On 26 August 1914 the world-famous university library in the Belgian town of Louvain was looted and destroyed by German troops. The international community reacted in horror - 'Holocaust at Louvain' proclaimed the Daily Mail - and the behaviour of the Germans at Louvain came to be seen as the beginning of a different style of war, without the rules that had governed military conflict up to that point - a more total war, in which enemy civilians and their entire culture were now 'legitimate' targets. Yet the destruction at Louvain was simply one symbolic moment in a wider wave of cultural destruction and mass killing that swept Europe in the era of the First World War. Using a wide range of examples and eye-witness accounts from across Europe at this time, award-winning historian Alan Kramer paints a picture of an entire continent plunging into a chilling new world of mass mobilization, total warfare, and the celebration of nationalist or ethnic violence - often directed expressly at the enemy's civilian population.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008Bis zur Unkenntlichkeit zerrissen
Alan Kramer untersucht die Dynamik der Zerstörung im Ersten Weltkrieg / Von Michael Salewski
Jeder Krieg zerstört, und es ist heute eine Binsenweisheit, dass ein atomarer Krieg dem gewissermaßen "die Krone" aufsetzen würde. Aber auch wenn es den All-out-Atomkrieg nicht geben wird: was die Menschheit in Sachen Zerstörung bereits "geleistet" hat, erinnert doch an den denkbaren nuklearen Holocaust. Ganze Völker auszurotten, weite Ländereien unfruchtbar zu machen, die feindliche Kultur radikal auszuradieren: das war nicht nur die erklärte Politik der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg, sondern findet sich schon 25 Jahre früher im Ersten Weltkrieg. Genau da beginnen die Probleme: Ob die Verbrennung der Löwener Bibliothek, die Bombardierung der Kathedrale von Reims, die Tötung Hunderter von Zivilisten, das Verhungern Tausender von Kriegsgefangenen - es gibt keine Scheußlichkeit, die nicht begangen worden wäre, Massenvergewaltigungen gab es auch. Das alles aber war eher der Kriegsfurie denn kalter ideologischer Berechnung geschuldet. Es war böse, aber noch war das Böse selbst nicht zum obersten Prinzip erhoben, und man wird es manchem Kriegsverbrechen zugestehen müssen, dass es aus Hass, Wut, niedrigen Instinkten, also menschlichen, besser: unmenschlichen Motiven, nicht aber aus kühler Berechnung heraus begangen wurde. Daran meldet Kramer Zweifel an, sie sind schwergewichtig.
Nicht von ungefähr setzt der Autor Marinettis Futurismuskonzept an den Anfang; nicht umsonst verweist er auf H. G. Wells' "War of the worlds", Friedrich von Bernhardis "Deutschland und der nächste Krieg". Die für die Zeitgenossen ungemessene Friedenszeit von 43 Jahren hatte nicht nur den Wunsch nach einem großen (keineswegs fröhlichen) Krieg geweckt, sondern die Idee geboren, dass die Menschheit gleichsam durch ein reinigendes Fegefeuer müsse. Nicht nur feindliche Armeen gelte es zu vernichten, feindliche Länder zu besetzen: Soll die Welt neu werden so wie nach der biblischen Sintflut, durfte buchstäblich kein Stein auf dem anderen bleiben, durfte es nur noch wenige übrig bleibende Edelmenschen geben, die einen welthistorischen Neuanfang wagen mussten. Sozialdarwinismus und "rassische" Höherzüchtung, um die vorvergangene Jahrhundertwende in ganz Europa leidenschaftlich diskutiert, entbanden jene unheiligen Geister, die den Ersten Weltkrieg nicht zu einem Vorläufer des Zweiten machten, aber zum finale furioso einer jahrhundertealten Apokalypsentradition.
Alan Kramer hat sich redlich bemüht, die Dynamik der Zerstörung in Abwägung auch jener Regeln und Verfahren zu erläutern, die mit Friedenskonferenzen à la Haag oder Kriegsbräuchen à la Genf einhergingen. Er stellt fest, dass vor allem die Deutschen von Anfang an wenig Skrupel besaßen, diese Regelwerke bewusst und gewollt außer Kraft zu setzen, wenn die vermeintliche Staatsräson es forderte. Die einzige Sorge der Vorgesetzten bezog sich immer auf die mögliche Lockerung der "Disziplin", wenn es allzu wüst zuging. Das war ein Muster, das noch im Zweiten Weltkrieg stach, als der eine oder andere Frontkommandant die verbrecherischen Befehle der Wehrmachtführung mit der Begründung unterlaufen konnte, ihre Ausführung gefährde die Disziplin der Soldaten. Denkt man an den "sacro egoismo" der Italiener oder an das "Right or wrong, my country" der Engländer, wird schon deutlich, dass es auch in anderen Ländern solche Ideen gab.
