Dunkle Zahlen“, hat Matthias Senkel einen Anlauf von mehreren Jahren genommen, bis er alle Datensätze aus Literatur- und Computergeschichte beisammen und alle hoch integrierten Schaltkreise und Lochkartenlabyrinthe konstruiert hatte, in die er seine Leser hineinziehen will, und das ist dem Buch gut bekommen.
Man kann das am Schlüsselmodul erkennen, das in diese Romanwelt hineinführt, an der fiktiven internationalen Spartakiade junger Programmierer, die 1981 erstmals stattfand, nach dem Vorbild der Leichtathletik- und der Schachwettbewerbe. Auch für diese Spartakiade gibt es eine Abkürzung (MSMP), wer will, kann den im Roman verstreut dokumentierten Wettbewerb des Jahres 1985 in einem Stück nachlesen, in den Kapiteln MSMP#01 ff. Sie führen hinein in eine Welt, in der lässig hingeworfene, mit wenigen Strichen markant gezeichnete Figuren als Erfinder und Bastler, KGB-Kader und Politkommissare, Betriebsleiter und Geheimnisträger die Datentechnologien vorantreiben, um die Effizienz der Produktion zu erhöhen, um die Kontrolle subversiver Elemente, vor allem der Witze, zu perfektionieren und um – es ist die Zeit der ersten Computerspiele – Spaß zu haben. Und nicht zuletzt geht es um das Projekt OMEM, den „Vaterländischen Miniaturcomputer“, das sozialistische Gegenstück zum PC in Silicon Valley.
Als Hommage an das erzählerische Potenzial der Allzweckrechner hat Matthias Senkel in seinen Roman einen kleinen Spionagethriller eingebaut, der wie ein frühes Computerspiel funktioniert. Ein angeblich belgischer Agent mit tschechischen Wurzeln im Dienste des französischen Geheimdienstes betreibt darin als IBM-Lobbyist Industriespionage, und en passant fällt dabei die – historisch verbürgte – Episode ab, wie das Computerspiel Tetris von russischen Nerds ausgetüftelt und für lächerlich geringe Lizenzgebühren in den Westen verscherbelt wurde.
Im Gründungsjahr der Spartakiaden, 1981, wurde eine mögliche Ausladung der polnischen Delegation erörtert, da sie vom Solidarność-Virus infiziert sein könnte. 1985 ist das Jahr, in dem mit Gorbatschow die Perestroika beginnt. Nichts wäre leichter, als aus diesem Stoff einen Roman zu machen, der Siegergeschichte schreibt. War nicht die sowjetische Computerindustrie hoffnungslos rückständig, und galt nicht seit Gorbatschow im Sozialismus die Formel: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben? Matthias Senkel hat die Häme aus seinem Roman herauskomplimentiert. Das historisch-politische Ende der Sowjetunion setzt er voraus, der Nationaltrainer der jungen Programmierer wird als alter Mann Museumswärter im 2019 eröffneten Kybernetik-Pavillon, in dem er die untergegangene Welt der Computerpioniere erläutert. Nicht von diesem Ende her konstruiert Matthias Senkel seine Spartakiaden, sondern aus der Perspektive ihrer Vorgeschichte seit Lenins Losung, Kommunismus sei Sowjetmacht plus Elektrifizierung. Er rückt seinem Stoff, der späten Sowjetunion, mit einem literarischen Formenarsenal zu Leibe, das sie in ihrer Frühzeit aus sich selbst ausgetrieben und unter das polemische Verdikt des „Formalismus“ gestellt hatte. Und so mischt sich in den Schwarm der bürokratischen Abkürzungen, die in diesem Roman ihre surrealistische Rückseite hervorkehren, auch die OPOJAS, die Gesellschaft zum Studium der poetischen Sprache um Viktor Schklowski, Boris Eichenbaum und Juri Tynjanow. Seit sie in den frühen Dreißigerjahren aufgelöst wurde, herrschte die Doktrin des sozialistischen Realismus. Matthias Senkel lässt die Formalisten und ihre Verbündeten, die Fantasten, in der Gorbatschow-Ära wiederauferstehen, und damit eines ihrer Lieblingsthemen, das Märchen.
