Zu Beginn von Iris Hanikas neuem Roman gelangen wir mit Sophonisbe, einer nicht mehr ganz jungen Dichterin, die wirklich so heißt, nach New York. So tollkühn der Roman anhebt – schon am zweiten Tag befinden wir uns auf einem Empfang bei Beyoncé –, so unnachahmlich katapultiert er uns dorthin, wo die Aufgabe des modernen Dichters liegt: eine neue, ganz andere Sprache zu finden für die Gegenwart, das Glück, das Wesentliche … für alles. Es geht um das Leben in den Städten (in der Mitte des Buches kehren wir nach Berlin zurück, das gerade in Gefahr steht, ebenso vom Geld plattgewalzt zu werden wie New York), es geht aber auch um einen späten Liebeswahn, der jedoch, anders als in der Jugend, nicht in den Abgrund führt, sondern nur die letzte Hürde vor der Befreiung von den Zumutungen des Triebs ist, worauf man sich den Freuden des Alters hingeben kann. "Echos Kammern" ist ein großes Literaturvergnügen, ein Reiseroman ebenso wie ein Liebesroman, streckenweise ein Action-Roman und ein Lebensratgeber, ein Ausflug an den Beginn der Dichtkunst und ein Ausblick in ihre Zukunft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2020Das Leben, eine gejetlagte Phantasie
Narziss in der Mommsenstraße: Iris Hanikas Großstadterkundungen in "Echos Kammern"
Die Hauptrollen haben zwei Frauen Mitte fünfzig und - vielleicht - ein junger Mann um die dreißig. Alle drei tragen Namen - Sophonisbe, Roxana, Josh -, die aufgeladen sind mit Assoziationen, an die Mythologie, an die europäische Literatur und an die jüdisch-christliche Religion. Die muss man aber gar nicht kennen. Außerdem ist für die Konstruktion des schweifenden Romans eine erzählende, erläuternde Instanz nötig, hinter der man automatisch wieder eine Frau vermutet, eine Beobachterin zweiter Ordnung. Deren Stimme leitet das erste Kapitel ein und bleibt bis zum Schluss als Orientierungshilfe; das ist kunstreich gemacht von der Autorin.
Der Titel "Echos Kammern", entliehen der Echokammer in den analogen Tonstudios, führt zugleich geradewegs in die Geschichte vom gnadenlos selbstverliebten Jüngling Narziss und der Nymphe Echo, die nur als sein Hallraum agieren kann. Das geht in Ovids "Metamorphosen" für beide nicht gut aus, wie man weiß. Und von dort aus ist es, das führt Iris Hanika vor, nur ein kleiner Schritt zu den Spiegelspielen des Narzissmus, in all seinen privaten und öffentlichen Varianten, die zumal in den Großstädten ihren fruchtbaren Nährboden haben.
Sophonisbe, eine von Berlin aus vagierende Schriftstellerin, fährt nach New York, um für sich Inspirationen zu sammeln, denn "sie hatte beschlossen, sich von der Lyrik ab- und der Prosa zuzuwenden". Um der Gefahr eines weiteren einfach literarischen New-York-Reiseführers zu entgehen, erfindet sie eine Kunstsprache, ein Hybrid aus angelsächsischer Grammatik und Mimikry eines gebrochenen Deutschs. Passagen aus "Sophonisbes Manuskript" über ihren Aufenthalt in New York sind immer wieder eingeflochten, wie "ich habe gesprochen zumeist in englische Sprache, welche ist sie nicht meine Muttersprache". Und "es ist kein Unterschied, ob ich spreche mündlich oder ob ich mache schriftliche Mitteilung, und deswegen, wenn ich denke an Stadt New York, ich falle in Sprache mit Akzent auch in meine eigene lengevitch". Und gleich am Beginn ihres Aufenthalts gerät sie im Stadtteil Tribeca in eine Party, auf der ein Hofstaat aus wunderschönen Menschen und Engeln die schwarze Pop-Königin Beyoncé zelebriert. Das Leben, ein Traum? Oder eine gejetlagte Phantasie?
