Ein junger Mann hat sich entschieden, sein Heimatdorf zu verlassen, um seinem Leben als Söldner in der Wüste einen Sinn zu geben: Diese Einöde mit ihrer erdrückenden Hitze, Verlorenheit und ihrem seelischen Überdruss ist nach dem 11. September 2001 belagert von unzähligen Soldaten in unterschiedlichster Uniformen. Zurück vom checkpoint, wo ihm der Tod sein brutales Gesicht gezeigt, ihn selbst aber verschont hat, ist dieser moralisch zu Grunde gerichtete Überlebende dazu verflucht, zu Hause bei den Seinen einem neuerlichem Exil zu trotzen: Alles Vertraute scheint ihm so fremd und leer, dass es jede Hoffnung auf ein sinnvolles Leben erstickt. Nur die Erinnerung an jenes Mädchen aus der Stadt, mit dem er in den frühen Tagen seiner Jugend den ersten Kuss getauscht und das erste Gefühl von Liebe erlebt hat, gibt ihm noch Halt. Magali aber scheint zu einer jungen Frau herangewachsen zu sein, die sich mit Leib und Seele ihrer Firma verschrieben hat. Die Konturen des zarten, lebensfrohen Mädchens von damals scheinen nicht aufzugehen im Portrait dieser alleinstehenden Frau, die erfolgreich gelernt hat, sich vollständig dem Regelwerk der Optimierung zu unterwerfen. So prallt das Bild einer mit großer Freiheit und letzter Hoffnung aufgeladenen Vergangenheit auf eine gänzlich fremdbestimmte Gegenwart. Als ein Requiem auf die moderne Gesellschaft, die von den dunklen Trugbildern des Krieges ebenso erschüttert wird wie von der unerhörten Gewalt der ökonomischen Rationalität, spiegelt EIN GOTT EIN TIER mit seinem tiefgründigen, sakralen Gesang die Anrufung eines unwahrscheinlichen Heils. Ferrari lässt in seinen erschütternden Klängen den Widerhall laut werden einer der Entfremdung geopferten Menschlichkeit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2017Das geheime Alphabet der Küchenschabe
In "Ein Gott ein Tier" erzählt der französische Autor Jérôme Ferrari von den Schlachtfeldern des Kriegs und der modernen Arbeitswelt.
Von Sandra Kegel
Die Bücher von Jérôme Ferrari sind immer schmal, keine zweihundert Seiten lang, dafür gehen sie in hochkonzentrierter Sprache stets das große Ganze an: Sie heißen "Und meine Seele ließ ich zurück" (2011) oder "Predigt auf den Untergang Roms" (2013) und erzählen vom Ursprung des Daseins, dem Zusammenbruch der Welten, von Krieg und Zerfall. Die Spanne der Dramen reicht vom korsischen Befreiungskampf bis zum Algerien-Krieg. Auch in "Ein Gott ein Tier" begibt sich der 1968 in Paris geborene Schriftsteller, der nach Aufenthalten in Algier und Abu Dhabi heute wieder auf Korsika lebt, in den Krieg: Sein fast ausschließlich in der zweiten Person geschriebener Text spricht einen ehemaligen Soldaten an, der deshalb als einziger im Text namenlos bleibt. Nach dem 11. September 2001 hat er als Söldner bei einer privaten Sicherheitsfirma angeheuert und über die Schrecken des Erlebten den Glauben verloren an alles, was seine Welt einst ausmachte.
"Ein Gott ein Tier" wird vom französischen wie vom deutschen Verlag, der das Werk in der Übersetzung von Christian Ruzicska soeben herausgebracht hat, als Roman ausgewiesen. Dabei lässt sich der konsequent als durchlaufender Blocksatz umbrochene Text, in dem sich auf hundert Seiten gerade zwei Dutzend Absätze finden, auch als Gesang lesen: als Abgesang auf eine Welt, die unwiederbringlich verloren ist. Die dichte, stark rhythmisierte Sprache ist gespickt mit mythisch aufgeladenen Bildern - von Amseln, die tot vom Himmel fallen, Hunden mit schwermütigen Augen oder Anspielungen auf persische Mystiker des zehnten Jahrhunderts.
