„Schöne neue (digitale) Welt“ – eine Gesellschaftskritik
Die Gedankenmodelle der Ökonomie beherrschen die Sozialwissenschaften. Die vollständige Ökonomisierung der Welt wird Realität. Frank Schirrmacher spricht von "ökonomischem Imperialismus". Unterstützt wird dieser Eroberungsfeldzug durch
ausgefeilte Strategien (Spieltheorie), die kluge Physiker und Mathematiker während des Kalten Krieges…mehr„Schöne neue (digitale) Welt“ – eine Gesellschaftskritik
Die Gedankenmodelle der Ökonomie beherrschen die Sozialwissenschaften. Die vollständige Ökonomisierung der Welt wird Realität. Frank Schirrmacher spricht von "ökonomischem Imperialismus". Unterstützt wird dieser Eroberungsfeldzug durch ausgefeilte Strategien (Spieltheorie), die kluge Physiker und Mathematiker während des Kalten Krieges aus Gründen der militärischen Abwehr entwickelt und in Computerprogramme gegossen haben.
Die zugrunde liegenden Ego-Strategien werden heute in weiterentwickelten Programmen u.a. an der Börse verwendet und bewirken, dass der Mensch sich den implementierten Regeln unterwirft und auch unterwerfen muss. Es entsteht eine auf Egoismus beruhende Eigendynamik, die nicht mehr kontrollierbar ist, zumal wir es mit Unternehmen als (Evolutions-)Akteuren zu tun haben. Systeme formen zunehmend den Menschen.
Autor Schirrmacher wählt für sein Anliegen eine Erzählform, die es dem interessierten Leser nicht leicht macht, seine Botschaft zu verstehen. Zweifelsohne ließe sich das Thema verständlicher und kürzer fassen, als in einer Mischform aus Sachbuch, Roman und Science Fiction. Es ist kein Zufall, dass Erinnerungen an Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" und andere gesellschaftskritische Werke wach werden. Schirrmacher warnt vor einem gesellschaftlichen Horrorszenario.
Die Struktur des Buches erinnert an ein Hologramm. Im ersten Kapitel wird eine Facette des Problems unscharf formuliert und jedes weitere Kapitel führt dazu, dass das Gesamtbild an Kontur gewinnt, ohne jedoch wirklich scharf zu werden. Es ist kein stringenter Aufbau erkennbar, sondern Schirrmacher springt von Kapitel zu Kapitel, wiederholt sich, lässt historisches Wissen einfließen und skizziert ein düsteres Gesamtbild.
Der Mensch wird Opfer seiner eigenen Techniken und Strategien. Die Ökonomisierung hat gesiegt. Kann dieses Szenario durchbrochen werden?
M.E. muss sich das Individuum über Systeme bzw. digitale Entscheidungsfindungen hinwegsetzen, wieder Mensch werden. Das impliziert bewusste Entscheidungen gegen optimierte Ego-Strategien, ein Aufbegehren gegen computergestützte geistige Armut. Der Preis dafür ist hoch, er besteht in Irrationalität und Angreifbarkeit.
Schirrmacher will durch dieses (leider schwer verständliche) Buch aufrütteln, Diskussionen in Gang setzen. Es ist eine Mahnung.