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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Kein Ort, nirgends: Der bosnische Schriftsteller Bekim Sejranovic ist postum zu entdecken
Eine verfallende Hütte in der nordbosnischen Majevica, ein karges Zimmer in Oslo: das sind die Fixpunkte in Bekim Sejranovics Roman. Gegensätzlicher könnten Kulissen kaum sein. Einmal entlegener Balkan, kaum Infrastruktur, ein Obstgarten mit viel Gestrüpp, umgeben von Bergwald, im Spätherbst "rasch glatzköpfig geworden, wie ein Kranker nach der Chemotherapie". Im Winter löst Schnee den Regen ab und deckt gnädig die Blößen zu: Resultat einer viel zu heißen Sonne, die alles, was sie im Frühjahr zu neuer Blüte gebracht hat, wieder zu versengen droht. In Oslo dagegen scheint es ständig zu regnen, sogar im Sommer.
Immerhin bietet die Hauptstadt eines der reichsten Länder der Erde genügend Abwechslung; vorausgesetzt, man kann sie sich leisten. Falls nicht, besteht immer noch die Möglichkeit, nach einstündiger S-Bahn-Fahrt das nasse, winterdunkle Fjordland hinter sich zu lassen und in eine malerische Schneelandschaft einzutauchen. Und wenn kein Schnee liegt? Dann geht dem namenlosen Ich-Erzähler "alles auf die Nerven: die norwegische Musik und ihre Musiker, die Literatur und ihre Schriftsteller, die Schlagzeilen der Zeitungen, die Fernsehnachrichten, die norwegische Sprache und alle Dialekte, die norwegische Geschichte, Geographie, Natur, Berge und Fjorde, die endlosen dunklen nordischen Winter, die endlosen Sommertage, die norwegischen Gesetze, die Regierung, der König, die Königin, Prinz und Prinzessin, die Menschen auf der Straße, langweilige, altkluge Knaben und eingebildete kleine Mädchen". Selbst ein Knut Hamsun konnte kaum maliziöser über Norwegen herziehen.
Aber auch die alte Heimat hält vor allem Enttäuschungen bereit. Jugoslawien gibt es nicht mehr, die meisten seiner Bewohner definieren sich inzwischen über neue Nationalitäten. Welcher Bosnier würde - im Roman geschieht dies en passant - sich heute zu einem montenegrinischen Lieblingsverein bekennen? Dafür macht sich in der Majevica ein anderer Internationalismus breit: Hier tummeln sich wahhabitische Muslime mit saudi-arabischen Wurzeln, strenggläubige Katholiken, orthodoxe Christen und auch ein paar übrig gebliebene Kommunisten: "Das ganze Dorf fastet", lässt der Autor einen der Bewohner zu Wort kommen, "du kannst nirgends auf einen Kaffee gehen. Du kannst dir nicht einmal eine Zigarette anstecken." Bleibt nur Resignation: "Da fehlt nur noch Tito. Alle reden irgendeinen Scheiß, ob nun so oder anders. Damals haben sie uns wegen der Religion verfolgt, mal durftest du nicht in die Moschee, mal durftest du nicht in die Kirche, mal dies, mal das."
Trotz aller Widrigkeiten kommt Sejranovics Hauptfigur in beiden Nichtheimaten einigermaßen klar. Wie ein Chamäleon passt sie sich ihrer Umwelt an, findet Arbeit, wenn sie sie braucht, und nimmt sich Auszeiten, wenn sie sie nötig hat. Mit der norwegischen Freundin verbringt dieser Mann angenehme Stunden im Bett, doch einmal raus aus den Federn wird er ihrer rasch überdrüssig. Das geht so weit, dass er sich komplett isoliert. Selbst die Nachricht, dass die einst so Geliebte auf dem Sterbebett liegt, erreicht ihn nicht, weil er weder Anrufe noch Mails noch SMS entgegennimmt. Für das Sichdrücken vor jeder Verantwortung hat er eine wohlfeile Rechtfertigung parat: "Egal was. Egal welcher Beruf, welcher Aufenthaltsort, Menschen, Frauen, Freunde. Das ist die Quelle meiner Angst. Die Erkenntnis, dass mich alles langweilt."
Ganz eindimensional und bar jeder Hoffnung hat der Autor seinen Protagonisten (oder ist es ein Alter Ego?) dann aber doch nicht angelegt. Es gibt noch eine Wende zum Guten. Daher auch der Titel "Ein schönerer Schluss". Damit ist Sejranovic ein genialer Streich gelungen, frei von Kitsch und komplett glaubwürdig. Das Ganze liest sich flüssig, mit vielen kurzen Sätzen, die Tempo bringen, und immer wieder poetischen Passagen.
Wie gut Sejranovic seinen Schlussakt hingekriegt hat, erschließt sich beim zweiten Lesen des Epilogs. Nur für sich, als eigenständige Kurzgeschichte, wäre der Nachtrag langweilig, hausbacken. Als (alternativer) Schluss der Geschichte aber ist er eine Wucht. Das kann einem Autor nur gelingen, nachdem das zuvor Erzählte einen so stark mitgenommen hat.
Sejranovic wird keine Bücher mehr schreiben. Der Autor von fünf Romanen starb plötzlich, im Mai 2020. Über die Todesursache schweigen sich sämtliche Nachrufe aus. Sejranovic lebte, eine postjugoslawische Odyssee, im slowenischen Ljubljana, im kroatischen Zagreb und zuletzt in Banja Luka in der Republika Srpska. Nicht zu vergessen die viele Zeit in Oslo! Wie um des Autors Weltläufigkeit - oder auch seinen Zankapfelstatus für die ihn beanspruchenden Nationen - zu bestätigen, kam es anlässlich seines Todes zu einem Eklat: Als die bosnische Botschafterin in der Tschechischen Republik, Martina Mlinarevic, Halbmastbeflaggung für ihr Gebäude in Prag anordnete, wurde sie vom bosnischen Außenministerium zurückgepfiffen - auf Initiative, wie sie argwöhnte, der konservativ-nationalistischen Kroatisch-Demokratischen Union. "Dabei war es nur ein humaner und patriotischer Akt", beteuerte Mlinarevic, "gegenüber einem der besten bosnischen Schriftsteller, der in der kompletten Region und darüber hinaus überaus beliebt war." RALF HÖLLER
Bekim Sejranovic:
"Ein schönerer Schluss". Roman.
Aus dem Bosnischen
von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien 2022. 304 S., geb., 22,- Euro.
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