Graham Swifts Meisterwerk Jane, das junge Dienstmädchen von Beechwood, und Paul, der Spross aus begütertem Haus, haben ein Verhältnis. Heimliche Botschaften, verschwiegene Treffen, doch heute, an diesem sonnigen Märzsonntag 1924, darf Jane - Familie und Dienerschaft sind ausgeflogen - ihr Fahrrad einfach an die Hausmauer des Anwesens lehnen, durchs Hauptportal herein und ins Bett ihres Geliebten kommen. Ein erstes und ein letztes Mal, denn Paul wird bald - standesgemäß - heiraten. Später, gegen Mittag, wird sie leichtfüßig und nackt durch das weitläufige Haus streifen, beseelt von der rauschhaften Innigkeit dieses herausgehobenen Morgens und nicht ahnend, dass ihr Leben am Ende dieses Tages zu zerbrechen droht.
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buecher-magazin.deDie geheimnisvolle Jane lässt uns teilhaben an ihrem außergewöhnlichen Leben, welches zeigt, das scheinbar unmögliche Dinge wahr werden können. Booker-Prize-Gewinner Graham Swift verwöhnt uns mit seinem fantastischen Roman. "Ein Festtag" spielt im England der 20er-Jahre. Jane ist Dienstmädchen in reichem Hause, durchaus klug, und liebt Paul, den Sohn der Herrschaften. Jahrelang lieben sie sich heimlich und es kostet sie - wie Paul sagt - nichts außer Verschwiegenheit und ein gewisses Risiko zur Gewitztheit. Dann, an einem 1. Mai, darf Jane erstmalig durch das Hauptportal schreiten und das Haus ausgiebig erkunden. Paul steht kurz vor der Heirat mit einem Mädchen aus seiner Zunft, doch nur sie, Jane, wird Paul je so nahe sein. Dann verändert ein Ereignis alles. Iris Berben verschmilzt mit der Geschichte, setzt die literarische, blumige Sprache Swifts genüsslich um und versetzt den Hörer in eine vergangene Zeit, die sich so sehr von der heutigen unterscheidet. Sie erzählt sanft, poetisch und melodisch, kostet jedes Detail aus und schafft es, ihre Stimme den verschiedenen Stimmungen und Charakteren anzupassen. Man wird neugieriger, stiller Beobachter. Hörgenuss vom Feinsten.
© BÜCHERmagazin, Tina Muffert (tm)
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Die Lektüre dieser sinnlichen und spannenden Geschichte ist ein Fest. Monika Grütters Staatsministerin für Kultur und Medien 20191018
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2017Die Chance, ein leeres Blatt zu sein
Der englische Autor Graham Swift erzählt in seiner Novelle „Ein Festtag“, wie aus einem Dienstmädchen eine Schriftstellerin wird
Glückliches England, was hast du für einen Reichtum an Autoren! Nein, nicht Shakespeare oder Jane Austen sind gemeint, sondern Zeitgenossen: David Mitchell, Ian McEwan, Kazuo Ishiguro, Hilary Mantel, Julian Barnes . . . Wenn die englische Gegenwartsliteratur (neben der US-amerikanischen) heute vielleicht die stärkste der Welt ist, dann ist das auch Graham Swifts Verdienst. Der 68-jährige Londoner, der 1995 für „Last Orders“ den Booker-Preis erhielt, hat im vergangenen Jahr die zauberhafte Novelle „Mothering Day“ veröffentlicht. Jetzt liegt sie unter dem Titel „Ein Festtag“ auch auf Deutsch vor.
Haus- und Autobauer jagen von jeher dem Phantom des paradoxen Raumes nach, der viel mehr enthält, als die Oberfläche ahnen lässt. Innen größer als außen, in der Literatur ist das möglich, und Graham Swifts Novelle – vom deutschen Verlag zu Unrecht als Roman bezeichnet – führt dies vor. Auf nicht einmal 140 Seiten erleben wir, wie das Leben der 22-jährigen Jane Fairchild an einem einzigen Tag eine entscheidende Wende nimmt. Es ist der 30. März 1924, England ist traumatisiert vom Ersten Weltkrieg. Die drei Familien, auf deren Landsitzen die Geschichte spielt, haben zusammen vier Söhne verloren. Deren Zimmer bleiben unangetastet, als könnten sie jederzeit zurückkommen, die Dienstmädchen stauben sie lediglich ab.
