Es war Karl Heinrich Ulrichs, der 1864 der »Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt«, erstmals einen Namen gab: Inspiriert vom griechischen Gott Uranos, bezeichnete er gleichgeschlechtliches Begehren als Uranismus. Mit dem Begriff forderte er als einer der Ersten überhaupt öffentlich das Recht ein, anders zu lieben.
Auf Ulrichs Spuren träumt Paul Preciado von einem Apartment auf dem Uranus, einem Ort fern der irdischen Kategorisierungen und Festlegungen, einem Ort der sexuellen Dissidenz. Preciados in diesem Band versammelte Texte verdichten sich zu der Erzählung eines Übergangs: einer durch die Einnahme von Testosteron angestoßenen Transformation des eigenen Körpers und der eigenen Identität - von Beatriz zu Paul. Zugleich dokumentieren und analysieren sie die im Wandel begriffenen politischen Verhältnisse. Von den Protesten im krisengebeutelten Athen über die verzweifelte Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln bis hin zur Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien begleitet Preciado Kämpfe um Würde und Autonomie.
Auf Ulrichs Spuren träumt Paul Preciado von einem Apartment auf dem Uranus, einem Ort fern der irdischen Kategorisierungen und Festlegungen, einem Ort der sexuellen Dissidenz. Preciados in diesem Band versammelte Texte verdichten sich zu der Erzählung eines Übergangs: einer durch die Einnahme von Testosteron angestoßenen Transformation des eigenen Körpers und der eigenen Identität - von Beatriz zu Paul. Zugleich dokumentieren und analysieren sie die im Wandel begriffenen politischen Verhältnisse. Von den Protesten im krisengebeutelten Athen über die verzweifelte Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln bis hin zur Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien begleitet Preciado Kämpfe um Würde und Autonomie.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2020Der Sound muss stimmen
Paul B. Preciado erzählt von einem Leben zwischen Geschlechtsidentitäten und wettert gegen die Psychoanalyse
Vor ungefähr zwanzig Jahren befand sich der Rezensent bei einem Abendessen in der Gesellschaft von Pariser Psychoanalytikern. Der Gastgeber unterhielt den Tisch mit einem Thema, dem zu dieser Zeit noch etwas Anrüchiges anhaftete, das aber bereits in aller Munde war, seitdem man auch in Paris begonnen hatte, sich für die Gender Studies zu interessieren: Bedeutete die Transgeschlechtlichkeit eine Herausforderung für die Klinik und Theorie der Psychoanalyse? Müsste Letztere nicht angesichts einer Form der Identität, die jenseits der binären Geschlechterordnung von Mann und Frau angesiedelt war, grundlegend revidiert werden? Und waren die Freud'schen Theorien zum Ödipuskomplex, die der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan mit diversen philosophischen und linguistischen Volten zu retten versucht hatte, noch haltbar? Der dickleibige Essay, den der Gastgeber kurz darauf veröffentlichte, zeigte, dass diese Fragen nur rhetorisch gestellt waren: Der Transsexualismus wurde hier zu einer "undenkbaren Metamorphose" erklärt, ein eleganter Euphemismus für die herkömmliche klinische Auffassung, dass es sich um eine psychotische Störung handelte.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich diesbezüglich einiges verändert. Das zeigt sich daran, dass man jetzt bei solchen Pariser Abendgesellschaften gefragt wird: "Was halten Sie vom neuesten Buch von Paul Preciado?". Das allerneueste erschien vor wenigen Wochen bei Grasset unter dem Titel "Je suis un monstre qui vous parle" (Ich bin ein Monstrum, das zu Ihnen spricht). Es ist ein Pamphlet, in dem der spanische Queer-Theoretiker die Psychoanalyse frontal und polemisch als letztes Bollwerk des Patriarchats attackiert und für die anhaltende Pathologisierung von Transmännern und -frauen verantwortlich macht.