Jedenfalls schildert die Flâneuse Sophonisbe ihre Impressionen. Das hat einen gewissen Reiz, entkommt aber nicht ganz dem, was New York eben so bereithält. Ihre Studien sind leicht übertragbar auf Berlin, auf die Metamorphosen der Stadt, seit der Fall der Mauer neue Räume aufgerissen hat und die einstigen "Brachen" mit Investitionskapital auffüllt. Sophonisbe findet solche Zustände gründlich verabscheuungswürdig, zumal ihre eigenen Kieze davon bedroht sind. Das ist die eine Erzählung des Buchs: Sie handelt von den Metropolen, jenen zentrierten Orten, die von zerrissenen Subjekten (wie wir alle sie doch sind) bevölkert werden - im schlimmen Fall von "fiktiven Subjektivitäten", die mit ihrem zu vielen Geld Schuld an der Gentrifizierung einstiger urbaner Biotope haben.
In New York ist Sophonisbe in einem Café Josh wiederbegegnet, einem der Schönen aus Beyoncés Entourage. Joshs höflich interessierte beflissene Freundlichkeit, sein "olympisches Strahlen" trifft auf ihre direkte emotionale Abwehr. Auf Umwegen über ihre New Yorker Freunde fügt es sich aber, dass Josh kurz nach ihrer Rückkehr auch in Berlin für einen Zwischenstopp auftaucht, um Deutsch zu lernen, ehe er für seine universitären Studien in die Ukraine weiterreist. Sophonisbe ist als Untermieterin bei der gepflegten Roxana in der Mommsenstraße eingezogen, die eine Menge Geld mit Ratgebern für alle Lebenslagen (zum Beispiel "Über den Umgang mit Verrückten und Wütenden") verdient hat und jetzt nicht so genau weiß, wie es weitergehen soll mit ihrer luxuriösen Single-Existenz. Sophonisbe bringt Josh mit in die gemeinsame Wohnung - wo Roxana gleich im ersten Moment seiner Schönheit verfällt.
Das ist nämlich die andere Erzählung des Buchs. Und das macht alles nicht nur ein bisschen, sondern viel komplizierter; das Leben verläuft eben nicht linear. Von nun an gibt es eine literarisierte Version zur uralten Differenz zwischen Wunsch und Wunscherfüllung (was in dieser Hinsicht für Sophonisbe noch geschah, sei hier nicht verraten). Wer sich schon einmal mit psychoanalytischen Diffizilitäten herumgeschlagen hat, wird daran seinen besonderen Spaß haben; alle anderen bekommen einen garantiert unterhaltsamen Schnellkurs in Narzissmustheorie. Denn nun treten die zwei Frauen auf je eigene Art in eine Phase ein, die sich "Spiegelstadium" nennen ließe (siehe Narziss und Echo). Darin findet der Titel des Romans, "Echos Kammern", seine wahre Bestimmung. Der arme Josh!, lässt sich da nur noch seufzen. Am Küchentisch der Charlottenburger Großraumwohnung wird über ihn bloß noch als der "Prinz" oder das "Kerlchen" verhandelt, dafür aber nachhaltig.
Roxana trennt, wild entschlossen und wahrlich sophistisch, ihr Hirn vom Körper, ihre Phantasie vom Trieb - im Verzicht. Sie erklärt ihr "Verlangen" nach Josh zum "Wahn", der keinesfalls Folgen haben dürfe (warum eigentlich nicht?), wobei ihr Josh keinerlei Avancen macht. Sophonisbe macht sich derweil "Notizen" über Josh, wieder in normaler Sprache: "Sich selbst erkennt er nicht, er sieht nur sein Bild. Er sieht, was die anderen sehen, er sieht sich selbst wie ein Bild. Er sieht die schöne Larve, die auch die anderen sehen, er sieht die Maske, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Sein Innenleben nimmt er zur Kenntnis; er trägt es jeden Tag mit sich herum, aber er weiß nicht, was es soll. Er nimmt es hin. Er ist der schön dekorierte Behälter seines Innenlebens; das reicht den anderen, das reicht auch ihm." Er ist, kurz, ein "leerer Spiegel".
Da ist nur ein kleiner Einwand. Was kann der arme Josh dafür, dass er so schön ist? Vor allem aber ist die Koppelung des Narzissmus, wie ihn Iris Hanika so rasant geißelt, an äußerliche Schönheit keineswegs zwingend, im Gegenteil sogar. Es ist der minder gratifizierte Narzissmus derer, die sich ewig zu kurz gekommen fühlen, der die - unschöne - Attitüde der Misogynie mit sich bringen kann. Und die lässt sich Josh nun wirklich nicht anhängen; er ist den zwei Frauen gegenüber schlicht indolent, dabei wohlerzogen, als "bourgeois" wird er auch apostrophiert.