In einzelnen Stationen wird das Leben des ehemaligen Soldaten rekapituliert, der ausgezogen war, die Welt zu erobern. Und der, nicht zuletzt durch den Tod seines Freundes Jean-Do, der bei einem Selbstmordattentat im Libanon zu Tode kommt, traumatisiert in die Heimat zurückkehrt. Erinnerungen an die Vergangenheit werden zum Dreh- und Angelpunkt von Hoffnungen, Konflikten und Enttäuschungen. Im Rückblick erscheint selbst die unschuldige Kindheit in der französischen Provinz plötzlich gespenstisch: In Gedankenfetzen daran, wie die Schüler einst im eisigen Nebel auf den Schulbus warteten oder der Priester die Zöglinge aus der Messe ausschloss, kündigt sich nunmehr ein Unheil an, das erst noch kommt.
Das Fehlen jeglicher Ordnung im Text etwa durch Kapitel wie auch die "Du"-Ansprache verleihen diesem Requiem auf einen traurigen Krieger etwas Intensives und Intimes, das den hohen Ton nicht scheut. Die Rückkehr des jungen Mannes in sein abgelegenes Heimatdorf misslingt auch deshalb, weil der Ort alles Vertraute verloren hat. "Da waren deine Eltern, dein Haus und dein Dorf, und auf wundersame Weise war es nicht mehr dein Zuhause." Jean-Dos Vater weigert sich, gemeinsam mit dem Überlebenden um den Tod seines Sohnes zu trauern, und selbst die jahrhundertealte Landschaft der Olivenbäume spricht nicht mehr zu ihm.
Als der Heimkehrer sich an seine Jugendliebe Magali erinnert, die früher die Sommerferien mit ihren Eltern in seinem Dorf verbrachte und mit der er am Brunnen ungeschickte Küsse tauschte, schreibt er ihr einen flammenden Brief. Darin drückt er all jene Hoffnungen auf einen Neuanfang aus, an die er selbst nicht mehr glaubt. Auch dieses Wiedersehen gerät zum Desaster, nicht zuletzt, weil Magali inzwischen für einen internationalen Konzern arbeitet und sich vollständig in den Dienst ihrer Firma stellt.
Magalis Identifikation mit ihrer Arbeit geht so weit, dass sie, die sich als Studentin auf klinische Psychologie spezialisieren wollte, für ihre Firma in eine Stadt gezogen ist, die sie grässlich findet. Trotzdem stellt sie enthusiastische Einsatzbereitschaft zur Schau, um zu bezeugen, dass sie sämtliche sichtbaren und verborgenen Regeln des Konzerns verinnerlicht hat. Es fällt der jungen Frau daher auch gar nicht auf, was für einen Fauxpas sie begeht, als sie den alten Freund zu ihrem ersten Wiedersehen nach Jahren ausgerechnet zu einem Essen im Kreis ihrer Kollegen mitnimmt.
In der Begegnung des Heimkehrers und der Headhunterin führt Jérôme Ferrari zwei Kriegsschauplätze zusammen. Denn auch in Magalis Welt ist unentwegt die Rede von Kämpfen, die es zu führen, von Siegen, die es zu erringen gilt. Doch auf die Reden des Fremden über den Geruch von Blut oder die Lächerlichkeit des Todes reagieren die Berater verstört.
Die Engführung der beiden Sphären kommt nicht von ungefähr. Ferrari schrieb "Ein Gott ein Tier" bereits 2009 - als sich die Welt nicht nur seit Jahren im ausweglosen Krieg gegen den Terror befand, sondern kurz zuvor von der Wirtschaftskrise erfasst worden war, unter deren Folgen Frankreich bis heute leidet. Auch das verleiht dieser existentiellen Meditation trotz Pathos und mitunter verrätselter Düsternis Dinglichkeit.
