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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Fallner macht weiter - Franz Doblers neuer Roman
Ein erstaunlicher Effekt ist es immer wieder, wie sich Münchens Selbstbild in Kriminalromanen auflöst. Kein strahlender weiß-blauer Himmel, kein Glamour, kein saturiertes Bürgeridyll. Jedenfalls nicht bei Friedrich Ani oder Max Bronski. Auch nicht bei Franz Dobler. Da wirkt das Bahnhofsviertel wie ein Vorposten des Balkans, und in Kaschemmen wie "Bertls Eck" kehren nur die notorischen Loser ein. Nachdem Dobler für "Ein Bulle im Zug" 2015 den Deutschen Krimipreis erhalten hat, schickt er seinen Kommissar erneut ins Getümmel.
Fallner bräuchte den Vornamen, den er hat, Robert, eigentlich nicht, er ist der Fallner, und es steht auch im neuen Roman "Ein Schlag ins Gesicht" nicht sonderlich gut um ihn. Den Dienst hat er quittiert, zur Therapeutin geht er auch nicht mehr, die er aufgesucht hatte, nachdem er im Dienst einen jungen Kriminellen erschossen hatte. Die Freundin hat ihn verlassen, Freunde hat er nicht.
Er hat in der Firma von Bruder Hans angeheuert, über deren Namen "Safety International Security" er sich mit Recht mokiert. Sein Auftrag: den Stalker auszuschalten, der eine alternde Diva belästigt. Sie heißt Simone Thomas und wurde mit den "Satansmädeln von Titting" berühmt, die beim jugendlichen Fallner für feuchte Träume sorgten. Die Diva ist inzwischen sechzig und nach mehr als vier Jahrzehnten Showgeschäft mit den üblichen gesundheitsschädlichen Begleiterscheinungen noch gut dabei in ihrer Vorortvilla. Sie hat einen nichtsnutzigen Sohn samt Schwiegertochter und einen Agenten, der auch nicht viel taugt. Der Fallner findet sich gut zurecht in diesem Milieu, mit seiner mürrischen, unorthodoxen Art, die Dinge anzugehen.
Es gibt tatsächlich zwei Stalker, es gibt Geheimnis, Intrige und einen Fall, aber das große Abenteuer in diesem Buch ist Doblers Sprache. Hart und auf den Punkt, Fallner schont niemanden, auch sich selbst nicht. Aber es sind nicht allein die Sprüche und die brutale Lakonie des Erzählers; Dobler macht es fast wie Tarantino: Zitate, Anspielungen und Anleihen aus Büchern und Filmen erzeugen ein ganz eigenes Gewebe, wobei Dobler freundlicherweise seine Inspirationsquellen auf fünf Seiten an den Schluss des Buchs gesetzt hat.
Letztlich ist dieser Roman auch weniger Kriminal- als Liebesgeschichte. Er handelt davon, wie Fallner sich von der alternden Diva "mit ihren großen Spielfilmaugen" faszinieren lässt, mit ihr ins Kino geht, sich von ihr Billy Wilders "Sunset Boulevard" nacherzählen lässt, den er angeblich nicht kennt - und sich in die Klientin verliebt, wobei dann unklar ist, ob er sich in ihre Leinwandgestalt, in die alten Fiktionen aus Licht und Schatten verknallt oder in die reale Person, die möchte, das man wieder über sie spricht. Er weiß es selbst nicht, so wenig wie sie zu sagen wüsste, wo die Inszenierung aufhört und das beginnt, was man so Leben nennt. Ihm wird nur irgendwann schmerzhaft "diese Differenz zwischen Sehnsucht und Realität bewusst".
Diese Unschärferelation macht das Buch so reizvoll. Und wer sich fragt, ob dieser Fallner denn noch ganz richtig im Kopf ist, dem wird er entgegnen: "War nicht jeder vernünftige Mensch paranoid, seit eine Jungfrau ein Kind bekommen hatte?"
PETER KÖRTE
Franz Dobler: "Ein Schlag ins Gesicht".
Kriminalroman.
Tropen Verlag, Stuttgart 2016. 365 S., geb., 19,95 [Euro].
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