Natürlich geht es Hanika dabei um eine Versuchsanordnung, die nur um den Preis solcher Zuspitzungen bei allen Beteiligten funktioniert. Irgendwann scheinen Sophonisbe und Roxana gleichsam zu einer Person zu verschmelzen. Sie handeln wie die zwei Hälften einer gespaltenen Identität, im Zeichen je eigener untersagten Wunscherfüllung. Dass Roxana währenddessen an einem Buch laboriert, das "communicado - incommunicado" heißen soll, ist schon eine Pointe. Die noch bessere ist, dass Sophonisbe (nach dem Durchgang durch die Beinahekatastrophe Josh) ein Buch schreiben will über - Spiegel. Das ist ein perfekter Schluss für einen Roman mit zwei Frauen, denen die Autorin wirklich wenig erspart, was bisweilen von selbstironischem Witz bis hin zur Komik ist. Dankenswerterweise erspart sie ihrem Personal aber die gängige Bezeichnung "in den besten Jahren", diesen Euphemismus, der eigentlich ein übler Dysphemismus ist. So lecken Sophonisbe und Roxana ihre narzisstischen Wunden, auf hohem Niveau. Das bereitet ein voyeuristisches Vergnügen (selbst ist man ja ganz anders). Iris Hanika hat ein literarisches Capriccio zum anmutigen Thema geschrieben, mit viel Kenntnis im Hintergrund, als ein Konversationsstück, das sich in den Salons der großen Städte trefflich diskutieren lässt. Jedenfalls wenn kein gekränkter Narzisst im Raum ist.
ROSE-MARIA GROPP
Iris Hanika: "Echos Kammern". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2020. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Narziss in der Mommsenstraße: Iris Hanikas Großstadterkundungen in "Echos Kammern"
Die Hauptrollen haben zwei Frauen Mitte fünfzig und - vielleicht - ein junger Mann um die dreißig. Alle drei tragen Namen - Sophonisbe, Roxana, Josh -, die aufgeladen sind mit Assoziationen, an die Mythologie, an die europäische Literatur und an die jüdisch-christliche Religion. Die muss man aber gar nicht kennen. Außerdem ist für die Konstruktion des schweifenden Romans eine erzählende, erläuternde Instanz nötig, hinter der man automatisch wieder eine Frau vermutet, eine Beobachterin zweiter Ordnung. Deren Stimme leitet das erste Kapitel ein und bleibt bis zum Schluss als Orientierungshilfe; das ist kunstreich gemacht von der Autorin.
Der Titel "Echos Kammern", entliehen der Echokammer in den analogen Tonstudios, führt zugleich geradewegs in die Geschichte vom gnadenlos selbstverliebten Jüngling Narziss und der Nymphe Echo, die nur als sein Hallraum agieren kann. Das geht in Ovids "Metamorphosen" für beide nicht gut aus, wie man weiß. Und von dort aus ist es, das führt Iris Hanika vor, nur ein kleiner Schritt zu den Spiegelspielen des Narzissmus, in all seinen privaten und öffentlichen Varianten, die zumal in den Großstädten ihren fruchtbaren Nährboden haben.
Sophonisbe, eine von Berlin aus vagierende Schriftstellerin, fährt nach New York, um für sich Inspirationen zu sammeln, denn "sie hatte beschlossen, sich von der Lyrik ab- und der Prosa zuzuwenden". Um der Gefahr eines weiteren einfach literarischen New-York-Reiseführers zu entgehen, erfindet sie eine Kunstsprache, ein Hybrid aus angelsächsischer Grammatik und Mimikry eines gebrochenen Deutschs. Passagen aus "Sophonisbes Manuskript" über ihren Aufenthalt in New York sind immer wieder eingeflochten, wie "ich habe gesprochen zumeist in englische Sprache, welche ist sie nicht meine Muttersprache". Und "es ist kein Unterschied, ob ich spreche mündlich oder ob ich mache schriftliche Mitteilung, und deswegen, wenn ich denke an Stadt New York, ich falle in Sprache mit Akzent auch in meine eigene lengevitch". Und gleich am Beginn ihres Aufenthalts gerät sie im Stadtteil Tribeca in eine Party, auf der ein Hofstaat aus wunderschönen Menschen und Engeln die schwarze Pop-Königin Beyoncé zelebriert. Das Leben, ein Traum? Oder eine gejetlagte Phantasie?