Während man sich fragt, wer den Ex-Soldaten hier so direkt anspricht und seine "begierigen Blicke" auf die Welt wirft, sind die Passagen von Magali erzählerischer gehalten, denn sie sind aus der auktorialen Perspektive geschrieben. Vergänglichkeit hat Ferrari schon zuvor, etwa am Beispiel des Zerfalls der französischen Kolonien oder am Niedergang einer korsischen Bar erforscht. Was dieses Buch von seinen späteren unterscheidet, ist gleichwohl der Ton. In Romanen wie "Predigt auf den Untergang Roms", für den der frühere Philosophielehrer im Jahr 2012 den renommierten Prix Goncourt erhielt, schwingt stets ein eigenwilliger abgründiger Humor mit, den man in "Ein Gott ein Tier" vergeblich sucht. Hier wird der Leser in komplizierte Träume entführt. Darin werfen Dorfkirchen kalte Schatten, und eine Schabe hinterlässt in einer riesigen Wüste Spuren im Sand, die aussehen "wie die Buchstaben eines heiligen Alphabets, das niemand zu entschlüsseln vermag".
Jérôme Ferrari: "Ein Gott ein Tier". Roman.
Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2017. 110 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In "Ein Gott ein Tier" erzählt der französische Autor Jérôme Ferrari von den Schlachtfeldern des Kriegs und der modernen Arbeitswelt.
Von Sandra Kegel
Die Bücher von Jérôme Ferrari sind immer schmal, keine zweihundert Seiten lang, dafür gehen sie in hochkonzentrierter Sprache stets das große Ganze an: Sie heißen "Und meine Seele ließ ich zurück" (2011) oder "Predigt auf den Untergang Roms" (2013) und erzählen vom Ursprung des Daseins, dem Zusammenbruch der Welten, von Krieg und Zerfall. Die Spanne der Dramen reicht vom korsischen Befreiungskampf bis zum Algerien-Krieg. Auch in "Ein Gott ein Tier" begibt sich der 1968 in Paris geborene Schriftsteller, der nach Aufenthalten in Algier und Abu Dhabi heute wieder auf Korsika lebt, in den Krieg: Sein fast ausschließlich in der zweiten Person geschriebener Text spricht einen ehemaligen Soldaten an, der deshalb als einziger im Text namenlos bleibt. Nach dem 11. September 2001 hat er als Söldner bei einer privaten Sicherheitsfirma angeheuert und über die Schrecken des Erlebten den Glauben verloren an alles, was seine Welt einst ausmachte.
"Ein Gott ein Tier" wird vom französischen wie vom deutschen Verlag, der das Werk in der Übersetzung von Christian Ruzicska soeben herausgebracht hat, als Roman ausgewiesen. Dabei lässt sich der konsequent als durchlaufender Blocksatz umbrochene Text, in dem sich auf hundert Seiten gerade zwei Dutzend Absätze finden, auch als Gesang lesen: als Abgesang auf eine Welt, die unwiederbringlich verloren ist. Die dichte, stark rhythmisierte Sprache ist gespickt mit mythisch aufgeladenen Bildern - von Amseln, die tot vom Himmel fallen, Hunden mit schwermütigen Augen oder Anspielungen auf persische Mystiker des zehnten Jahrhunderts.
In einzelnen Stationen wird das Leben des ehemaligen Soldaten rekapituliert, der ausgezogen war, die Welt zu erobern. Und der, nicht zuletzt durch den Tod seines Freundes Jean-Do, der bei einem Selbstmordattentat im Libanon zu Tode kommt, traumatisiert in die Heimat zurückkehrt. Erinnerungen an die Vergangenheit werden zum Dreh- und Angelpunkt von Hoffnungen, Konflikten und Enttäuschungen. Im Rückblick erscheint selbst die unschuldige Kindheit in der französischen Provinz plötzlich gespenstisch: In Gedankenfetzen daran, wie die Schüler einst im eisigen Nebel auf den Schulbus warteten oder der Priester die Zöglinge aus der Messe ausschloss, kündigt sich nunmehr ein Unheil an, das erst noch kommt.