In dem Computer-Nerd, der den Allzweckrechner GLM-2 konstruiert, das Vorgängermodell des Literaturautomaten, aus dem die „Dunklen Zahlen“ hervorgegangen sind, leben die „Schatzinsel“ und die Volksmärchen, die seine Kindheit prägten. Wenn er mit einem Kollegen das Schicksal der jüngst verstorbenen Computerpioniere Revue passieren lässt, sagt er: „Du – du denkst, das sind Märchen? Nein, mein Lieber, das sind keine Märchen. Das ist das wahre sowjetische Leben.“
Hier wird die Grundidee des Romans greifbar. Die „dunklen Zahlen“, deren Bedeutungsspektrum zwischen statistischen Dunkelziffern, okkultem Wissen und imaginären Rechengrößen er in einem parodistischen Lexikonartikel aufblättert, sind wie die Datentechnologie insgesamt nur zum Schein mit der Rationalität, der Berechenbarkeit und der Planwirtschaft im Bunde. Sie sind das Einfallstor der Unterminierung aller Ordnung, die Inspirationsquelle des Typs von Literatur, auf die im Kapitel „Verworfene Motti“ Friedrich Nietzsche in einem nachgelassenen Fragment vorausblickt: „Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts: verrückt und mathematisch zugleich, analytisch-phantastisch: die Dinge wichtiger und im Vordergrund, nicht mehr die Wesen.“
Nietzsches Prophetie sieht Matthias Senkel in der russischen Avantgarde verwirklicht, sein Roman ist eine Hommage an sie selbst, an ihre Wurzeln in der Literatur des 19. Jahrhunderts und ihre Erben in der Gegenwart. In einer hinreißenden Szene gewinnt der Geist der ästhetischen Moderne Gestalt in einem alten Schattenspieler, zu dessen Aufgaben es gehörte, die Anwesenheit Stalins in seinem Arbeitszimmer zu fingieren, der aber zugleich seine Opfer wiederauferstehen ließ, die aus den offiziellen Dokumenten längst herausretuschiert waren. Und wenn sich Mireya, die Übersetzerin der kubanischen Delegation der Spartakiade, in Moskau auf die Suche nach ihrer spurlos verschwundenen Mannschaft macht, dann ist ihr Hindernislauf durch den sozialistischen Alltag am Ende, wenn sie über die Hauptstadt aller Werktätigen hinwegfliegt, zugleich eine Hommage an den Hexenflug in Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“.
Mit gutem Grund führt Matthias Senkel die Genealogie seines Romans bis auf die Zeit von Puschkin, Lermontow und Gogol zurück und stellt ihnen in einer subtilen Camouflage den erfundenen, im Duell gefallenen Dichter Gawriil Jefimowitsch Teterewkin als Erfinder des Literaturautomaten GLM und Pendant des Engländers Charles Babbage an die Seite. Wenn seine Figuren die Existenz von Seelen in einem aus Zahlen zusammengesetzten Universum erörtern und darüber grübeln, wie sie die fiktiven Zahlen, die sie in ihre Computer einspeisen, mit den realen Produktionsdaten in annähernde Übereinstimmung bringen können, sind sie nicht weit entfernt von Gogols „Toten Seelen“. Auch das ist ein Roman über dunkle Zahlen. Sein fantastisches Element geht aus der Datenverarbeitung von Sterbelisten hervor. Matthias Senkel verdanken wir einen Roman, der aussieht wie eine Rechenmaschine, aber eine Geistergeschichte über die verblichene Sowjetunion erzählt.
Dies ist eines der witzigsten,
übermütigsten Experimente
in der Gegenwartsliteratur
Die Rechenmaschinen sind das
Einfallstor zur Unterminierung
aller Ordnung
In seinem zweiten Roman „Dunkle Zahlen“ erzählt Matthias Senkel von der Computerwelt der späten Sowjetunion. – April 1982 in Luchowka: Ein Lehrer überprüft die Testergebnisse.
Foto: ullstein bild
Matthias Senkel:
Dunkle Zahlen. Matthes &
Seitz, Berlin 2018.
488 Seiten, 24 Euro.
E-Book 19,99 Euro.
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