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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zum morgigen hundertsten Geburtstag von Leonardo Sciascia erscheint sein eigenes Lieblingswerk erstmals überhaupt auf Deutsch.
Der Titel meint beide, den Autor und seinen Protagonisten; Leonardo Sciascia hat ihn so nicht geschrieben, doch er hätte ihn unterschrieben: "Ein Sizilianer von festen Prinzipien" spannt zwei Texte, die formal und zeitlich auseinanderliegen, zusammen und macht auf ihre Verwandtschaft aufmerksam. Der eine, "Tod des Inquisitors", ist eine Erzählung, rund hundert Seiten stark und 1964 veröffentlicht, der andere, "Der Mann mit der Sturmmaske", ein Artikel, der 1978 im "Corriere della Sera" erschienen ist und 1985 in die Sammlung "Cronachette" (Kleine Chroniken) aufgenommen wurde.
Beide liegen nun erstmals in deutscher Übersetzung vor. Das muss verwundern. Zunächst weil von Leonardo Sciascia seit "Der Tag der Eule" (1964), dem ersten Kriminalroman über die Mafia, die meisten Bücher auch auf Deutsch herauskamen; vor allem aber weil "Tod des Inquisitors" sein Lieblingswerk war. "Diese kurze essayartige Erzählung über ein Ereignis und eine Person der sizilianischen Geschichte, die fast vergessen sind, ist mir das Teuerste von allem, was ich geschrieben habe", bekennt er im Vorwort zur Neuauflage 1967, "und das Einzige, was ich immer wieder lese und worüber ich mir den Kopf zerbreche."
Der Titel schützt auch vor einem Missverständnis, das "Tod des Inquisitors" nahegelegt und den Absatz womöglich befördert hätte: Es handelt sich nicht um einen Krimi, sondern um eine historische Untersuchung, die in die Verliese der Inquisition hinabsteigt. Und den Autor doch, wie er zwei Sätze später erklärt, auf ein Indiz warten ließ, "wie es Simenons Maigret widerfährt, wenn eine Ermittlung ihn nicht mehr loslässt". Auch der Rechercheur Sciascia entwickelt detektivischen Spürsinn, und er hat dafür, so notiert er in den Anmerkungen, "alles gelesen ..., was es in Bezug auf die Inquisition in Sizilien zu lesen gab".
"Pacienza / Pane, e tempo" (Geduld, Brot und Zeit): drei Worte, eingeritzt in eine Zellenwand des Palazzo Chiaramonte in Palermo, wo das Heilige Offizium von 1605 bis 1782 seinen Sitz hatte, sind der Ausgangspunkt. Erst 1906 hat Giuseppe Pitrè, Arzt und Begründer der Volkskunde in Sizilien, die "Kerker-Palimpseste" entziffert: "Drei Sachen, die leider unabdingbar sind, um nicht zu verzweifeln, um leben und abwarten zu können", kommentiert er. Und erinnert dann an einen, der es wagte, Rache am Tribunal zu nehmen: an den Augustinermönch Fra Diego La Matina, der wegen Häresie einsaß und, als er 1657 vor Don Juan López Cisneros, den spanischen Inquisitor im Königreich Sizilien, geführt wurde, ihm mit den eisernen Handschellen den Schädel einschlug. Es blieb der einzige gewaltsame Tod eines Inquisitors auf Sizilien. Im Jahr darauf wurde Fra Diego verbrannt.
Den Fall dieses Mannes rollt Sciascia auf, sein Leben rekonstruiert er, stellt es in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit und erklärt, wie leicht es angesichts der "grundsätzlichen Gleichgültigkeit der Sizilianer gegenüber der Religion" war, "Anklagen wegen Luthertums zu erheben". Welchen Vergehens sich der Diakon 1644 schuldig gemacht hat, ließ sich nicht ermitteln, doch muss es eine Tat gewesen sein, die "gleichzeitig Häresie und ein Verstoß gegen die weltlichen Gesetze war". Fra Diego wird zweimal verhaftet und wieder freigesprochen, dann mit fünf Jahren Galeerendienst bestraft, abermals vors Tribunal gebracht und gefoltert. Dass er öffentlich abschwört, bewahrt ihn vor dem Tod, er muss zurück an die Schiffsruder, landet, als andere Sträflinge sich ihm anschließen, im Kerker, bricht aus und wird wieder gefasst.