Das Fehlen jeglicher Ordnung im Text etwa durch Kapitel wie auch die "Du"-Ansprache verleihen diesem Requiem auf einen traurigen Krieger etwas Intensives und Intimes, das den hohen Ton nicht scheut. Die Rückkehr des jungen Mannes in sein abgelegenes Heimatdorf misslingt auch deshalb, weil der Ort alles Vertraute verloren hat. "Da waren deine Eltern, dein Haus und dein Dorf, und auf wundersame Weise war es nicht mehr dein Zuhause." Jean-Dos Vater weigert sich, gemeinsam mit dem Überlebenden um den Tod seines Sohnes zu trauern, und selbst die jahrhundertealte Landschaft der Olivenbäume spricht nicht mehr zu ihm.
Als der Heimkehrer sich an seine Jugendliebe Magali erinnert, die früher die Sommerferien mit ihren Eltern in seinem Dorf verbrachte und mit der er am Brunnen ungeschickte Küsse tauschte, schreibt er ihr einen flammenden Brief. Darin drückt er all jene Hoffnungen auf einen Neuanfang aus, an die er selbst nicht mehr glaubt. Auch dieses Wiedersehen gerät zum Desaster, nicht zuletzt, weil Magali inzwischen für einen internationalen Konzern arbeitet und sich vollständig in den Dienst ihrer Firma stellt.
Magalis Identifikation mit ihrer Arbeit geht so weit, dass sie, die sich als Studentin auf klinische Psychologie spezialisieren wollte, für ihre Firma in eine Stadt gezogen ist, die sie grässlich findet. Trotzdem stellt sie enthusiastische Einsatzbereitschaft zur Schau, um zu bezeugen, dass sie sämtliche sichtbaren und verborgenen Regeln des Konzerns verinnerlicht hat. Es fällt der jungen Frau daher auch gar nicht auf, was für einen Fauxpas sie begeht, als sie den alten Freund zu ihrem ersten Wiedersehen nach Jahren ausgerechnet zu einem Essen im Kreis ihrer Kollegen mitnimmt.
In der Begegnung des Heimkehrers und der Headhunterin führt Jérôme Ferrari zwei Kriegsschauplätze zusammen. Denn auch in Magalis Welt ist unentwegt die Rede von Kämpfen, die es zu führen, von Siegen, die es zu erringen gilt. Doch auf die Reden des Fremden über den Geruch von Blut oder die Lächerlichkeit des Todes reagieren die Berater verstört.
Die Engführung der beiden Sphären kommt nicht von ungefähr. Ferrari schrieb "Ein Gott ein Tier" bereits 2009 - als sich die Welt nicht nur seit Jahren im ausweglosen Krieg gegen den Terror befand, sondern kurz zuvor von der Wirtschaftskrise erfasst worden war, unter deren Folgen Frankreich bis heute leidet. Auch das verleiht dieser existentiellen Meditation trotz Pathos und mitunter verrätselter Düsternis Dinglichkeit.
Während man sich fragt, wer den Ex-Soldaten hier so direkt anspricht und seine "begierigen Blicke" auf die Welt wirft, sind die Passagen von Magali erzählerischer gehalten, denn sie sind aus der auktorialen Perspektive geschrieben. Vergänglichkeit hat Ferrari schon zuvor, etwa am Beispiel des Zerfalls der französischen Kolonien oder am Niedergang einer korsischen Bar erforscht. Was dieses Buch von seinen späteren unterscheidet, ist gleichwohl der Ton. In Romanen wie "Predigt auf den Untergang Roms", für den der frühere Philosophielehrer im Jahr 2012 den renommierten Prix Goncourt erhielt, schwingt stets ein eigenwilliger abgründiger Humor mit, den man in "Ein Gott ein Tier" vergeblich sucht. Hier wird der Leser in komplizierte Träume entführt. Darin werfen Dorfkirchen kalte Schatten, und eine Schabe hinterlässt in einer riesigen Wüste Spuren im Sand, die aussehen "wie die Buchstaben eines heiligen Alphabets, das niemand zu entschlüsseln vermag".
Jérôme Ferrari: "Ein Gott ein Tier". Roman.
Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2017. 110 S., geb., 20,- [Euro].
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