Zeitlos und unvergesslich - mit seinen Schilderungen von der dramatischen Schönheit Schottlands und seiner Freundschaft mit den zahmen Fischottern, die er aufzog, schuf Gavin Maxwell 1960 einen Weltbestseller, der literarische Maßstäbe setzte. Das verlassene ehemalige Cottage eines Leuchtturmwärters, die abgelegene Landzunge, umspielt von einem Ring aus hellem Wasser, das Wechselspiel von Einsamkeit und Verbundenheit mit unberührter Natur: Nach sechzig Jahren erscheint dieser Klassiker des nature writing erstmals in neuer deutscher Übersetzung. Ein unverstelltes Lebenszeugnis voller lyrischer Leuchtkraft.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Erheitert und berührt liest Rezensent Christoph Schröder Gavin Maxwells Buch, das in Deutschland kaum jemand kennt, im englischen Sprachraum aber ein Bestseller ist und als "Meilenstein des Nature Writing" gilt, wie der Kritiker in Robert Macfarlanes Nachwort liest. Die im Original 1960 erschienenen Erinnerungen des schottischen Adeligen, den die Sinnsuche umtrieb, erzählen von dem verlassenen Landhaus an der schottischen Küste, in das sich Maxwell zurückzog - in Gemeinschaft erst mit seinem Hund, und nach dessen Tod mit einem Otter, der ihm geschenkt worden war. Dass Maxwell selbst zugibt, die tierischen Gefährten zu vermenschlichen, gefällt dem Kritiker, ebenso wie die "poetisierende", nicht aber idyllisch verklärende Darstellung der Natur. Den Wunsch nach einer Verbindung mit Flora und Fauna spürt Schröder deutlich beim Lesen, und als die größten Stärken des Buchs macht er Maxwells "Selbstreflexion ohne Selbstmitleid" und seinen "stoischen Humor" aus - für den Kritiker ein sichtlich wohltuendes Lektüreerlebnis.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2022Mit Ottern leben
Gavin Maxwells „Ein Ring aus hellen Wassern“ ist ein Klassiker des Nature Writing und in Deutschland zu wenig bekannt. Genau wie sein exzessiver Autor
Als Gavin Maxwell im Jahr 1949 sein abgelegenes Landhaus an der schottischen Westküste in Besitz nimmt, besorgt er sich das Mobiliar aus dem Meer. Camusfeàrna, die Bucht der Erlen, wie Maxwell den Ort nennt, ist ein altes, aufgelassenes Cottage, in dem in früherer Zeit der Wärter des benachbarten Leuchtturms lebte. Mit Blick auf die Isle of Skye gelegen, ist das Haus, das Maxwell von einem ehemaligen Studienkollegen als Landsitz angeboten wurde, nur über das Meer oder über einen steilen Abhang vom Festland aus zu erreichen, die nächste Straße ist weit entfernt.
Dieser Umstand ist es, der Maxwell angezogen hat und für den er einiges in Kauf nimmt: Bei seiner Ankunft ist das Cottage leer und macht einen vernachlässigten Eindruck. Es gibt weder fließendes Wasser noch elektrisches Licht, geschweige denn Möbel, doch „zehn Jahre des Lebens in Camusfeàrna“, so schreibt Maxwell gleich zu Beginn, „haben mich gelehrt, dass man sich nur lange genug gedulden muss, bis an einem der Strände praktisch jeder nur erdenkliche Haushaltsgegenstand auftaucht.“ Früher oder später gibt das Meer wieder frei, was der Mensch zuvor entsorgt hat: Müll und Möbel, Fischerkörbe und -netze, tote Tiere, Abfall.