Jedenfalls schildert die Flâneuse Sophonisbe ihre Impressionen. Das hat einen gewissen Reiz, entkommt aber nicht ganz dem, was New York eben so bereithält. Ihre Studien sind leicht übertragbar auf Berlin, auf die Metamorphosen der Stadt, seit der Fall der Mauer neue Räume aufgerissen hat und die einstigen "Brachen" mit Investitionskapital auffüllt. Sophonisbe findet solche Zustände gründlich verabscheuungswürdig, zumal ihre eigenen Kieze davon bedroht sind. Das ist die eine Erzählung des Buchs: Sie handelt von den Metropolen, jenen zentrierten Orten, die von zerrissenen Subjekten (wie wir alle sie doch sind) bevölkert werden - im schlimmen Fall von "fiktiven Subjektivitäten", die mit ihrem zu vielen Geld Schuld an der Gentrifizierung einstiger urbaner Biotope haben.
In New York ist Sophonisbe in einem Café Josh wiederbegegnet, einem der Schönen aus Beyoncés Entourage. Joshs höflich interessierte beflissene Freundlichkeit, sein "olympisches Strahlen" trifft auf ihre direkte emotionale Abwehr. Auf Umwegen über ihre New Yorker Freunde fügt es sich aber, dass Josh kurz nach ihrer Rückkehr auch in Berlin für einen Zwischenstopp auftaucht, um Deutsch zu lernen, ehe er für seine universitären Studien in die Ukraine weiterreist. Sophonisbe ist als Untermieterin bei der gepflegten Roxana in der Mommsenstraße eingezogen, die eine Menge Geld mit Ratgebern für alle Lebenslagen (zum Beispiel "Über den Umgang mit Verrückten und Wütenden") verdient hat und jetzt nicht so genau weiß, wie es weitergehen soll mit ihrer luxuriösen Single-Existenz. Sophonisbe bringt Josh mit in die gemeinsame Wohnung - wo Roxana gleich im ersten Moment seiner Schönheit verfällt.
Das ist nämlich die andere Erzählung des Buchs. Und das macht alles nicht nur ein bisschen, sondern viel komplizierter; das Leben verläuft eben nicht linear. Von nun an gibt es eine literarisierte Version zur uralten Differenz zwischen Wunsch und Wunscherfüllung (was in dieser Hinsicht für Sophonisbe noch geschah, sei hier nicht verraten). Wer sich schon einmal mit psychoanalytischen Diffizilitäten herumgeschlagen hat, wird daran seinen besonderen Spaß haben; alle anderen bekommen einen garantiert unterhaltsamen Schnellkurs in Narzissmustheorie. Denn nun treten die zwei Frauen auf je eigene Art in eine Phase ein, die sich "Spiegelstadium" nennen ließe (siehe Narziss und Echo). Darin findet der Titel des Romans, "Echos Kammern", seine wahre Bestimmung. Der arme Josh!, lässt sich da nur noch seufzen. Am Küchentisch der Charlottenburger Großraumwohnung wird über ihn bloß noch als der "Prinz" oder das "Kerlchen" verhandelt, dafür aber nachhaltig.
Roxana trennt, wild entschlossen und wahrlich sophistisch, ihr Hirn vom Körper, ihre Phantasie vom Trieb - im Verzicht. Sie erklärt ihr "Verlangen" nach Josh zum "Wahn", der keinesfalls Folgen haben dürfe (warum eigentlich nicht?), wobei ihr Josh keinerlei Avancen macht. Sophonisbe macht sich derweil "Notizen" über Josh, wieder in normaler Sprache: "Sich selbst erkennt er nicht, er sieht nur sein Bild. Er sieht, was die anderen sehen, er sieht sich selbst wie ein Bild. Er sieht die schöne Larve, die auch die anderen sehen, er sieht die Maske, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Sein Innenleben nimmt er zur Kenntnis; er trägt es jeden Tag mit sich herum, aber er weiß nicht, was es soll. Er nimmt es hin. Er ist der schön dekorierte Behälter seines Innenlebens; das reicht den anderen, das reicht auch ihm." Er ist, kurz, ein "leerer Spiegel".
Da ist nur ein kleiner Einwand. Was kann der arme Josh dafür, dass er so schön ist? Vor allem aber ist die Koppelung des Narzissmus, wie ihn Iris Hanika so rasant geißelt, an äußerliche Schönheit keineswegs zwingend, im Gegenteil sogar. Es ist der minder gratifizierte Narzissmus derer, die sich ewig zu kurz gekommen fühlen, der die - unschöne - Attitüde der Misogynie mit sich bringen kann. Und die lässt sich Josh nun wirklich nicht anhängen; er ist den zwei Frauen gegenüber schlicht indolent, dabei wohlerzogen, als "bourgeois" wird er auch apostrophiert.
