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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Scheitern als Beruf: Franz Doblers "Ein Bulle im Zug"
Zuerst den besten Polizistenwitz aus diesem Roman. Wird eine Blondine in ihrem Wagen von einem Polizisten angehalten. "Ihren Führerschein bitte". "Was ist das denn?" "Na, das ist so ein kleines rechteckiges Ding mit Ihrem Bild drin." Die Blondine kramt in ihrer Handtasche und überreicht dem Polizisten strahlend - einen Schminkspiegel. Der Polizist schaut überrascht hinein und lächelt: "Na, das hätten Sie doch gleich sagen können, dass Sie auch bei der Polizei sind."
Ein witziges Buch hat Franz Dobler allerdings nicht geschrieben, dafür eines über Polizisten, in dem nicht sie dumm sind, sondern ihr Leben dumm läuft. Über das, was sie dürfen, was sie auszuhalten haben, was die anderen mit ihnen auszuhalten haben, wie es in ihnen aussehen kann, was es mit einem macht, wenn man im Vorfeld des Rechts selbst an dessen Grenzen arbeitet. Dieser Beruf, sagt das Buch, kann nicht gutgehen.
Dienstunfähig ist Doblers Kommissar, Robert Fallner, aber nur teilsuspendiert; das gibt es. Er hat bei einem Einsatz, der eigentlich mehr etwas für die Streife war, einen jungen kriminellen Libanesen erschossen, bevor der auf ihn feuern konnte, aber man hat die Waffe nicht gefunden, die Zeugen sind so uneins und unklar wie seine eigene Erinnerung. In dieser Krise zwischen Trauma und Fahrlässigkeitsverdacht setzt er, der eine Obsession mit Zügen hat, sich mit einer BahnCard 100, seinem Dienstausweis und einer illegalen Makarow in einen ICE - "der weiße Hai" -, um ein paar Wochen ziellos auf der Schiene zu verbringen. Durchgehend: nachts in Nachtzügen, von denen es ja nur noch beklagenswert wenige gibt, oder ab und an im Hotel, Waschen in der Behindertentoilette, tagsüber quer durchs Land. Wenn er nicht gerade von seiner Verzweiflung verfolgt wird, zeigt sich ihm in Bahnabteilen und Bahnhofsviertel das Land von seiner heruntergekommenen, hoffnungslosen Seite. Passt ihm aber, denn während vor den Abteilfenstern der Film "Deutsche Landschaft" spielt, läuft in seinem Inneren der Film "Mein Leben und der ganze Scheiß" ab. Immer wieder geht er die Sache mit dem Libanesen durch, der ihn in Wachalbträumen ständig anspricht: Erinnerung als Botenbericht, hier auch deshalb, damit es überhaupt eine Handlung gibt, denn in den Zügen selber passiert naturgemäß nicht viel Wichtiges, sondern nur die Welt, wie sie sich im ICE zeigt.
Dobler trifft ihr Personal gut, den Gast im Bistro, der sich nie an einen leeren Tisch setzen würde, weil er ein Ohr braucht, das er jemandem abkauen kann; die Schwätzer, die genau so laut reden, dass der halbe Waggon mithören muss; die zweideutigen Angebote von Nähe im Fernzug. Sein erzählerischer Trick dabei: Der fortlaufende innere Monolog seines Kommissars lässt nichts aus - Sex und Jazz, Psychotherapie und Prostitution, Stadt und Müll, Dropouts und Dropins, die Eltern und die Frau und immer wieder das Leben der Polizisten. Und doch kann er uns auf diese Weise Fallner als einen jener desillusionierten Typen schildern, die nicht viel Worte machen, weil jedes immer schon auf dem Sprung zur Phrase ist, vor der es sie ekelt. Doblers eigene Sprache ist maximal ungemütlich und von der Treffsicherheit des übernächtigten Bewusstseins, sie hartgesotten und nicht jugendfrei zu nennen wäre stark untertrieben.
So um Seite 100 herum kommen dann auch Morde. Ist es eine Serie? Fährt der Täter ebenfalls mit dem ICE durch die Gegend? Oder ist der Auftrag, dem nachzugehen, nur ein Ablenkungsmanöver, der Ermittler nur ein Spielstein? Für Fallners eigenen Fall gibt es am Ende eine Art Lösung und einen Showdown, aber darauf kommt es in diesem Roman gar nicht an. Fälle, teilt er mit, werden niemals aufgeklärt, bestenfalls abgeklärt.
JÜRGEN KAUBE
Franz Dobler: "Der Bulle im Zug". Roman.
Tropen Verlag, Stuttgart 2014, 347 S., geb., 21,95 [Euro].
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