Dienstmädchen: ein Wort aus jener Zeit, die manche die gute alte nennen und die in TV-Serien wie „Downton Abbey“ ein großes Publikum begeistert. Von 1924 aus betrachtet, liegt die gute Zeit ein paar Jahrzehnte zurück, „als es noch mehr Pferde als Autos gab“ und sich die Nivens nicht mit einer Köchin und einem einzigen Dienstmädchen begnügen mussten. Auch die besitzende Klasse muss sich einschränken, die große soziologische Verschiebung des Niedriglohnsektors vom Hauspersonal zur Fabrikarbeit hat schon begonnen.
Was sich nicht verändert hat, ist das Klassenbewusstsein. Auch wer so gönnerhaft und großzügig agiert wie Mr. Niven, der Jane Fairchild ab und zu eine Halfcrown extra zusteckt und ihr erlaubt, Bücher aus seiner Bibliothek zu lesen – auch er weiß, dass zwischen Herrschaft und Dienerschaft ein kategorialer Abstand klafft. Und die Dienerschaft weiß es auch. In dieses Bewusstsein von zwei Welten, die sich nur durch genau geregelte Verfahren berühren und die uns heute so fremd sind wie das Feudalwesen, taucht der Autor tief ein und öffnet zugleich den Blick auf eine neue, auf unsere Zeit.
Denn „Ein Festtag“ erzählt auch vom unglaublichen Aufstieg dieses Mädchens Jane Fairchild zur anerkannten Schriftstellerin. Jane ist ein Findelkind, am Eingang eines Waisenhauses abgelegt, wo man ihr ihren gut gemeinten Namen gibt und ein willkürliches Geburtsdatum. Mit 14 wird sie „in Dienst“ gegeben, mit 16 kommt sie zu den Nivens und gerät alsbald in eine Beziehung zu Paul Sheringham, dem Sohn der Nachbarn. Eine Beziehung, die sich von der Prostitution (Sex gegen Sixpence) zu mehr entwickelt, wegen des „beiderseitigen Interesses an dem Akt“ – zur Affäre unter Gleichen. „Die perfekte Politik des Nacktseins“ lässt die Macht des Sozialen vergessen.
Paul hat die mit Geld gut gepolsterte Selbstsicherheit einer besitzenden Klasse, die weiss, dass sie nie arbeiten muss. Er ist jung und schön , aber auch ein bisschen träge und beschränkt. An Cleverness ist ihm Jane weit überlegen. Der Fahrstuhl, der sie nach oben tragen wird, ist die Literatur. Die Bücher aus der herrschaftlichen Bibliothek erweitern ihren Wortschatz und ihr Wissen, schulen sie in der Praxis von Imagination und Identifikation, machen sie zu einer selbstbewussten Person, die ihr Leben in die Hand nimmt. Sie findet eine Stelle in einer Buchhandlung in Oxford, verkehrt bald mit Universitätsleuten, heiratet einen Philosophen und schreibt selbst Bücher. Und blickt, im hohen Alter von neunzig Jahren, auf jenen Tag zurück, an dem sich alles entschied und der diese Novelle leuchten lässt im strahlenden Morgenlicht einer offenen Zukunft.
„Mothering Day“, das ist der Tag, an dem die Dienstmädchen frei haben, damit sie ihre Mütter besuchen können, an dem sich die befreundeten Herrschaften zu einem Ausflug aufmachen, um die missliche Zeit der Dienerlosigkeit zu überbrücken. Jane aber trifft sich mit ihrem Paul in dessen Elternhaus, zum ersten Mal betritt sie es, zum ersten Mal schläft sie mit ihm in seinem Bett, und danach sehen wir sie dort liegen, in stolzer Nacktheit, während er sich langsam anzieht, um sich zum Lunch mit seiner Verlobten Emma (aus der dritten Familie) zu rüsten – eine Verbindung, die symbolisch die Wunden schließen soll, die der Krieg geschlagen hat.
