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Er wollte eine Moderne aus afrikanischer Sicht begründen: Hans Belting und Andrea Buddensieg zeigen den Politiker und Dichter Léopold Sédar Senghor als Denker von Weltformat.
Von Andreas Eckert
Eine zentrale Herausforderung für afrikanische Intellektuelle bestand in der Kolonialzeit darin, den repressiven Strukturen der Fremdherrschaft kritisch entgegenzutreten und zugleich kreative Denk- und Handlungsspielräume für sich zu schaffen. Dabei verschwammen häufig die Grenzen zwischen intellektueller Subordination und Autonomie. Einer der nuanciertesten Denker zu diesen Fragen war der Senegalese Léopold Sédar Senghor. Der gefeierte Poet ist bekannt als Mitbegründer der Négritude, jener im Paris der dreißiger Jahre geborenen Bewegung, der es darum ging, den Kolonialismus zunächst ideell zu überwinden. Nach dem Zweiten Weltkrieg tat sich Senghor zunehmend als Politiker hervor. Viele seiner Kritiker sind allerdings der Überzeugung, dass seine Dichtkunst seiner Fähigkeit, Politik zu machen, weit überlegen war.
Die Kunsthistoriker Hans Belting und Andrea Buddensieg richten in ihrem reichillustrierten Buch "Ein Afrikaner in Paris" den Blick vor allem auf den Kulturpolitiker Senghor. Sie betonen die Bedeutung seines Projekts, eine Moderne aus afrikanischer Sicht zu begründen "und damit dem westlichen Universalismus die Stirn zu bieten". Sie reihen sich mit ihrer Studie in jüngere Versuche ein, diese lange kritisch beäugte und dann weitgehend vergessene Vision Senghors zu rehabilitieren, und beanspruchen zugleich, die erste umfassende Würdigung Senghors und seines Lebenswerkes in deutscher Sprache vorzulegen. Die Autoren fassen die von Senghor geprägte Négritude überzeugend als den Versuch, eine afrikanische Perspektive der Geschichte fruchtbar zu machen und zugleich eine Zukunft nach dem Kolonialismus zu entwerfen, ein Anliegen, das paradoxerweise den doppelten Vorwurf der Angepasstheit und des Essentialismus nach sich zog. Überdies zeigen sie, welche große Bedeutung Ästhetik und Poetik für den Denker und Politiker hatten. Durch sie vermochte Senghor das Unsagbare der kolonialen Erfahrung auszudrücken und überdies Widersprüche in der Schwebe zu halten. Belting und Buddensieg verschließen nicht die Augen vor den Widersprüchen, die Senghors Position wiederholt mit sich brachte und benennen, wenn auch sehr dezent, manche offenkundige politische Fehlleistung.
Senghors Reputation in Senegal etwa ist weiterhin nicht ungetrübt. 1960 zum ersten Staatspräsidenten des Landes gewählt, bekleidete er dieses Amt zwei Dekaden lang und regierte mit harter Hand gegen Oppositionelle. Unerwartet trat er als erstes afrikanisches Staatsoberhaupt überhaupt freiwillig und gerade noch rechtzeitig zurück, bevor der Internationale Währungsfonds das wirtschaftlich darniederliegende Land mit harten Auflagen bedachte. Für die Jugendbewegungen, die in den Städten Senegals seit den neunziger Jahren an Bedeutung gewannen, war er keine Referenzfigur. In ihren Songtexten, Gedichten und Graffiti spielten andere Senegalesen die Hauptrolle: Cheikh Ahmadou Bamba etwa, der Gründer der Mouriden-Bruderschaft, oder Cheikh Anta Diop, der gelehrte Afrozentrist und politische Gegenspieler Senghors. Oder auch andere Helden wie Kwame Nkrumah und Nelson Mandela.
Fand Senghor Erwähnung, dann auf sehr ambivalente Weise. Unterschieden wurde zwischen dem Verbündeten der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und dem Homme de lettres, der sein Talent freilich partiell der "kulturellen Unterwerfung" gewidmet habe. Dieser Meinung waren dezidiert auch die Demonstranten, die vor fünfzig Jahren gegen die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Senghor demonstrierten. Vor der Frankfurter Paulskirche verteilte der SDS Flugblätter, in denen Senghor als "sensibler Poet" beschimpft wurde, dessen "lyrisierendes Geschwätz die weißen Werte der Faschisten als schwarze Kultur der Neger verkauft". "Onkel Tom" und "Kolonialistenknecht" nannten ihn die Demonstranten.
Ansonsten überwogen im Westen jedoch die Lobpreisungen. Senghor wurde das erste aus Afrika stammende Mitglied der Académie française. Zu Deutschland pflegte Senghor ein intensives Verhältnis, das auch von seinen Erfahrungen als Kriegsgefangener in deutschen Lagern nicht getrübt schien. Er berichtete von Wärtern und Aufsehern, die mit den afrikanischen Kriegsgefangenen sympathisierten und ihm selbst das Lagerleben erträglich machten. Seine Gedichte aus jenen Jahren wie "Camp 1940" beschreiben jedoch durchaus das Grauen dieser Zeit. Sein Held blieb der berühmte wie umstrittene deutsche Ethnologe Leo Frobenius. Dessen ins Französische übertragenen Bücher wie die "Kulturgeschichte Afrikas" gehörten, schrieb Senghor einmal, "zu den geheiligten Büchern einer ganzen Generation schwarzafrikanischer Studenten".