Allein an den Beschreibungen zeigt sich, dass „Ein Ring aus hellem Wasser“ nicht auf die Darstellung eines ungebrochenen Idylls zielt. Zwar poetisiert Maxwell die Landschaft. Den Namen Camusfeàrna wird man auf keiner Landkarte finden; er ist Maxwells Erfindung. In Wahrheit hieß der Ort Sandaig. Aber die Schönheit und der unbarmherzige Kreislauf der Natur, das permanente Jagen und Gejagtwerden, die scheinbar unmotivierte Gewalt sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Erinnerungen des Abenteurers und Exzentrikers Maxwell erschienen 1960 im englischen Original und 1964 erstmals in deutscher Übersetzung. Während in Deutschland kaum jemand Notiz davon nahm, wurde das Buch im englischen Sprachraum zu einem Bestseller und gilt, wie der britische Schriftsteller Robert Macfarlane in seinem Nachwort zur deutschsprachigen Neuausgabe erläutert, bis heute als ein Meilenstein des Nature Writing.
Die Faszination dieses reichen Buches verdankt sich auch der Person des Autors: Gavin Maxwell stammte aus dem schottischen Hochadel, liebte den Whisky und schnelle Autos. Ein schwuler Snob, rastlos und an einer bipolaren Störung leidend. Von Geld ist in „Ein Ring aus hellem Wasser“ nie die Rede. Daran fehlte es ihm wirklich nicht, aber an Halt. Unmittelbar nach dem Krieg scheiterte sein groß angelegtes Projekt, Haifischöl industriell zu gewinnen und zu exportieren. Dann also Camusfeàrna.
Das Cottage diente Maxwell aber eher als temporärer Rückzugsort vom anstrengenden Londoner Stadtleben denn als Lebensmittelpunkt. Die Fiktion eines in Einheit mit dem Wind, dem Licht und den Jahreszeiten lebenden Einzelgängers ist allerdings literarisch kunstfertig hergestellt. Aus ihr spricht die Sehnsucht nach einer organischen Verbindung mit Flora und Fauna. Im ersten Teil von „Ein Ring aus hellem Wasser“ erzählt Maxwell von seiner Ankunft, vom Bekanntwerden mit alltäglichen Gegebenheiten, mit den Nachbarn und Tieren.
Maxwells Stärken, Selbstreflexion ohne Selbstmitleid und ein stoischer Humor, glänzen erst recht im zweiten Teil, der den Ottern gewidmet ist: Anfang 1956, kurz nach dem Tod seines langjährigen Hundegefährten Jonnie, reist Maxwell mit dem Forscher und Reiseautor Wilfred Thesiger in den Irak. Gegen Ende der zweimonatigen Tour schickt Thesiger Maxwell einen Sack in das britische Generalkonsulat – „in dem Moment“, so schreibt Maxwell. „als ich den Sack öffnete, begann für mich ein Lebensabschnitt, der immer noch nicht zu Ende ist und vermutlich auch nicht enden wird, jedenfalls nicht, bevor ich sterbe.“ „Mijbil“ nennt er den kleinen Otter, der sich in dem Sack befindet und der später nach eingehender zoologischer Untersuchung der Gattung Lutrogale perspicillata maxwelli, kurz: Maxwells Otter, zugeschlagen werden wird.
Die Geschichte, wie Maxwell dieses Tier gegen alle Widrigkeiten per Flugzeug und Bahn schließlich nach Camusfeàrna bringt, ist so komisch wie es anrührend ist, wie Maxwell das sich entwickelnde Verhältnis zwischen sich selbst, dem unberechenbaren Mijbil und dem schottischen Umfeld erzählt. Maxwell verschweigt nicht, dass er einen anthropomorphisierenden Blick auf seine Otter hat (eine Otterdame namens Edal wird später auf verschlungenen Wegen zu ihm kommen). Die Tiere sind, wie der Alkohol und andere Eskapaden, ein Substitut; Füllmaterial für die innere Leere, die Maxwell empfindet. Doch Maxwells Verhältnis zu den Wildtieren, mit denen er sich umgibt, ist keinesfalls hierarchisch; aus ihm sprechen vielmehr Staunen, Verständigungswille und Wertschätzung.