Sciascia schildert die Abscheulichkeiten der Inquisitoren, dechiffriert mit bitterer Ironie die Codes, Metaphern und Euphemismen in den Berichten der Schergen und zieht Verbindungen zu Manzonis Erzählung "Die Schandsäule" und zur Omertà, Mussolini oder Kardinal Frings, dessen Angriff auf das Heilige Offizium 1963 heftige Reaktionen auslöste. Seine subtile Interpretation, die "close reading" und Ideologiekritik verknüpft, kulminiert in der detaillierten Beschreibung des, so der öffentliche Ausrufer der "glücklichen" Stadt Palermo, "großen Schauspiels des Glaubensaktes" am 17. März 1658, "einer der grausamsten und erschütterndsten Szenen, die menschliche Intoleranz je dargeboten hat". Freigeschält aus dem Konglomerat von volkstümlichen Legenden und romanhaften Erfindungen - die Prozessakten und das von Fra Diego geschriebene Buch wurden vernichtet -, erscheint der Mönch als Verfechter von festen Prinzipien, als "Mitbürger" und, so Sciascias Schlusssatz, "Mann, der die Würde des Menschen hochhielt".
Die scharfsinnige, von vielen Belegen gestützte Argumentation ist eine anspruchsvolle Lektüre. Sciascia reflektiert mit "Tod eines Inquisitors" sein Selbstverständnis als politischer Schriftsteller, seine Unabhängigkeit, seine Standfestigkeit, seinen Moralismus. Fra Diego La Matina stammte wie er aus Racalmuto, einer kleinen Stadt im Hinterland von Agrigent, wo bis in die siebziger Jahre Schwefel abgebaut wurde. Doch nicht nur deshalb ist ihm der Freigeist nahe: In dessen fernen Kämpfen reflektiert er sein Verhältnis zur Macht, in dem Bild des Rebellen steckt ein Porträt des Autors in historischer Verfremdung. Der ihm weniger zur Seite als gegenübergestellte "Mann mit der Sturmmaske" ist nicht mehr (aber auch nicht weniger) als ein Fallbeispiel dafür, wie das System der Inquisition in die Gegenwart reicht: eine gespenstisch wendehälsige Erscheinung, Ex-Funktionär der Sozialistischen Partei, die im Nationalstadion von Santiago die eingepferchten politischen Gefangenen abschritt und mit einer Handbewegung über Leben und Tod entschied.
"Ein Sizilianer von festen Prinzipien" erscheint spät auf Deutsch, mehr als fünfzig Jahre nach "Tod des Inquisitors", und pünktlich zum hundertsten Geburtstag von Leonardo Sciascia am morgigen 8. Januar. Doch während der Wagenbach Verlag, der dem Autor lange die Treue hielt, dazu nur das Frühwerk "Le parrocchie di Regalpetra" (1956) unter neuem Titel (aus "Salz, Messer und Brot" wurde "Einmal in Sizilien") und auch noch gekürzt wieder auflegt, tritt die Edition Converso dafür ein, dass eine Stimme, die in den politischen Debatten Italiens der vergangenen dreißig Jahre wie keine andere - außer der von Pasolini - vermisst wurde, mit diesem zentralen Werk endlich auch auf Deutsch zu Wort kommt.
ANDREAS ROSSMANN
Leonardo Sciascia: "Ein Sizilianer von festen Prinzipien". Essayistische Erzählungen.
Mit Texten von Maike Albath und Santo Piazzese. Aus dem Italienischen von Monika Lustig (unter Verwendung einer Übersetzung von Michael Kraus). Edition Converso, Bad Herrenalb 2021. 192 S., geb., 23,- [Euro].
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