Der Text basiert auf einem Vortrag, den Preciado vor einem Jahr auf einem psychoanalytischen Kongress in Paris gehalten hat. Dort, "vor der École de la Cause freudienne, der letzten Hochburg der reinen Lehre Lacans", so Preciado, sei er von Unterbrechungen, Gelächter, ja sogar Beschimpfungen unterbrochen worden. Wer allerdings die im Internet kursierenden Videoaufzeichnungen des Vortrags aufruft, bekommt etwas anderes zu sehen: nämlich ein Publikum, das die Provokationen Preciados mit zustimmendem Lachen aufnimmt und ebenso wohlwollend beklatscht.
Preciado sieht sich selbst in einer Tradition, in der französische Intellektuelle wie Michel Foucault und Bruno Latour eine prominente Rolle spielen. Entsprechende Referenzen werden dabei allerdings aus ihren ursprünglichen akademischen Zusammenhängen genommen und gemäß dem Verfahren der in den Vereinigten Staaten kultivierten "French Theory" weiter aufbereitet, um einen einschlägigen Sound zu generieren. "Der Feminismus ist kein Humanismus. Der Feminismus ist ein Animalismus. Anders gesagt: Der Animalismus ist ein erweiterter, nichtanthropozentrischer Feminismus." Denn "er legt die kolonialen und patriarchalen Wurzeln der universalen Grundsätze des europäischen Humanismus frei", die Preciado in der Ausbeutung von Sklaven, Frauen und Tieren und deren Reduktion auf den "Status von (re)produktiven Maschinen" sieht. Der hier beschworene Animalismus, der sich jeder klaren Definition entzieht, verheißt auch eine "planetarische Pansexualität, die alle Arten und Geschlechter transzendiert und sich als "Trauerfeier" für die Opfer des Humanismus versteht.
Die Zeitungskolumne bietet das ideale Medium für diese Art des popkulturellen Theoriesounds. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Preciado aus seinen ab 2013 für die französische Zeitung "Libération" verfassten Kurztexten ein Buch zusammengestellt hat, das nun auch auf Deutsch vorliegt. Es sind die sehr subjektiv gehaltenen Chroniken über ein Leben im Transit, das sich als Absage an jegliche Art von Geschlechtsidentität versteht: "Ich bin kein Mann, keine Frau, nicht heterosexuell, nicht homosexuell, nicht bisexuell. Ich bin ein Dissident des Geschlechtersystems."
Interessanter als Preciados schematische und polemische Kritik an der Psychoanalyse ist dieses Buch schon deshalb, weil es eindringlich die konkreten Etappen des Übergangs beschreibt, in denen aus der queeren Lesbe Beatriz nach und nach der Transmann Paul wird. Zuweilen selbstverliebt und kokett, aber auch rücksichtslos mit sich selbst und anderen, bietet es das Tagebuch eines jahrelangen öffentlichen Selbstexperiments mit Testosteron, das einen "fluiden" Zustand im Zwischenraum zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen aufrechterhalten soll, bevor es seinen Endpunkt mit der Entscheidung der Operation findet.
Im Einklang mit seinem Unbehagen an der Psychoanalyse ist für Preciado das entscheidende Moment des Bruchs mit dem "alten" Geschlecht nicht sosehr das Annehmen eines männlichen (und noch dazu eines sehr katholischen) Namens, sondern vielmehr die neue Stimme, die so klingt, " als käme sie aus einer Gasmaske in meinem Inneren". Dass die eigene Mutter sie am Telefon nicht mehr erkennt, bringt die Distanz und die Verweigerung der Anerkennung zum Vorschein, die Preciados unglückliche Jugend und Kindheit in einer streng katholischen Familie Nordspaniens bestimmt haben.
Wenn auch dieser autobiographische Erfahrungsbericht fortwährend von den Bässen des Theoriesounds begleitet und manchmal übertönt wird, kann man ihn doch lesen als Feuilletonroman einer Reise durch unsere westliche Welt, in der nicht nur das Verhältnis zwischen den Geschlechtern aus den Fugen geraten ist.