Dann ist Jane allein, betrachtet den verräterischen Fleck, den sie auf dem Bettlaken hinterlassen hat, streift nackt durch das herrschaftliche Haus, betrachtet sich im Spiegel und erkennt sich selbst: in ihrer Freiheit, die zu werden, die sie sein will. „Das bin ich“. Dies ist eine ähnlich „jubilatorische Geste“, wie sie der Psychoanalytiker Jacques Lacan für das sogenannte „Spiegelstadium“ des Kleinkinds beschrieben hat. Hier ist es ein revolutionärer Bewusstseinsakt des Waisenmädchens, das sein Handicap, die Bindungslosigkeit, zur großen Chance umdeutet. Die Chance, „ein leeres Blatt zu sein“, das sie selbst beschreiben wird.
Wie Graham Swift dieses Bewusstseinserwachen darstellt, durch die geradezu sinnliche Aufnahmefähigkeit Janes, die weiß, dass dies ein Ausnahmetag ist, der nie da war und nie wieder kommen wird. Weiter durch die Hervorhebung ihrer sprachlich-reflexiven Stärke, ihrer Lust, sich imaginierte Szenen so intensiv auszumalen, dass sie wahr zu sein scheinen – das ist assoziativ hingetupft und in seiner Leichtigkeit und Tiefe selbst fast magisch.
Die Novelle lebt von der Doppelperspektive des Mädchens, das diesen Tag erlebt, und der alten Frau, die sich an ihn erinnert und über das fragile Verhältnis von Wirklichkeit und Erfindung nachsinnt. In der „Bodenlosigkeit“ der jungen Jane erkennt sie die Bestimmung der menschlichen Existenz. Ungestüm und Lebenslust hier, Skepsis und Melancholie dort, das ergibt eine einzigartige Mischung. Und wenn sich die Schriftstellerin Jane Fairchild bis zum Schluss fragt, was „dieses wahrhafte Erzählen“ sein könnte: Ihr Erfinder hat die Antwort gegeben.
MARTIN EBEL
Graham Swift: Ein Festtag. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. dtv, München 2017. 144 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.
„Das bin ich“ – ein einfacher
Satz, der in dieser Novelle
zur jubilatorischen Geste wird
Graham Swift lebt heute in seiner Geburtsstadt London.
Foto: imago stock&people
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der englische Autor Graham Swift erzählt in seiner Novelle „Ein Festtag“, wie aus einem Dienstmädchen eine Schriftstellerin wird
Glückliches England, was hast du für einen Reichtum an Autoren! Nein, nicht Shakespeare oder Jane Austen sind gemeint, sondern Zeitgenossen: David Mitchell, Ian McEwan, Kazuo Ishiguro, Hilary Mantel, Julian Barnes . . . Wenn die englische Gegenwartsliteratur (neben der US-amerikanischen) heute vielleicht die stärkste der Welt ist, dann ist das auch Graham Swifts Verdienst. Der 68-jährige Londoner, der 1995 für „Last Orders“ den Booker-Preis erhielt, hat im vergangenen Jahr die zauberhafte Novelle „Mothering Day“ veröffentlicht. Jetzt liegt sie unter dem Titel „Ein Festtag“ auch auf Deutsch vor.
Haus- und Autobauer jagen von jeher dem Phantom des paradoxen Raumes nach, der viel mehr enthält, als die Oberfläche ahnen lässt. Innen größer als außen, in der Literatur ist das möglich, und Graham Swifts Novelle – vom deutschen Verlag zu Unrecht als Roman bezeichnet – führt dies vor. Auf nicht einmal 140 Seiten erleben wir, wie das Leben der 22-jährigen Jane Fairchild an einem einzigen Tag eine entscheidende Wende nimmt. Es ist der 30. März 1924, England ist traumatisiert vom Ersten Weltkrieg. Die drei Familien, auf deren Landsitzen die Geschichte spielt, haben zusammen vier Söhne verloren. Deren Zimmer bleiben unangetastet, als könnten sie jederzeit zurückkommen, die Dienstmädchen stauben sie lediglich ab.
