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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Niemand schaut so kritisch auf Eltern wie die eigenen Kinder: Im neuen Roman von Jenny Valentine lernt ein Mädchen, dass das nicht alles ist.
Von Katharina Laszlo
In Geschichten über Kinder und Feuer geht es ja nur selten wirklich um Feuer - vielmehr um den unbeobachteten Moment, um erbarmungslosen Empirismus, ums Nicht-Hören-Wollen und ums Fühlen-Müssen. Das Feuer ist so etwas wie die Anti-Eltern-Kraft in Reinform: Es ist betörend schön, aber nicht so ein Klischee wie die erste große Liebe, ist ein Komplize zu Rebellion und Risiko, aber nicht so nervtötend wie der verdorbene beste Freund mit dem schlechten Einfluss. Das zündelnde Kind beleuchtet immer auch die Erziehungsmethoden seiner Eltern. Dass das Feuer eine noch grundsätzlichere Frage aufzuwerfen fähig ist, beweist Jenny Valentines neuer Roman "Durchs Feuer": Wer oder was sind eigentlich Eltern?
Um das herauszufinden, setzt Valentine, die sich bereits mit Jugendbüchern wie "Kaputte Suppe" oder "Das zweite Leben des Cassiel Roadnight" einen ausgezeichneten Ruf erschrieben hat, ihre Protagonistin Iris so misslichen Familienverhältnissen aus, dass sich der Begriff fast von alleine dekonstruiert. Zusammen mit ihrer Mutter Hannah und ihrem Stiefvater Lowell kehrt das Mädchen ins heimische England zurück, nachdem ihnen in Kalifornien das Geld ausgegangen und der gute Ruf abhandengekommen ist. Für die konsum- wie bestätigungssüchtigen Erwachsenen ist Iris' Entscheidung, erst den Kleiderschrank ihrer Mutter und dann ein Klassenzimmer in Flammen aufgehen zu lassen, ein ebenso schwerer Schlag wie der finanzielle Ruin. Von Iris' leiblichem Vater Ernest, einem wohlhabenden Kunsthändler, erhofft sich Hannah Hilfe, und kündigt sich und die gemeinsame Tochter prompt zu Besuch an.
Ernest stimmt zu, allerdings aus ganz eigenen Motiven. Er hat unheilbaren Krebs und möchte Iris noch ein letztes Mal sehen, bevor er stirbt. Iris wiederum kann sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen, hat ihre Mutter sie doch in dem Glauben aufwachsen lassen, Ernest habe die beiden vor vielen Jahren im Stich gelassen: "Mit seinem Schweigen im Ohr, lauter als jemals Hannahs Geschrei, war ich aufgewachsen."
Und das will was heißen. Denn dieses Geschrei ist ein eher unscheinbarer Teil der langen Liste mütterlicher Unzulänglichkeiten in Valentines Roman. Erziehung ist bei Hannah auf Erziehungsfloskeln reduziert ("Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sag überhaupt nichts"), Empathie zur Berechnung erkaltet, Gefühlsregungen zu Fratzen erstarrt. "Sie hat ein besseres Lächeln für die Attraktiven", beobachtet Iris, "sie blickt zu ihnen auf, dass man das untere Weiße ihrer Augen sehen kann." Von Iris will sie im wahrsten Sinne nichts wissen; niemals fragt sie interessiert, höchstens vorwurfsvoll-rhetorisch: "Was sollen die Leute denken?" Von außen groß und schön und schimmernd wie ein Rennpferd, bleibt Hannahs Inneres selbst für ihre Tochter unbegreiflich. Hinter Iris' Sinn fürs Feuer muss demnach nicht zwingend mentales Ungleichgewicht oder Zerstörungswut stecken. Vielleicht ist es der ganz pragmatische Versuch, die harte, synthetische Oberfläche ihrer Mutter einzuschmelzen, in der Hoffnung, es möge etwas Wahrhaftiges darunter verborgen liegen.
Was das Feuer nicht zu demontieren in der Lage ist, erledigt Iris mit einer subtilen, aber überraschend effektiven Waffe: mit Wörtern. Die emotionale Unterforderung durch ihre Mutter - und die emotionale Überforderung durch den plötzlich anwesenden Vater - bekämpft sie mit Metaphern und Vergleichen. So wird die Ankunft bei Ernest zum "Einschwärmen" mit hörbaren Flügelschlägen, das Auto "krabbelt wie eine Schabe" über den Kies, "wie Haie" kreisen Hannah und Lowell um Ernest, "wie Schlangen" legen sich Hannahs Arme zur Begrüßung um ihn. Iris fasst all das in Bilder, was nicht zu übersehen, aber nur schwer zu begreifen und noch schwerer zu ertragen ist.
Verhalten sich die Erwachsenen unmenschlich, so werden sie in Iris' Vorstellung zu Tieren, zu Geiern, die auf Ernests Ableben gieren, zu Parasiten, die es kaum abwarten können, von seinem Vermögen zu speisen. So radikal erscheint ihr Hannahs Leblosigkeit und Leere, dass Iris sie, die Hände in die Hüften gestemmt, als "Teekanne ohne Ausguss" dastehen lässt. Keine Verbitterung liegt in diesen Erwachsenen-Verwandlungen, eher ein verspielter, kluger Zynismus. Will man von Kreaturen wie diesen, teils Greifvogel, teils Porzellan, elterliche Liebe erwarten? Wenn die Falten in Ernests Gesicht sich beim Lächeln aberwitzig stapeln "wie Handtücher im Kaufhaus", tut die Einsicht, dass der Vater auch ohne sie zu einem derart vom Glück gezeichneten Gesicht gekommen ist, vielleicht weniger weh.
Mit der Fähigkeit, Sprache zu den eigenen Gunsten zu manipulieren, hat die Autorin ihrer Heldin ihr kostbarstes Werkzeug mitgegeben, um das familiäre Los, das sie gezogen hat, tragen zu können. Valentines Entschluss, alle Eltern-Kind-Beziehungen des Romans auf die eine oder andere Weise scheitern zu lassen, macht das nicht weniger mutig: Hannah bleibt bis zuletzt bankrott, emotional wie finanziell, und ist nun noch schlechter auf Iris zu sprechen. Ernests Krankheit raubt ihm die Zeit, die Wahrheit, dass Hannah einst ihn verließ, kommt zu spät ans Licht. Gerade deshalb nutzt er jede Gelegenheit, seine Tochter einzuweihen in seine Gedanken, erzählt ihr von seiner Kindheit als scheuer, sommersprossiger Junge, von seiner waghalsigen Schwester Margot, an die ihn Iris erinnert, stellt Fragen, deren Antworten er wirklich hören will.
Als Ernest stirbt, ist er nicht mehr "wie" etwas anderes, sondern, in Iris' Worten, ein echter Vater aus Fleisch und Blut. Ihr letztes Feuer entzündet sie für, nicht gegen ihn. Herauszufinden, dass Eltern Menschen sind, ist unvergleichlich.
Jenny Valentine: "Durchs Feuer". Roman.
Aus dem Englischen von Klaus Fritz. Reihe Hanser bei dtv, München 2016. 220 S., br., 14,95 [Euro]. Ab 14 J.
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