Seit über siebzig Jahren verzaubert Ein Baum wächst in Brooklyn weltweit neue Leserinnen und Leser. Dieser Roman über ein Mädchen, das gegen alle Hindernisse anliest, ist nun endlich wieder auf Deutsch erhältlich - eine Geschichte, erfüllt von Lebenslust und Kraft, beseelt von der Euphorie über das Sein. Die elfjährige Francie Nolan ist eine unbändige Leserin, eine Süßigkeiten-Connaisseuse, eine genaue Beobachterin der menschlichen Natur - und sie hat einen Traum: Sie möchte Schriftstellerin werden. Ein Traum, der in dem bunten, ruppigen Williamsburg von 1912 kaum zu erfüllen ist. Hier brummen die Mietshäuser vor all den Zugewanderten, jeden Tag wird von hart verdientem Geld das Essen zusammengeklaubt, Kinder strömen durch die Straßen, um für ein paar Pennies Süßigkeiten zu ergattern. Doch wenn Francie auf der Feuertreppe in der Sonne sitzt und liest, gibt es für sie keinen schöneren Ort. Und wenn sie auch gegen so manche Widrigkeit anschreiben muss, ist sie sich einer Sache gewiss: dass es sich immer lohnt, nach dem puren Leben zu streben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.201714. Herz der Neuen Welt
Im New Yorker Stadtteil Williamsburg, dort, wo heute das Epizentrum jener weltweit operierenden Bewegung der sogenannten Hipster liegt, wo die Mieten und Immobilienpreise ins Unermessliche steigen, dort spielt einer der größten und erfolgreichsten Romane der amerikanischen Literatur. Ein Roman über bittere Armut und Dreck, denn so war dieses Williamsburg am Anfang des vergangenen Jahrhunderts, über die nicht klein zu kriegende Hoffnung und die Wärme und den Trost des Geschichtenerzählens: "Ein Baum wächst in Brooklyn" von Betty Smith handelt von Francie und ihrer Familie, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Der Vater hat irische Wurzeln, die Mutter deutsche. Er kellnert und säuft, sie ist Hausmeisterin und putzt, Francie liest und träumt. Da steht ein Baum vor ihrem Haus im Beton jener Neuen Welt, wohin all die Einwanderer mit ihren Wünschen und Illusionen gezogen waren, und dieser Baum wächst immer wieder neu, so oft man ihn auch kappt.
Francie will Schriftstellerin werden. Sie ist eine gute Schülerin, die Lehrerin lobt ihre Aufsätze. Dann stirbt Francies Vater, was die Mutter mit ihren beiden Kindern an den äußersten Rand des Aushaltbaren bringt, und eigentlich war das Leben der Nolans vorher schon kaum auszuhalten. Jetzt mag Francie nicht mehr über Bäume und Tiere schreiben, sie schreibt über das Leben von Johnny Nolan, der trank und scheiterte und weitertrank, aber ein guter Mensch war, das jedenfalls möchte Francie erzählen. Doch Miss Gardner versteht die Welt nicht mehr, "du hast so hübsch geschrieben", sagt sie zu Francie, "Armut, Hunger und Trunkenheit sind doch hässliche Themen. Wir alle wissen ja, dass es das gibt. Aber man schreibt doch nicht darüber." Worüber dann, fragt Francie zurück, und Miss Gardner kommt ihr mit Keats, "Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit", aber Francie bleibt tapfer: "Diese Geschichten sind die Wahrheit", sagt sie, worauf die Lehrerin explodiert. Und dem Mädchen erklärt, sie solle die Aufsätze abends im Ofen verbrennen, "und wenn die Flammen lodern, sage dazu: ,Ich verbrenne Hässlichkeit. Ich verbrenne Hässlichkeit.'"
In dieser Szene, irgendwo auf der Hälfte des Romans, spürt man heftig und genau, was man so oft in amerikanischer Literatur spürt, bei Steinbeck, bei Dos Passos: dieses Pathos der Welthaltigkeit, ein Schreiben nah an den Verhältnissen mit großem Herz und genauen Augen.
"Ein Baum wächst in Brooklyn" war ein riesiger Erfolg, als der Roman 1943 erschien. Betty Smith, eigentlich Theaterautorin, hatte in ihrem Debüt die kleine Francie fünf Jahre jünger gemacht, als sie
selbst es gewesen war, als sie 1896 in Williamsburg geboren wurde, eigentlich hieß sie Elisabeth Wehner, die Eltern waren deutsche Immigranten.
Eike Schönfeld hat "Ein Baum wächst in Brooklyn" jetzt neu übersetzt. Und auch wenn man bei solchen Projekten ja nicht vorausahnen kann, wie die Welt aussehen wird, wenn das Buch dann erscheint, passt es exakt in die Vereinigten Staaten von Trump: Weil "Ein Baum wächst in Brooklyn" davon erzählt, dass jenes weiße Amerika, das Trump gegen Flüchtlinge und Fremde verteidigen will, von Anfang an aus Flüchtlingen und Fremden bestanden hat. Dass in den Familiengeschichten dieses weißen Amerikas die Erinnerung an Demütigung und Stigmatisierung tief eingelagert ist.