Auch in Österreich und Russland sah es nicht besser aus, um von den Entsetzlichkeiten der türkischen Armenier-"Politik" zu schweigen, und es gehört zu den Stärken des Buches, die "vergessene" Ostfront in ein scharfes, aber düsteres Licht zu rücken: Jene Zustände, die im Westen schon im August und September 1914 angeprangert wurden, setzten im Osten sich ungebrochen fort, nur dass dort das Sterben auch großer Massen von Zivilisten anonymer erfolgte; der Arm des Roten Kreuzes reichte dort oft gar nicht mehr hin. Nun wäre es verkehrt, wollte man die Idee der Vernichtung allein auf philosophisch-weltanschauliche Gründe zurückführen, zumal solche Vorstellungen bei einfachen Soldaten kaum lebendig gewesen sein dürften. Es waren ja gerade einfache Soldaten, die die Massaker von Löwen und Amiens zu verantworten hatten. Was hat brave Familienväter, junge Studenten, braungebrannte Bauernburschen zu diesen abscheulichen Verbrechen getrieben? Kramer bietet eine plausible Erklärung, indem er nüchtern erzählt, wie in den ersten Wochen des Krieges im Westen gestorben wurde: Nie waren die Verluste höher als im August und September 1914, ganze Regimenter wurden pulverisiert, im Maschinengewehrfeuer fielen Hekatomben von Männern - sinnlos. Selbst Verdun und die Somme waren nicht so blutig wie die Grenzschlachten bis zum Desaster an der Marne.
Wer Tag für Tag mitansehen musste, wie Kameraden und Freunde von Granaten bis zur Unkenntlichkeit zerrissen wurden, wer wusste, dass es nur noch eine Frage kurzer Zeit war, bis man selbst tot war, verlor alle Hemmungen, allen Respekt vor fremdem Leben, und wenn dann noch Gerüchte aufkamen, es gäbe Heckenschützen, die den knapp Davongekommenen aus dem Hinterhalt auflauerten, kannte die Wut keine Grenzen mehr. Das massenhafte Versagen der Vorgesetzten, die es nicht verstanden, diese Massenpanik zu steuern, trug zu den Kriegsverbrechen der ersten Wochen entscheidend bei - zu entschuldigen sind sie mitnichten, und es gab immer auch Offiziere, die es ganz gern sahen: die Massenabschlachtung von Männern, Frauen, Kindern. Man legt das Buch mit der nachdenklichen Frage zurück, ob das denn alles nur Geschichte ist.
Alan Kramer: Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War. Oxford University Press, Oxford 2007. 434 S., 25,99 [Euro].
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Alan Kramer untersucht die Dynamik der Zerstörung im Ersten Weltkrieg / Von Michael Salewski
Jeder Krieg zerstört, und es ist heute eine Binsenweisheit, dass ein atomarer Krieg dem gewissermaßen "die Krone" aufsetzen würde. Aber auch wenn es den All-out-Atomkrieg nicht geben wird: was die Menschheit in Sachen Zerstörung bereits "geleistet" hat, erinnert doch an den denkbaren nuklearen Holocaust. Ganze Völker auszurotten, weite Ländereien unfruchtbar zu machen, die feindliche Kultur radikal auszuradieren: das war nicht nur die erklärte Politik der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg, sondern findet sich schon 25 Jahre früher im Ersten Weltkrieg. Genau da beginnen die Probleme: Ob die Verbrennung der Löwener Bibliothek, die Bombardierung der Kathedrale von Reims, die Tötung Hunderter von Zivilisten, das Verhungern Tausender von Kriegsgefangenen - es gibt keine Scheußlichkeit, die nicht begangen worden wäre, Massenvergewaltigungen gab es auch. Das alles aber war eher der Kriegsfurie denn kalter ideologischer Berechnung geschuldet. Es war böse, aber noch war das Böse selbst nicht zum obersten Prinzip erhoben, und man wird es manchem Kriegsverbrechen zugestehen müssen, dass es aus Hass, Wut, niedrigen Instinkten, also menschlichen, besser: unmenschlichen Motiven, nicht aber aus kühler Berechnung heraus begangen wurde. Daran meldet Kramer Zweifel an, sie sind schwergewichtig.