Dienstmädchen: ein Wort aus jener Zeit, die manche die gute alte nennen und die in TV-Serien wie „Downton Abbey“ ein großes Publikum begeistert. Von 1924 aus betrachtet, liegt die gute Zeit ein paar Jahrzehnte zurück, „als es noch mehr Pferde als Autos gab“ und sich die Nivens nicht mit einer Köchin und einem einzigen Dienstmädchen begnügen mussten. Auch die besitzende Klasse muss sich einschränken, die große soziologische Verschiebung des Niedriglohnsektors vom Hauspersonal zur Fabrikarbeit hat schon begonnen.
Was sich nicht verändert hat, ist das Klassenbewusstsein. Auch wer so gönnerhaft und großzügig agiert wie Mr. Niven, der Jane Fairchild ab und zu eine Halfcrown extra zusteckt und ihr erlaubt, Bücher aus seiner Bibliothek zu lesen – auch er weiß, dass zwischen Herrschaft und Dienerschaft ein kategorialer Abstand klafft. Und die Dienerschaft weiß es auch. In dieses Bewusstsein von zwei Welten, die sich nur durch genau geregelte Verfahren berühren und die uns heute so fremd sind wie das Feudalwesen, taucht der Autor tief ein und öffnet zugleich den Blick auf eine neue, auf unsere Zeit.
Denn „Ein Festtag“ erzählt auch vom unglaublichen Aufstieg dieses Mädchens Jane Fairchild zur anerkannten Schriftstellerin. Jane ist ein Findelkind, am Eingang eines Waisenhauses abgelegt, wo man ihr ihren gut gemeinten Namen gibt und ein willkürliches Geburtsdatum. Mit 14 wird sie „in Dienst“ gegeben, mit 16 kommt sie zu den Nivens und gerät alsbald in eine Beziehung zu Paul Sheringham, dem Sohn der Nachbarn. Eine Beziehung, die sich von der Prostitution (Sex gegen Sixpence) zu mehr entwickelt, wegen des „beiderseitigen Interesses an dem Akt“ – zur Affäre unter Gleichen. „Die perfekte Politik des Nacktseins“ lässt die Macht des Sozialen vergessen.
Paul hat die mit Geld gut gepolsterte Selbstsicherheit einer besitzenden Klasse, die weiss, dass sie nie arbeiten muss. Er ist jung und schön , aber auch ein bisschen träge und beschränkt. An Cleverness ist ihm Jane weit überlegen. Der Fahrstuhl, der sie nach oben tragen wird, ist die Literatur. Die Bücher aus der herrschaftlichen Bibliothek erweitern ihren Wortschatz und ihr Wissen, schulen sie in der Praxis von Imagination und Identifikation, machen sie zu einer selbstbewussten Person, die ihr Leben in die Hand nimmt. Sie findet eine Stelle in einer Buchhandlung in Oxford, verkehrt bald mit Universitätsleuten, heiratet einen Philosophen und schreibt selbst Bücher. Und blickt, im hohen Alter von neunzig Jahren, auf jenen Tag zurück, an dem sich alles entschied und der diese Novelle leuchten lässt im strahlenden Morgenlicht einer offenen Zukunft.
„Mothering Day“, das ist der Tag, an dem die Dienstmädchen frei haben, damit sie ihre Mütter besuchen können, an dem sich die befreundeten Herrschaften zu einem Ausflug aufmachen, um die missliche Zeit der Dienerlosigkeit zu überbrücken. Jane aber trifft sich mit ihrem Paul in dessen Elternhaus, zum ersten Mal betritt sie es, zum ersten Mal schläft sie mit ihm in seinem Bett, und danach sehen wir sie dort liegen, in stolzer Nacktheit, während er sich langsam anzieht, um sich zum Lunch mit seiner Verlobten Emma (aus der dritten Familie) zu rüsten – eine Verbindung, die symbolisch die Wunden schließen soll, die der Krieg geschlagen hat.
Dann ist Jane allein, betrachtet den verräterischen Fleck, den sie auf dem Bettlaken hinterlassen hat, streift nackt durch das herrschaftliche Haus, betrachtet sich im Spiegel und erkennt sich selbst: in ihrer Freiheit, die zu werden, die sie sein will. „Das bin ich“. Dies ist eine ähnlich „jubilatorische Geste“, wie sie der Psychoanalytiker Jacques Lacan für das sogenannte „Spiegelstadium“ des Kleinkinds beschrieben hat. Hier ist es ein revolutionärer Bewusstseinsakt des Waisenmädchens, das sein Handicap, die Bindungslosigkeit, zur großen Chance umdeutet. Die Chance, „ein leeres Blatt zu sein“, das sie selbst beschreiben wird.
