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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Lauren Wolk erzählt vom Leben in der Wildnis
"Vermutlich konnte jeder Zufluchtsort ein Zuhause sein, solange es sich so anfühlte", denkt sich Ellie. Obwohl das für ihre Mutter und ihre Schwester ganz anders ist. Die wollen das Zuhause in der Zuflucht nicht sehen, bitterarm und fern von der Stadt, den Elementen ausgesetzt. Die Familie, die im Zug der Weltwirtschaftskrise alles verliert und aus der Stadt, als Schneidermeister und Musiklehrerin, mit drei Kindern in die Bergregion zieht, kämpft im selbst gebauten Holzhaus ums Überleben. Für Ellie und ihren Vater aber wird diese ungewohnte Umgebung schnell ein Zuhause.
Warum das so ist, bildet das Herz von Lauren Wolks "Echo Mountain", dem in der deutschen Ausgabe der Untertitel "Ellie geht ihren eigenen Weg" beigegeben worden ist. Was man sowieso schon versteht nach einem Auftaktsatz wie diesem: "Der Erste, dem ich das Leben gerettet habe, war ein Hund." Ellie ist in diesem rauen Jahr 1934 erst zwölf Jahre alt, sie kann jäten, pflügen, angeln. Ellie weiß meistens, was zu tun ist. Und wenn nicht, dann probiert sie etwas aus. Den Vater mit selbst gebrauten Tränken ins Leben zurückzuholen, zum Beispiel.
Es ist ihr nicht in die Wiege gelegt worden, Land urbar zu machen, Tiere und Menschen zu retten aber wohl schon. Wie ihr Vater kann sie damit umgehen, dass ein Zuhause durchaus auch ein Ort der Gefahren sein kann. Sie fühlen das Wetter und die Jahreszeiten, sie haben ein Gespür für die Natur, und sie verstehen die Lebewesen, die Tiere wie die Pflanzen, als Partner in einer gemeinsam bewohnten Welt. Es ist eine Mischung aus Härte und Einklang, die Wolk am Echo Mountain schildert. Damit die Familie nicht verhungert, muss gejagt werden. Um an den Honig als Wundheilmittel zu kommen, muss man viele Stiche in Kauf nehmen - und den Tod der Wildbienen, die doch Freunde sind.
Doch Ellies Sensorium ist noch viel genauer. In Wolks Schilderung spürt Ellie körperlich den Schmerz der betrogenen Bienen, denen sie den Honig raubt, rauben muss. Ellies Verständnis der Zusammenhänge deutet früh an, dass da ein Mädchen mit heilenden Kräften heranwächst. Daher rührt die bisweilen regelrecht lyrische Sprache, die Birgitt Kollmann für das amerikanische Original gefunden hat. Wolk wiederum findet auch eine Sprache für die Sprachlosigkeit zwischen Ellie, ihrer älteren Schwester Esther und ihrer Mutter. Denn das patente Kind, das für das Überleben der ganzen Familie sorgt, ist zugleich das schwarze Schaf, dem man anlastet, am schweren Unfall und am Koma des Vaters schuld zu sein. Das lastet schwer auf Ellie, und Wolk, die so vieles erst einmal bewusst rätselhaft und vage lässt, erzählt zwar nicht den ganzen Hergang sofort - dass Ellie aber niemals das Leben eines anderen aufs Spiel setzen würde, ahnen, ach was, wissen die Leser von Anfang an.
In dieser Grundgewissheit kann Wolk, die 1956 geboren wurde und erst 2017 ihren ersten Kinderroman veröffentlicht hat, viele andere Ungewissheiten und auch Härten entfalten. Wolk hat schon in "Das Jahr, in dem ich lügen lernte" (2019) das moralische Dilemma eines Kindes erzählt, das für das Gute, das es tun will, die von den Erwachsenen vorgegebenen Regeln brechen muss. Zur Vertrauenskrise kommt gewissermaßen Ellies Zutrauenskrise, die dazu führt, dass eine vermeintliche Hexe namens Cate zur engen Vertrauten Ellies wird.
Die Notwendigkeit des Schicksals, die mit ein paar handgeschnitzten Figürchen beginnt, die Ellie findet, und in eine Art Familiensaga mündet, würde man sich etwas weniger pathetisch und passgenau wünschen. Gegen Ende mündet diese Haltung in eine Art Auflösungsgalopp, der ein wenig zu schlicht ist im Vergleich zu der Mühe, den Berg von "Echo Mountain" literarisch aufzutürmen.
