Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.1998Als Sandra einmal wiederkam
Jungmeister der einfachen Form: Alex Capus pflegt die Melancholie
In einer dieser Geschichten verwandelt sich ein Besucher der Stadt Bern in einen darmwindgefüllten Ballon und darf sich auf diese Weise über alles Mißbehagen an Postkartenschönheit und öder Wohlanständigkeit erheben. Obwohl Alex Capus 1961 in Frankreich geboren wurde, fühlt er sich in der Schweiz zu Hause und beteiligt sich gelegentlich auch an der offenbar fast jeden helvetischen Literaten adelnden Bürgerschelte. Glücklicherweise liegen diesem Autor aber eher ironische Zwischentöne als literarisch verbrämte Polemik. Die ritualisierte Langeweile eines Altersheims, die Spielarten unvermeidlicher Debilität und greisenhafter Grausamkeit, die komischen Lebens- und Leibesübungen in einem Redaktionsbüro oder einem Wohnsilo erwecken weniger die Aggressivität des Satirikers als die Melancholie eines erzählenden Ichs, das hinter dem Rücken der Mitmenschen groteske Formen der Alltäglichkeit wahrnimmt.
Capus' Erstlingsroman Munzinger Pascha, von der Kritik freundlich begrüßt, erzählte von den Abenteuern eines verschollenen Afrikaforschers und von einem Journalisten, der dessen Spuren nachgeht. Diese Geschichten kommen nun ohne exotisches Kolorit aus, bewegen sich zumeist im Milieu der Stadtneurotiker und verleugnen nicht, daß in ihnen autobiographische Motive verarbeitet werden. Hochhäuser, halbseidene Bars, eine Arztpraxis oder auch ein Auslieferungslager, in dem sich ein Werkstudent vergebens um Verständigung gemüht, bilden skizzenhaft umrissene Räume überraschender Erfahrungen und aufsteigender Erinnerungen, die erzählerisch manchmal auf eine intellektuelle Pointe zulaufen. Auf kleinstem Raum fächert Capus eine breite Palette perspektivischer Verkürzungen und darstellerischer Kniffe aus, die dem Liebhaber von Kurzprosa Vergnügen bereiten werden. Besonders der wohlinszenierte Erzählschluß hat es Capus angetan. Gleich zu Anfang beispielsweise verfolgt man wie durch ein langsam Abstand gewinnendes Kameraauge den Abschied einer jungen Frau von einem älteren Mann. Am Ende wird klar, daß die Stimme des Erzählers einer alten Frau gehört, die das Glücksgeheimnis ihrer Ehe andeutet, ohne es preiszugeben.
Wie nicht anders erwartet, enthält der Band auch einige entbehrliche Schnipsel der literarischen Produktion. Humoresken wie die Geschichte um kleine Mißgeschicke eines Mannes, der ein türkisches Dampfbad in Budapest besucht, verraten beachtliche Routine im Kampf gegen die Langeweile des Lesers. Doch nicht daran ist Capus zu messen. Was ihn eigentlich interessiert, sind ganz alte Themen: die Verheißungen und Hindernisse des Glücks, und unter diesen Hindernissen das fatalste, der Tod. Im Rückblick drängen sich idyllische oder quälende Szenen der Kindheit auf und kontrastieren bald den recht tolpatschigen Versuchen, jene Anfälle von Einsamkeit und Entfremdung zu entkräften, die sich selbst in die vertraulichsten Beziehungen einschleichen. Zu den Wiedergängern aus der Vergangenheit gehört auch Sandra. Ihr Tod in einem zerquetschten Auto erscheint als Finale einer Biographie, in die im nachhinein die Vita des Erzählers verflochten ist. Capus vermeidet hier und in anderen Frauengeschichten geradezu demonstrativ alle Sensationen der schwülen Erotik. Seine Erinnerungen zehren von der Aura unscheinbarer Requisiten und von der revitalisierten Gewißheit zarter und komplizierter Beziehungen, die sich zu bezwingenden Bildfolgen verdichten. So werden Pathos und Trauer überspielt, und nur unmerklich ändert sich der leichte Gestus des Erzählens, wenn Empfindungen des Schmerzes, die Bilanz von Verlusten und das Gefühl vertaner Gelegenheiten in den Vordergrund treten.
Solch Understatement einer die heikelsten Lebensbrüche scheinbar bewältigenden Ironie, Modus einer ästhetisch disziplinierten traurigen Heiterkeit, prägt das Gütesiegel dieser Erzählkunst. "Jetzt bist du also tot. Verzeih, daß ich lächle . . ." So beginnt der Monolog eines Mannes an der Totenbahre seiner jungen Frau. Auf wenigen Seiten gelingt es Capus, das hinreißende Psychogramm einer schönen Zweisamkeit zu zeichnen und die "Zartheit" zerstörter Hoffnungen zu Wort zu bringen. Das ist meisterhaft und hat vielleicht zu tun mit der den Band schließenden nächtlichen Meditation. Angstgefühle, die sich an imaginären Stadien des körperlichen Verfalls entzünden und längst abgetane Reminiszenzen erneuern, münden in Andeutungen einer sehr privaten Konfession. Der kluge Erzähler entdeckt vor den Augen des Lesers das Innenleben seines literarischen Ichs, die Freiheit eines Moralisten. Diese Freiheit unterwirft sich weder dem Markt, noch demonstriert sie die konjunkturellen Parolen angeblicher "Selbstreflexivität" welt- und subjektloser Texte. Bestätigt wird das Talent eines Autors, der sein artistisches Kalkül vergessen und seinen Helden zu den einfachen Formen der Besinnung vordringen läßt. WILHELM KÜHLMANN
Alex Capus: "Eigermönchundjungfrau". Geschichten. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 188 S., geb., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jungmeister der einfachen Form: Alex Capus pflegt die Melancholie
In einer dieser Geschichten verwandelt sich ein Besucher der Stadt Bern in einen darmwindgefüllten Ballon und darf sich auf diese Weise über alles Mißbehagen an Postkartenschönheit und öder Wohlanständigkeit erheben. Obwohl Alex Capus 1961 in Frankreich geboren wurde, fühlt er sich in der Schweiz zu Hause und beteiligt sich gelegentlich auch an der offenbar fast jeden helvetischen Literaten adelnden Bürgerschelte. Glücklicherweise liegen diesem Autor aber eher ironische Zwischentöne als literarisch verbrämte Polemik. Die ritualisierte Langeweile eines Altersheims, die Spielarten unvermeidlicher Debilität und greisenhafter Grausamkeit, die komischen Lebens- und Leibesübungen in einem Redaktionsbüro oder einem Wohnsilo erwecken weniger die Aggressivität des Satirikers als die Melancholie eines erzählenden Ichs, das hinter dem Rücken der Mitmenschen groteske Formen der Alltäglichkeit wahrnimmt.