Camusfeàrna brannte 1968 ab; ein Jahr später starb Gavin Maxwell an Lungenkrebs. Dort, wo vormals sein Cottage stand, befinden sich nun Maxwells Grabstein und der seines Otters Edal. Maxwells Leserinnen und Leser pilgern bis heute an den unzugänglichen Ort. Hier schlägt die Wirklichkeit der Fiktion ein Schnippchen. Würde sich ein Schriftsteller ein derartiges Ende ausdenken, wäre es Kitsch.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Ein Bonvivant, der sich nach der Einsamkeit sehnte: Der 1914 geborene Schriftsteller Gavin Maxwell bei einem Interview etwa 1960.
Foto: Keystone/Getty
Gavin Maxwell: Ein Ring aus hellem Wasser. Aus dem Englischen von Iris Hansen und Teja Schwaner. Blessing, München 2021.
336 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gavin Maxwells „Ein Ring aus hellen Wassern“ ist ein Klassiker des Nature Writing und in Deutschland zu wenig bekannt. Genau wie sein exzessiver Autor
Als Gavin Maxwell im Jahr 1949 sein abgelegenes Landhaus an der schottischen Westküste in Besitz nimmt, besorgt er sich das Mobiliar aus dem Meer. Camusfeàrna, die Bucht der Erlen, wie Maxwell den Ort nennt, ist ein altes, aufgelassenes Cottage, in dem in früherer Zeit der Wärter des benachbarten Leuchtturms lebte. Mit Blick auf die Isle of Skye gelegen, ist das Haus, das Maxwell von einem ehemaligen Studienkollegen als Landsitz angeboten wurde, nur über das Meer oder über einen steilen Abhang vom Festland aus zu erreichen, die nächste Straße ist weit entfernt.
Dieser Umstand ist es, der Maxwell angezogen hat und für den er einiges in Kauf nimmt: Bei seiner Ankunft ist das Cottage leer und macht einen vernachlässigten Eindruck. Es gibt weder fließendes Wasser noch elektrisches Licht, geschweige denn Möbel, doch „zehn Jahre des Lebens in Camusfeàrna“, so schreibt Maxwell gleich zu Beginn, „haben mich gelehrt, dass man sich nur lange genug gedulden muss, bis an einem der Strände praktisch jeder nur erdenkliche Haushaltsgegenstand auftaucht.“ Früher oder später gibt das Meer wieder frei, was der Mensch zuvor entsorgt hat: Müll und Möbel, Fischerkörbe und -netze, tote Tiere, Abfall.
Allein an den Beschreibungen zeigt sich, dass „Ein Ring aus hellem Wasser“ nicht auf die Darstellung eines ungebrochenen Idylls zielt. Zwar poetisiert Maxwell die Landschaft. Den Namen Camusfeàrna wird man auf keiner Landkarte finden; er ist Maxwells Erfindung. In Wahrheit hieß der Ort Sandaig. Aber die Schönheit und der unbarmherzige Kreislauf der Natur, das permanente Jagen und Gejagtwerden, die scheinbar unmotivierte Gewalt sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Erinnerungen des Abenteurers und Exzentrikers Maxwell erschienen 1960 im englischen Original und 1964 erstmals in deutscher Übersetzung. Während in Deutschland kaum jemand Notiz davon nahm, wurde das Buch im englischen Sprachraum zu einem Bestseller und gilt, wie der britische Schriftsteller Robert Macfarlane in seinem Nachwort zur deutschsprachigen Neuausgabe erläutert, bis heute als ein Meilenstein des Nature Writing.
