Friedensgeflüster oder Schrei, wenn du kannst
Dieses Buch ist immer noch aktuell, ein Aufruf zum Frieden ist heute dringlicher denn je.
Die Autorin, Professorin an der Universität Bir Zeit, ist eine palästinensische christliche Friedens-„Arbeiterin“. Ihre Familie lebt seit Jahrhunderten im Land.
Sie beschreibt ihren Alltag beginnend in den 70er-Jahren bis 2012.
Frau Farhat-Naser wurde 1948…mehrFriedensgeflüster oder Schrei, wenn du kannst
Dieses Buch ist immer noch aktuell, ein Aufruf zum Frieden ist heute dringlicher denn je.
Die Autorin, Professorin an der Universität Bir Zeit, ist eine palästinensische christliche Friedens-„Arbeiterin“. Ihre Familie lebt seit Jahrhunderten im Land. Sie beschreibt ihren Alltag beginnend in den 70er-Jahren bis 2012.
Frau Farhat-Naser wurde 1948 geboren und durfte durch Vermittlung der deutschen Schule Talitha Kumi nach Hamburg zum Studium ausreisen. Sie war das 1. Mädchen ihres Dorfes, das im Ausland studiert und mit dem Staatsexamen für das höhere Lehramt abschloss. Ihr Mann hatte in Amsterdam studiert. Beide arbeiten an der Universität von Bir Zeit.
Eindringlich und lebendig schreibt sie über die palästinensische Landschaft, den Duft von Thymian, Oregano, Pfefferminz, Salbei und Zitronen und das kulturelle Symbol der Olivenbäume, das harte Leben der Frauen, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl, welches durch geschickt von den Israelis angeworbene Kollaborateure untergraben werden soll.
Demütigungen durch die Besatzungsmacht sind alltäglich: kafkaeske Bürokratie an den Checkpoints, Razzien und Zerstörungen von Häusern und Land. Diese Demütigungen breitet sie wie einen Fächer aus, der jedoch keine kühlende Luft mit sich bringt, sondern den Verlust an Würde, Angst und Gefühl der Erniedrigung und des Ausgeliefertseins aufzeigt.
Was würden Sie tun:
Wenn die „Staatsmacht“ Ihr Land konfisziert, Jahrhunderte alte Olivenbäume entwurzelt und zerstört, Ihnen den Zugang zu den Quellen verwehrt, (seit 1967 hat Israel die direkte Kontrolle über Nutzung und Verteilung des Wassers). Wenn das Land in 3 Zonen wie ein Flickenteppich aufgeteilt wird. Wenn Sie nicht vom Flughafen Tel Aviv ausreisen dürfen, sondern mühsam und zeitaufwendig über Jordanien reisen müssen. Wenn das sog. Niederlassungsrecht Ihnen Ihr Recht nimmt auf eigenem Grund und Boden zu leben, falls Sie. durch Arbeit oder Studium nicht durchgehend 7 Jahre lang dort lebten. Wenn es getrennte Straßen für Siedler und Einheimische gibt, die oft stundenlange Umwege einplanen oder über Stock und Stein holpern müssen, weil wieder mal ein fliegender Checkpoint die Durchfahrt verhindert. Wenn die israelische Sperrmauer Ihren Ort teilt, so dass einige Familien eingeschlossen sind und das Tor nur stundenweise geöffnet wird. Wenn Ihre Kinder oft stundenlang warten müssen, um zur Schule zu kommen und viele Kinder deshalb nicht mehr zur Schule gehen. Wenn Siedler Sie von Ihrem Land vertreiben…..
Wenn selbst Kranke an den Checkpoints oft abgewiesen werden.
Eine schildbürgerische Anekdote: die Autorin musste zu einer wichtigen Verabredung nach Jerusalem, alle entsprechenden Papiere lagen vor, aber der Körperdetektor meldete Alarm wegen ihres künstlichen Kniegelenks: ihr Knie bräuchte eine eigene Identitätskarte und eine spezielle Erlaubnis für Jerusalem.
Frau Farhat-Naser setzt ihre Kraft ein, in Seminaren und Workshops Jugendlichen, Studenten und Frauen den Umgang mit Provokation, Wut, Angst und Ohnmacht zu vermitteln. Seit 1988 gibt es informelle Treffen von Frauen beider Seiten und Gründung von Frauenzentren in Ost/West-Jerusalem. Immer wieder die Erfahrung, wie schwierig es ist, die mentale Mauer zwischen zwei traumatisierten, von Neurosen geplagten Völker abzubauen: eines fand eine Heimstatt, das andere verlor sie. Die Israelis werden nicht gehasst, weil sie Juden sind, sondern Besatzer. Aber selbst in Jad Vashem wird die Geschichte der Palästinenser einfach ausgeblendet.
Was ist Frieden? Die Akzeptanz von Unterdrückung und Besatzung?
Es sind sehr persönliche Aufzeichnungen, es ist eben kein Sachbuch aus wissenschaftlicher Distanz. Und immer wieder hoffnungsdurchsetzt, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Es geht darum, auch die Mauern des Täter-Opfer-Mythos einzureißen.
Interessant, dass diese Friedensfrau nie für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels nominiert wurde, der 2024 an Anne Applebaum, bellizistisch denkend und mehr Waffenlieferungen fordernd, verliehen wird und 2022 dem Ukrainer Serhij Zhadan, für den Russen Barbaren, Horde, Unrat u.ä. sind.
Vielleicht sollten Sie sich auch den Film „No other land“, der auf der Berlinale einen Preis erhielt, ansehen. Da sieht man live die alltäglichen Zerstörungen auf palästinensischem Land.
Sumaya Farhat-Nasers Botschaft ist nur ein zartes Flüstern unter den Marktschreiern und lässt doch hoffen. Es gibt viele Initiativen auf beiden Seiten für Frieden und Miteinander im Heiligen Land.
Edward Saids Worte nicht nur in Gottes, Allahs, Jahwes Ohren: wer hören will, der höret.
Wir müssen den Holocaust anerkennen und verstehen, nicht um Israel einen Blankoscheck zu geben, uns anzutun, was sie uns antun, sondern um unsere Menschlichkeit zu bestätigen und zu bereichern. Nur so kann unser Leid anerkannt werden, und nur so erweisen wir uns der Freiheit, der Unabhängigkeit und des Friedens würdig.
Das Buch findet einen würdigen Abschluss mit einem Essay von Ernest Goldberger.