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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Marchesa Colombi über ein Frauenprovinzleben
Den Einstieg muss man sich trauen: "Eine eintönigere, ödere und freudlosere Jugend als meine kann man sich eigentlich kaum vorstellen." Ein Heischen ums Wohlwollen des Lesers sieht anders aus - der Satz vibriert von leisem Spott, auf sich, auf den Leser, auf die Welt. Es ist der Tonfall, den die Marchesa Colombi kultiviert: Unerbittliche Ironie durchzieht den Roman "Ein Bräutigam fürs Leben" (im Original: "Eine Hochzeit in der Provinz", 1885) vom ersten bis zum letzten Satz. Der ist noch frecher und doch ungleich verzweifelter: "Tatsache ist, dass ich dick werde." Wer den Ausschnitt aus einem Frauenleben dazwischen kennt, kann nur melancholisch werden.
Es wird eine alltägliche Provinzgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts erzählt: Gaudenzia Dellara, genannt Denza, wächst bei ihrem verwitweten Vater heran; der gute Mann ist Notar und nicht gerade reich. Die Jugend ist rustikal, die Bildung von Denza und Schwester Titina besteht aus Klassikerresümees während endloser Spaziergänge; immerhin genießen die Mädchen ihre Freiheit. Dann verheiratet sich der Vater neu, die Stiefmutter ist schwer zu ertragen; ihr Sohn, von den Schwestern nur "das Gör" oder "der kleine Greis" betitelt, bekommt Zuneigung und Erbe. Eine Heirat soll die zur jungen Frau aufblühende Denza retten; sie verliebt sich auch. Auf Männer ist freilich kein Verlass: Der Bräutigam in spe flirtet gern, nimmt jedoch eine andere - der Hauptteil des Romans berichtet von dieser unglücklichen Liebe. Denza wartet dann lange Jahre, bis sie mit Ende zwanzig gerade noch einen älteren Notar erhaschen kann, den ein wohlmeinender Verwandter präsentiert.
Wie in einem Roman von Jane Austen geht es ums Heiraten; anders als bei Austen geht es kaum um den Richtigen. Die Auswahl lädt nicht zum Träumen ein: Mazzucchetti, der erste Anwärter, ist zwar reich, aber "eine Art Elefant", "ein einziger gigantischer Klotz". Mangelnde Attraktivität macht er weder durch Intelligenz noch durch Feinfühligkeit wett; weil er sie attraktiv findet, redet Denza sich ihn schön. Der zweite Kandidat ist kaum besser: Scalchi hat eine Warze an der Schläfe und ist sterbensöde. Bei beiden Kandidaten steht ein grotesker Makel für Charakterschwächen - und für die Aussichtslosigkeit der Lage. Traurige Wahrheit: Denza muss einen Mann nehmen. Sonst droht das Schicksal ihrer Tante; die alte Jungfer ist eine Last und beschließt ihren Lebensabend hinter einem Paravent in der Küche.
Ohne jeden Hang zu Erklärung oder Moralpredigt gibt die Marchesa Colombi, bürgerlich Maria Antonietta Torriani (1840 bis 1920), zu verstehen, wie so ein Frauenleben in der Provinz aussieht und wer darüber entscheidet. Das ist Absicht: Der Ort der Handlung, die piemontesische Kleinstadt Novara, ist ihr Heimatort; sie weiß, wovon sie schreibt. Und bevor sie von 1875 an als Gattin des Zeitungsherausgebers Eugenio Torelli Viollier, Begründer des "Corriere della Sera", ein mondänes Leben in Mailand führte, hatte sie bereits als Lehrerin, Schriftstellerin und Feministin eine intensive Tätigkeit entfaltet. Die Ehe endete übrigens mit der Scheidung, die Feierlustige zog sich zurück und geriet in Vergessenheit. Natalia Ginzburg und Italo Calvino entdeckten 1973 ihr Werk neu; seit den neunziger Jahren wird es an den Universitäten intensiv erforscht.
Man darf den Bericht aus Mädchensicht getrost als doppelbödig einstufen. Mehr noch, er ist von beißender Ironie: Der Blick der Schriftstellerin ist hart, ihr Stil scharf geschliffen. Ein Satz genügt, die Stiefmutter zu entlarven: "Sie war von Natur aus schroff und bezeichnete ihre Strenge als Aufrichtigkeit." Präzise Menschenkenntnis erlaubt es der Autorin, an Details menschliche Dramatik zu entwickeln. Wie schlecht die Neue in Denzas Familie passt, drücken ihre Möbel aus, denn sie sind rot, die der Familie jedoch grün.
Die Marchesa Colombi hat jedoch auch eine frivole Seite, wie ihr Pseudonym, der Name einer oberflächlichen Dramenfigur, nahelegt. Konkret schlägt sich das gegen Ende des Romans nieder, wo sie den tränenschwangeren Blick ihrer Protagonistin ein wenig zu stark übernimmt - Blauäugigkeit verdrängt den Biss, eine Tendenz, die der tautologische deutsche Titel (1885 ist ein Bräutigam so gut wie immer "fürs Leben") unnötig verschärft. Aber das kristallin geschriebene Ende und die ansonsten wunderbare Übersetzung versöhnen den Leser wieder: Er wünscht sich, mehr von der Marchesa zu lesen.
NIKLAS BENDER
Marchesa Colombi: "Ein Bräutigam fürs Leben". Roman.
edition fünf, Hamburg 2013. 136 S., geb., 17,90 [Euro].
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