Natürlich geht es Hanika dabei um eine Versuchsanordnung, die nur um den Preis solcher Zuspitzungen bei allen Beteiligten funktioniert. Irgendwann scheinen Sophonisbe und Roxana gleichsam zu einer Person zu verschmelzen. Sie handeln wie die zwei Hälften einer gespaltenen Identität, im Zeichen je eigener untersagten Wunscherfüllung. Dass Roxana währenddessen an einem Buch laboriert, das "communicado - incommunicado" heißen soll, ist schon eine Pointe. Die noch bessere ist, dass Sophonisbe (nach dem Durchgang durch die Beinahekatastrophe Josh) ein Buch schreiben will über - Spiegel. Das ist ein perfekter Schluss für einen Roman mit zwei Frauen, denen die Autorin wirklich wenig erspart, was bisweilen von selbstironischem Witz bis hin zur Komik ist. Dankenswerterweise erspart sie ihrem Personal aber die gängige Bezeichnung "in den besten Jahren", diesen Euphemismus, der eigentlich ein übler Dysphemismus ist. So lecken Sophonisbe und Roxana ihre narzisstischen Wunden, auf hohem Niveau. Das bereitet ein voyeuristisches Vergnügen (selbst ist man ja ganz anders). Iris Hanika hat ein literarisches Capriccio zum anmutigen Thema geschrieben, mit viel Kenntnis im Hintergrund, als ein Konversationsstück, das sich in den Salons der großen Städte trefflich diskutieren lässt. Jedenfalls wenn kein gekränkter Narzisst im Raum ist.
ROSE-MARIA GROPP
Iris Hanika: "Echos Kammern". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2020. 240 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Jan Drees freut sich über die Nominierung von Iris Hanikas "wild-intertextuellem" Roman "Echos Kammern" für den Preis der Leipziger Buchmesse. Hanika erzählt die Boheme-Geschichte einer Berliner Lyrikerin um die fünfzig, Sophonisbe, die sich in New York auf einer Party von Beyoncé in einen 25 Jahre jüngeren Mann verknallt, der in Yale über die ukrainische Nationalbewegung promoviert. Diese kosmoplitische Großstadtromanze fügt Hanika allerdings in ein "Hermeneutik-Karussell", in dem sich Sprache ("Meine schönste lengevitch"), Vergangenheit ("Berlin, Berghain, Bunker, Führerbunker") und Narzissmus hübsch umeinander drehen. Alles wird hier zu einem Echo aufs Echo. Virtuos, findet Drees, und gelungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Iris Hanika weist sich als kluge, witzige und wüste Erzählkonstrukteurin aus. Als eine der eigensinnigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsdichtung, die mit brutal klarem und unverschämten Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse schauen kann. Und dann wieder unheimlich erheitert..« (aus der Jurybegründung zum Preis der Leipziger Buchmesse 2021) »Ein Roman, der so phantastisch ist, dass man ihm alle Leser und vor allem Leserinnen der Welt wünscht.« (Bettina Hartz, FAS) »Unglaublich unterhaltsam. Und tatsächlich ein Buch, das man so noch nicht gelesen hat.« (Jan Ehlert, NDR Kultur) »Den neuen Roman von Iris Hanika liest man nicht ohne Schwindelgefühle. Köstlich.« (Barbara Weitzel, Welt am Sonntag) »Ein vielschichtiges und kunstvoll verspiegeltes Artefakt, das leichtfüßig daherkommt, ironisch mit seiner eigenen Welt- und Lebenskenntnis spielt und eine sehr zeitgenössische hoffnungslose Heiterkeit ausstrahlt.« (Sigrid Löffler, Radio Bremen) »Mit leichter Hand wird hier imVorbeigehen skizziert, was modernes Großstadtleben prägt.« (Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung) »Literarisch ausgefuchst und gleichzeitig so lesbar ... aus einem Kunstroman wird ein hochkomischer Liebesroman und gleichzeitig ein Stadtroman.« (Joachim Scholl, DLF Lesart) »Mit der verbindenden Kraft einer in feinste Nuancen dringenden Sprache fügt die Autorin zusammen, was in der Wirklichkeit seinen Halt verloren hat. New York und Berlin bilden in "Echos Kammern" einen vor Witz und intellektuellem Mutwillen funkelnden Reflexionsraum.« (aus der Jurybegründung zum Hermann-Hesse-Literaturpreis 2020)