Andrej hat gerade sein Slawistikstudium abgeschlossen und arbeitet in erster Linie online als Literaturdozent, als sein Bruder Dima aus Russland anruft, und ihn bittet, nach Moskau zu kommen und für ihn die Betreuung der schon leicht dementen Großmutter auf unbestimmte Zeit zu übernehmen. Andrej,
der als Kind mit Bruder und Eltern in die USA ausgewandert und dort aufgewachsen ist, zögert nicht…mehrAndrej hat gerade sein Slawistikstudium abgeschlossen und arbeitet in erster Linie online als Literaturdozent, als sein Bruder Dima aus Russland anruft, und ihn bittet, nach Moskau zu kommen und für ihn die Betreuung der schon leicht dementen Großmutter auf unbestimmte Zeit zu übernehmen. Andrej, der als Kind mit Bruder und Eltern in die USA ausgewandert und dort aufgewachsen ist, zögert nicht lange. Er fühlt sich seiner alten Heimat, die er von Besuchen bei den Großeltern und dem fast ausschließlich russischem Umfeld, in dem sich seine Eltern in den Staaten bewegen, verbunden, und hofft, vor Ort ein Projekt zu finden, dass ihn beruflich voran bringt.
In Moskau muss Andrej schnell feststellen, dass er doch ein Fremder in dem Land ist, dass er immer auch als das seine betrachtet hat. Aber er akklimatisiert sich schnell, findet Freunde, verliebt sich und schließt sich einer Gruppe an, die sich mit dem Kommunismus beschäftigt und Demonstrationen und Protestaktionen organisiert. Alles scheint gut zu laufen, bis es zu einem Zwischenfall kommt, in dem Andrejs Verhalten dann doch beweist, dass er die Spielregeln dieses „schrecklichen Landes“ nicht so gut kennt, wie er gerne glauben würde, und dadurch eine Katastrophe auslöst.
Wenn man Russen fragt, was sie glauben, wie der russische Stereotyp im Ausland aussieht, fallen in der Regel als erstes die Worte Wodka, Balalaika und Bären. Auf Balalaikas und Bären verzichtet Keith Gessen in seinem Roman „Ein schreckliches Land“, aber um den Wodka kommt auch er nicht herum, wenn er uns in den postsowjetischen Staat führt, der vor allem von Kapitalismus und Korruption beherrscht zu sein scheint. Wie sein Protagonist Andrej ist auch Gessen in Russland geboren und im alter von sechs mit seinen Eltern in die Staaten ausgewandert. Autobiographische Züge kann man also nicht ausschließen, aber wo die Grenze verläuft, bleibt unklar.
Weniger unklar ist, dass sich Gessens Buch über lange Strecken nicht wie ein Roman, sondern wie ein Reisebericht liest. Ein Reisebericht von jemandem, der zwar etwas zu erzählen hat, das literarische Handwerk aber nicht wirklich beherrscht, was das Lesevergnügen merklich trübt. Genauso wie seine sinnlos erscheinenden Exkursionen in für die Geschichte irrelevante Themen wie zum Beispiel die Kunst des Eishockeyspielens oder die Chancen auf eine akademische Karriere in den Staaten. Auf mich wirkten diese Passagen, als hätte der Autor sich Themen, die ihm am Herzen liegen, einfach hingegeben, ohne Rücksicht auf den Geschichtsverlauf und die Ausgewogenheit zu nehmen.
Damit bin ich mit meinen Kritikpunkten leider noch nicht am Ende, denn auch die Gestaltung der Charaktere ist Gessen nicht wirklich gelungen. Seine Figuren bleiben farblos und weitestgehend austauschbar, Andrej wirkt auf mich eher wie ein Spätpubertierender, als ein junger Mann Anfang dreißig, der sich über seine kulturelle Zugehörigkeit klarzuwerden versucht. Mein einziger Lichtblick bleibt die Großmutter, vielleicht auch, weil ich in ihr meinen Stereotyp einer typischen Russin wiedergefunden habe. Die Passagen mit ihr waren so liebenswert und herzergreifend, dass sie mich mit dem Roman ein wenig ausgesöhnt haben.
Alles in allem für mich ein eher schwaches Buch, das sich aber immerhin leicht lesen lässt und einem einen Einblick in ein Russland gewährt, was jenseits romantischer Datschen zwischen Birkenbäumen und Volkslieder singender Babuschkas liegt. Und vielleicht ist es auch gerade das, was ich dem Autor verübel und was es für andere Leser zu einer gelungenen Lektüre machen könnte.