Wenn sich am Ende herausstellt, wie alle Personen, auch der geheimnisvolle Figurenschnitzer, miteinander zusammenhängen, erklärt sich auch, was der Eingangssatz mit dem Namen von Cates Hund zu tun hat - und mit Florence Nightingale. Oder wie Cate sagt: "Manchmal geschehen Dinge ungeordnet oder nach ihrer eigenen Ordnung. Aber wenn man sich nicht zu viele Gedanken über die richtige Reihenfolge macht, dann sieht man durchaus den Sinn dahinter." EVA-MARIA MAGEL
Lauren Wolk: "Echo Mountain". Roman.
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. Hanser Verlag, München 2021. 384 S., geb., 17,- Euro. Ab 11 J.
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"Herzergreifend!" Britta Selle, MDR KULTUR, 1.4.2021
"Lauren Wolk erzählt so eindringlich von Glück und Unglück, Schmerz und Traurigkeit, Verzicht und Verantwortung, aber auch von großer Liebe und Zuversicht, dass man immer wieder berührt ist. Das hat viel mit dem poetischen Ton der Autorin zu tun wie auch mit der sehr einfühlsamen Übersetzung von Birgit Kollmann. Ellie erzählt mit fester, starker Stimme ..., sie findet zarte Bilder für ihre hochsensiblen Empfindungen." Sylvia Schwab, Deutschlandfunk Kultur, 26.6.2021
"Erwachsene, die im Koma liegen, an lebensgefährlichen Infekten laborieren und unter schweren Verlusten leiden. Ein Kind, das unter einer vermeintlichen Schuld und einem realen Gewissenskonflikt ächzt. Das klingt nach deprimierender Kost. Und doch ist Lauren Wolk ... ein herzerwärmendes, atmosphärisches und optimistisches Buch gelungen. Das liegt an der sinnlichen Sprache ... . Und vor allem am animistischen Touch, mit dem Ellie die Welt wahrnimmt. ... Fürsorglich und sensibel sein und zugleich mutig und tatkräftig." Gunda Bartels, Tagesspiegel Online, 31.3.2021
"Wenn Birgitt Kollmann ein Buch übersetzt hat, kann es nicht ... schlecht sein. ... Ellie ist wirklich ein liebenswertes Mädchen ... . Ein schönes Buch für alle, die Tiere lieben." Agnes Sonntag, Spiegel Online, 30.3.2021
"Lauren Wolks Sprache hat auch in der gelungenen Übersetzung von Birgitt Kollmann einen ganz eigenen Rhythmus, fast wie ein Gedicht ... Mit der Begegnung zwischen Ellie und Cate kommt ... ein scharfer Witz hinzu und die Geschichte nimmt an Fahrt auf. ... Ein Buch zum Abtauchen in eine völlig andere Welt." Katharina Mahrenholtz, NDR Kultur, 29.3.2021
"Es ist eines meiner Lieblingsbücher dieses Frühjahrs, ich habe es im Rausch in einer Nacht durchgelesen. ... Das Buch ist einfach toll. Der erste Teil ist wie ein langer ruhiger Fluss. Sehr viel Naturbeschreibung, Gedanken und dann kommt Fahrt auf, als Ellie die alte Frau auf dem Berg trifft ... Die Handlung wird rasant ... Ich bin gerne in Ellies Kopf eingetaucht." Katharina Mahrenholtz, NDR Kultur, 27.3.2021
"Die Erzählung entwickelt sich zu der ungewöhnlich komplexen Geschichte eines Mädchens, das mit allen Sinnen das Leben um sich herum erfahren, begreifen, verstehen und verändern möchte. Die Welt der Gefühle und Gedanken wird mit großer Liebe fürs Detail beschrieben. ... Eine stilsichere Sprache mit sehr poetischen Sprachbildern. Dadurch erscheint der schwere Weg Ellies zu größerer Klarheit über das Leben und zu mehr Vertrauen zu sichselbst geradezu in einem naturphilosophischen Licht. Übersetzerin Birgitt Kollmann überträgt diese traurigschöne Melodie aus Naturbeschreibung, gesprochener Sprache und den Selbstreflexionen der jungen Erzählerin nahtlos ins Deutsche." Siggi Seuß, Süddeutsche Zeitung Online, 11.03.2021
"Ellie scheut vor wenig zurück. ... Ein Mädchen mit ungewohnten Ideen und enormer Tatkraft." Roswitha Budeus-Budde, 3sat Kulturzeit, 5.3.2021
"Ein großartiger Roman, ... sprachlich unglaublich gut. ... Es geht natürlich auch um emanzipierte Frauen. Es ist absolut aktuell, es ist keine Weltflucht, sondern es ist ein Buch gegen die Entfremdung der Moderne von der Umwelt und deswegen ein Buch, das zur Pandemie, aber auch für die Generation Fridays for Future wunderbar passt." Christiane Raabe, Deutschlandfunk, 6.3.2021
"Eine Geschichte über Mut und Schuld und über die Kraft von Neugier und Starrsinn." LUCHS-Jury, Die ZEIT, 4.3.2021