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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Stefan Deißler analysiert Persistenz und Endlichkeit innerstaatlicher Konflikte
"Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei. Wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; dann kehrt man abends froh nach Haus, und segnet Fried und Friedenszeiten." Ganz im Sinne dieser Zeilen des Osterspaziergangs aus Goethes "Faust" haben bis zum August/September 2015 viele Menschen in Deutschland das Weltgeschehen an der europäischen Peripherie mit gelangweiltem Desinteresse wahrgenommen. Bürgerkriege und deren Folgen waren weit weg. Im Regelfall wurde man mit ihnen in den Nachrichten oder in Talkshows konfrontiert. Und wenn diese einen störten, dann schaltete man eben um oder aus.
Diese Idylle fand für große Teile der deutschen Bevölkerung im September 2015 ein jähes Ende, als in Folge des Bürgerkrieges in Syrien Hunderttausende Flüchtlinge ihr Heil in Deutschland suchten. Was eben noch so weit weg schien, stand nun im wahrsten Sinne des Wortes vor der eigenen Haustür. Nicht nur der normale Bürger, auch die Politik sah sich von den Ereignissen überrollt. Neben der Lösung der humanitären Frage hieß es nun, die Fluchtursachen, sprich die Bürgerkriege in den Heimatländern der Bürgerkriegsflüchtlinge, zu bekämpfen.
Um dies zu tun, gilt es nicht nur die historischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen zu verstehen, sondern auch das Wesen von Bürgerkriegen zu begreifen. Während angloamerikanische Wissenschaftler sich seit Jahren dieser Thematik widmen, findet diese in Deutschland kaum Widerhall. Umso erfreulicher ist es, dass Stefan Deißler in seiner Studie der Frage nach der Persistenz und Endlichkeit innerstaatlicher Konflikte nachgegangen ist. Auch wenn er dabei nicht die Konflikte im Nahen Osten, sondern den seit 50 Jahren währenden Bürgerkrieg in Kolumbien als wichtigen Bezugspunkt nimmt, liefert seine Studie wichtige Erkenntnisse zum Verständnis von Bürgerkriegen.
Ausgehend von dem Befund, dass externe Einflüsse und interne Rahmenbedingungen nicht allein ursächlich für die "auffällige Langlebigkeit" innerstaatlicher Konflikte seit 1945 sind und die vorhandenen politikwissenschaftlichen und soziologischen Konflikttheorien dieses Phänomen nicht schlüssig erklären, stellt der Autor die spannende Frage, ob nicht das eigentliche Kriegsgeschehen die Triebfeder der Persistenz der Bürgerkriege ist. Dabei behält er immer sein primäres Ziel, den Einfluss der Eigendynamik auf die Langlebigkeit von Bürgerkriegen zu analysieren, im Blick.
Nach ausführlichen Definitionen und Abgrenzungen der Begriffe Bürgerkrieg und Eigendynamik wendet sich Deißler den kriegführenden Parteien und Organisationen zu. Ausführlich analysiert er kritisch die Beziehungen zwischen Zivilisten und Kombattanten, ohne dabei die wichtige Rolle sozialer, ethischer oder ökonomischer Gruppen außer Acht zu lassen. In erster Line am Beispiel des nun schon seit über fünf Jahrzehnten andauernden kolumbianischen Bürgerkrieges zeigt er auf, wie selbsternannte Repräsentanten verschiedener Bevölkerungsgruppen sehr oft mit brutalen Gewaltmaßnahmen die Willfährigkeit und Kooperation der Bevölkerung erzwingen und, obwohl sie ihren bewaffneten Kampf meistens mit den vernachlässigten Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen begründen, die Menschen und deren Probleme ihnen letztlich egal sind. Das südamerikanische Beispiel zeigt nicht nur, wie die sich in Bürgerkriegen entwickelnden gewaltsamen Wirtschaftspraktiken die Konflikte nur immer wieder verlängern, sondern wie schwer es ist, die sich wechselseitig beeinflussenden Handlungsmuster unterschiedlicher Bürgerkriegsparteien zu durchbrechen. Der Krieg, und hier bietet sich ein Rückgriff auf Schillers Wallenstein-Trilogie an, ernährt eben nicht immer, aber auch den Krieg. Nichts Neues also?
Diese Antwort würde der Studie Deißlers nicht gerecht. Sicherlich muss der Autor eingestehen, dass seine Untersuchung, weil beispielsweise zwar die Dauerhaftigkeit der Struktur des Krieges, jedoch nicht die Stabilität der Akteurskonstellation erklärt werden kann, eine allgemein gültige Erklärung für das von ihm untersuchte Persistenzproblem nicht nachweisen konnte. Patentrezepte für die Lösung des hochkomplexen sozialen Phänomens Bürgerkrieg kann die Studie trotz des Nachweises gewisser wiederkehrender Dynamiken nicht bieten. Dies hat Deißler sicherlich auch nicht gewollt. Mit seiner Untersuchung hat er aber mit dem bisher lediglich am Rande behandelten Phänomen der Eigendynamik im Bürgerkrieg eine makroperspektivische Sichtweise eröffnet und ein Analyseschema entwickelt, mit dem eine weiterführende Kriegs- und Konfliktforschung unter einem erweiterten Blickwinkel möglich wird.
Stefan Deißler hat mit seiner Studie ein wichtiges erweitertes Analyseinstrument für das Verständnis von Bürgerkriegen vorgelegt. Leider wird seine Studie, da er immer wieder in die in Teilen der Sozialwissenschaften gepflegte Wissenschaftssprache abgleitet und auch für das Verständnis der Untersuchung zentrale Begriffe, wie beispielsweise Persistenz, schlicht nicht erklärt, außerhalb der wissenschaftlichen Community wahrscheinlich nur wenig Widerhall finden. Fremdwörtergesättigte, schwer lesbare Sätze sind gerade in seinen wichtigen theoretischen Ausführungen eher die Regel als die Ausnahme. Damit vergibt er die Gelegenheit, die Ergebnisse seiner Forschungen einer breiten interessierten Öffentlichkeit nahezubringen. Angesichts der Aktualität des Themas eine vergebene Chance.
GERHARD GROSS
Stefan Deißler: Eigendynamische Bürgerkriege. Von der Persistenz und Endlichkeit innerstaatlicher Gewaltkonflikte. Hamburger Edition, Hamburg 2016. 367 S., 35,- [Euro].
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