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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Mario Vargas Llosas Roman "Ein diskreter Held"
Das Wort "Großschriftsteller" wird meistens mit einer gewissen Häme benutzt. Aber wenn man es einmal mit angemessenem Sinn für Fleiß und Pflichterfüllung verwendet, bleibt einem vor der Lebensleistung des produktivsten Großschriftstellers unserer Tage, Mario Vargas Llosa, der Mund offen. Ein Besuch auf seiner Website (die er glücklicherweise nicht selbst verwalten muss) genügt. Allein das Jahr 2008 nennt 23 Preise und Distinktionen - oft ist dann ja auch eine kleine Rede fällig -, und wenn sich das Auge beim Jahr 2009 etwas erholen kann, weil es nur vierzehn Ehrungen sind, folgt darauf das Jahr 2010 mit der Zuerkennung des Literaturnobelpreises, der seinerseits von 29 weiteren Medaillen, Hommagen und Auszeichnungen gerahmt wird. Jeder weiß: Danach geht es erst richtig los! Und es stimmt. Das Jahr 2011 brachte dem peruanischen Schriftsteller insgesamt sechzig Ehrungen, manche davon in seinem Heimatland, das die politischen Differenzen früherer Jahrzehnte hinter sich gelassen und den großen Sohn vorbehaltlos in die Arme geschlossen hat.
Die Natur solcher Preise ist höchst unterschiedlich. Mal wird eine Ausstellung über sein Leben und Werk eröffnet, die im Lauf der Jahre durch verschiedene Städte und Länder reist. Hier benennen sie eine Schule nach ihm, dort eine Bibliothek. In Spanien würdigen ihn die Stierkampfliebhaber, weil Vargas Llosa die Tauromachie verteidigt. Akademien und Kulturvereine ernennen ihn zum Ehrenmitglied, Journalistenverbände zeichnen ihn wegen seiner journalistischen Arbeit aus. Schon 2005 hat ihm das spanische Dorf Peñalver den originellsten, zumindest den süßesten Preis seines Lebens zugedacht: sein Körpergewicht in Honig, genau 94 Kilo. Man ehrt ihn als Kulturkritiker und Wirtschaftsliberalen, als politischen Kommentator, Kunstkenner, Opernliebhaber, Literaturvermittler, Weintrinker. Der spanische König hat ihm den Titel eines Markgrafen verliehen, und selbst auf einer PR-Veranstaltung über Heilfasten hat er gesprochen, vielleicht eine Spätfolge des Honigs. Mario Vargas Llosa ist der kosmopolitische Intellektuelle schlechthin, immer rational und eloquent, ohne Pose, Überdruss oder Bitterkeit, gleichsam der ideale Podiumsredner, und wenn meine Zählung stimmt, dann hat er auf vier Kontinenten mindestens 58 Ehrendoktorhüte in Empfang genommen. Es könnten auch mehr sein, Hüte wie Kontinente.
Mit seinen Büchern hat das insofern zu tun, als sie manchmal so kosmopolitisch, gewissermaßen großliterarisch sind wie er selbst, mehr Statement als flugtaugliches Kunstwerk. Sein letzter Roman zum Beispiel, "Der Traum des Kelten" (2011), war bestens gemeint, hatte jedoch am historischen Material über den Irischen Bürgerkrieg oder die Kolonialgeschichte des Kongo und des Amazonasgebiets ziemlich schwer zu tragen. Gerade der mehrheitsfähige Aufklärungsehrgeiz daran beschädigte die Form und schob das Buch in Richtung Thesenroman mit dem Prädikat "besonders wertvoll".
Diese Gefahr droht bei Vargas Llosas jüngstem Werk, "Ein diskreter Held", nicht. Es ist, in Bezug auf den Schauplatz und die Einzelheiten der Lebenswelt, ein zutiefst peruanisches Buch. Erst auf den letzten Seiten nimmt der Homme des Lettres Vargas Llosa die Maske ab. Da fliegen zwei peruanische Ehepaare, die nur durch die turbulente Geschichte, die dieser Roman erzählt, zusammengebracht werden, von Lima nach Europa, und weil einer unter ihnen, Don Rigoberto, als Alter Ego des Autors betrachtet werden kann, sind seine Kulturtipps durchaus an uns gerichtet. Die großen Museen (London, Paris, Florenz) also müsse man besuchen. Die Gedichte von Fray Luis de León lesen. In Madrid nach einer CD mit Musik des blinden Organisten Francisco de Salinas forschen, dem Fray Luis seine Lyrik zueignet habe. Dann kommt Don Rigoberto eine Idee: "Sicher hatte eines der Ensembles, die sich der alten Musik verschrieben - das von Jordi Savall zum Beispiel -, eine Aufnahme dem Mann gewidmet, der einst ein solches Wunderwerk inspirierte." Muss man hinzufügen, dass der unermüdliche Orchesterleiter und Gambist Jordi Savall, vor dem sich hier nicht nur Don Rigoberto, sondern auch Mario Vargas Llosa verneigt, der spanische Großdirigent unserer Tage ist?