Capus' Erstlingsroman Munzinger Pascha, von der Kritik freundlich begrüßt, erzählte von den Abenteuern eines verschollenen Afrikaforschers und von einem Journalisten, der dessen Spuren nachgeht. Diese Geschichten kommen nun ohne exotisches Kolorit aus, bewegen sich zumeist im Milieu der Stadtneurotiker und verleugnen nicht, daß in ihnen autobiographische Motive verarbeitet werden. Hochhäuser, halbseidene Bars, eine Arztpraxis oder auch ein Auslieferungslager, in dem sich ein Werkstudent vergebens um Verständigung gemüht, bilden skizzenhaft umrissene Räume überraschender Erfahrungen und aufsteigender Erinnerungen, die erzählerisch manchmal auf eine intellektuelle Pointe zulaufen. Auf kleinstem Raum fächert Capus eine breite Palette perspektivischer Verkürzungen und darstellerischer Kniffe aus, die dem Liebhaber von Kurzprosa Vergnügen bereiten werden. Besonders der wohlinszenierte Erzählschluß hat es Capus angetan. Gleich zu Anfang beispielsweise verfolgt man wie durch ein langsam Abstand gewinnendes Kameraauge den Abschied einer jungen Frau von einem älteren Mann. Am Ende wird klar, daß die Stimme des Erzählers einer alten Frau gehört, die das Glücksgeheimnis ihrer Ehe andeutet, ohne es preiszugeben.
Wie nicht anders erwartet, enthält der Band auch einige entbehrliche Schnipsel der literarischen Produktion. Humoresken wie die Geschichte um kleine Mißgeschicke eines Mannes, der ein türkisches Dampfbad in Budapest besucht, verraten beachtliche Routine im Kampf gegen die Langeweile des Lesers. Doch nicht daran ist Capus zu messen. Was ihn eigentlich interessiert, sind ganz alte Themen: die Verheißungen und Hindernisse des Glücks, und unter diesen Hindernissen das fatalste, der Tod. Im Rückblick drängen sich idyllische oder quälende Szenen der Kindheit auf und kontrastieren bald den recht tolpatschigen Versuchen, jene Anfälle von Einsamkeit und Entfremdung zu entkräften, die sich selbst in die vertraulichsten Beziehungen einschleichen. Zu den Wiedergängern aus der Vergangenheit gehört auch Sandra. Ihr Tod in einem zerquetschten Auto erscheint als Finale einer Biographie, in die im nachhinein die Vita des Erzählers verflochten ist. Capus vermeidet hier und in anderen Frauengeschichten geradezu demonstrativ alle Sensationen der schwülen Erotik. Seine Erinnerungen zehren von der Aura unscheinbarer Requisiten und von der revitalisierten Gewißheit zarter und komplizierter Beziehungen, die sich zu bezwingenden Bildfolgen verdichten. So werden Pathos und Trauer überspielt, und nur unmerklich ändert sich der leichte Gestus des Erzählens, wenn Empfindungen des Schmerzes, die Bilanz von Verlusten und das Gefühl vertaner Gelegenheiten in den Vordergrund treten.
Solch Understatement einer die heikelsten Lebensbrüche scheinbar bewältigenden Ironie, Modus einer ästhetisch disziplinierten traurigen Heiterkeit, prägt das Gütesiegel dieser Erzählkunst. "Jetzt bist du also tot. Verzeih, daß ich lächle . . ." So beginnt der Monolog eines Mannes an der Totenbahre seiner jungen Frau. Auf wenigen Seiten gelingt es Capus, das hinreißende Psychogramm einer schönen Zweisamkeit zu zeichnen und die "Zartheit" zerstörter Hoffnungen zu Wort zu bringen. Das ist meisterhaft und hat vielleicht zu tun mit der den Band schließenden nächtlichen Meditation. Angstgefühle, die sich an imaginären Stadien des körperlichen Verfalls entzünden und längst abgetane Reminiszenzen erneuern, münden in Andeutungen einer sehr privaten Konfession. Der kluge Erzähler entdeckt vor den Augen des Lesers das Innenleben seines literarischen Ichs, die Freiheit eines Moralisten. Diese Freiheit unterwirft sich weder dem Markt, noch demonstriert sie die konjunkturellen Parolen angeblicher "Selbstreflexivität" welt- und subjektloser Texte. Bestätigt wird das Talent eines Autors, der sein artistisches Kalkül vergessen und seinen Helden zu den einfachen Formen der Besinnung vordringen läßt. WILHELM KÜHLMANN
Alex Capus: "Eigermönchundjungfrau". Geschichten. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 188 S., geb., 29,90 DM.
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