Senghors in den vierziger Jahren einsetzende Überlegungen zu einer postkolonialen Ordnung, wie sie Belting und Buddensieg im ersten Teil ihres Buches vorstellen, drehten sich im weitesten Sinne um das Dilemma, dass die eigene "afrikanische Identität" entweder im Universalismus aufgehen und verschwinden würde oder aber als Partikularismus bedeutungslos bleiben müsste. Politisch konkreter ging es um die Frage, ob der Status als französische Staatsbürger, den das nach dem senegalesischen Abgeordneten Lamine Guèye genannte Gesetz 1946 allen Bewohnern der französischen Überseegebiete zugesprochen hatte, nun alle in ein homogenes Französischsein zwingen oder ihnen die Position des "gleich, aber unterschiedlich" ermöglichen würde.
Senghor rief den Afrikanern zu: "Assimiliert, anstatt euch assimilieren zu lassen." Wenn afrikanische Völker in der Nachkriegswelt ihren Platz finden sollen, müssten sie die besten Traditionen entwickeln und zusammenführen, die Afrika und Frankreich zu bieten haben. Damit nahm Senghor keineswegs, wie ihm später vorgeworfen wurde, eine Position der angepassten Selbstaufgabe ein. Er hat weder Frankreich aufgerufen, Afrika zu dekolonisieren, noch gefordert, Afrika müsse sich selbst befreien. In seiner Sicht sollten die Afrikaner gleichsam Frankreich dekolonisieren.
Am Ende konnten sich die Politiker nicht auf Wege einigen, die das Ziel einer Ordnung jenseits des Nationalstaates ermöglicht hätten. So endeten die politischen Akteure Frankreichs und Westafrikas 1960 im Nationalstaat - der für Senghor und andere in den vorangegangenen fünfzehn Jahren nicht erste Wahl war. Ausführlich zeigen Belting und Buddensieg, wie Senghor die junge Nation Senegal durch eine neue Kunstpraxis formen wollte, die zugleich die Last der Kolonialzeit produktiv überwinden könnte. Er gründete als Staatsoberhaupt zahlreiche kulturelle Einrichtungen: eine Kunstakademie und Kunstgewerbeschule, Theater und Ballett sowie das Projekt des Musée Dynamique, das regelmäßig Stars der Pariser Kunstszene zu Ausstellungen einlud.
Senghors Prestigevorhaben war jedoch das erste Weltfestival der Schwarzen Künste, das 1966 in Dakar stattfand, Auftakt und Höhepunkt zugleich seines Bestrebens, ein Modell für den Dialog der Kulturen zu finden. Die im Buch dargelegten Details zu diesem Ereignis bieten viele neue Einsichten in ein weitgehend vergessenes, zentrales Kapitel der jüngeren afrikanischen Kulturgeschichte. Senghor überschätzte jedoch, schreiben die Autoren, "das einheimische Publikum, das sich angesichts der neu geschaffenen Kunstinstitutionen unangenehm an die Kolonialzeit erinnert fühlte". Am Ende mussten viele Einrichtungen schlicht aus Finanznot schließen.
Das Buch besticht durch die substantiellen, perspektivreichen Darlegungen zur Kunstfrage und Kulturpolitik, während die Präsentation des breiteren historischen Rahmens nicht ganz überzeugt und einen Teil der jüngeren einschlägigen Forschung ignoriert. Die unreflektierte Nutzung höchst problematischer Begriffe wie "Neger" oder "Stammeskulturen" offenbart überdies einen Mangel an sprachlicher und politischer Sensibilität. Die Studie von Belting und Buddensieg ist gleichwohl eine Einladung, Senghor als "Denker von welthistorischem Format" wiederzuentdecken.
Hans Belting und Andrea Buddensieg: "Ein Afrikaner in Paris". Léopold Sédar Senghor und die Zukunft der Moderne.
C. H. Beck Verlag, München 2018.
287 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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Damals, Prof. Dr. Jürgen Zimmerer
"Ein echter Lesegenuss ohne Abstrich."
Süddeutsche Zeitung, Wolfgang Freund
"Ein anregendes Buch zum richtigen Zeitpunkt."
Moritz Behrendt, Deutschlandfunk Kultur, 26. Mai 2018
"Aktualität gewinnt die Erinnerung an Senghor vor dem Hintergrund der nicht zuletzt im Berliner Humboldt-Forum kontrovers geführten Debatte über die Präsentation außereuropäischer Kulturen in westlichen Museen."
Wolf Lepenies, Die WELT, 7. April 2018