Nicht von ungefähr setzt der Autor Marinettis Futurismuskonzept an den Anfang; nicht umsonst verweist er auf H. G. Wells' "War of the worlds", Friedrich von Bernhardis "Deutschland und der nächste Krieg". Die für die Zeitgenossen ungemessene Friedenszeit von 43 Jahren hatte nicht nur den Wunsch nach einem großen (keineswegs fröhlichen) Krieg geweckt, sondern die Idee geboren, dass die Menschheit gleichsam durch ein reinigendes Fegefeuer müsse. Nicht nur feindliche Armeen gelte es zu vernichten, feindliche Länder zu besetzen: Soll die Welt neu werden so wie nach der biblischen Sintflut, durfte buchstäblich kein Stein auf dem anderen bleiben, durfte es nur noch wenige übrig bleibende Edelmenschen geben, die einen welthistorischen Neuanfang wagen mussten. Sozialdarwinismus und "rassische" Höherzüchtung, um die vorvergangene Jahrhundertwende in ganz Europa leidenschaftlich diskutiert, entbanden jene unheiligen Geister, die den Ersten Weltkrieg nicht zu einem Vorläufer des Zweiten machten, aber zum finale furioso einer jahrhundertealten Apokalypsentradition.
Alan Kramer hat sich redlich bemüht, die Dynamik der Zerstörung in Abwägung auch jener Regeln und Verfahren zu erläutern, die mit Friedenskonferenzen à la Haag oder Kriegsbräuchen à la Genf einhergingen. Er stellt fest, dass vor allem die Deutschen von Anfang an wenig Skrupel besaßen, diese Regelwerke bewusst und gewollt außer Kraft zu setzen, wenn die vermeintliche Staatsräson es forderte. Die einzige Sorge der Vorgesetzten bezog sich immer auf die mögliche Lockerung der "Disziplin", wenn es allzu wüst zuging. Das war ein Muster, das noch im Zweiten Weltkrieg stach, als der eine oder andere Frontkommandant die verbrecherischen Befehle der Wehrmachtführung mit der Begründung unterlaufen konnte, ihre Ausführung gefährde die Disziplin der Soldaten. Denkt man an den "sacro egoismo" der Italiener oder an das "Right or wrong, my country" der Engländer, wird schon deutlich, dass es auch in anderen Ländern solche Ideen gab.
Auch in Österreich und Russland sah es nicht besser aus, um von den Entsetzlichkeiten der türkischen Armenier-"Politik" zu schweigen, und es gehört zu den Stärken des Buches, die "vergessene" Ostfront in ein scharfes, aber düsteres Licht zu rücken: Jene Zustände, die im Westen schon im August und September 1914 angeprangert wurden, setzten im Osten sich ungebrochen fort, nur dass dort das Sterben auch großer Massen von Zivilisten anonymer erfolgte; der Arm des Roten Kreuzes reichte dort oft gar nicht mehr hin. Nun wäre es verkehrt, wollte man die Idee der Vernichtung allein auf philosophisch-weltanschauliche Gründe zurückführen, zumal solche Vorstellungen bei einfachen Soldaten kaum lebendig gewesen sein dürften. Es waren ja gerade einfache Soldaten, die die Massaker von Löwen und Amiens zu verantworten hatten. Was hat brave Familienväter, junge Studenten, braungebrannte Bauernburschen zu diesen abscheulichen Verbrechen getrieben? Kramer bietet eine plausible Erklärung, indem er nüchtern erzählt, wie in den ersten Wochen des Krieges im Westen gestorben wurde: Nie waren die Verluste höher als im August und September 1914, ganze Regimenter wurden pulverisiert, im Maschinengewehrfeuer fielen Hekatomben von Männern - sinnlos. Selbst Verdun und die Somme waren nicht so blutig wie die Grenzschlachten bis zum Desaster an der Marne.
Wer Tag für Tag mitansehen musste, wie Kameraden und Freunde von Granaten bis zur Unkenntlichkeit zerrissen wurden, wer wusste, dass es nur noch eine Frage kurzer Zeit war, bis man selbst tot war, verlor alle Hemmungen, allen Respekt vor fremdem Leben, und wenn dann noch Gerüchte aufkamen, es gäbe Heckenschützen, die den knapp Davongekommenen aus dem Hinterhalt auflauerten, kannte die Wut keine Grenzen mehr. Das massenhafte Versagen der Vorgesetzten, die es nicht verstanden, diese Massenpanik zu steuern, trug zu den Kriegsverbrechen der ersten Wochen entscheidend bei - zu entschuldigen sind sie mitnichten, und es gab immer auch Offiziere, die es ganz gern sahen: die Massenabschlachtung von Männern, Frauen, Kindern. Man legt das Buch mit der nachdenklichen Frage zurück, ob das denn alles nur Geschichte ist.
Alan Kramer: Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War. Oxford University Press, Oxford 2007. 434 S., 25,99 [Euro].
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