»There is only one good thing about a small town. You know that you want to get out.« Diese Songzeile von Lou Reed könnte über den frühen Jahre von Hans Ulrich Obrist stehen. Aufgewachsen im Schweizer Provinzstädtchen Weinfelden am Bodensee, wurden für den jungen Obrist ausländische Zeitungen vom Bahnhofskiosk, Bücher, Filme, aber vor allem die Begegnungen mit alter und zeitgenössischer Kunst zu Fluchtmöglichkeiten aus einem Milieu, das ihm schon früh viel zu klein war. Und viel zu langsam. Ein schwerer Unfall im Alter von sechs Jahren brachte die Erkenntnis, dass keine Zeit zu verlieren sei. Und so saugte Obrist alles auf und machte sich auf den Weg. Paris, Wien und Rom waren seine Sehnsuchtsorte und die ersten Destinationen seiner persönlichen Grand Tour durch Europa, die den Teenager mit Nachtzügen zu Künstlerlegenden wie Fischli / Weiss, Etel Adnan oder Gerhard Richter führten. »Eine Begegnung kann ein Leben verändern, sie kann fünf Jahre an der Uni ersetzten, wie ein Kurzschluss.« Über die Kurzschluss-Begegnungen mit Menschen, die ihm zu Mentor*innen wurden, darunter Édouard Glissant, erzählt Hans Ulrich Obrist in »Ein Leben in progress« und lässt gleichzeitig zum ersten Mal einen sehr persönlichen Blick auf sein Leben zu, von der ersten Ausstellung in der Küche seiner Studentenwohnung in Sankt Gallen (mit 29 Besucher*innen) bis zum viel umworbenen und erfolgreichen Kurator und Gesprächspartner unzähliger Künstler*innen aus der ganzen Welt.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Michael Diers freut sich über die Autobiografie des Kurators Hans Ulrich Obrist und erklärt begeistert dessen kuratorisches Credo: Immer bei der Kunst sein, das Positive in ihr hervorheben und den direkten Austausch mit Künstlern suchen. Seit seiner Kindheit versuche Obrist, ins Reich der künstlerischen Artefakte vorzudringen, und die erzählte Geschichte vom Elternhaus im kleinen Schweizer Ort Weinfelden bis in die erste Reihe des kuratorischen Metiers liest sich für Diers wie ein Bildungsroman. Begeistert zeichnet Dries die Gespräche nach, die Obrist konsequent und unermüdlich mit Künstlern (zu denen sich später auch Philosophen oder Architekten gesellten) zu führen suchte, und zeichnet seinen kuratorischen Weg von Wien nach Paris und London nach. Keine leichte Aufgabe, denn Obrist hat rund 350 Ausstellungen realisiert, schließt Dries.
© Perlentaucher Medien GmbH
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