ANDREAS MAYER.
Paul B. Preciado: "Ein Apartment auf dem Uranus". Chroniken eines Übergangs. Vorwort von Virginie Despentes. Aus dem Französischen von Stefan Lorenzer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2020. 368 S., br., 20,- [Euro].
Paul B. Preciado: "Je suis un monstre qui vous parle". Rapport pour une académie de psychanalystes. Éditions Grasset, Paris 2020. 128 S., br., 9,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paul B. Preciado erzählt von einem Leben zwischen Geschlechtsidentitäten und wettert gegen die Psychoanalyse
Vor ungefähr zwanzig Jahren befand sich der Rezensent bei einem Abendessen in der Gesellschaft von Pariser Psychoanalytikern. Der Gastgeber unterhielt den Tisch mit einem Thema, dem zu dieser Zeit noch etwas Anrüchiges anhaftete, das aber bereits in aller Munde war, seitdem man auch in Paris begonnen hatte, sich für die Gender Studies zu interessieren: Bedeutete die Transgeschlechtlichkeit eine Herausforderung für die Klinik und Theorie der Psychoanalyse? Müsste Letztere nicht angesichts einer Form der Identität, die jenseits der binären Geschlechterordnung von Mann und Frau angesiedelt war, grundlegend revidiert werden? Und waren die Freud'schen Theorien zum Ödipuskomplex, die der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan mit diversen philosophischen und linguistischen Volten zu retten versucht hatte, noch haltbar? Der dickleibige Essay, den der Gastgeber kurz darauf veröffentlichte, zeigte, dass diese Fragen nur rhetorisch gestellt waren: Der Transsexualismus wurde hier zu einer "undenkbaren Metamorphose" erklärt, ein eleganter Euphemismus für die herkömmliche klinische Auffassung, dass es sich um eine psychotische Störung handelte.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich diesbezüglich einiges verändert. Das zeigt sich daran, dass man jetzt bei solchen Pariser Abendgesellschaften gefragt wird: "Was halten Sie vom neuesten Buch von Paul Preciado?". Das allerneueste erschien vor wenigen Wochen bei Grasset unter dem Titel "Je suis un monstre qui vous parle" (Ich bin ein Monstrum, das zu Ihnen spricht). Es ist ein Pamphlet, in dem der spanische Queer-Theoretiker die Psychoanalyse frontal und polemisch als letztes Bollwerk des Patriarchats attackiert und für die anhaltende Pathologisierung von Transmännern und -frauen verantwortlich macht.
Der Text basiert auf einem Vortrag, den Preciado vor einem Jahr auf einem psychoanalytischen Kongress in Paris gehalten hat. Dort, "vor der École de la Cause freudienne, der letzten Hochburg der reinen Lehre Lacans", so Preciado, sei er von Unterbrechungen, Gelächter, ja sogar Beschimpfungen unterbrochen worden. Wer allerdings die im Internet kursierenden Videoaufzeichnungen des Vortrags aufruft, bekommt etwas anderes zu sehen: nämlich ein Publikum, das die Provokationen Preciados mit zustimmendem Lachen aufnimmt und ebenso wohlwollend beklatscht.
Preciado sieht sich selbst in einer Tradition, in der französische Intellektuelle wie Michel Foucault und Bruno Latour eine prominente Rolle spielen. Entsprechende Referenzen werden dabei allerdings aus ihren ursprünglichen akademischen Zusammenhängen genommen und gemäß dem Verfahren der in den Vereinigten Staaten kultivierten "French Theory" weiter aufbereitet, um einen einschlägigen Sound zu generieren. "Der Feminismus ist kein Humanismus. Der Feminismus ist ein Animalismus. Anders gesagt: Der Animalismus ist ein erweiterter, nichtanthropozentrischer Feminismus." Denn "er legt die kolonialen und patriarchalen Wurzeln der universalen Grundsätze des europäischen Humanismus frei", die Preciado in der Ausbeutung von Sklaven, Frauen und Tieren und deren Reduktion auf den "Status von (re)produktiven Maschinen" sieht. Der hier beschworene Animalismus, der sich jeder klaren Definition entzieht, verheißt auch eine "planetarische Pansexualität, die alle Arten und Geschlechter transzendiert und sich als "Trauerfeier" für die Opfer des Humanismus versteht.