Wie Graham Swift dieses Bewusstseinserwachen darstellt, durch die geradezu sinnliche Aufnahmefähigkeit Janes, die weiß, dass dies ein Ausnahmetag ist, der nie da war und nie wieder kommen wird. Weiter durch die Hervorhebung ihrer sprachlich-reflexiven Stärke, ihrer Lust, sich imaginierte Szenen so intensiv auszumalen, dass sie wahr zu sein scheinen – das ist assoziativ hingetupft und in seiner Leichtigkeit und Tiefe selbst fast magisch.
Die Novelle lebt von der Doppelperspektive des Mädchens, das diesen Tag erlebt, und der alten Frau, die sich an ihn erinnert und über das fragile Verhältnis von Wirklichkeit und Erfindung nachsinnt. In der „Bodenlosigkeit“ der jungen Jane erkennt sie die Bestimmung der menschlichen Existenz. Ungestüm und Lebenslust hier, Skepsis und Melancholie dort, das ergibt eine einzigartige Mischung. Und wenn sich die Schriftstellerin Jane Fairchild bis zum Schluss fragt, was „dieses wahrhafte Erzählen“ sein könnte: Ihr Erfinder hat die Antwort gegeben.
MARTIN EBEL
Graham Swift: Ein Festtag. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. dtv, München 2017. 144 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.
„Das bin ich“ – ein einfacher
Satz, der in dieser Novelle
zur jubilatorischen Geste wird
Graham Swift lebt heute in seiner Geburtsstadt London.
Foto: imago stock&people
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2017Nackt bis auf den Siegelring
Vom Dienstmädchen zur gefeierten Schriftstellerin: Graham Swifts englischer Aufstiegsroman "Festtag"
Den eigentlichen Roman bleibt Graham Swift uns schuldig in diesem als Mosaik aus Gegenwart und Vergangenheit angelegten "Festtag": Den Aufstieg des Dienstmädchens Jane zur gefeierten Schriftstellerin und zur Heirat mit einem beliebten Oxforder Philosophen skizziert er nur flüchtig mit den fast widerwillig gegebenen Auskünften in einem Interview, das die alte Schriftstellerin gibt. Mit geradezu penibler Ausführlichkeit schildert er dagegen, was am Anfang ihrer Karriere, dem Bewusstwerden der jungen Frau über ihren Standpunkt, begann, einem "Festtag" im Mai 1924, Muttertag außerdem. "Das moderne Zeitalter war angebrochen", der Erste Weltkrieg hatte die englische Klassengesellschaft erschüttert und ihren Reichtum dezimiert. Alles war möglich, vielleicht auch ein Aufstieg in die gesellschaftlich oberen Ränge.
Noch scheint die Kluft unüberbrückbar. Swift schildert sie in wenigen Sätzen. Zwei junge Menschen allein in einem großbürgerlichen englischen Stadthaus. Beide sind nackt, abgesehen von dem Siegelring, den er trägt, und ihren billigen Ohrringen. Knapper geht es kaum, um das gesellschaftliche Gefälle zwischen dem Paar zu beschreiben. Noch nie hat Jane das Elternhaus ihres Liebhabers durch den Vordereingang betreten, noch nie hat sie in seinem Bett gelegen. Noch nie hat sie sich vorgestellt, seine Braut Emma Hobday zu sein, die er in wenigen Tagen zu heiraten beabsichtigt. Doch ihr Traum löst sich auf mit jedem Kleidungsstück, das er nun sorgfältig anlegt, um sich wie verabredet mit seiner Verlobten in einem Restaurant zu treffen, während Jane immer noch nackt und reglos auf dem Bett liegen bleibt und überlegt, ob er ihren Liebesdienst wieder wortlos mit einem Sixpence bezahlt.
