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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Von Paulus zum Punk: Houellebecq zweifelt
"Man muss bedenken, dass ich schon ziemlich alt bin, ich habe also die letzten Hippies noch kennengelernt." Das könnte ohne weiteres ein wunderbarer erster Satz für einen Roman von Michel Houellebecq sein, ein Satz, der sogleich den Blitztraum einer erzählten Lebensgeschichte auslöst. Aber es ist nur ein Gesprächssatz, der dem Schriftsteller beiläufig in einem Interview über Religion herauszurutschen scheint, während er gewohnt souverän zwischen Schopenhauer und Huysmans, zwischen Paulus und dem Punk hin und her springt (zwischen letzteren beiden sieht er eine Verbindung, die sein Leben geprägt habe).
Gespräche mit Houellebecq, das erkennt man noch einmal in dem nun auf Deutsch vorliegenden dritten Band seiner "Interventionen", sind ein Inbegriff der Lässigkeit - schwer vorstellbar, dass eine solche bei deutschen Gegenwartsautoren erreicht werden könnte, die ja oft eher beleidigt oder humorlos wirken. Ist es ungerecht, das zu sagen? Das sollte man erst entscheiden, nachdem man das Gespräch zwischen Houellebecq und Frédéric Beigbeder in jenem Band gelesen hat: ein so bissiger wie witziger Schlagabtausch zweier Romanciers und Kritiker, der Freigeistigkeit sowie die Atmosphäre eines französischen Abendessens ausstrahlt ("Du könntest den Goncourt noch bekommen." - "Ausgeschlossen, ich bin Juror beim Prix Renaudot." - "Ach, wie bescheuert! Warum machst du so einen Blödsinn?").
Die Interventionen gelten dem Jahr 2020, aber sie beginnen mit einem Text von 2003. Wer das für eine verlegerische Panne hält, unterschätzt die vielgerühmte Hellsichtigkeit Houellebecqs - denn die Gedankenübung darüber, was es heißt, konservativ oder progressiv zu sein, passt tatsächlich jetzt erst recht in die Gegenwart, die mit ihrer Tendenz zu Essentialismus und schneller Stigmatisierung die beiden Begriffe mehr denn je zu Kampfbegriffen macht.
Vertreter dieser Tendenz scheint Houellebecq spielerisch herauszufordern. Wenn er 2019 einen Text mit der Überschrift "Donald Trump ist ein guter Präsident" schreibt (ein offener Brief an das amerikanische Volk), spürt man, auch wenn dieser einige ernste Argumente enthält, dass er im Grunde nur aus Lust an der Provokation geschrieben ist, aus einem dem Verfasser wohl unerträglich gewordenen Ennui über die immergleichen Abrechnungen mit Trump, die nun hoffentlich bald obsolet sind. Gleichzeitig wirbt er für Ambiguitätstoleranz. Auch wer Trump nicht für einen guten Präsidenten hält, könnte durch die Lektüre gewinnen.
Andere Provokationen sind subtiler oder erfordern kleine Recherchen, wenn er etwa im Religionsgespräch auf den Einfluss Chateaubriands zu sprechen kommt. Den Verfasser der 1802 erschienenen Schrift vom "Geist des Christentums" preist er für dessen Darstellung der christlichen Ehefrau, was die Nachfrage provoziert, ob Houellebecq diese Darstellung etwa uneingeschränkt gutheiße. Er antwortet, dass Chateaubriand zwar zu dick auftrage, aber man ihm fast alles verzeihe, weil er so gut schreibe. Also einmal nachgelesen beim Vorbild: "Die Gattin des Christen ist keine einfache Sterbliche, sie ist ein außerordentliches, geheimnisvolles, engelhaftes Wesen, Fleisch vom Fleische, Blut vom Blute ihres Gatten." Und weiter: "Er hat die Kraft, sie die Schönheit, er bekämpft den Feind und bestellt das Feld des Vaterlandes, aber er versteht nichts von den häuslichen Geschäften, es fehlt ihm die Frau, um ihm das Mahl und das Bett zu bereiten." Chateaubriands Denken erhellt die Wünsche mancher männlichen Romanfiguren Houellebecqs von "Elementarteilchen" bis "Serotonin" und erklärt sowohl deren Depressionen als auch den Hang, Pizza und Sushi zu bestellen. Der Flirt mit dem Reaktionären, den auch der Romancier liebt, schillert bei ihm zwischen Entlarvung und Karikatur - so wie die Unterwerfung unter jegliche Religion.
Wie man auch zu manchen Provokationen Houellebecqs steht, sie zeugen von einem Feuilletonismus, der zunehmend verlorengeht. Sie sind zwinkerndes Zweifeln, oft gepaart mit demütiger Einordnung in die Geschichte. Und sie erzeugen auch Wehmut, denn der Autor hat verkündet, sich fortan nicht mehr interventionistisch äußern zu wollen. Vielleicht wegen zu vieler dämlicher Anfeindungen? In gegenwärtigen (Literatur-)Debatten, die gern Ahnungslosigkeit mit Arroganz verdecken, würde seine unterhaltsame Stimme fehlen.
JAN WIELE.
Michel Houellebecq: "Ein bisschen schlechter". Neue Interventionen. Essays.
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner.
DuMont Buchverlag, Köln 2020. 206 S., geb., 23,- [Euro].
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