Die "Stadt, die niemals schläft", steckt voller Kontraste: Schick und mondän, mit legendärem Nachtleben, ein Strandparadies - und doch voll der jüdischen Tradition. Ein Leben in der Ausnahmesituation - Christiane Wirtz ist der Faszination verfallen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2010Zwischen Sonne, Meer und Bauhaus
Kommt die Rede auf Tel Aviv, sind die Klischees schnell zur Hand: Jerusalem betet, Haifa arbeitet, Tel Aviv aber feiert! Häufig wird in diesem Zusammenhang noch die Trias von muskulösen Makot-Spielern am Strand, hedonistischen Party-People und linksalternativ und regierungskritischen Künstlern bemüht. Mit derlei Stereotypen möchte Christiane Wirtz' Buch "Ein Jahr in Tel Aviv" nichts zu tun haben. Vielmehr setzt die sympathische, im Herder Verlag erscheinende Reihe "Ein Jahr in . . ." eher auf autobiographisch Beglaubigtes denn touristisch (oder politisch) korrekt Angelesenes. Das bringt den Lesern die Stadt zweifellos näher, auch in diesem Fall. Die Journalistin lässt sie von den ersten Erfahrungen an Bord einer El-Al-Maschine bis zum Abschied - samt einer kurzen Wiederkehr - an allen geographischen, aber auch emotionalen Stationen ihres Tel-Aviv-Aufenthaltes teilhaben. Von komplexen Beziehungen zu Einheimischen bis zu kurzen Begegnungen, etwa mit der 1936 hier mittellos am Hafen angekommenen deutschen Jüdin Frau Strohbach aus Karlsruhe, da sind die Gewürze in den Läden der Levinsky Street und die tatsächlich Alternativen im Viertel Florentin, da sind Sonne, Meer und Bauhaus. Dezent werden hebräische Redewendungen und Straßennamen in den Text eingestreut, die Authentizität nicht nur wichtigtuerisch behaupten, sondern wirklich herstellen. Christiane Wirtz hat ein ausgesprochen nettes Buch geschrieben, das sich hervorragend als Zuvor- oder Danach-Lektüre für in Maßen wissbegierige Tel-Aviv-Urlauber eignet. Allerdings muss man sich fragen, ob solch maßvolle Nettigkeit einer zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit geradezu aberwitzigem Idealismus aus dem Dünensand gestampften Stadt gerecht wird. Immerhin ist Tel Aviv - von seinen Liebhabern ebenso wie seinen Verächtern "die Blase" genannt - eine Art Unwahrscheinlichkeit, eine Insel von Toleranz, Lebenslust und Selbstkritik, wie sie nicht allein im fanatisierten Nahen Osten ihresgleichen sucht. Dazu geben ihr seit jeher Einwanderer von Berlin bis Samarkand und Bombay, vom Jemen bis (neuerdings) Nigeria und Thailand den flirrenden Charakter einer Versuchsstation der Moderne, in welcher zwar ein jeder überfordert ist, man sich jedoch nicht gegenseitig an die Gurgel geht. Schade, dass die Autorin dieser ultra-sinnlichen Großstadt nur Sätze gewidmet hat, deren routinierte Wohltemperiertheit eher an den Gardasee gepasst hätte.
mart
"Ein Jahr in Tel Aviv. Reise in den Alltag" von Christiane Wirtz. Herder Verlag, Freiburg 2009. 192 Seiten. Broschiert, 12,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kommt die Rede auf Tel Aviv, sind die Klischees schnell zur Hand: Jerusalem betet, Haifa arbeitet, Tel Aviv aber feiert! Häufig wird in diesem Zusammenhang noch die Trias von muskulösen Makot-Spielern am Strand, hedonistischen Party-People und linksalternativ und regierungskritischen Künstlern bemüht. Mit derlei Stereotypen möchte Christiane Wirtz' Buch "Ein Jahr in Tel Aviv" nichts zu tun haben. Vielmehr setzt die sympathische, im Herder Verlag erscheinende Reihe "Ein Jahr in . . ." eher auf autobiographisch Beglaubigtes denn touristisch (oder politisch) korrekt Angelesenes. Das bringt den Lesern die Stadt zweifellos näher, auch in diesem Fall. Die Journalistin lässt sie von den ersten Erfahrungen an Bord einer El-Al-Maschine bis zum Abschied - samt einer kurzen Wiederkehr - an allen geographischen, aber auch emotionalen Stationen ihres Tel-Aviv-Aufenthaltes teilhaben. Von komplexen Beziehungen zu Einheimischen bis zu kurzen Begegnungen, etwa mit der 1936 hier mittellos am Hafen angekommenen deutschen Jüdin Frau Strohbach aus Karlsruhe, da sind die Gewürze in den Läden der Levinsky Street und die tatsächlich Alternativen im Viertel Florentin, da sind Sonne, Meer und Bauhaus. Dezent werden hebräische Redewendungen und Straßennamen in den Text eingestreut, die Authentizität nicht nur wichtigtuerisch behaupten, sondern wirklich herstellen. Christiane Wirtz hat ein ausgesprochen nettes Buch geschrieben, das sich hervorragend als Zuvor- oder Danach-Lektüre für in Maßen wissbegierige Tel-Aviv-Urlauber eignet. Allerdings muss man sich fragen, ob solch maßvolle Nettigkeit einer zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit geradezu aberwitzigem Idealismus aus dem Dünensand gestampften Stadt gerecht wird. Immerhin ist Tel Aviv - von seinen Liebhabern ebenso wie seinen Verächtern "die Blase" genannt - eine Art Unwahrscheinlichkeit, eine Insel von Toleranz, Lebenslust und Selbstkritik, wie sie nicht allein im fanatisierten Nahen Osten ihresgleichen sucht. Dazu geben ihr seit jeher Einwanderer von Berlin bis Samarkand und Bombay, vom Jemen bis (neuerdings) Nigeria und Thailand den flirrenden Charakter einer Versuchsstation der Moderne, in welcher zwar ein jeder überfordert ist, man sich jedoch nicht gegenseitig an die Gurgel geht. Schade, dass die Autorin dieser ultra-sinnlichen Großstadt nur Sätze gewidmet hat, deren routinierte Wohltemperiertheit eher an den Gardasee gepasst hätte.
mart
"Ein Jahr in Tel Aviv. Reise in den Alltag" von Christiane Wirtz. Herder Verlag, Freiburg 2009. 192 Seiten. Broschiert, 12,95 Euro.
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