Der Roman selbst kreist nicht nur um einen, sondern zwei diskrete Helden. Der erste, ein Transportunternehmer namens Felícito Yanaqué in der nordperuanischen Stadt Piura, ist ein fleißiges, gewissenhaftes Männchen, unglücklich verheiratet, mit einer heimlichen Geliebten, der er eine Wohnung gemietet hat. Dieser Felícito wird durch mysteriöse Briefe um Schutzgeld erpresst, und während alle anderen Geschäftsleute in Piura kuschen und zahlen, beschließt der Antiheld, sich zu wehren. Sein Vater, ein einfacher Mann, hat ihn gelehrt, "sich niemals herumschubsen zu lassen".
Streng abwechselnd mit den ungeraden Kapiteln des Romans, erfahren wir in den geraden von Don Rigoberto und seiner Frau Lucrecia, alten Bekannten aus früheren Romanen des Autors. Der kultivierte Herr, wohnhaft in Lima, ist frisch pensionierter Versicherungsangestellter, der davon träumt, mit seiner Frau und seinem halbwüchsigen Sohn zur besagten europäischen Bildungsreise aufzubrechen. Ohne Böses zu ahnen, tut er zuvor seinem steinalten Firmenchef einen Gefallen und fungiert als Trauzeuge bei dessen heimlicher Blitzheirat, welche die beiden missratenen Söhne des Bosses um ihr Erbe zu bringen droht.
Zwanzig Kapitel, fast vierhundert Seiten lang, flicht Vargas Llosa seinen Zopf aus zwei parallelen Geschichten, bis sie durch einen Taschenspielertrick zusammenfinden. Auf dem Weg dorthin passiert eine Menge - Drohungen, großer Medienzirkus, eine Entführung, ein plötzlicher Todesfall, unheimliche Erscheinungen, mittelscharfer Sex verschiedener Altersklassen -, aber es lässt einen kalt. Das liegt vor allem an der hölzernen Figurencharakterisierung und den ungelenken Dialogen. Irgendwie rollt die Geschichte routiniert voran, aber kaum ein Wort leuchtet, und das liegt nicht an Thomas Brovots tadelloser Übersetzung. Hin und wieder regt sich der Verdacht, Vargas Llosa wolle eigentlich etwas ganz anderes erzählen.
Und er tut es, doch nur in Vignetten, fast klandestin. Zum Beispiel, wenn er den Kleinhandel schildert, die einfachen Bars, das Leben dessen, was man einmal "Volk" nannte. Oder wie Straßen und Stadtviertel sich im Lauf der Jahrzehnte verändert haben. Oder wie Felícito eine Wahrsagerin aufsucht, bevor er schwierige Entscheidungen trifft, überhaupt wenn von Legenden und Wunderglauben die Rede ist. Oder auch, wenn wir den Polizisten Lituma bei seinen Recherchen begleiten, auch er ja ein alter Bekannter im Werk Vargas Llosas, ein sympathischer, nicht übermäßig heller Verlierer, der kaum Karriere gemacht hat und fast allen anderen Figuren des Romans etwas Entscheidendes voraushat: Er atmet, er lebt. Lituma steht als ganzer Mensch vor uns, weil wir nie das Gefühl haben, er sei ausgedacht worden, um irgendetwas zu repräsentieren. Und so zerfällt "Ein diskreter Held" in zwei verschiedene Bücher: hier eine ungelenke, vollgestopfte Geschichte von besorgten Vätern, bösen Söhnen und der Vielfalt familiärer Zerwürfnisse; dort liebevolle, sicher gezeichnete peruanische Stimmungsbilder, die nostalgisch an die Welt von Vargas Llosas frühen (und größten) Romanen erinnern.
PAUL INGENDAAY
Mario Vargas Llosa: "Ein diskreter Held". Roman.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 382 S., geb., 22,95 [Euro].
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