Jane besitzt nur ihren schönen Körper und ihren Verstand. Mit beiden gelingt es ihr, so weit zu kommen, dass sie als alte Frau auf ein gelungenes Leben zurückblicken kann. Bücher und insbesondere die von Joseph Conrad haben ihr geholfen, sich weiterzuentwickeln. Zumindest darüber kann sie reden. Alles, was an dem "Festtag im Mai" geschah, bleibt ihr Geheimnis. Auch vom tragischen Ende ihres Liebhabers, der mit seinem Sportwagen auf der Fahrt zu seiner Braut tödlich verunglückte, wird sie ihren Interviewpartnern nichts erzählen.
Graham Swift hat in diesem schmalen Buch mit einem faszinierenden Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit, von geheimen Gedanken und lakonischen Sentenzen ein unvergessliches Gesellschaftbild entworfen.
MARIA FRISÉ.
Graham Swift: "Ein Festtag". Roman.
Aus dem Englischen von Susanne Höbel.
Dtv, München 2017. 142 S., geb., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vom Dienstmädchen zur gefeierten Schriftstellerin: Graham Swifts englischer Aufstiegsroman "Festtag"
Den eigentlichen Roman bleibt Graham Swift uns schuldig in diesem als Mosaik aus Gegenwart und Vergangenheit angelegten "Festtag": Den Aufstieg des Dienstmädchens Jane zur gefeierten Schriftstellerin und zur Heirat mit einem beliebten Oxforder Philosophen skizziert er nur flüchtig mit den fast widerwillig gegebenen Auskünften in einem Interview, das die alte Schriftstellerin gibt. Mit geradezu penibler Ausführlichkeit schildert er dagegen, was am Anfang ihrer Karriere, dem Bewusstwerden der jungen Frau über ihren Standpunkt, begann, einem "Festtag" im Mai 1924, Muttertag außerdem. "Das moderne Zeitalter war angebrochen", der Erste Weltkrieg hatte die englische Klassengesellschaft erschüttert und ihren Reichtum dezimiert. Alles war möglich, vielleicht auch ein Aufstieg in die gesellschaftlich oberen Ränge.
Noch scheint die Kluft unüberbrückbar. Swift schildert sie in wenigen Sätzen. Zwei junge Menschen allein in einem großbürgerlichen englischen Stadthaus. Beide sind nackt, abgesehen von dem Siegelring, den er trägt, und ihren billigen Ohrringen. Knapper geht es kaum, um das gesellschaftliche Gefälle zwischen dem Paar zu beschreiben. Noch nie hat Jane das Elternhaus ihres Liebhabers durch den Vordereingang betreten, noch nie hat sie in seinem Bett gelegen. Noch nie hat sie sich vorgestellt, seine Braut Emma Hobday zu sein, die er in wenigen Tagen zu heiraten beabsichtigt. Doch ihr Traum löst sich auf mit jedem Kleidungsstück, das er nun sorgfältig anlegt, um sich wie verabredet mit seiner Verlobten in einem Restaurant zu treffen, während Jane immer noch nackt und reglos auf dem Bett liegen bleibt und überlegt, ob er ihren Liebesdienst wieder wortlos mit einem Sixpence bezahlt.
Jane besitzt nur ihren schönen Körper und ihren Verstand. Mit beiden gelingt es ihr, so weit zu kommen, dass sie als alte Frau auf ein gelungenes Leben zurückblicken kann. Bücher und insbesondere die von Joseph Conrad haben ihr geholfen, sich weiterzuentwickeln. Zumindest darüber kann sie reden. Alles, was an dem "Festtag im Mai" geschah, bleibt ihr Geheimnis. Auch vom tragischen Ende ihres Liebhabers, der mit seinem Sportwagen auf der Fahrt zu seiner Braut tödlich verunglückte, wird sie ihren Interviewpartnern nichts erzählen.
Graham Swift hat in diesem schmalen Buch mit einem faszinierenden Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit, von geheimen Gedanken und lakonischen Sentenzen ein unvergessliches Gesellschaftbild entworfen.
MARIA FRISÉ.
Graham Swift: "Ein Festtag". Roman.
Aus dem Englischen von Susanne Höbel.
Dtv, München 2017. 142 S., geb., 18,50 [Euro].
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