Was in Vergessenheit gerät, bringt Betty Smiths Roman in schneidendem Realismus wieder zur Sprache. Gleichzeitig triumphiert in dieser Geschichte der Lebenstrotz über die desolatesten Verhältnisse. Am Ende kehrt Francie, auf dem Weg zum College, ein letztes Mal zu ihrer alten Wohnung zurück, und der Baum wächst dort immer noch.
Tobias Rüther
Betty Smith: "Ein Baum wächst in Brooklyn". Deutsch von Eike Schönfeld. Insel, 621 Seiten, 25 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im New Yorker Stadtteil Williamsburg, dort, wo heute das Epizentrum jener weltweit operierenden Bewegung der sogenannten Hipster liegt, wo die Mieten und Immobilienpreise ins Unermessliche steigen, dort spielt einer der größten und erfolgreichsten Romane der amerikanischen Literatur. Ein Roman über bittere Armut und Dreck, denn so war dieses Williamsburg am Anfang des vergangenen Jahrhunderts, über die nicht klein zu kriegende Hoffnung und die Wärme und den Trost des Geschichtenerzählens: "Ein Baum wächst in Brooklyn" von Betty Smith handelt von Francie und ihrer Familie, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Der Vater hat irische Wurzeln, die Mutter deutsche. Er kellnert und säuft, sie ist Hausmeisterin und putzt, Francie liest und träumt. Da steht ein Baum vor ihrem Haus im Beton jener Neuen Welt, wohin all die Einwanderer mit ihren Wünschen und Illusionen gezogen waren, und dieser Baum wächst immer wieder neu, so oft man ihn auch kappt.
Francie will Schriftstellerin werden. Sie ist eine gute Schülerin, die Lehrerin lobt ihre Aufsätze. Dann stirbt Francies Vater, was die Mutter mit ihren beiden Kindern an den äußersten Rand des Aushaltbaren bringt, und eigentlich war das Leben der Nolans vorher schon kaum auszuhalten. Jetzt mag Francie nicht mehr über Bäume und Tiere schreiben, sie schreibt über das Leben von Johnny Nolan, der trank und scheiterte und weitertrank, aber ein guter Mensch war, das jedenfalls möchte Francie erzählen. Doch Miss Gardner versteht die Welt nicht mehr, "du hast so hübsch geschrieben", sagt sie zu Francie, "Armut, Hunger und Trunkenheit sind doch hässliche Themen. Wir alle wissen ja, dass es das gibt. Aber man schreibt doch nicht darüber." Worüber dann, fragt Francie zurück, und Miss Gardner kommt ihr mit Keats, "Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit", aber Francie bleibt tapfer: "Diese Geschichten sind die Wahrheit", sagt sie, worauf die Lehrerin explodiert. Und dem Mädchen erklärt, sie solle die Aufsätze abends im Ofen verbrennen, "und wenn die Flammen lodern, sage dazu: ,Ich verbrenne Hässlichkeit. Ich verbrenne Hässlichkeit.'"
In dieser Szene, irgendwo auf der Hälfte des Romans, spürt man heftig und genau, was man so oft in amerikanischer Literatur spürt, bei Steinbeck, bei Dos Passos: dieses Pathos der Welthaltigkeit, ein Schreiben nah an den Verhältnissen mit großem Herz und genauen Augen.
"Ein Baum wächst in Brooklyn" war ein riesiger Erfolg, als der Roman 1943 erschien. Betty Smith, eigentlich Theaterautorin, hatte in ihrem Debüt die kleine Francie fünf Jahre jünger gemacht, als sie
selbst es gewesen war, als sie 1896 in Williamsburg geboren wurde, eigentlich hieß sie Elisabeth Wehner, die Eltern waren deutsche Immigranten.
Eike Schönfeld hat "Ein Baum wächst in Brooklyn" jetzt neu übersetzt. Und auch wenn man bei solchen Projekten ja nicht vorausahnen kann, wie die Welt aussehen wird, wenn das Buch dann erscheint, passt es exakt in die Vereinigten Staaten von Trump: Weil "Ein Baum wächst in Brooklyn" davon erzählt, dass jenes weiße Amerika, das Trump gegen Flüchtlinge und Fremde verteidigen will, von Anfang an aus Flüchtlingen und Fremden bestanden hat. Dass in den Familiengeschichten dieses weißen Amerikas die Erinnerung an Demütigung und Stigmatisierung tief eingelagert ist.
Was in Vergessenheit gerät, bringt Betty Smiths Roman in schneidendem Realismus wieder zur Sprache. Gleichzeitig triumphiert in dieser Geschichte der Lebenstrotz über die desolatesten Verhältnisse. Am Ende kehrt Francie, auf dem Weg zum College, ein letztes Mal zu ihrer alten Wohnung zurück, und der Baum wächst dort immer noch.
Tobias Rüther
Betty Smith: "Ein Baum wächst in Brooklyn". Deutsch von Eike Schönfeld. Insel, 621 Seiten, 25 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein eindrucksvolles Zeitbild ... « Roswitha Budeus-Budde Süddeutsche Zeitung 20181211