Die Zeitungskolumne bietet das ideale Medium für diese Art des popkulturellen Theoriesounds. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Preciado aus seinen ab 2013 für die französische Zeitung "Libération" verfassten Kurztexten ein Buch zusammengestellt hat, das nun auch auf Deutsch vorliegt. Es sind die sehr subjektiv gehaltenen Chroniken über ein Leben im Transit, das sich als Absage an jegliche Art von Geschlechtsidentität versteht: "Ich bin kein Mann, keine Frau, nicht heterosexuell, nicht homosexuell, nicht bisexuell. Ich bin ein Dissident des Geschlechtersystems."
Interessanter als Preciados schematische und polemische Kritik an der Psychoanalyse ist dieses Buch schon deshalb, weil es eindringlich die konkreten Etappen des Übergangs beschreibt, in denen aus der queeren Lesbe Beatriz nach und nach der Transmann Paul wird. Zuweilen selbstverliebt und kokett, aber auch rücksichtslos mit sich selbst und anderen, bietet es das Tagebuch eines jahrelangen öffentlichen Selbstexperiments mit Testosteron, das einen "fluiden" Zustand im Zwischenraum zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen aufrechterhalten soll, bevor es seinen Endpunkt mit der Entscheidung der Operation findet.
Im Einklang mit seinem Unbehagen an der Psychoanalyse ist für Preciado das entscheidende Moment des Bruchs mit dem "alten" Geschlecht nicht sosehr das Annehmen eines männlichen (und noch dazu eines sehr katholischen) Namens, sondern vielmehr die neue Stimme, die so klingt, " als käme sie aus einer Gasmaske in meinem Inneren". Dass die eigene Mutter sie am Telefon nicht mehr erkennt, bringt die Distanz und die Verweigerung der Anerkennung zum Vorschein, die Preciados unglückliche Jugend und Kindheit in einer streng katholischen Familie Nordspaniens bestimmt haben.
Wenn auch dieser autobiographische Erfahrungsbericht fortwährend von den Bässen des Theoriesounds begleitet und manchmal übertönt wird, kann man ihn doch lesen als Feuilletonroman einer Reise durch unsere westliche Welt, in der nicht nur das Verhältnis zwischen den Geschlechtern aus den Fugen geraten ist.
ANDREAS MAYER.
Paul B. Preciado: "Ein Apartment auf dem Uranus". Chroniken eines Übergangs. Vorwort von Virginie Despentes. Aus dem Französischen von Stefan Lorenzer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2020. 368 S., br., 20,- [Euro].
Paul B. Preciado: "Je suis un monstre qui vous parle". Rapport pour une académie de psychanalystes. Éditions Grasset, Paris 2020. 128 S., br., 9,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Andreas Mayer spricht etwas despektierlich über den "popkulturellen Theoriesound", den der spanische Philosoph und Queer-Theoretiker Paul B. Preciado in seinen Texten pflegt. Preciados in diesem Band versammelte Zeitungskolumnen liest Mayer als "subjektive Chroniken eines Lebens im Transit", jenseits von geschlechtlicher Identität. Ein Selbstexperiment mit Testosteron, das Mayer interessiert, auch wenn ihn die Theorie und ihr Sound darin mitunter nervt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»... eindringlich [beschreibt das Buch] die konkreten Etappen des Übergangs, in denen aus der queeren Lesbe Beatriz nach und nach der Transmann Paul wird.« Andreas Mayer Frankfurter Allgemeine Zeitung 20201204