Märchenhafte Beute, fatale Liebschaften, haarsträubende Spielniederlagen, atemberaubende Fluchten um den halben Erdball: Als reiche Quelle literarischer Anregungen sowie als beliebte Filmvorlage haben Georges Manolescus Hochstapler-Memoiren Künstlergenerationen verzückt. Dabei sind sie selbst ein Literaturklassiker. Mit ihrer Bestandsaufnahme eines Zeitalters, in der selbstverliebten Beichte abenteuerlicher Sünden gleichen sie den Bekenntnissen eines anderen, mythischen Hasardeurs: denen Giacomo Casanovas. Mit Casanova verbindet Manolescu mehr als die getreue Aufzeichnung der Normen und Obsessionen der jeweiligen Epoche: Beider gute Erziehung, beider Intelligenz, Leichtsinn und betörendes Äußeres, beider Liebe zum »schwachen Geschlecht«, beider verhängnisvolle Spielsucht und stete Unrast sowie vor allem beider durch Rückschläge nie gebrochene Vitalität lassen über die Zeiten hinweg Gemeinsamkeiten erkennen. Freilich: Mehr als einhundert Jahre sind seit der Niederschrift von Casanovas Memoiren vergangen. Nicht mehr Seidenstrümpfe, Kaleschen, Perücken und Puder, sondern Detektive, Telegramme und Schlafwagenzüge beherrschen die Szenerie. Der Wirkungskreis Casanovas beschränkte sich auf das »alte Europa«; er pendelte jedoch immerhin zwischen Paris, London, Amsterdam, Berlin und St. Petersburg. Aber der Aktionsradius hat sich mittlerweile geweitet: In den Erinnerungen schildert Manolesu seine Coups und Niederlagen zwischen Monte Carlo und Yokohama, Wien und San Francisco, Paris, London, Berlin und St. Louis. Aus den privaten Gesellschaften, Zirkeln und Salons des 18. Jahrhunderts sind die glamourösen Zusammenkünfte in den Spielbanken und Hotelhallen des 19. Jahrhunderts geworden. Parvenüs, Finanzadel, Kokotten und Spieler, Milliardäre aus der »Neuen« und oftmals klamme Aristokraten aus der »Alten Welt«: Nicht mehr die persönliche Empfehlung, wie noch zu Casanovas Zeiten, sondern der bloße Anschein von Titel und Reichtum bildet jetzt den wichtigsten Schlüssel zur Aufnahme in diese heterogene, ständigem Wandel unterworfene Gesellschaft. Fehlende Tradition wird hier durch wohlklingende Namen, fehlendes Geld durch selbstsicheres Auftreten, fehlende Zukunftsperspektive schließlich durch sich bietende »Chancen« auf schnelles Geld und Ruhm wett gemacht. Wo Casanova antichambrierte, langfristig mehr und mehr Personen in sein dichtes Beziehungsnetz einflocht, ruht Manolescus Existenz allein auf dem Boden austauschbarer Bekanntschaften, auf moderner Weltläufigkeit und Anonymität. Kaum etwas - es sei denn das fehlende Kapital - kann seine angemaßte Stellung erschüttern: Bald besitzt er eine Kutsche, bald ein Automobil, bald führt er einen Titel, ist sogar mit einer Adligen verheiratet, nennt eine Villa und einen Diener mit Livree sein eigen. Wendet sich das Glück, türmen sich die Spielschulden, wird er gar als Hoteldieb enttarnt, tun sich unversehens Abgründe auf: Niemand, nicht einmal die Angetraute, steht für ihn ein, sein einstmaliger Reichtum zerfällt zur bloßen Erinnerung. Der Liebling exklusiver Kreise wird aus den Metropolen in die Peripherie katapultiert, von der er ausgezogen war, sein Glück in der westlichen Welt zu finden. Das ist die Kehrseite der Befreiung vom Ballast persönlicher Beziehungen; auch sie ist in dem Buch getreulich verzeichnet. Denn wie zu Beginn desselben steht der »Fürst der Diebe« noch oft im weiteren Fortgang seines Lebens buchstäblich vor dem Nichts. Und geht wieder und wieder daran, sich binnen kürzester Zeit in der »Gesellschaft« zu etablieren. Gewiss: Das Leben Casanovas ist an Wendepunkten reich; Manolescus Aufstiege und Abstürze dagegen sind atemloser, als man das hundert Jahre zuvor je zu träumen wagte. Kommen doch zu den Orten des Glücks, des Spiels, der Reise und des Genusses hier neue hinzu: diejenigen des Unglücks, sprich Gefängnisse sowie schließlich die Heilanstalt. Arme Göttin Fortuna! Die Beschränkungen seiner Geburt und des zeitlebens zu tragenden Namens hinter sich lassend, zieht hier einer deiner Jünger aus, mit (fast) allen Mitteln sein Glück zu versuchen! Und wird prompt aufgrund seiner Kaltschnäuzigkeit und seines fehlenden Rechtsbewusstseins in puncto Eigentum - seien es Diamanten oder Namen - zum Studienobjekt einer sich gerade etablierenden Psychologie sowie Kriminalmedizin... Siegreiche Göttin Fortuna! Die 1905 erstmals veröffentlichten Erinnerungen deines Glücksritters verdanken wir hauptsächlich dem damalig großen Interesse an der »pathologischen« Seite der Hochstapler-Natur. Mit zahlreichen Dokumenten zu Manolescus Prozessen sowie mit vielen biographischen Anmerkungen versehen, wird hier ein reichhaltiges Anschauungsbuch über Schwindler geboten. Aufgrund des Bucherfolgs - nicht nur Kriminologen kaufen die mehr als fünf zeitgenössischen Auflagen des »Fürst der Diebe« - lässt Georges Manolescu wenige Monate danach noch einen weiteren Band folgen. Schildert er in den vorliegenden, abgeschlossenen »Memoiren« seinen spannenden Lebensgang, so formuliert er in »Gescheitert. Aus dem Seelenleben eines Verbrechers« eine faszinierende Philosophie des Hochstaplers aus. Selbst wenn Georges Manolescu schließlich verarmt und unter »richtigem« Namen, weitab des Glanzes der Casinos, Seebäder und Grand-Hotels sein Leben endet: Im Nachhinein wird ihm dennoch die zeitlebens ersehnte Nobilitierung zuteil. Als Felix Krull - Thomas Mann hat das Buch genauestens studiert - rückt Manolescu ins Elysium der klassischen literarischen Figuren ein. Als Urbild des ehrenvollen Hochstaplers sitzt er darüber hinaus im Trivialmythen-Himmel den Archetypen des galanten Verführers, Casanova, und des Esoterik-Scharlatans, Graf Cagliostro, beiseite. Und schließlich, das ist die Hauptsache, ist so »Ein Fürst der Diebe« zwar ein Dieb, doch immerhin ein »Fürst«!
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