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Sind der Euro und seine Rettung alternativlos?
Wenn es ein Politikfeld gibt, wo der Anspruch, aus der Geschichte gelernt zu haben, eine große Rolle spielt, dann ist es die deutsche Europapolitik. Die europäische Integration und sogar die Währungsunion werden oft damit gerechtfertigt, dass sie verhindern sollen, dass der Kontinent wieder wie vor 1945 Kriegsschauplatz rivalisierender Nationalstaaten wird. Weil die Lehren aus der Geschichte nicht so eindeutig wie die aus gut geplanten naturwissenschaftlichen Experimenten sind, ist es erfreulich, dass ein junger Bonner Historiker im vorliegenden Buch hinterfragt, ob unsere Politiker die richtige Lehre aus der Geschichte gezogen haben. Konsens impliziert ja keine Wahrheitsgarantie.
Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert. Gleich im ersten Kapitel verweist Dominik Geppert auf das zentrale Problem der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik seit der Reichseinigung 1871, das nur nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges überlagert und verdeckt wurde. Deutschland hat eine halbhegemoniale Position. Es ist zu stark, um sich einfach in Europa einzuordnen, aber zu schwach, um eine Hegemonialmacht sein zu können. Dank seiner Wirtschaftskraft hat Deutschland auch heute wieder diese Position in Europa beziehungsweise im Euroraum.
Eine Erlösung Deutschlands durch die Integrationspolitik oder gar den Euro sieht Geppert nicht. Im zweiten und dritten Kapitel analysiert er die Vielfalt Europas. Er verweist auf Deutschlands bundesstaatliche und Frankreichs zentralstaatliche Tradition, auch darauf, dass die Briten bei der Vereinigung Englands mit Schottland auf die Angleichung der inneren Verhältnisse verzichtet haben. Mit der Einführung des Euro wurden unterschiedliche Traditionen und Interessen nicht überwunden, sondern eher nationale Rivalitäten und Feindseligkeit wiederbelebt.
Im vierten Kapitel wird der Euro als Fehlkonstruktion bezeichnet. Die Südländer können nicht mehr wie früher über Abwertungen ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Jede denkbare Alternative dazu ist problematisch. Reallohnsenkungen sind im Süden unpopulär, Transfers im Norden. Die zwischenstaatliche Mobilität ist im Euroraum zu gering, um das Problem lösen zu können, so dass sogar Protektionismus wieder denkbar wird. Die Europapolitiker hätten aus der Geschichte lernen sollen, dass eine Währungsunion ohne vorhergehende politische Union nur schlechte Aussichten hat. Im fünften Kapitel wird die Aushebelung von Rechtsstaat und Demokratie im Namen Europas beklagt: Die Kriterien des Maastricht-Vertrages wurden nicht ernst genommen, das Bail-out-Verbot missachtet, die Aufgaben der EZB verzerrt. Es herrscht die Logik des Ausnahmezustands. Solidarität wird als Argument gegen das Recht verwendet. Die Budgetrechte der Parlamente in Schuldner- und Gläubigerstaaten werden beschränkt - durch Auflagen oder Zeitdruck. Anzeichen dafür, dass der Euro Europas Stellung in der Welt gestärkt hat, kann Geppert im sechsten Kapitel nicht erkennen. Der Euroraum wird zum "romanisch geprägten Rumpfeuropa", in dem Deutschland oft isoliert ist, wie im EZB-Rat.
Die letzten drei Kapitel sind den europäischen Kernstaaten Deutschland und Frankreich und der Zukunft Europas gewidmet. Statt mit der Aufgabe des Euro Freunde in Europa zu gewinnen, wie Helmut Kohl gehofft hatte, ist das Problem der halbhegemonialen Position Deutschlands wieder aktuell. Frankreich ist es zwar gelungen, die Dominanz der deutschen Währungspolitik auszuhebeln, aber es leidet unter der Schwäche seiner eigenen Wirtschaft. Dass Europa durch die Krise bald zur politischen Union findet, hält Geppert für eine Illusion. Europa sollte auf den Weltmachtanspruch verzichten, seine Einheit nicht als Wert an sich missverstehen. Als solche akzeptiert Geppert nur Frieden und Freiheit, damit zusammenhängend auch Rechtsstaat und Demokratie. Die Teilung Europas in Euro- und Nicht-Euro-Staaten, in Schuldner und Gläubiger kann Europa nicht guttun. Ein locker verbundenes, auf den Binnenmarkt konzentriertes Europa im Sinne britischer Vorstellungen könnte nach Geppert die Orientierung überwinden an einem "Europa, das es nicht gibt". Geppert ist ein gut lesbares, politisch engagiertes, aber - weil er die Euro-Rettungspolitik eher für illusionär als für alternativlos hält - auch kontroverses Buch gelungen.
ERICH WEEDE.
Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt.
Berlin, Europa Verlag 2013, 189 Seiten, 16,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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