Die Faszination dieses reichen Buches verdankt sich auch der Person des Autors: Gavin Maxwell stammte aus dem schottischen Hochadel, liebte den Whisky und schnelle Autos. Ein schwuler Snob, rastlos und an einer bipolaren Störung leidend. Von Geld ist in „Ein Ring aus hellem Wasser“ nie die Rede. Daran fehlte es ihm wirklich nicht, aber an Halt. Unmittelbar nach dem Krieg scheiterte sein groß angelegtes Projekt, Haifischöl industriell zu gewinnen und zu exportieren. Dann also Camusfeàrna.
Das Cottage diente Maxwell aber eher als temporärer Rückzugsort vom anstrengenden Londoner Stadtleben denn als Lebensmittelpunkt. Die Fiktion eines in Einheit mit dem Wind, dem Licht und den Jahreszeiten lebenden Einzelgängers ist allerdings literarisch kunstfertig hergestellt. Aus ihr spricht die Sehnsucht nach einer organischen Verbindung mit Flora und Fauna. Im ersten Teil von „Ein Ring aus hellem Wasser“ erzählt Maxwell von seiner Ankunft, vom Bekanntwerden mit alltäglichen Gegebenheiten, mit den Nachbarn und Tieren.
Maxwells Stärken, Selbstreflexion ohne Selbstmitleid und ein stoischer Humor, glänzen erst recht im zweiten Teil, der den Ottern gewidmet ist: Anfang 1956, kurz nach dem Tod seines langjährigen Hundegefährten Jonnie, reist Maxwell mit dem Forscher und Reiseautor Wilfred Thesiger in den Irak. Gegen Ende der zweimonatigen Tour schickt Thesiger Maxwell einen Sack in das britische Generalkonsulat – „in dem Moment“, so schreibt Maxwell. „als ich den Sack öffnete, begann für mich ein Lebensabschnitt, der immer noch nicht zu Ende ist und vermutlich auch nicht enden wird, jedenfalls nicht, bevor ich sterbe.“ „Mijbil“ nennt er den kleinen Otter, der sich in dem Sack befindet und der später nach eingehender zoologischer Untersuchung der Gattung Lutrogale perspicillata maxwelli, kurz: Maxwells Otter, zugeschlagen werden wird.
Die Geschichte, wie Maxwell dieses Tier gegen alle Widrigkeiten per Flugzeug und Bahn schließlich nach Camusfeàrna bringt, ist so komisch wie es anrührend ist, wie Maxwell das sich entwickelnde Verhältnis zwischen sich selbst, dem unberechenbaren Mijbil und dem schottischen Umfeld erzählt. Maxwell verschweigt nicht, dass er einen anthropomorphisierenden Blick auf seine Otter hat (eine Otterdame namens Edal wird später auf verschlungenen Wegen zu ihm kommen). Die Tiere sind, wie der Alkohol und andere Eskapaden, ein Substitut; Füllmaterial für die innere Leere, die Maxwell empfindet. Doch Maxwells Verhältnis zu den Wildtieren, mit denen er sich umgibt, ist keinesfalls hierarchisch; aus ihm sprechen vielmehr Staunen, Verständigungswille und Wertschätzung.
Camusfeàrna brannte 1968 ab; ein Jahr später starb Gavin Maxwell an Lungenkrebs. Dort, wo vormals sein Cottage stand, befinden sich nun Maxwells Grabstein und der seines Otters Edal. Maxwells Leserinnen und Leser pilgern bis heute an den unzugänglichen Ort. Hier schlägt die Wirklichkeit der Fiktion ein Schnippchen. Würde sich ein Schriftsteller ein derartiges Ende ausdenken, wäre es Kitsch.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Ein Bonvivant, der sich nach der Einsamkeit sehnte: Der 1914 geborene Schriftsteller Gavin Maxwell bei einem Interview etwa 1960.
Foto: Keystone/Getty
Gavin Maxwell: Ein Ring aus hellem Wasser. Aus dem Englischen von Iris Hansen und Teja Schwaner. Blessing, München 2021.
336 Seiten, 24 Euro.
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