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Die Vorstellung, die Welt ließe sich durch gezielte militärische Interventionen mittelfristig bessern, ist nicht voraussetzungslos. Sie beruht auf einer Aufteilung der Realität in zwei Zonen, die durch eine hohe Mauer voneinander getrennt sind und daher nichts miteinander zu tun haben: dem Villenviertel der westlichen Zivilisation, in dem das Leben durch immer vollkommenere Institutionen gesichert und verwaltet wird, und den mehr oder weniger verwahrlosten Slums ringsum, die durch eigentümliche Sitten, undurchsichtige Religionen, unberechenbare Herrscher, kurz: durch Gefahren jedweder Art gekennzeichnet sind. Der Islamwissenschaftler Navid Kermani leitet seine jetzt als Buch erschienenen Reportagen aus islamischen Ländern ("Schöner neuer Orient". Berichte von Städten und Kriegen. Verlag C. H. Beck, München 2003. 240 S., geb., 19,90 [Euro]) mit der Beobachtung ein, die Segregation der Dritte-Welt-Metropolen, in denen sich die Parklandschaften der Reichen durch hochtechnisierte Sicherheitssysteme vom Wildwuchs draußen abschirmen, bestimme längst auch den Blick, den selbst die Gutwilligsten in den Metropolen des Westens auf die internationale Nachrichtenlage werfen.
Nach dem 11. September 2001 hat diese Zweiteilung auch den letzten Anschein von Harmlosigkeit verloren. Wenn die Welt vornehmlich von der Warte eines bedrohten Paradieses her wahrgenommen wird, engt sich das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten erheblich ein. Eine fatale Eigendynamik kommt in Gang. Das Verfahren, am anderen nur die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit sich selbst zu erkennen, provoziert oft erst die Bildung jener rigiden ausschließenden Identitäten, die dann am Ende keine andere Wahl als kriegerische Eindämmung zu lassen scheinen.
Kermanis Reportagen zeichnet das Gegenteil aus. Als in Deutschland aufgewachsener Iraner gelingt es ihm, die von ihm bereisten Gesellschaften von innen und außen zugleich zu beobachten. Von außen, da er den westlichen Erwartungshorizont kennt und die Erfahrung einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Von innen, da ihm nichtwestliche Verhaltensweisen in dieser Region nicht weniger vertraut, natürlich und menschlich vorkommen als westliche. Das betrifft nicht nur prinzipielle Dinge wie die Religion, sondern schon einfachste Gesten. So identifiziert er das gleichzeitige Glucksen und Poltern, das er im palästinensischen Akko bei einem Mann hört, der seine kleine Tochter in die Höhe wirft, als jene "clownesk-burschikose Zärtlichkeit", die er schon bei so vielen Arabern im Spiel mit ihren Kindern wahrgenommen hat und die deshalb für ihn mitten in Israel wie ein Ortsschild wirkte. Oder er erkennt das verzweifelte Lachen des afghanischen Widerstandskämpfers wieder, den er im Fernsehen vor den Trümmern seines von den Taliban zerstörten Hauses stehen sieht: Es ist das gleiche Lachen, wie er es in tadschikischen Familien erlebt hat, wo man gar nicht mehr herauskam aus dem Lachen, weil das Leben "so schrecklich ist, aber auch so absurd". Er kam gar nicht umhin, das verzweifelte Lachen des Afghanen sofort zu begreifen, schreibt Kermani - um so mehr fühlte er sich davon getroffen, daß dieser Mann am 9. September 2001 ermordet worden war.
Aufgrund dieser Vertrautheit kann Kermani auf Stilisierungen und Zuschreibungen verzichten, die jegliche Verschiedenheit politisch, kulturell oder religiös aufladen. Im Dankwort findet sich ein Schlüssel für die Herangehensweise dieser Berichte. Jedesmal, schreibt der Autor dort, zucke er zusammen, wenn er Formulierungen höre wie "die Araber sind", "die Pakistanis denken", "die Muslime kennen nicht": "Die Menschen, die ich kennengelernt habe, die sind, haben, denken, müssen nicht, was über sie gesagt wird, und Güte und Toleranz kennen sie sehr wohl." Wer den Bewohnern der unheimlichen Gefahrenzone die gleiche Individualität zuerkennen kann wie der Bevölkerung des Villenviertels, ist zu einer viel präziseren Unterscheidung der Ebenen in der Lage, als wer nur die immer gleichen abstrakten Denkbausteine wie "Moderne", "Islam" und "Identität" gegeneinander verschiebt.
Schon in einer früher veröffentlichten Interpretation des "11. September" ("Dynamit des Geistes". Martyrium, Islam und Nihilismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 72 S., br., 14,- [Euro]) hatte sich Kermani dagegen gewendet, die Anschläge umstandslos aus der islamischen Tradition herzuleiten, und diese statt dessen als Akt eines modernen Nihilismus gedeutet. Ähnlich zeigt er nun in den Reportagen, wie das neue Hervorkehren muslimischer "Identität" etwa in Ägypten durchaus Folge und Teil der Globalisierung sein kann. Die jungen Frauen der Mittelschicht, die jetzt wieder Kopftuch tragen, "kennen sich in Hollywood aus, lieben Meryl Streep und lesen Arundatha Roy, wünschen sich aber, daß der eigene Staat islamischer werde, ohne deswegen an die Herrschaft der Rechtsgelehrten oder die Rückfahrt zum Kalifat zu denken".
Die Länder, die Navid Kermani bereist hat - außer Ägypten sind es Pakistan, Tadschikistan, Indonesien, Palästina und Iran - gehören alle zu dem Szenario der Angst, dem sich das Villenviertel ausgesetzt sieht. Der Autor beschreibt im Detail das Versagen der Eliten, der Politik, ja der gesamten Kultur des Islam in dieser Region. Aber er zeigt auch, weshalb die Menschen, die Opfer dieses Versagens sind, durch die Abstraktionen des sich bedroht fühlenden Westens ein weiteres Mal zu Opfern werden.
MARK SIEMONS
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
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